Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Sonntag: 7. S. nach Trinitatis
Datum: 26.7.1998
Text: Apostelgeschichte 2, 41a.42-47
Verfasser: Hans-Joachim Lange


Apostelgeschichte 2, 41a, 42-47 (Epistel des Sonntags)

Die das Wort annahmen, ließen sich taufen. Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. Es kam aber Furcht über alle Seelen, und es geschahen auch viele Wunder und Zeichen durch die Apostel. Alle aber, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nach dem es einer nötig hatte. Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und da in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen und lobten Gott und fanden Wohlwollen beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden.

Liebe Gemeinde und liebe Urlaubsgäste,

da haben wir doch vorhin aus der Apostelgeschichte mal eine positive, fröhliche Kurzbeschreibung von Kirche gehört. Nein, nicht wie Kirche sein sollte, wenn sie denn... Nein, auch nicht wie Kirche leider nicht ist, weil... So ist Gemeinde, so sieht es aus, wenn Leute Gastgeber für Jesus und Gäste von Jesus sind. Sie sind zusammen, weil Gott selber sie zusammengebracht hat. Da kommt es eben nicht mehr darauf an, ob sie die gleiche Bildung haben, gut zusammenpassen, sich sowieso sympathisch sind. Dann hören und lernen diese Menschen gern, wer und wie Jesus war. Sie achten auf die überlieferten Lebensgeschichten, zuerst erzählt von Leuten, die dabei waren oder kurz danach gelebt haben. Deshalb sind sie gern zusammen, kommunikative Menschen also, wobei das wichtigste bei ihren Zusammenkünften ist: Jede und jeder ist willkommen. Sie essen gern zusammen. Sie praktizieren mit all dem etwas sehr Befreiendes: von sich selber wegzusehen, von sich selber wegzureden, auf Gott sehen, mit ihm zu reden.

Eine Erfahrung machen sie, die nach ihnen viele Christen gemacht haben: Teilen ist Gewinnen, Dinge gemeinsam zu haben, verbindet. Denen abzugeben, die wenig haben, ist für sie selbstverständlich. Wie hätten sonst auch die Besitzlosen, von denen Jesus soviel gehalten hatte, überhaupt an den Gemeindemahlzeiten teilnehmen können?

Dann gehen sie in des Hauptheiligtum, den Tempel, schreibt Lukas. Manches war dort für sie anders geworden, obwohl alles noch am alten Ort stand. Jesus hatte am Tempelkult Kritik geübt. Aber sie gingen hin. Wenn aus Gewohnheit, warum nicht, aber vielleicht auch aus Solidarität mit ihrem Volk und seinen religiösen Traditionen.

Regelmäßig treffen sie sich zu ihren Mahlzeiten und Mahlfeiern in Privathäusern. Diese gehören einigermaßen vermögenden Leuten, manche Häuser gehören gar reichen Leuten. Nur solche Häuser haben genügend Platz für mehr als ein paar Menschen. Die meisten Häuser sind klein, Einraumhütten. Zu den Menschen, die kommen, gehören Witwen hin, denen es in der Regel schlecht geht. Sie haben kaum Einkünfte und waren in der Gesellschaft schlecht angesehen. Ferner kommen zu den Versammlungen Diener, die sich schnell ´mal von ihrer Arbeit wegstehlen. Solche Leute kommen zu Versammlungen in schöne Häuser der Wohlhabenden!

Bei ihren Mahlfeiern herrscht Freude. Ferner loben sie Gott, obwohl der es nun wirklich nicht nötig hat, gelobt zu werden. Sie reden mit dem Lob zugleich in einer bestimmten Weise von sich selber, wenn sie Gott loben. Sie stellen, wenn sie Gott loben, sich selbst dar: Wir sind viel mehr, als sich in unserem Leben zeigt; alles, was uns in dieser Zeit hier gelingt oder mißlingt, ist aufgehoben in Gott, ist Teil seiner Zeit. Gottes Zeit ist jetzt, Zeit der Gemeinde. Ferner meinen sie: Wir haben auch eine so oder so gelingende Zukunft vor uns.

Ich kann mir gut vorstellen, daß das Volk von Jerusalem diese fröhlichen, freundlichen und zufriedenen Jesus-Leute gern sah. Doch ist dies gute Image der Gemeinde für Lukas gar nicht der Grund dafür, daß die Gemeinde größer wird. Gott ist der Handelnde. Er fügt der Gemeinde neue Leute hinzu.

Lukas schreibt darum nicht zum Beispiel: Es kommen soviel Menschen, weil Christen so fröhlich, so einig, so eifrig bei den Andachten in den Häusern und im Tempel sind. Heute würden Werbeleute sprechen von der Vermarktung durch glückliche Verkäufer. Nichts davon! Sondern Gott fügt hinzu! Ich wage zu sagen: Gott hätte auch die Gemeinde vergrößert, wenn sich die ersten Christen nicht so einig auf die Lehre der Apostel bezogen hätten. Gott hätte auch Leute hinzugefügt, wenn die ersten Christen gar nicht immer ein Herz und eine Seele gewesen wären. In Wirklichkeit haben sie sich sogar gestritten. Auch davon berichtet das Neue Testament in großer Offenheit. Gott hätte auch Leute hinzugefügt, wenn die ersten Christen nicht diese großartige gegenseitige Hilfe praktiziert hätten. Das haben sie auch nicht immer. Davon wird ebenfalls berichtet. Und ihre Offenheit für all die so unterschiedlichen Menschen beim gemeinsamen Essen und Trinken: Bald wird im Neuen Testament erzählt, daß besitzlose Leute davon nichts abbekamen.

Ich stelle mir vor, daß manche von Ihnen, als der Bibeltext zur Predigt gelesen wurde, sich gleich gefragt haben: Und bei uns? In dieser Gemeinde, zu der ich gehöre oder in die ich manchmal gehe? Ganz anders ist es da. Wenig ist da vorhanden von der Fröhlichkeit, der Einigkeit, dem gegenseitigen Dienst, dem häufigen Treffen - einfach so zum Essen.

Ich habe diese Einwände bewußt vorweggenommen und davon erzählt, daß schon zu Zeiten der ersten Christengenerationen nicht alles optimal war. Jetzt möchte ich auf diese Probleme überhaupt nicht mehr eingehen. Wir evangelischen Christen können das gut, das Gute schlechtreden. Ich bin überzeugt davon, daß die Gemeinde der Christen nie den Kern der von Jesus Christus gebrachten, Wahrheit verloren hat. Und ich mache die Erfahrung, daß in dieser Gemeinde und in den vielen anderen, in denen ich zu tun habe, immer wieder etwas aufleuchtet vom fröhlichen, einigen auch praktisch und menschlich hilfreichen Leben der ersten Christenleute da in Jerusalem. Ganz nebenbei: In einem unserer Nachbarkirchenkreise erwägt man, eine Anlaufstelle einzurichten für Menschen, die wieder in die Kirche eintreten möchten. Nehmen Sie nur den musikalischen Reichtum in dieser St. Nicolai-Gemeinde. Bei manchem Orgelstück habe ich beobachtet, wie sich die Anspannung in den Gesichtern löste. Dunkle Gedanken wurden verscheucht, überspielt, weggespielt. Oder etwas anderes, nur eine Kleinigkeit, aber Gemeinde lebt auch von solchen Kleinigkeiten: Die meist freundlich lächelnden, nicht nur den Gemeindeprominenten zunickenden Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher, wenn sie die Kollekte einsammeln - obwohl es sich oft nur um Zehnpfennigstücke handelt! Oder - etwas ganz anderes: Diese pfiffige Idee mit den Regenschirmen mit einem Logo, dem Zeichen von St. Nicolai.

Sicher könnten Sie jetzt sagen: Na, wenn das alles ist, was von den großartigen Anfängen der Christenheit geblieben ist! Das und vieles andere, das wichtigste, die Sache, die Kommunikation des christlichen Glaubens ist in ganz vielfältiger Weise geblieben, weil Gott selbst der gleiche geblieben ist. Er hat sein menschliches Gesicht als Jesus Christus den Leuten gezeigt, damals, als die Christenheit begann.

Erfolg, hat mal einer gesagt, Erfolg ist keiner der Namen Gottes. Das ist, so wie es gemeint ist, wohl richtig. Aber Mißerfolg ist nun auf keinen Fall einer der Namen Gottes. Ich bezweifle, daß es keine Erfolge in der Kirche unserer Zeit gibt. Ich kann nicht in das Jammern und Lamentieren einstimmen, daß alles ja so schwierig geworden sei. Daß ich nicht mitmache, liegt nicht daran, daß ich als Pastor im gemeindebezogenen funktionalen Dienst nicht den richtigen Einblick hätte oder nur die kirchlichen Highlights erlebte. Mir wird in den vielen Gemeinden, die ich besuche, schon viel Düsteres erzählt. Ich kann nicht mitmachen, weil das Beklagen der bösen Zeiten, etwa die Medienschelte, nun wirklich keine Ausdrucksform der Gemeinde von Jesus Christus ist.

Ich sehe manche Entwicklung sehr viel positiver. Schon wenn ich erlebe, was im Urlaubs- und Kurgastdienst vom Wiederaufleben verschütteten Glaubens sichtbar wird, von Neubegegnungen mit der Kirche, von erfreulicher, stützender Gemeinschaft mit Christen. Das geschieht in Gottesdiensten und Veranstaltungen, aber manchmal auch in Gesprächen so ganz nebenbei.

Urlaub und Freizeit haben etwas wie eine verborgene religiöse Dimension. Beim Verreisen vollzieht sich ein Hin zu dem Anderen, dem Neuen, ein Eintauchen in andere Wirklichkeiten und veränderte Lebensformen. Jedenfalls ist das der Traum. Als Touristen sind wir von den sonst so belastenden Forderungen und Überforderungen los - frei, auch im Kopf frei, für Fragen und Gedanken, die hinausgehen über das, was wir als nächstes tun müssen. Nicht von ungefähr besuchen im Urlaub fast so viele evangelische Christen die Gottesdienste wie zu Weihnachten. Und dann die Sonnabendvormittagsmahlzeiten auf den Campingplätzen. Kinder, Jugendliche, Erwachsene bringen etwas zum Essen und zum Trinken mit. Den anderen, die nichts mitgebracht haben, wird weitergegeben. Das Essen wird ausgeteilt. Dann beginnt 'mal jemand zu erzählen, vom eigenen Leben, von Bewahrung und Enttäuschung. von guten Erfahrungen mit Gott, manchmal auch von schlechten mit Christen. Das alles geschieht in einer Atmosphäre der Gemeinschaft, begonnen mit einem Gebet, ausgeleitet mit Gebet und Segen - eine manchmal spürbare geistliche Dichte, die anhält. Alle Dinge gemeinsam. Die Abendmahlsfeiern dann und wann. Einer bricht dem anderen das Brot, einfaches Brot, der Traubensaft aus Kirchentagsbechern. Menschen feiern mit, die sich kaum vorstellen könnten, vor dem Altar ihrer Heimatgemeinde eine Oblate von einer silbernen Patene zu nehmen und aus einem vergoldeten Kelch zu trinken.

Die Zahl der Taufen auf den Campingplätzen nimmt von Jahr zu Jahr zu. In dieser Sommersaison werden mindestens sechs Taufen auf den Campingplätzen in meinem Dienstbereich stattfinden. Eltern lassen ihre Kinder taufen, die es in ihren Heimatgemeinden oft vor sich hergeschoben haben. Einige wissen gar nicht, zu welcher Gemeinde sie gehören, den Pastor, die Pastorin dort kennen sie sowieso nicht. Hier ist ihnen die Kirche nachgegangen in ihren Freizeitalltag. Dann finden die Taufen statt, ganz ernst und doch fröhlich, von der Form her ganz traditionelle Taufen. Danach gibt es dann ein großes Fest mit der Gemeinde, wie sie sich gerade zusammengefunden hat. Wie heißt es doch in unserem Bibeltext: Die das Wort annahmen, ließen sich taufen und der Herr fügte hinzu, die gerettet wurden.

In evangelischen Kirchen, von denen endlich immer mehr auch außerhalb der Gottesdienstzeiten geöffnet sind, liegen Gästebücher aus oder Gebetszettel, die dann in einen Kasten gelegt werden können. Es stehen in den Kirchen Gebetswände oder wie z.B. hier ein Gebetskreuz. Kurze, oft schlichte Texte finden sich dort. Worte echt und einfach ohne "Effekthascherei": Danke für meinen Mann, daß er wieder gesund ist. Ich bitte dich für meine Freundin, daß sie bei mir bleibt. Es ist so schön in dieser Kirche. Ich bin wieder ruhig geworden. .... So nah ist Gemeinde durch die freundliche Atmosphäre einer geöffneten Kirche, selbst wenn die Menschen, welche sich sonst als Gottesdienstgemeinde am Sonntag um zehn versammeln, in dem Augenblick gar nicht anwesend sind. Und lobten Gott - in den Worten unseres Bibeltextes gesprochen.

Also: kein Grund zur Resignation. Eher Grund, 'mal was anderes auszuprobieren - einfach für sich selber und andere, mit anderen zusammen. Dabei muß nicht jede Gemeinde den gleichen Weg gehen und vor allem nicht alles machen. Und ich muß ja auch nicht gerade zu der Urlaubs- oder der Heimatgemeinde gehen, bei der sicher vieles Gute läuft, ich aber vielleicht gerade das vermisse, was mir persönlich weiterhilft, Gemeinschaft z.B. oder fröhlicher Urlaub mit der Gemeinde oder doch 'mal wieder genau hinsehen, was denn die "Lehre der Apostel" ist.

Es könnte so geschehen, daß wir ganz direkt erfahren, was es auf sich hat mit den Wundern und Zeichen als Erlebnis von Gottes Zuwendung zu uns als je eigene Personen. Herzliche Einladung, es auch weiterhin immer wieder mal auszuprobieren z.B. mit der Kirche im Urlaub oder mit einer Gemeinde zu Hause.

Amen.

Anmerkungen:

Die exegetischen und homiletischen Entscheidungen stützen sich auf einen Hinweis bei Jürgen Roloff: Die Apostelgeschichte, Das Neue Testament Deutsch, Bd.5, Göttingen 1981, S.65. Danach dient dieses erste Summarium, wie auch die anderen in der Apostelgeschichte, "der Verallgemeinerung und Typisierung" und gibt "dem Leser den Eindruck, einer kontinuierlichen Entwicklung beizuwohnen". Hiernach erschien es mir statthaft zu sein, die Gruppe der Christen in Jerusalem bunt zu beschreiben und auf die weitere Entwicklung hinzuweisen. Ansonsten wurden gängige exegetische Werke benutzt (z.B. Ernst Haenchen; Hans Conzelmann, Alfons Weiser). Zur "Gütergemeinschaft" ist für mich instruktiv: Schäfer, Gerhard K.; Strohm, Theodor: Diakonie - biblische Grundlagen und Orientierungen, 2. Aufl. Heidelberg 1994, S. 362f. Viele Homiletiker weisen zu diesem Sonntag auf die Urlaubszeit hin. Das veranlaßte mich, von meinem Dienstbereich her den zweiten Teil der Predigt zu konzipieren. Der konkrete Predigtort ist die St. Nicolai Kirche in der Altstadt von Rinteln, die in der Sommersaison auch von touristischen Gästen und manchmal von Gästen des nahegelegenen Großcampingplatzes "Doktorsee" besucht wird. Ansonsten sind die Gottesdienste durch reiche kirchenmusikalische Ausgestaltung gekennzeichnet.

Hans-Joachim Lange, Pastor, Geschäftsführer
Kirchlicher Dienst in Freizeit, Erholung und Tourismus
Ev.-luth. Landeskirche Hannovers
Arbeitskreise Weserbergland und Osnabrück
Rinteln/Weser
Fax: 05751/909564


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