Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Sonntag/Feiertag: Jubilate
Datum: 3. Mai 1998
Gottesdienst mit Taufe und Abendmahl
Verfasser: Klaus-Wilhelm Depker


Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen!

Liebe Gemeinde, liebe Taufeltern!

In der Gemeinschaft mit Christus, in der von Gott gestifteten Verbindung mit ihm, sind wir eine Neuschöpfung, verändert gegenüber der, ja doch ebenfalls von Gott herkommenden, "natürlichen Erstschöpfung. Und, wir haben es über der kleinen Tanja als Segenswort ausgesprochen, das ist ein Grund zu dauerhafter Freude. Diese Verbindung wird erneuert und bestärkt im Gottesdienst auf drei verschiedene Arten, die heute einmal alle im Gottesdienst vorkommen: Gottes Wort, enthalten in den Worten der Bibel, ist das eine. Und damit nicht nur etwas für den Kopf getan wird, haben wir das Zeichen der Taufe und schließlich das Zeichen des Abendmahles, das wir nachher feiern. In alledem haben wir eine Verbindung zu Gott, bzw. zu seinem Sohn Jesus. Und aus dieser Verbindung mit Jesus Christus fließt Lebensfreude wie aus einer Quelle, die nicht aufhört zu sprudeln, die unseren Lebensacker bewässert, so daß er grünt und blüht und wir viele Lebensfrüchte hervorbringen können.

Ich bin mir sicher, liebe Eltern und liebe Gemeinde, daß für viele von uns mit diesem Bild von Frucht und Quelle etwas angesprochen ist, das wir für uns und unsere Liebsten wünschen, ja wonach wir uns sehnen. Ebenso sicher bin ich mir aber auch, daß sich uns Fragen aufdrängen oder Zweifel überfallen, wenn wir die Aufforderung des Taufspruches "freut euch immerzu" hören oder die Behauptung des Wochenspruches: "In Christus seid ihr etwas ganz neues"

Wie ist's also gemeint? Nur fromme Wünsche und realitätsferne Behauptungen?

Beginnen wir mit dem Taufspruch: "Freut euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich euch, freut euch". Der erste Einwand: Freude läßt sich nicht befehlen. Und der zweite: Ich kann mich doch nicht immer - und schon gar nicht über alles - freuen. Und Christen mit ständig erleuchteten grinsenden Gesichtern, die sind doch wohl viel eher mit Skepsis zu betrachten. Darum lassen Sie uns einmal schauen, wann, bzw. von wo aus Paulus diesen Satz schreibt: Er sitzt, als er diesen Brief abfasst, in Ephesus im Gefängnis. Seine Realität ist also nicht gerade sehr erfreulich, obendrein hat ihm sein Christsein diese Lage eingebrockt. Trotzdem findet er Grund zur Freude, zu einer Freude, die nicht von seinen menschlichen Befindlichkeiten abhängt. Paulus weiß sich Jesus ganz nahe. Nicht aus seiner eigenen Anstrengung kommt diese Nähe zu Jesus und Gott, sondern umgekehrt weil Jesus Gottes Annäherung an uns ist. Gott kommt zu uns, und Gott ist uns bereits ganz nahe, das ist das Ergebnis davon, daß Gott Mensch geworden ist, daß Jesus zu den armen und unwichtigen Leuten gegangen ist und ihnen Gottes Liebe gesagt und vorgelebt hat, daß Jesus schließlich einen gottverlassenen Tod eines Aufrührers gestorben ist für die Liebe Gottes, die er gelebt hat. Und Gott hat Jesus schließlich nicht dem Tod überlassen, Gott hat gezeigt daß seine Liebe stärker ist als der Tod. Darum kann Paulus sich sogar im Gefängnis freuen, er vertraut darauf daß Gott größer ist als seine gegenwärtigen widrigen Lebensumstände. Und Paulus bittet zu Gott, klagt ihm seine Not, und fordert auch die Philipper dazu auf Aber er betet auch schamvoll darüber, wo er versagt und selber nicht aus Gottes Liebe, sondern nach anderen Vorstellungen gelebt und gehandelt hat. Und er vergißt nicht, daß es dennoch immer auch Grund genug gibt, für sein Leben und die Schöpfung mit all ihren Schönheiten zu danken. Zu all dem fordert er uns Christen ebenfalls auf - und das Ergebnis wird auch für uns eine Lebensfreude sein, die selbst in schwierigen Zeiten Kraft gibt.

Aber wir haben diese Lebensfreude nicht als sicheren Besitz, unverlierbar Vielleicht eher so, wie ein Sparbuch - so wie es Eltern etwa für ihr Kind bei seiner Geburt anlegen: In dem Buch steht, was es wert ist, aber wenn ich seinen Wert real werden lassen will, muß ich zur Bank gehen und das Geld abheben. So ähnlich ist das mit der Freude, die uns Gott zugesagt hat: Wir müssen hingeben und sie ergreifen. Deshalb kann Paulus die Christen auffordern "freut euch im Herrn": Schaut auf Jesus, dann könnt ihr herausfinden, wie euer Leben gelingen kann. Und Gott ist immer nur ein Gebet weit entfernt. Mit der Taufe haben wir ein handfestes Zeichen für dieses Versprechen Gottes.

Kommen wir damit zum zweiten: Mit der Taufe werden wir so mit Christus verbunden, daß etwas Neues entsteht: Gott hat seine Welt und uns Menschen gut geschaffen, aber wir haben die Verbindung mit ihm verloren, haben Streit und Kriege untereinander angefangen, haben die Güter und Lebensmittel dieser Erde ungerecht aufgeteilt und sind immer mehr dabei, den Lebensraum, den Gott für uns Menschen mitsamt den Tieren und Pflanzen geschaffen hat, zu zerstören. Wir fürchten uns und fühlen uns verlassen und allein im harten Kampf ums Dasein. Angst und Einsamkeit lähmen uns, und wir sind überfordert, das Leben schön und gerecht zu machen. Darum stellt Gott die Verbindung wieder her. Mit Jesu Leben und Leiden kommt er in unsere Menschenwelt. Mit Jesu Auferweckung weckt Gott neu bei uns die Hoffnung, daß Liebe und nicht die Angst die Quelle des Lebens ist - und daß die Liebe nicht verliert. Mir macht das Mut: Mut, mich selbst mit allem was ich kann, aber auch mit dem was ich nicht kann, zu lieben. Und meine Mitmenschen zu lieben und die gesamte Schöpfung - selbst wenn ich manchmal getäuscht oder enttäuscht werde. - Und auch, wenn ich mich manchmal selber enttäusche, weil ich doch nicht so liebevoll oder gut bin, wie ich möchte, ich vertraue auf Gottes Versprechen seiner Liebe, die sich auch durch mein Versagen nicht unterkriegen läßt.

Da entsteht tatsächlich etwas Neues: Eine Lebensqualität die ich alleine gar nicht schaffen könnte, die ich aber immer wieder ergreifen kann. Dabei will ich gar nicht ausschließen, daß es für andere Menschen noch ganz andere Wege zur Liebe und Lebensfreude geben kann; daß sie Gott oder den tieferen Sinn ihres Leben in anderen Namen Gottes und in anderen Formen des Glaubens finden und ausdrücken können. Aber für mich ist das unbeweisbare Geheimnis allen Glaubens und aller Lebensqualität, daß Gott die Verbindung hergestellt hat und sich finden läßt: im Gebet und in allen Taten der Liebe. Jesus steht dafür, daß die Liebe der unbesiegbare Sinn des Lebens ist und ewig bleibt. Immer wieder, wenn ich mich darauf besinne, sehe ich mein Leben, meine Mitmenschen und die ganze Welt wie mit neuen Augen, mit den Augen der Liebe. Und manches was ich dann sehe, tat mir bitter weh. Zum Beispiel, wenn Eltern soviel arbeiten oder arbeiten müssen, daß sie gar nicht mehr genug Zeit haben für ihre Kinder und keine Zeit, sich mit den Kindern zu freuen. Oder wenn Jugendliche keinen Platz finden, etwas Sinnvolles zu leisten, weil keiner sie anstellen und ausbilden will. Oft fühle ich mich dann ganz ohnmächtig und am liebsten wurde ich wieder weggucken. Ich denke, ich müßte etwas tun, irgendwie helfen, und mir fällt gar nichts ein. Aber manchmal merke ich auch, es hilft schon, wenn ich nicht wegsehe, wenn ich zuhöre und vielleicht erzähle, z.B. was ich selber als Vater tue, oder wo ich auch hilflos bin.

Und noch etwas habe ich erfahren: Ich hatte für ein Jahr in einer Werkstatt für arbeitslose Jugendliche mitgearbeitet als Lehrer für Werte und Normen. Mit Religion und Jesus "oder so'n Quatsch", wie die Jugendlichen sagten, durfte ich ihnen nicht kommen. Als ich meinen Dienst dort aufgeben mußte, weil die Konzeption geändert wurde, sagte mir eine Jugendliche: "Jetzt haben wir keinen mehr, mit dem wir mal offen reden können was los ist und der uns wenigstens zuhört." Da war auf einmal mitten in den traurigen und auch sinnlos wirkenden Zuständen etwas tröstliches. Es hat mit wehgetan, gehen zu müssen, aber ich hatte auch Zweifel, ob mein Wirken überhaupt etwas genützt hatte. Mißstände, die ich in dieser Werkstatt gesehen hatte, habe ich kaum verändern können. Der Abschiedssatz dieser Jugendlichen hat mir aber gezeigt, daß allein, daß ich anders zu ihnen war als die meisten dort, schon viel bedeutete. Der Abschied wurde nicht einfacher dadurch, aber ich hatte auch etwas Mut bekommen, daß auch meine kleinen Möglichkeiten nicht ganz vergeblich waren. Nichts ist vergeblich, und das war in dem Moment für mich etwas Neues. Es hatte sich zwar äußerlich nichts geändert, aber trotzdem war es ganz anders geworden. Und solche Erfahrungen sind für mich nichts was wieder vergeht, sondern kleine Erfahrungen Gottes, dessen zweiter Name Liebe und Mitleiden ist. Das ist für mich Neue Schöpfung: Gott verbindet sich mit uns Menschen gegen die Sinnlosigkeiten in unseren vergänglichen Lebenswegen.

Wir brauchen immer wieder solche oder andere Erfahrungen von Gottes Nähe von Gottes Liebe und Vergebung, damit wir selber immer wieder neu weitermachen können mit dieser Liebe. Deshalb auch haben wir außer Gottes Wort, dem Versprechen seiner Liebe und den Geschichten von Jesus, die uns zeigen, wie wir selber diese Liebe leben können; - wir haben außer dem erzählten Glauben auch zwei greifbare Zeichen: das Abendmahl und die Taufe. Die Taufe ist das eine handfeste Liebeszeichen: Gott sagt Ja zu uns, ohne daß wir etwas dazutun können. Und wir sagen Ja zu Gottes Liebe, die all unsere Grenzen und Abgrenzungen überwindet. Und weil Gott zu seinem Wort, zu seinem Ja ein für alle Mal steht, darum ist die Taufe ein einmaliges Zeichen in meinem Leben. Weil wir Menschen aber uns auch immer wieder mit einem handfesten Zeichen erinnern müssen, daß Gottes Liebe da ist und wie Gottes Liebe aussieht, darum hat Jesus sich mit dem Brot und dem Wein des Lebens verbunden im Zeichen des Abendmahles. Hier können wir immer wieder anschauen und erfahren, wozu Gott und wozu wir in der Taufe Ja gesagt haben: Trotz allem was dagegen zu sprechen scheint, gilt Gottes Ja, gilt Gottes Liebe, die keinen Menschen verloren gibt. Jesus selber verbindet sich mit uns in einer Gemeinschaft, die von dieser Liebe lebt und die diese Liebe in dieser Welt sichtbar macht: Gott ist zu spüren und zu schmecken. Jesus ist bei uns, wenn wir sein Abendmahl feiern, und er ist bei uns, wenn wir hingehen und Gottes Liebe leben bei den Menschen, denen die Liebe verloren gegangen ist. Und wenn uns selber der Blick und die Kraft für diese Liebe verloren gegangen ist, dann können wir kommen, sehen und schmecken. Und nicht nur dann. Weil Jesus sich selbst in Brot und Wein hineingebunden hat, ist das Abendmahl für uns auch immer wieder Fest der Befreiung: Gottes Liebe gilt von Ur-Anfang bis in Ewigkeit. Darauf dürfen wir uns verlassen und dabei können wir mitmachen.

Amen

Literatur

Gottesdienst Praxis Serie A, II,4, Gütersloh 1991

Predigtstudien II, 1, Stuttgart 1991

Für Formulierungen zu signum crucis und Tauffürbitte bin ich Pastor Rudolph Rengstdorf zu Dank verpflichtet. Zur Taufe allgemein sind die beiden Themenbände der Gottesdienstpraxis Serie B und besonders die Bearbeitung von W. Huber in den Themenstudien aus dem Stuttgarter Kreuz-Verlag vor einigen Jahren für mich sehr erhellend gewesen.

Pastor Klaus-Wilhelm Depker, Schlesierring 62, 37085 Göttingen

Gottesdienst mit Taufe und Abendmahl, Jubilate 1998, 3. Mai 1998


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