Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Sonntag: Trinitatis
Datum: 7.6.1998
Text: Römer 11,32-36
Verfasser: Richard Engelhardt




Römer 11, 33-36

O Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!
Wie unerforschlich sind seine Gerichte
und wie unbegreiflich seine Wege!
Denn wer hat erkannt den Sinn des Herrn,
oder wer ist sein Ratgeber gewesen?
Oder wer hat ihm etwas vorausgegeben,
daß es ihm erstattet werden müßte?
Doch von ihm und durch ihn und zu ihm ist alles.
Sein ist die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.

Ein Lobpreis, ein Gedicht, ein Hymnus auf Gott, zu Gott - was soll man dazu
sagen? Ist so etwas auszulegen, zu predigen? Wäre es nicht viel besser,
liebe Leserin, lieber Leser, sich einfach auf diesen Text einzulassen, ihn
nachzusprechen?

Denn von ihm und zu ihm und durch ihn ist alles.

Ich denke mir, manch einer hat da Schwierigkeiten. Vielleicht erinnern Sie
sich an ein anderes Gedicht aus ihrer Schulzeit, an Goethes Prometheus:

Hast du nicht alles selbst vollendet,
heilig glühend Herz?
Und glühtest jung und gut,
betrogen, Rettungsdank
dem Schlafenden da drohen?

Mach etwas aus Dir! Gestalte Dein Leben selbst! Alles, was Sie hier sehen,
habe ich mit meinen eigenen Händen aufgebaut. Wie oft haben wir diese und
ähnliche Sätze gehört. Der Selfmademan ist die Idealgestalt - vom
Tellerwäscher zum Millionär aus eigener Kraft. Natürlich, so haben wir
gelernt, kann man alles machen. Durchsetzungsvermögen, Ausdauer, gesunde
Lebensweise sind die Tugenden, um schließlich sagen zu können: Ich habe
mein Leben selbst in der Hand, das alles habe ich mir geschaffen. Und wer
dabei scheitert, hat es sich selbst zu verdanken. Er war eben nicht tüchtig
genug. Und so, wie dies für den einzelnen Menschen in unserer Gesellschaft
gilt, gilt es zugleich und selbstverständlich auch für unser Volk: Wir sind
wieder wer! Sie erinnern sich vielleicht. Das war nach einem gewonnenen
Fußballspiel. Dem Tüchtigen gehört die Welt.

Und in diese Gedankenwelt und Lebenswirklichkeit unserer Zeit kommt nun
dieser Hymnus:

Denn von ihm und durch ihn und zu ihm ist alles.

Zugegeben: Dieser Satz stammt aus einer fernen und längst versunkenen Welt.
Der Apostel Paulus hat ihn auch schon übernommen. So ähnlich wurde zu
seiner Zeit ringsum auch in anderen Religionen gebetet. Es war eine Welt,
in der die Menschen noch staunen konnten über das, was sich an ihnen und
mit ihnen ereignete. Es war eine Welt voller wundersamer Ereignisse, die
die Menschen in Ergebenheit oder Auflehnung annehmen mußten. Gottheiten und
Schicksalsmächte bestimmten den Alltag des Einzelnen in seiner Umgebung und
das Leben der Völker. Aber wenn auch Paulus in der Sprache seiner Zeit
redet, das, was er der Gemeinde in Rom mitzuteilen hat, durchbricht die
üblichen Gedankengänge und Glaubensvorstellungen. Eine Passage aus seinem
Brief, wir finden sie unmittelbar vor diesem Hymnus, kann uns zum besseren
Verständnis helfen:

Paulus spricht vom Verhältnis der jungen Christengemeinde zur jüdischen
Gemeinde. Dort bei den Christen, vor allem denen, die nicht aus der
jüdischen Gemeinde kamen, hatte sich die Haltung ausgebildet: Jetzt sind
wir es, denen Gott seine Gnade zuteil werden läßt. Die Juden, weil sie
Jesus nicht als den Heiland anerkennen wollten, haben ihre Chance vertan.
Das neue Volk Gottes sind wir Christen. Das bisherige Volk Gottes ist
untergegangen. Wir haben die Wahrheit auf unserer Seite. Gegen diese
Haltung setzt Paulus ein Bild: Ein Christ, der zuvor weit weg von Gott war,
ist wie ein wilder Zweig, der einem Ölbaum aufgepfropft wird. Er ist zwar
nun Teil eines guten Stammes, aber er kann doch nicht stolz sein, sich
nicht besser dünken als all die anderen Zweige dieses Baumes. Er wird von
der gleichen Wurzel getragen wie alle anderen Zweige. Gewiß, es wurden
Zweige ausgebrochen, aber auch diese Zweige können wieder eingepfropft
werden und ebenso kann der neue Zweig wieder ausgeschnitten werden. Gottes
Güte ist es, wenn er einen Zweig wachsen läßt. Und Gottes Güte richtet sich
nicht nach Maßstäben, wie etwas zu sein hat. Allerdings schlägt er auch
nicht zu wie eine blinde Schicksalsmacht. Sein Ziel, um dessentwillen er
seine Macht einsetzt, ist das Heil der Welt, die Erlösung von Leid und Tod.
Durch Unglauben kann sich jeder zwar aus der Güte Gottes ausschließen,
nicht aber aus seinem Machtbereich.

Und noch ein Gedanke taucht auf, den Martin Luther so zusammenfaßt: Ich
glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus,
meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann ... Gottes Geist hat mich zum
Glauben befähigt. Paulus schließt - unmittelbar vor dem Hymnus - mit dem
Satz: Gott hat alle zusammen (nämlich die Juden und die Christen)
eingeschlossen im Ungehorsam, damit er sich aller erbarme. Realistisch
sieht Paulus, daß weder Juden noch Christen noch alle anderen Menschen in
der Lage sind, ihrer wahren Bestimmung nachzuleben, Heilsames in dieser
Welt zustande zu bringen. Sie alle leben vom Erbarmen Gottes, von seiner
ständig erneuerten Zuwendung - seiner Gnade, um es in der Sprache der Bibel
zu sagen.

Nicht blinde Schicksalsmächte also schlagen zu und bringen Leid und Trauer
über die Menschen, auch nicht die eigene Kraft und die eigene Macht
schaffen dem Menschen Erlösung. Einzig Gottes Wille, seine Güte und
Zuwendung kann Heil schaffen. Gott will, daß allen Menschen geholfen werde
und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Diese Wahrheit ist für Paulus
der große geschichtliche Zusammenhang zwischen dem Versprechen Gottes: Ich
will euer Gott sein und ihr sollt mein Volk sein! und der endgültigen
Einlösung dieses Versprechens am Ende aller Zeiten, wenn der Tod überwunden
sein wird. Für diese Zeit des Weges bleibt denen, die noch staunen können
darüber, daß sie immer wieder bewahrt wurden, daß ihnen Menschen begegnen,
mit denen sie in Liebe verbunden sein können, bleibt denen, die noch
dankbar dafür sein können, daß sie mutig waren, wo sie es selbst nicht
geglaubt hätten, bleibt denen, die sich auf Gott einlassen, auf seine
Zusage vertrauen, das Loblied, der Hymnus:

Denn von ihm und zu ihm und durch ihn ist alles.
Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.


Pastor Richard Engelhardt, 37081 Göttingen, Rosmarinweg 41


[Zum Anfang der Seite]

[Zurück zur Hauptseite] [Zum Archiv] [Zur Konzeption] [Diskussion]