Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Sonntag/Feiertag: Pfingstsonntag
Datum: 31. Mai 1998
Text: Apostelgeschichte 2, 1-18
Verfasser: Hans Theodor Goebel


Anmerkungen zur Predigt (hier klicken)

Predigttext.

Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.

Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden.

Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein. Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe Männer, und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und laßt meine Worte zu euren Ohren eingehen! Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde am Tage; sondern das ist's, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist (Joel 3,1-5): »Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen. Und es soll geschehen: wer den Namen des Herrn anrufen wird, der soll gerettet werden.«

Predigt

Liebe Gemeinde,

1 . Pfingsten ist eine Bewegung. Sie geschieht an Jüngerinnen und Jüngern Jesu. Und reißt sie

Wer von uns die Kirche ohne diese Bewegung denkt, denkt nicht die Kirche Jesu Christi.

Die Jünger und Jüngerinnen Jesu sitzen zwar in einem Haus, in einem Zimmer beieinander. Vielleicht haben sie gebetet und von Jesus gesprochen, der nicht mehr bei ihnen war. Und waren vielleicht einmütig beieinander - wie Luther einst übersetzt hat.

Aber daß gläubige Menschen oder religiöse einmütig an einem Ort beieinander sitzen - macht noch nicht die Kirche aus. Das Dasitzen genügt nicht, und die Gesinnungsgemeinschaft genügt auch nicht, um Kirche Jesu Christi zu sein.

Da sind wir dann vielleicht auf den Gedanken gekommen, wir müßten uns als Kirche bewegen, um wirklich Kirche zu sein. Bewegte Gottesdienste machen - mit Schwung, der Menschen von heute mitreißt. Abgeguckt bei der Unterhaltungsindustrie. Und uns sozial bewegen und etwas tun: für Obdachlose ein Haus besorgen und Flüchtlinge in unsere Räumen aufnehmen.

Aber nein - die Bewegung, die von uns ausgeht, tut es auch nicht. Genügt nicht, um Kirche Jesu Christi zu sein.

Die Jüngerinnen und Jünger Jesu waren alle an einem Ort zusammen - so heißt es hier. Da "geschah plötzlich aus dem Himmel ein Ton" - wahrzunehmen mit ihren Ohren. Ein Brausen wie von einem daherfahrenden gewaltigen Wind. Der das Haus durchfährt und es erfüllt. Und bläst die ganze alte Luft hinaus.

Eine Bewegung hat da die Jüngerinnen und Jünger erfasst. Ist auf sie gekommen. Wie ein Wind. Vom Himmel her. Wie ein Feuer. Von außen her. Und sie werden von Wind und Feuer Erfasste.

Daß ein Brausen vom Himmel kommt und ein Feuer, kennen wir aus der biblischen Geschichte. Rauchte nicht der Berg Sinai, weil Gott, der Herr, auf ihn niederfuhr?

"Unser Gott kommt und schweigt nicht. Fressendes Feuer geht vor ihm her und um ihn her ein mächtiges Wetter" - heißt es im 50. Psalm.

Wind und Feuer in dieser Pfingstgeschichte mögen uns bedeuten, daß hier Gott selber kommt. Aufgebrochen ist zu den Jüngerinnen und Jüngern. Pfingsten ist seine Bewegung. Die seines Heiligen Geistes. "Vom Himmel her" zu den Jüngern hin. Und in sie hinein

Und dann geht es zu wie bei dem Wind und dem Haus. Der Heilige Geist durchfährt sie und erfüllt sie alle und treibt die alten Geister hinaus. Den Geist des frommen Sitzenbleibens wie den Geist der Profilneurose, in dem die Kirche sich selbst um sich selbst bewegt.

Vom Geist erfüllt fangen die Jünger an, "in anderen Zungen zu sprechen", "wie der Geist es ihnen gab, laut heraus zu sagen". So daß es die Leute auf der Strasse hören. Und in den Nachbarhäusern. Und eine Menge strömt am Haus der Jünger zusammen und gerät außer sich vor Staunen. Wenig später tritt Petrus heraus und hält seine Pfingstpredigt.

Das ist die zweite Bewegung in dieser Pfingstgeschichte. Der Heilige Geist, der in die Junger hineinfuhr, der treibt sie hinaus auf die Straße, zu den Menschen, und läßt sie bei den Jüngern zusammenströmen. In der Öffentlichkeit der Stadt.

Wenn Pfingsten der Geburtstag der Kirche ist, dann, liebe Gemeinde, sind auch wir Kirche Jesu Christi nur in der doppelten Bewegung des Heiligen Geistes:

- der von Gott her in uns hineinfährt und uns erfüllt
und ist Gott selber in uns
- und der uns hinaustreibt auf die Strasse, zu den Menschen und lässt uns sprechen, und sie
sammeln sich und hören.

Dann wird Kirche und sie hat bewegliche Grenzen. Keine ein für allemal feststehenden Mitgliederzahlen.
"und wurden hinzugetan an dem Tage bei dreitausend Seelen" - heißt es nach der Predigt in der Pfingstgeschichte.

Pfingsten ist Gottes Bewegung in Jesu Jünger hinein und treibt sie hinaus und die Menschen von draußen dahin zusammen, wo Jünger vom Geist erfüllt sprechen.

2. Was haben die Jünger geredet?

Und was haben die Menschen da eigentlich gehört - im Brausen des Windes und im Ton der Jüngerstimmen?

Die Menschen haben die Jünger "von Gottes großen Taten" erzählen hören. Und haben den Petrus von Jesus predigen hören.

Wie es einst Joseph in Ägypten seinen Brüdern sagte, die ihn verkauft hatten: "Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen". So ist es mit

Jesus geschehen. Eben so.

Mit diesem Jesus aber - sagt Petrus in seiner Predigt - ist in unsrer Welt die Machtfrage gestellt. Da gelten jetzt nicht mehr die alten Verhältnisse und das alte Imponiergehabe von Geld und Gewalt. Die Karten sind neu gemischt. Gott hat den Gekreuzigten, seinen Sohn, da, wo er am schwächsten war, zum Herrn der Welt gemacht. Und der hat jetzt seinen Geist ausgeschüttet. Stellt euch auf diesen Jesus ein! Die alten Geister weichen zurück.

3. Wie die Jünger da reden - bevor Petrus beginnt zu predigen - und wie die Menschen auf der Straße da hören, ist ein Wunder geschehen. Erzählt die Geschichte. Ein Pfingstwunder. Die Jünger reden "in anderen Zungen". Und sind doch nur ungebildete Fischer vom Galiläischen Meer und wohl keiner Fremdsprache mächtig. War das ein Sprachwunder? Und die Menschen verschiedener Kulturen, die aus der Zerstreuung nach Jerusalem zusammengeströmt und da wohnhaft geworden sind, sie hören die Jünger in je ihrer eigenen Muttersprache. Obwohl die vielleicht nur gesprochen haben wie sie immer sprachen, eben wie Leute aus Galiläa. Also ein Hörwunder?

Oder haben die Jüngerinnen und Jünger mit den Feuerzungen des Heiligen Geistes auf ihren Köpfen auch in Zungen geredet, wie es heißt, also vom Geist bewegt und in Ekstase, und alle konnten sie verstehen?

Wie es auch im Einzelnen gemeint sein mag in der Pfingstgeschichte - irgendwie ist jedenfalls die Kommunikation gelaufen. Trotz des von einigen geäußerten Verdachts, die Jünger seien schon am frühen Morgen besoffen und lallten deshalb unverständliches Zeug. Jedenfalls - die Menschen auf der Straße verstehen, daß die Jünger Gottes große Taten bekennen.

Vielleicht waren unter den Fremden in Jerusalem, die die Pfingstgeschichte aufzählt, Vorfahren jener kurdischen Flüchtlinge, die gestern in unser Gemeindezentrum kamen. Und die sind Nachfahren jener Leute aus Kappadokien oder jener Parther und Meder.

Wenn der Heilige Geist uns zueinander in Bewegung bringt, gelingt zwischen diesen von der Abschiebung bedrohten Fremden und uns hier am Ort wohl auch die Kommunikation und uns leuchtet auf, daß Gottes große Taten ihnen wie uns gelten und uns verbinden.

Vor einer Woche hat Christoph F, mich angesprochen und gesagt, über Themen aus unserem Leben müßte gepredigt werde, über Ausländerfeindlichkeit zum Beispiel.

Wenn wir uns auf diese Pfingstgeschichte einlassen und uns in sie vertiefen, kann sie sich uns für dieses Problem öffnen und davon zu uns sprechen. Und weil Gottes große Taten diesen Fremden ebenso gelten wie uns, interessiert uns, was die Kurden bewegt und was sie ängstigt in unserem Land und in ihrem türkischen Heimatstaat. Das kann Thema werden in unsrer Gemeinde. Ein öffentliches Gespräch kann auf die Predigt hin beginnen. So wäre es im Sinne der Anregung von Christoph F.

Und hoffentlich geschieht es dann, damit die Kommunikation auch unter uns gelingt, unter dem Wehen des Heiligen Geistes. Der übrigens, wie Petrus in Anknüpfung an den Propheten Joel predigt, ausgegossen wird "auf alles Fleisch", auf Gottes Söhne und Töchter, auf Alte und Junge, auf Gottes Knechte und Mägde". Da fallen die Schranken der Geschlechter und Generationen, der Rassen und Klassen. Wie können sie stehenbleiben vor der Bewegung des Geistes, der von Gott kommt wie Wind und Feuer!

4. Ein Letztes: Wie kommt der Heilige Geist?

Wie kam er zu den Jüngerinnen und Jüngern in der Pfingstgeschichte? Wie kommt er zu uns? Kommt er überhaupt?

Hier in der Pfingstpredigt sagt Petrus: "... das ist's, was durch den Propheten Joel gesagt ist: 'Und es soll geschehen in diesen letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch'."

Also: Versprochen ist versprochen! Jedenfalls bei Gott.

Bei uns Menschen gilt's ja nicht mehr immer. Zwischen Männern und Frauen: Da ist versprochen nicht mehr immer versprochen. Und in manchen Geschäften nicht mehr. Da werden Versprechen gebrochen.

Aber bei Gott gilt' s. Sagt die Pfingstgeschichte mit aller Deutlichkeit, Wir tun gut dran, es zu hören.

Versprochen hat Gott seinen Heiligen Geist. Versprochen hat Jesus ihn seinen Jüngern. Darum sollen wir Gott um Gottes willen nicht in Ruhe lassen. Liegen wir ihm in den Ohren. Schreien wir zu ihm - da, wo wir im Kreis von Gleichgesinnten sitzenbleiben oder uns selbst um uns im Kreis drehen, in unsrer Kirche, in unsrer Gesellschaft nicht weiterkommen mit Zukunftsfragen und -lösungen. Vielleicht auch im Persönlichen.

Christoph F. hat mir gesagt, ich solle in der Predigt praktische Ratschläge geben. Die hab ich meistens nicht. Aber aus der Pfingstgeschichte hier entnehme ich einen und weiß an Pfingsten keinen besseren: Nehmt Gott beim Wort und schreit zu ihm: Komm Heiliger Geist, durchfahre und erfülle uns ... !

Denn: Versprochen ist versprochen!
Amen.

Bemerkungen zur Predigt:

Ausgehend von dem Schlagwort, daß Pfingsten "der Geburtstag der Kirche" ist, kontrastiere ich: Die sitzengebliebene Gesinnungsgemeinschaft der Frommen ist an sich so wenig Kirche wie die sich selbst bewegende Kirche (anknüpfend an Heinrich Vogel, der verweist auf Günther Dehn, in: Herr, tue meine Lippen auf. Bd. 2, hg. v, G. Eicholz Wuppertal-Barmen 1942, 197-202 - und kritisch gegenüber Manfred Oeming, in: GPM 52, 1998, bes. 286). Aus dem Apg.-Kommentar von Jürgen Roloff (NTD 5, Göttingen 1981) ist mir wichtig, den "Widerfahrnis-Charakter" des Pfingstgeschehens herauszustellen. Ihn versuche ich, in verschiedenen Bewegungsabläufen /-richtungen zu differenzieren (Teil 1). Im Schlußteil (4) nehme ich den Gedanken in der Frage nach dem Kommen des Geistes auf und verweise auf die Relation von Gottes Versprechen und unserem Gebet. Die Mittelteile (2 und 3) nennen die gegenständliche Bestimmtheit von Pfingstbekenntnis und -predigt und darauf bezogen das Pfingstwunder der Kommunikation anhand einer konkreten Gemeindesituation ("Kirchenwanderasyl" für kurdische Flüchtlinge).

 

Hans Theodor Goebel, Im Wasserblech 1c, 51107 Köln, Tel.: 0221-861135


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