Göttinger
Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch
Sonntag: 1. S. nach
Trinitatis
Datum: 14.6.1998
Text: 1. Johannes 4, 16b-21
Verfasser: Rudolf Schmidt
Predigt für den 1. Sonntag nach Trinitatis, den 14.06.1998 (gehalten am Trinitatis-Sonntag, dem 07.06.1998 zu St. Marien in Göttingen) über 1. Johannes 4,16: "Gott ist Liebe und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm". Anmerkungen zur Gemeinde und Gottesdienstverlauf (hier klicken!) Predigttext 1. Johannes 4,16b-21 Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. Darin ist die Liebe bei uns vollkommen, daß wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; denn, wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt. Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der Liebe. Laßt uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott und haßt seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht? Und dies Gebot haben wir von ihm, daß, wer Gott liebt, daß der auch seinen Bruder liebe. Liebe Gemeinde! Schon der Kirchenvater Augustinus, der vor über 1.500 Jahren lebte, meinte, höher hinaus ginge es nicht, als mit diesem Spitzensatz: Gott ist Liebe. Es ist ein Bekenntnis zu Gott, das so nur im Christentum, in unserem christlichen Glauben ausgesagt wird. Ich habe als Student hier in Göttingen im Studentendorf in der Gutenbergstraße lange mit einem Perser zusammen gewohnt. Wir haben uns oft auch über theologische Fragen unterhalten: Er war ein Muslim und meinte immer: "Wir glauben doch alle an den gleichen Gott." Wir Christen bekennen ja: Gott hat die Welt geschaffen, Gott ist allmächtig, Gott ist gerecht - und mein persischer Kollege bestätigte mir: "Das sagen wir Muslime von Allah auch", - aber wenn ich auf diesen Vers aus dem 1. Johannesbrief zu sprechen kam: Gott ist Liebe - dann meinte er: "Nein, das können wir Muslime von Allah nicht sagen". Gott ist Liebe, das ist, so sagte schon Augustinus, ein theologischer Spitzensatz. Es ist keine Definition Gottes, denn dann würden wir uns Gottes - wenn auch nur verbal - im Wort bemächtigen. Aber es ist eine Aussage über Gott, die wir nur im 1. Johannesbrief so finden. Sie ist auch nicht einfach umkehrbar: Liebe ist Gott. Gewiß: Liebe ist etwas sehr schönes und großes, wenn zwei Menschen sich finden und vorbehaltlos, bedingungslos ja zueinander sagen. Aber das ist nicht Gott, sondern etwas sehr menschliches, - wenn auch Gott seinen Segen dazu geben will und gibt und darum bei wahrer Liebe wohl immer mit im Spiel ist. Doch: Gott ist Liebe bedeutet mehr und Anderes als Liebe ist Gott. Gott ist Liebe, das ist wahr und richtig, aber was meint dieser große Satz aus dem 1. Johannesbrief? Er muß, wie alle ähnlichen Sätze der Bibel, natürlich ausgelegt werden im Blick und im Rahmen des Neuen Testamentes. Mit dem Kantatentext des vergangenen Pfingstsonntages: Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab sind wir dem rechten Verständnis des Bekenntnisses: Gott ist Liebe schon sehr nahe gekommen. Dieses Bekenntnis muß im Blick auf Jesus gehört, ausgelegt und verstanden werden. Gott ist Liebe, das findet seine rechte Erklärung, seine richtige Auslegung im Blick auf Jesus Christus. Ihn hat Gott in unsere Welt gesandt, damit kaputtes Leben heil, krankes Leben gesund wird, einsames Leben Kontakt findet und gestreßtes Leben zur Ruhe kommt. Jesus hat in seinem eigenen Leben vorbehaltlos die Liebe Gottes gelebt im Umgang mit den Menschen, die ihm begegneten, und die ihn brauchten. Sie haben in solcher Begegnung mit Jesus eine Wahrheit, eine Vollmacht gespürt, die ihr Leben veränderte, neu machte. So ist Liebe auf dieser Welt gelebt und ausgeteilt und darin Gott auf unserer Erde lebendige Gegenwart geworden. Im Blick auf Jesus Christus gilt also dieser Satz, ist seine Wahrheit uns aufgetan: Gott ist Liebe. Doch - so schön das klingt - trauen wir dieser Erfahrung mit Jesus noch heute? Am vergangenen Mittwochmorgen ist in Eschede das schreckliche Zugunglück geschehen mit fast 100 Toten und vielen Verletzten, - auch ein Göttinger war unter den Schwerverletzten - müssen wir da nicht fragen: Wo bleibt da Gottes Liebe? Wie kann da noch wahr und gültig sein: Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm? Wir spüren wohl: So geht das nicht zusammen, und es wird noch deutlich: Gott ist Liebe - das ist kein Allerweltssatz, den wir nur zu bestätigen brauchen! Er stimmt als Allerweltsaussage nicht, - und mein persischer Kollege im Studentendorf hatte guten Grund, ihn nicht für sich anzunehmen: Er wird durch unsere Welt - und Lebenserfahrung ja nicht unbedingt bestätigt. Denn es gibt die dunklen Seiten Gottes, die wir nicht erhellen können: Lebensschicksale, Krankheiten, Unglücke wie das in Eschede - da können wir nur betroffen schweigen oder aber Gott unsere Betroffenheit, unsere Trauer, unser Entsetzen sagen oder gar entgegen schreien, weil er da ist, weil er hört, was wir ihm sagen, ohne das wir damit zugleich eine Antwort empfangen. Diese uns immer wieder so unsicher, so ungewiß im Glauben machenden Erfahrungen mit Gottes dunklen Seiten, mit Gottes scheinbarer Abwesenheit, mit der bohrenden Frage: wie kann Gott das zulassen - diese Erfahrungen setzen aber die anderen Erfahrungen, setzen das Bekenntnis aus dem 1. Johannesbrief: Gott ist Liebe nicht außer Kraft, machen es nicht unwahr. Denn dies ist die andere, uns zugewandte Seite Gottes, die unserem Leben Halt und Geborgenheit geben will. Der Nachsatz - Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm - zielt auf unser aller ganzes Leben, weist auf eine Lebenspraxis in der Spur Jesu, in seiner Nähe und Nachfolge hin. So macht sie uns Mut, alle Erfahrungen im Umgang miteinander, in der Liebe zum Anderen: zur Frau und zum Mann, zu Kindern und Familie, zu unseren Mitmenschen bis hin zu dem Unsympathischen, Fremden und Feind im Licht dieser Gottes-Wahrheit zu sehen und zu leben: Gott ist Liebe. Das gibt aller Liebe, die wir leben, die wir erfahren und weitergeben und verschenken, einen Abglanz dieser Gottes-Wahrheit. Sie macht Mut, etwa im Hospiz mit Sterbenden diese Gewißheit zu leben: Gott ist Liebe, und so den sterbenden Menschen mit aller nur möglichen Liebe und Menschenfreundlichkeit ihren letzten Lebensabschnitt so freundlich wie möglich zu gestalten. Wer in der Liebe bleibt, heißt es so deutlich. Das ist unsere Aufgabe, die uns allen von Gott gestellt ist, in unserem eigenen Leben und seinen vielfältigen Bezügen Gottes Liebe zu uns zu leben! Wir alle wissen, daß das nicht so ganz einfach ist, weil es in der Liebe immer auch Enttäuschungen und Entfremdungen gibt. Aber, so wird uns zugesagt: wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm! Gottes guter, heiliger Geist will uns immer wieder an Jesus Christus erinnern, sein Beispiel in uns lebendig werden lassen, damit wir neuen Antrieb, neue Kraft empfangen, in der Liebe Gottes unser eigenes Leben zu führen, die Liebe jeden Tag zu leben. Wer so mit den Augen der Liebe sein Leben führt, der sieht anderes, als die Schreckensmeldungen, die die Bildzeitung auf der ersten Seite bringt. Der sieht in Eschede auch die vielen vielen Menschen, die selbstlos bis zur Erschöpfung zu helfen versuchen; der sieht die Freundlichkeit, mit der die Verkäuferin "guten Morgen" sagt und der sieht auch den Streß und versteht die Unhöflichkeit oder Schroffheit, mit der sie uns vielleicht begegnet und kann besser damit umgehen. Wer mit den Augen der Liebe sieht, der kann auch enttäuscht werden, aber: er sieht den Mitmenschen, er sieht den Menschen neben sich, der auch von Gottes Liebe erreicht werden soll. Stellen wir uns nicht so in diesen Lichtstrahl Gottes, daß wir ein Schatten für Andere werden, sondern so, daß unser eigenes Leben zum Widerschein der Liebe Gottes wird, dann gilt beides: Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott - und: und Gott in ihm. Weil das so ist, darum dürfen wir uns dieser großen Wahrheit auch in unserem eigenen Leben immer wieder vergewissern und ihr vertrauen: Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. Amen. Anmerkungen: Die St. Marienkirche ist eine gotische Innenstadtkirche in Göttingen. Die Gemeinde besteht zu einem großen Teil aus Studenten (fast die Hälfte der Gemeindeglieder) aber sonst keinen Akademikern, dazu Angestellten bei der Stadt, der Bahn usf. Die Westliche Innenstadt ist keine "Wohngegend" in Göttingen. Zum Gottesdienst kommen am Sonntag so zwischen 35 und 50 Personen; Senioren, Studenten, auch einige Gemeindeglieder "so um die 40", gelegentlich Mütter mit Kindern. Das Durchschnittsalter der Gottesdienstbesucher liegt bei etwa 40 Jahren. Im Gottesdienst, in dem diese Predigt gehalten wurde, wurde eine Messe von Josef Rheinberger aufgeführt und das Abendmahl gefeiert. Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Marien Sonntag, den 7., Juni 1998 Trinitatis Wochenspruch: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth. Alle Lande sind seiner Ehre voll. Jesaja,6,3 Veranstaltungen der kommenden Woche: Rudolf Schmidt, Pastor an St. Marien zu Göttingen
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