Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Sonntag/Feiertag: Himmelfahrt
Datum: 21. Mai 1998
Text: Apostelgeschichte 1, 3-11
Verfasser: Prof. Dr. Axel Denecke, Hamburg


Vorbemerkungen zur Predigt (hier klicken)

Predigt:

I
Zu Himmelfahrt - diesem so oft vergessenen, verdrängten und deshalb zum 'Vatertag' umfunktionierten christlichen Nebenfeiertag - fällt mir immer wieder - jedes Jahr neu - das alte englische Sprachspiel von 'sky' und 'haeven' ein. Zwei Begriffe haben die lieben Engländer, die Sie alle wissen, für 'Himmel', eben 'sky' und 'haeven'. Und deshalb ist's für englisch sprechende und denkende Menschen ganz einfach: Jesus fuhr nicht 'auf' in den 'sky'. Das geht nicht, das wäre absurd, widerspräche aller Logik und auch allen Glaubensvorstellungen. Und Juri Gagarin selig hätte durchaus und nur zu recht, wenn er stolz-naiv-verlegen feststellt, er sei gen sky gefahren und habe da nirgendwo Gott und Jesus zu seiner Rechten entdeckt. Wie wahr! Wie sollte es auch anders sein! - Doch andersherum wird ein Sinn daraus und dies ist auch ganz einfach: Jesus 'fuhr' natürlich 'auf' und zugleich 'runter' und zugleich 'nach vorn' und zugleich 'in die Tiefe' und zugleich 'mitten hinein' in uns, indem er in den 'heaven' fuhr. Ganz klar. Und da kann ihn jeder entdecken, seit etwa 2000 Jahren schon, Juri Gagarin und Klaus Müller und Helga Schneider. So wie es die Freunde und Freundinnen Jesu, damals eben vor 2000 Jahren, entdecken konnten (oder auch nicht, wenn sie vorbeischauten), so auch wir heute. Nicht anders als im vergangenen Jahr, im vorvergangenen und all den Jahren zuvor. Das ist ganz normal, gar nichts Besonderes, das Selbstverständlichste auf der Welt des Glaubens.

II
Denn wie war es denn damals vor 2000 Jahren mit der 'Himmelfahrt' von der uns Lukas berichtet? Nur er allein - die anderen Evangelisten verschweigen es - berichtet davon, er allerdings gleich zweimal. Am Ende seines Evangeliums, ganz am Ende des letzten Kapitels. Und gleich zu Beginn seiner Apostelgeschichte, so als müßte er's am Schluß und am Anfang doppelt sagen, so als wollte er direkt an sein Evangelium anknüpfen, damit alles wie aus einem Guß geschrieben ist, das eine wie selbstverständlich ins andere übergeht. Wie also berichtet er davon?

Jesus fährt gen Himmel (Act. 1,8), "vor ihren Augen weg" und die Jünger starren verzückt oder entsetzt oder wie auch immer in den 'sky'. Doch da sahen sie nichts, wie sollten sie auch, war nichts zu sehen. "Und als sie ihm noch nachstarrten, wie er gen 'Himmel' fuhr, siehe da standen da auf einmal zwei Männer bei ihnen in weißen Gewändern: Die sagten: "Ihr Männer (sicher würden sie heute die Frauen nicht vergessen) von Galiläa, was steht ihr da und starrt (vielleicht meinten sie auch: "und glotzt") zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel gegangen ist, er kommt wieder, so wie er weggegangen ist." So die englischen Haeven-Männer, zu den Jesus-Männern (und Frauen) vor 2000 Jahren.

Ich versteh das so (und übersetze diese merkwürdige Rede in meine Sprache): "Leute, was glotzt ihr verzückt oder entsetzt oder entgeistert (denn sie hatten den Geist Gottes noch nicht, Pfingsten steht noch aus) nach oben in den 'sky', laßt euch blenden von der gleißenden Sonne, starrt nach oben, kriegt eine Genickstarre und werdet dabei untüchtig für den Alltag, für das Nächstliegende, für das, was auf dem Weg vor euch liegt, angewurzelt, festgewurzelt wie ihr da rumsteht mit offenem Mund und geblendeten Augen. Im 'sky' werdet ihr nix finden von Jesus, er ist weg, ein für allemal weg. Doch wenn ihr nach vorn blickt, einfach nach vorn, seht da die Berge von Jerusalem, seht da den Ölberg, Berg Golgatha, seht da den Tempel, seht ihr doch, oder?, seht, dahin ist Jesus 'aufgefahren', in den 'heaven', aufgefahren nach vorn, aufgefahren in die Zukunft, aufgefahren mitten hinein in euch, wenn's nicht zu kitschig klingen würde, würde ich sagen: aufgefahren, hineingefahren in euer Herz. Und da lebt er, unverändert, so wie ihr vor Kurzem noch ganz real vor Augen gehabt habt.

Ihr glaubt das nicht? Denkt, ich schwindele euch an, würde auch den Tod Jesu durch Auferstehungsromantik versüßen wollen? Ach, in 2000 Jahren, in ganz langer Zeit nach euch, wird über 2000 km von hier entfernt, ein kluger Schriftgelehrter aus Deutschland sagen: 'Die Sache Jesus ging weiter'. Sie war nicht beendet mit seinem Sterben dort vor euch - schaut nur noch einmal hin - auf Golgatha. Das, was er gewollt hat, war nicht tot, blieb nicht vergessen, nistete sich ein in die Herzen der Menschen, man weiß gar nicht wie, doch so geschah's. Und in 2000 Jahren redet man immer noch von ihm. Reden mehr Menschen von ihm als ihr kennt, als es jetzt gibt."

"Also ihr Lieben" - so redeten weiter die beiden englischen Menschen in ihren weißen Gewändern - "glotzt nicht entsetzt oder verzückt oder entgeistert nach oben in den 'sky', da guckt ihr in die Leere, werdet nix von Jesus finden. Schaut lieber nach vorn in den 'heaven', schaut euch um, schaut euch einander an, schaut auf Jerusalem und später Rom und später New York und noch später ... ach, was weiß ich, schaut auf die Menschen, die euch brauchen und geht an die Arbeit, es gibt viel zu tun für euch. Die Erde ist euer Ort. Dort hinein ist Jesus eingefahren. Später wird ein Lyriker, ein frommer Mann, mal sagen: 'Jesus ist aufgefahren ... auf die Erde, hinein in unser Leben'. So ist's. Ist's nicht so?" So in etwa, denke ich, redeten die zwei weißen/zwei weisen englischen Männer, die sehr wohl 'sky' von 'heaven' fein zu unterscheiden wußten, als sie im lukanischen Übersetzungsdeutsch sagten: "Ihr Männer aus Galiläa, was steht ihr da herum und starrt in den Himmel? Dieser Jesus, der da von euch fortgenommen ist in den 'heaven' (ihr denkt maulend: in den 'sky'), er kommt wieder, so wahr wie er in den 'heaven' gefahren ist." --- Und da die Jünger es wirklich - man glaubt es kaum - verstanden hatten, heißt es weiter: "Da kehrten sie nach Jerusalem zurück vom Berge, welcher der Ölberg heißt". Zurück also an den Ort, wo für sie alles begonnen hat, wo "die Sache Jesus" weitergehen sollte, was denn sonst, wo denn sonst, Pfingsten sollte es werden, Gottes Geist - also Jesu höchstselbst in Gestalt des 'Haeven-Jesus' - sollte in sie einfahren. Doch das ist dann ein weiteres Kapitel.

III
Was lehrt uns das? Ganz einfach dies, was Jesus seinen lieben Jüngern, ehe er gen haeven fuhr, mit auf dem Weg nach Jerusalem gab. "Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen (merke: in 10 Tagen ist Pfingsten, seit 2000 Jahren schon!) und ihr werdet meine Zeugen sein, in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis ans Ende der Welt". Die 'Reise nach Jerusalem' steht bevor. Und das heißt konkret: Bis ans Ende der Welt, also bis zu uns, also bis zu mir! Zu mir, zu dir, ganz persönlich! Bis dahinein soll von der 'Sache Jesu' die Rede sein, nein, nicht nur die Rede, bis dahinein soll die 'Sache Jesu' Tat werden.

Das ist eine Lebensaufgabe, eine Überlebensaufgabe. Deshalb ist sie auch nach 2000 Jahren noch nicht abgeschlossen. Was sagte doch der kluge deutsche Schriftgelehrte 2000 Jahre nach all diesen Geschehnissen in Jerusalem? "Die Sache Jesu geht weiter". Also, auch noch 2000 Jahre weiter! Wer weiß, wie wir im Jahre 4000 anno domini von Jesus, aufgefahren in unseren höchstpersönlichen heaven reden! Wer weiß, so Gott will, ob es das Jahr 4000 dann noch gibt! Gott will es, soweit ich ihn in meinem Glauben kenne, wenn wir Menschen bis dahin nicht den 'heaven on earth' zugrunde gerichtet haben. Zuzutrauen ist uns das ja, doch Gott will, daß 'die Sache Jesu' weitergeht, so wie vor 2000 Jahren so auch noch in 2000 Jahren. Wann wird die 'Sache Jesu' zu ihrem guten Ende gekommen sein?

Die englischen Heaven-Männer haben schon damals auf diese allzu klug-neugierige Frage die passende Antwort gegeben: "Es gebührt euch nicht Zeit und Stunde zu wissen, die der Vater (also Gott) nach seiner eigenen Macht dafür festgesetzt hat". So ist es! Steht noch dahin, steht alles noch dahin! Aber nicht dahin steht, daß die Sache Jesu weitergeht, daß wir seit 2000 Jahren unter dem geöffneten Haeven-Himmel Gottes leben, daß Gott niedergefahren/aufgefahren/eingefahren ist in unser Leben und daß wir so beauftragt und kraft des Heiligen Geistes auch in die Tage versetzt worden sind, im Geiste Jesu unsere Erde zu gestalten, von Jerusalem aus bis ans Ende der Welt, also bis in unsere Herzen hinein. Das steht nicht dahin. Das ist unsere schlichte Aufgabe und unsere von Gott gesetzte Fähigkeit.

"Es gibt viel zu tun... in Sachen des Glaubens und in Sachen von Gerechtigkeit, Liebe und Lebensgestaltung", so hörten die Jünger damals, als sie von Jesus, der ihnen vorausgeeilt (nicht davongeeilt) in den heaven war. "Es gibt viel zu tun". Wir alle, Sie und Sie und Du und Du und ich natürlich insbesondere, sind aufgerufen und aufgemuntert, nicht mehr verzückt und entgeistert und entsetzt und in allem tatenlos nach oben in den sky zu starren - da gibt's außer Ufos immer noch nix zu sehen -, sondern ruhig und mutig offenen Auges nach vorn in den haeven, um tatkräftig im Geiste Jesu dafür Sorge zu tragen, daß wir dem haeven, in den uns Jesus vorausgeeilt ist, tatsächlich entgegengehen. Mag sein, daß uns Jesus - freundlich, wie er uns aus Prinzip gesonnen ist - sogar noch entgegengeht, damit für uns der Weg nicht so weit ist. Das meint und ist die 'Himmelfahrt' Jesu, gestern vor 2000 Jahren - doppelt deutlich bei Lukas, damit wir's kapieren - heute unter uns - man glaubt es ja kaum inmitten von all dem, was wir religionsmüde nennen - und morgen in 2000 Jahren, in 4000 Jahren, in 6000 Jahren. Die Sache Jesu geht weiter, unaufhaltsam.

 

Prof. Dr. Axel Denecke
-Hauptpastor St.Katharinen/Hamburg-
Katharinenkirchhof 1 20459 Hamburg

Vorbemerkungen:

Nach dem lk. Geschichtswerk ist die "Himmelfahrt Christi" nicht der Abschluß Jesu Wirkens auf Erden, sondern ein selbstverständlicher und gar nicht so spektakulärer Durchgang in der Kontinuität seines Wirkens in dieser Welt. "Die Sache Jesu geht weiter" (Marxen), wenn auch auf eine andere Weise als bisher. Daher der Abschluß des Evangeliums und der Neubeginn in der Apostelgeschichte mit dem gleichen Ereignis. Das bedeutet: Nichts Neues geschieht in der Apostelgeschichte, sondern die Geschichte Jesu geht wie selbstverständlich weiter. Vorher leiblich sichtbar (und viele haben doch nicht gesehen), jetzt geistlich sichtbar (und seit 2000 Jahren 'sehen' wir es).

Himmelfahrt also: Die Fortsetzung des erdgebundenen Wirkens Jesu mit anderen Mitteln. Ganz einfach dies, nichts anderes. Und dies gilt in der Predigt - nach wie vor, also auch anno 98 via Internet - deutlich zu machen. Das ist nichts Besonderes, sondern das allernormalste des christlichen Glaubens.


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