Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Sonntag/Feiertag: Rogate
Datum: 17. Mai 1998
Text: 1. Timotheus 2, 1-6a
Verfasser: Helmuth Mönnich, Göttingen


Unfertiger Predigtentwurf zum Sonntag Rogate 1998 (siehe dazu die Schlußbemerkung des Verfassers am Ende der Predigt)

Vorweg sei gesagt, daß der Sonntag heute "Rogate" heißt. "Betet" heißt das. "Betet!" - wurden die Menschen früher von diesem Sonntag an aufgefordert - "für die Ernte. Für das Wachsen, Reifen, fürs Ernten-können." Denn davon hing das Sattwerden-können, das Überleben ab. Betet- gegen das Hungern und das Verhungern-müssen. Betet fürs Leben. "Beten" soll nun das Thema für unser Nachdenken heute sein.

Ich habe eine Erinnerung vor Augen: Ich war zur offenen Zimmertür gekommen, da saß Kati in der Spielecke und redete. Mit ihrer Puppe. In den fast ausgestreckten Armen hielt die Dreijährige ihre Puppe und sprach zu ihr. Erzählte. Fragte. Schimpfte. Ganz versunken in ihrer Welt. "Spielst du mit deiner Puppe Ninni?" fragte ich. "Nein" antwortete sie mir, "ich rede mit Ninni."

Spreche ich auch so - laut vor mich hin - schoß es mir durch den Kopf? Ja! muß ich zugeben. Das mache ich auch. Manchmal sage ich auch richtige Sätze, ohne die Lippen zu bewegen. Und manchmal höre ich mich richtig hörbar sprechen. Kennen Sie so was auch?

Sprechen, etwas aussprechen, ja, laut denken: das gehört wohl zu uns Menschen. So sind wir. Ich habe einmal eine alte Dame kennengelernt, deren Verlobter war schon in den ersten Kriegstagen gefallen. Sie hat mir erzählt: Wenn sie irgendetwas zu klären, zu entscheiden hatte, sprach sie mit ihrem längst vergangenen Verlobten, der stand dann trotzdem wie ganz nah ihr vor Augen. Sie besprach alles mit ihm. Und tat dann fröhlich, was bei dem Gespräch herausgekommen war.

Sprechen, nachdenken mit einem Gegenüber, mit dem Vertrauten Du: das gehört wohl zu uns Menschen. So verstehe ich auch das Sprechen Jesu mit dem ihm ganz nahen Du, Gott, den er "Abba", "Papa" nannte. Nein, er sah ihn sicher nicht fotografierbar vor sich. Aber er wußte Gott ihm nahe gegenüberstehend, der "DU". Ganz nahe. So wie ein lieber Vater über den Tisch hin ganz nahe ist.

Ich habe noch einmal in die Bibel geguckt, um zu sehen, wie da die Menschen mit Gott sprechen. Das sieht ganz unterschiedlich aus: "Gott - da steht eigentlich der Name Gottes, Jahwe, - höre meine Worte, merke auf" finde ich da formuliert. "Ach, Gott, strafe mich nicht." Oder: "Gott, warum stehst du so fern, verbirgst dich?" Auch: "Wie lange willst du mich so ganz vergessen?" Auch: "Bewahre mich, Gott, denn ich traue auf dich." Hiob streitet sogar mit Gott. Und das nicht mit ruhigen Worten: "Warum hast du mich aus meiner Mutter Leib kommen lassen? Ach, daß ich umgekommen wäre und mich nie ein Auge gesehen hätte!" Und ein Stück weiter "Höre auf und laß von mir ab ... ehe denn ich hingehe - und komme nicht zurück - ins Land der Finsternis und des Dunkels...". Von Jesus fällt mir ein: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Da hat Jesus mit den Worten eines Psalms geschrien. Und dann auch: "Vater, in deine Hände gebe ich nun mein Leben zurück."

Mit Gott zu reden kann ich in der Bibel lernen, d.h. nicht schöne, gelernte Worte sagen. Die Menschen in der Bibel fragen, fordern, bitten, erzählen, danken, ja, streiten und klagen an, wenn sie mit Gott, zu Gott sprechen. Das heißt also beten, wenn man in der Bibel nachschaut.

Sicher, wer wüßte nicht, daß das Sprechen und Leben mit Gott im Gegensatz zu früher in unserer durch Wissenschaft und Technik, durch aufgeklärtes Denken und Rationalität geprägten Zeit voller Fragen und Probleme ist. Wer ist denn das früher wohl leichter auszusprechende "Du, Gott"? Es gibt so viel, was gegen ihn spricht. Haben wir unser Schicksal nicht selbst in die Hand zu nehmen? Haben wir unser Schicksal und das Schicksal unserer Welt nicht selbst in der Hand?

Und doch, da bleiben Fragen: Worauf bauen wir eigentlich? Worauf vertrauen wir? Mir ist so viel klar: Mein Verstand ist nicht in der Lage, alle Fragen, die ich habe, zu beantworten. Geht es anderen auch so? Ich merke aber bei mir: Es gibt auch eine andere Stimme in mir oder so etwas wie ein anderes Ohr. Das nimmt wahr, wie Jesus aus ganz tiefem Vertrauen zu Gott, zum Vater - zur Mutter, wie es im Alten, 1. Testament einmal heißt - wie Jesus aus ganz tiefem Vertrauen heraus lebt. Und einläd zu solchem Vertrauen. Und die Stimme in mir sagt: Willst du nicht auch versuchen, auf Gott vertrauend zu leben? Und ich sage mir: Ich will es versuchen. Ich will mit Gott sprechen unterwegs: wenn ich mich am Tisch einen Moment zurücklehne; wenn ich an der Ampel warten muß; im Einschlafen. Du. Gott. Vater. Danke

Liebe Gemeinde, am letzten Sonntag, erst vor einer Woche, haben wir hier über Gott nachzudenken versucht und über das, was Glauben, was Vertrauen heißt. Heute geht's ums Sprechen zu Gott. Ich habe mir dazu - ich weiß nicht wann - einmal Sätze des Schweizer Christen Theodor Bovet aufbewahrt:

1.Nimm dir täglich ein paar Minuten Zeit, um allein in der Stille zu sein. Entspanne Leib, Verstand und Herz.

2. Sprich mit Gott einfach und natürlich und erzähle ihm alles, was du auf dem Herzen hast. Du brauchst keine Formeln und keine fremden Redensarten zu benutzen. Sprich zu ihm in deinen eigenen Worten. Er versteht sie

3. Übe dich im Gespräch mit Gott, wenn du bei deiner alltäglichen Arbeit bist. Mach deine Augen ein paar Sekunden lang zu, wo immer du bist, im Geschäft, im Bus, am Schreibtisch.

4. Berufe dich auf die Tatsache. daß Gott bei dir ist und dir hilft. Du sollst Gott nicht immer bestürmen und um seinen Segen bitten, sondern vielmehr von der Tatsache ausgehen, daß er dich segnen will.

5. Bete in der Überzeugung,. daß deine Gebete sofort über Land und Meer hinweg die, die du liebhast, schützen und sie auch mit Gottes Liebe umgeben.

8. Lege beim Beten einfach alles in Gottes Hand. Bitte um Kraft, dein Bestes zu können und überlasse das übrige vertrauensvoll Gott.

Als ich mir diese Sätze damals aufhob, habe ich gedacht: Es lohnt sich, über diese Sätze einmal in Ruhe nachzudenken. Und deshalb habe ich sie ja auch letztes Jahr kopiert und am Sonntag Rogate im Gottesdienst verteilt. Dieses Jahr habe ich mir zuerst den vorgeschlagenen Predigttext durchgelesen - heute habe ich ihn noch gar nicht vorgelesen und will das auch nicht tun. Wir wollen auch nicht das, was da im 1. Timotheusbrief Kapitel 2, Vers 1 bis 6 a steht, im einzelnen bedenken. Aber etwas finde ich da, was für unser Nachdenken heute unbedingt dazugehört. Da steht nämlich: "So ermahne ich zu allererst dazu, mit Bitten und Gebeten, Fürbitten und Dankgebeten für alle Menschen einzutreten." Und dann ein Stück weiter: "Einer ist Gott und einer Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Jesus Christus." Das heißt doch, es reicht nicht, wenn jeder nur an sich selbst denkt. An sich selbst und Gott. Das heißt doch da im Timotheusbrief: Es geht um alle Menschen. Tatsächlich!

"Kein Mensch ausgeschlossen. Amerikaner wie Chinesen, Türken und Kurden, die Anständigen wie die Unanständigen, Kleine genauso wie Große, auch Reiche wie Arme - eben: Alle." (In der Zeitschrift für Gottesdienst & Predigt ist das zum Predigttext ausgeführt) Und dann geht es weiter: "Sind da wirklich alle zu bedenken? Darf ich nicht ein paar Leute vergessen, außen vor lassen? Ich überlege, wer da nun alles vorkommen sollte: für die ich keinen Gedanken, keine freundlichen fürbittenden Worte habe, geschweige denn anteilnehmende Gefühle. Ich mag sie nicht. Ich ärgere mich über sie, manchmal täglich beim Zeitungslesen." Und dann: "Ja, Fürbitte kann aufregend sein, wenn es wirklich um alle Menschen geht. Da wird ein sehr weiter Horizont erwartet, und der Horizont erweitert sich auch. Was da alles in den Blick kommt. Wir erstaunen, wir erschrecken, sind beunruhigt. Welche Orte es auf diesem Globus gibt, und welche Länder seit dem letzten Erdbeben, der letzten Hungerkatastrophe schon wieder vergessen sind. Ich denke an Indien. Wieviel Menschen leben da, und wieviele Menschen in unserem Land. Wer wird in diesem großen Lande satt? Wer liegt morgens verhungert auf der Straße in Kalkutta?... Fürbitte ist aufregend, verändert die Maßstäbe, Erfahrungen und Wichtigkeiten des Alltags. Da wird Fürbitte gar zum Widerstand gegen vorhandene Ordnungen, Klischees und Einordnungen."

Mir macht das klar: Es geht auch beim Beten nicht nur um jeden einzelnen von uns hier, der in Glück und Unglück im Leben und im Tod von Gott gehalten sein möchte. Es geht Gott, und es soll uns gehen um all die vielen anderen Menschen. Sie sind unserem helfenden Tun und unserem Denken und Fürbitten vor Gott aufgegeben.

Es gibt ja in jedem Gottesdienst das Fürbitt-Gebet. Heute wollen wir es so machen: Ich habe kleine Zettel ausgeschnitten und Stifte dazugelegt. Das wird jetzt unter Ihnen verteilt. Jeder mag eine oder zwei Bitten aufschreiben. Die Zettel werden dann wieder eingesammelt und im Fürbitt-Gebet sagen wir Gott, worum wir heute bitten. Denn wir bitten Gott fürs Leben seiner, unserer Welt.

Zum Schluß will ich ein Gebet des Schweizer Pastors und Schriftstellers Kurt Marti aus seinem Buch "0 Gott!" vorlesen:

Gott, / dialogisches Geheimnis, / mach mich dialogfähig, / mach mich lernfähig, / erhalte mir die Neugier.

Öffne uns Christen füreinander ebenso wie für die Nichtchristen / und am meisten für die, / denen Du, weil sie arm sind, / am nächsten bist. Bewege uns durch deinen Geist, / ...".

Amen

Anmerkung:

In der Regel entwerfe Ich meine Predigten nicht gehetzt zwischendurch. Wenn möglich, lese ich den vorgeschlagenen Text nach dem Gottesdienst und vor dem Mittagessen und bedenke ihn dann immer wieder während der Woche. Am dafür freigehaltenen Sonnabend entwerfe ich denn die Predigt. Am Sonntag spreche ich frei und lese nur die Zitate ab.

Pastor Helmuth Mönnich, Burg Grona 53, Göttingen, Tel. 0551 611 75.


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