Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Sonntag/Feiertag: Ostermontag
Datum: 13. April 1998
Text: 1. Korinther 15, 12-20
Verfasser: Prof. Dr. Jetter


Der Text: 1. Korinther 15, 12 - 20

"Wenn aber Christus gepredigt wird, daß er von den Toten auferstanden ist, wie sagen dann einige unter euch: Es gibt keine Auferstehung der Toten? Gibt es keine Auferstehung der Toten, so ist auch Christus nicht auferstanden. Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich. Wir würden dann auch als falsche Zeugen Gottes befunden, weil wir gegen Gott bezeugt hätten, er habe Christus auferweckt, den er nicht auferweckt hätte, wenn doch die Toten nicht auferstehen. Denn wenn die Toten nicht auferstehen, so ist Christus auch nicht auferstanden. Ist Christus aber nicht auferstanden, so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch in euren Sünden; so sind auch die, die in Christus entschlafen sind, verloren. Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen. Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind."

Der rote Faden /Gedankengang:

* Eindeutigkeit: Das biblische Wort zu Ostern steht im Indikativ. Auch heute muß sich die Predigt in den Dienst dieser eindeutigen Botschaft stellen. Nur so weckt sie österliche Hoffnung und stiftet österliche Freude.

* Offenheit: Der Text selbst ist zu predigen, nicht "über" ihn. In dem kurzen Stück aus dem großen Kapitel 15 spiegelt sich die Auseinandersetzung über den Osterglauben. So muß sich auch die Predigt für den Zweifel öffnen.

* Werbung: Kein Stück des Credo ist so eingebettet in den Vollzug der Liturgie wie der Osterglaube. Deshalb soll die Predigt im Internet einladen zu einem Ostern in der Kirche, mit der Gemeinde.

Predigt:

Liebe Gemeinde!

"Nun aber ist Christus auferstanden". Seit dem ersten Ostermorgen ist das die eine Botschaft der Kirche. Sie steht im Indikativ, in seiner reinsten Form. Da ist kein Hauch von Konjunktiv " es ist möglich", "es könnte so sein" oder "nehmen wir einmal an, es wäre so". Nein! "Christ ist erstanden" - das gilt absolut, uneingeschränkt. Zu dieser Botschaft - neuerdings "Mega-Botschaft" - gibt es nur ein "Ja und Amen". Gerade so meinen es z.B. unsere orthodoxen Mitchristen. Wenn ihnen zu Beginn der Osterliturgie der Priester zuruft: "Christus ist auferstanden", dann antworten sie nicht mit den gleichen 3 Wörtern, sondern mit "Er ist wahrhaftig auferstanden!"

Kern und Schale

Alles andere - der Osterspaziergang etwa oder das Ostereiersuchen und anderes Brauchtum - mögen hinzugehören. Und wenn im Kreuzworträtsel gefragt wird nach einem "Frühlingsfest" mit 6 Buchstaben, dann darf getrost eingesetzt werden: OSTERN. Niemand soll das unwirsch beiseite wischen. Das Fest hat auch mit dem Frühling zu tun. Doch - das sind Zutaten. Der Kern ist eine Nachricht, eine Info, die sich auch per Internet verbreiten läßt. Eine frohe noch dazu. "Freude dem Sterblichen" frohlockt Goethes "Chor der Engel". Die Freude des Christen heißt "Jesus lebt! Der Gekreuzigte ist auferstanden!" Diese Botschaft ist auch an Ostern 1998 dem Prediger aufgetragen. Mit diesem biblischen Text.

Ja, aber

Doch was ist der besondere Reiz dieser Epistel? Sie gibt Raum dem Zweifel und dem Nicht-verstehen-können. Die Leute in Korinth sagen eben nicht "Ja und Amen", sondern sie sagen "Ja, aber", wie später Goethes "Faust" mit seinem berühmten Spruch: "Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube". Wie soll man sich das vorstellen? Einfach nur so glauben? Und: Wiese soll gerade ich das glauben? Das Kopfschütteln über das Credo "... am dritten Tag auferstanden von den Toten ..." - geht zurück bis ins Neue Testament. Und das ist gut für uns heute. Der Prediger an Ostern - sei es auf evangelischen, sei es auf katholischen Kanzeln - er kann den Fragen, dem Zweifel nicht ausweichen. Schalten wir uns also ein in das Gespräch des Paulus mit der jungen Gemeinde im griechischen Korinth.

Ihr Widerspruch lautete etwa so: Also das mit der Auferstehung des Herrn - das wollen wir Dir, lieber Paulus, schon irgendwie abnehmen. Der Gedanke leuchtet auch uns ein: Wenn der Gekreuzigte nicht auferstanden wäre, dann würde heute - ca. 20 Jahre später - kein Hahn mehr nach ihm krähen. Selbst wenn jemand seine Worte aufgeschrieben hätte, um sie für die Nachwelt festzuhalten, wären sie ohne Saft und Kraft. Und Du Paulus? Du wärest nach wie vor nur der Saul von Tarsus, immer noch beschäftigt mit der Verfolgung von ein paar übrig gebliebenen Jüngern Jesu. Was uns indes echte Mühe bereitet, das ist die Auferstehung der Toten schlechthin. Die gibt es nicht. Was für den Mann am Kreuz gelten mag, das gilt für normal Sterbliche auf keinen Fall. Folglich - um es mit anderen Worten zu sagen: Laßt uns Ostern feiern - gerne! Daß Karfreitag und Ostern zusammengehören - geschenkt! Aber: Daß die Christen auch solch einen Tag wie den Totensonntag feiern sollen, diesen Tag mit dem besonderen Inhalt von "Ich glaube ... die Auferstehung der Toten und das ewige Leben"? Das geht uns zu weit. Nichts spricht dafür!

Weiterleben wie bisher?

Das ist die Gesprächslage, in die hinein Paulus seine Epistel schreibt. Er greift ihre Fragen auf und hält ihnen sein Credo entgegen. Osterglaube - das heißt beides zugleich: "Christ ist erstanden" und "Die Toten werden auferstehen". Dann folgen bei ihm lauter Sätze mit "wenn nicht, dann nicht"; "wenn aber so, dann auch so". Wenn es - wie ihr glaubt - keine Auferstehung der Toten gibt, dann ist auch der Christus Jesus nicht auferstanden. Dann gibt es auch kein Ostern. Dann ist auch alle Predigt von Jesus umsonst. Dann ist auch euer Glaube umsonst. Dann lebt ihr gerade so weiter wie bisher in euren alten Sünden, lebt ohne Buße, ohne Vergebung, ohne Erlösung. Dann könnt ihr auch nicht "im Frieden" sterben, sondern seid im Tod ewig verloren. Kurzum: Dann wären wir Christen übel und elend dran. Für mich, den Paulus, gibt es nur: Die Auferstehung Christi und die Auferstehung aller - die beide gehören zusammen. Das Besondere an Jesus ist: Er ist der Allererste, der Primus. An ihm hat Gott als dem ersten von allen gehandelt. Mit ihm beginnt das total Neue. Deshalb laßt uns nicht nur "Frohe Ostern!" feiern, sondern guten Gewissens auch "Totensonntag". Oder - mit dem Gesangbuch gesprochen -: Laßt uns singen nicht nur "Erstanden ist der heilig Christ", sondern auch "Jesus lebt, mit ihm auch ich!" Ostern total; Ostern entweder für alle - oder eben nicht. Im Bildwort des Liederdichters Paul Gerhardt: "Wo mein Haupt durch ist gangen, da nimmt er mich auch mit" (EG 112,6).

Träume der Hoffnung

Die Osterdiskussion ist weitergegangen, ist radikaler geworden: Sollte denn wirklich der Gekreuzigte auferstanden sein? Ist nicht der Osterglaube ein gigantischer Irrtum und die Osterpredigt eine fatale Täuschung, von Philosophen, Historikern und Psychologen längst widerlegt? Ja, gewiß ist sie weitergegangen und sie wird weitergehen. Doch genauso weitergegangen ist ihre Kehrseite. Was haben andere dafür und an ihrer Stelle anzubieten? Wer oder was gibt dem Menschen Hoffnung? Welchen Trost haben sie für Trauernde an ihren Gräbern bereit? Wie sollen Menschen leben ohne Hoffnung? Denn was aus Menschen wird, die ohne Hoffnung leben, erleben wir Tag für Tag um uns herum und müssen es täglich mitansehen und anhören: Der Mensch wird zum Wolf, zum Tier, zur Bestie. Die Saat des praktizierten Atheismus ist aufgegangen, trotz all dem Gerede von Humanismus. Was wir heute an Schrecklichem erfahren, das wird schon morgen von der nächst größeren Brutalität übertrumpft. Deshalb wundert es nicht, wenn Menschen heute erst recht den Traum der Hoffnung träumen. Sie träumen vom Weiterleben in ihren Kindern oder in ihren Hinterlassenschaften oder im Gedächtnis der Liebenden; sie träumen von Reinkarnation und Seelenwanderung; sie träumen mit Sokrates philosophisch von Unsterblichkeit der Seele und musikalisch mit Johannes Brahms von den "lieblichen Wohnungen des Herrn Zebaoth". An den Gräbern ihrer Lieben warten sie darauf, daß ihnen jemand etwas davon sagt, was denn nun mit dem Toten geschieht. Sie warten darauf, ob ihnen die Kirche, ein Seelsorger, etwas anbieten kann, was mehr ist als nur: "Das ist das Ende. Schluß, aus und vorbei!" Sie warten auf jene alte und immer noch so tröstliche Bitte: "O Gott, gib ihr die ewige Ruhe!" Sie greifen danach, wenn es in dem wundervollen Segen heißt: "Wir befehlen ihn in Gottes Hand ... Wir befehlen sie der Barmherzigkeit Gottes an ... Er lasse sie heimkommen in den ewigen Frieden".

"Nun aber ..."

Das trägt weit. Am Grab sind das nicht leere Worte. Sie sind Bergung; sie schenken Geborgenheit, für Lebende und Verstorbene, Bergung unter dem großen Bogen der Treue des Ewigen. Dieser Glaube aber hat nirgendwo anders seinen Haftpunkt als in dem "Nun aber ..." unseres Oster-Textes aus 1. Korinther 15. Entgegen aller Vernunft und Wissenschaft, entgegen aller Schmähung und Bestreitung von Ostern, sogar gegen alle Verfolgung und Unterdrückung hat sich der Osterglaube durchgesetzt, bis heute. "Nun aber ...". Es ist so! So und nicht anders. Sagen wir es mit dem unvergleichlich tiefen Bildwort Luthers: "Wo aber und mit wem Gott redet, es sei im Zorn oder in der Gnade, derselbe ist gewiß unsterblich. Gott, der da redet und Gottes Wort, die zeigen an, daß wir solche Kreaturen sind, mit denen Gott bis in Ewigkeit reden will."

Wohin an Ostern?

Wenn das aber einer von uns nicht mehr glauben kann - heute, jetzt an Ostern 1998: Mitten zwischen verzweifelter Wut und ohnmächtigem Zorn über Christina und Natalie und all die anderen unglücklichen Kinder; aber auch hin- und hergerissen zwischen Liebe zur Kirche und Verzweiflung über ihre Fehler und Versäumnisse - dann lassen Sie sich's sagen: Sie werden es nicht lernen aus Büchern oder in Diskussionen; auch werden Ihnen alle möglichen Gurus aus der esoterischen Szene und geheimnisvolle Propheten aller Art kaum helfen können. Zu dem "Nun aber ..." werden Sie am ehesten dort finden, wo Menschen miteinander Ostern feiern: auf dem Friedhof oder in der Kirche. Bei Leuten, denen es nicht viel anders geht als Ihnen, die sich aber unverdrossen und zuversichtlich auf den Weg machen zur Feier des Ostergottesdienstes.

Zunächst hat sie, jene Zeitungswerbung im vergangenen Jahr, nur schockiert: "Gehen Sie nicht in die Kirche!" Aber auf der nächsten Seite stand zu lesen: "Fahren Sie hin!" Das war die "Osterbotschaft von Sixt". Meine Werbung hingegen lautet: "Gehen Sie hin!" Gehen Sie zu denen, die alle mehr oder weniger auch ihre Zweifel haben und die ihre Probleme mit der Osterbotschaft auch gar nicht vertuschen, die aber dennoch dem "Chor der Engel" vor dem leeren Grab zuhören: "Vivit! Er lebt!" Stimmen Sie dann auch fröhlich mit ein, wenn sie singen "Christ ist erstanden" und wenn sie miteinander pro-testieren: gegen den Tod, für das Leben; gegen die Allmacht des Bösen, für die Macht der Liebe; gegen den Frust der Selbsterlösung, für den Sieg der frohen Botschaft.

Im Zusammenklang von Verkündigung und Gotteslob, von Credo und Halleluja, von österlichem Jubel und österlichem Licht kann neuer Osterglaube werden. Die Osterbotschaft selbst muß das Licht des Glaubens in uns neu entzünden, so wie es einmal der Dichter Rudolf Alexander Schröder dramatisch erzählt hat. Als einer seiner besten Freunde jäh und im besten Alter hat sterben müssen, da habe die verzweifelte Familie am Abend mit ihm zusammengesessen. Und immer habe sich das Gespräch im Kreise gedreht: Immer nur das Unfaßliche, dieses eine Unerklärliche. Da habe er sich gesagt: Was soll das ganze Palaver und diese Heulerei? Sie helfen nichts und niemandem. Kommt denn niemand auf wesentlichere Gedanken? Da habe er einfach nach dem Neuen Testament gegriffen und vorgelesen, nichts anderes als nur die Berichte der vier Evangelisten von der Auferstehung Jesu; nur diese, ohne jeden deutenden Zusatz. Die hätten in dieser Situation ganz von selbst angefangen zu reden. Atemlose Stille, Themawechsel; der Schmerz hat sich gelöst, Tränen haben aufgehört und Herzen haben sich für das ganz Andere aufgetan. Er aber, der Dichter, habe diese Wende als ein kleines Wunder, als Geschenk "von oben" empfunden.

Ostern ohne Konkurrenz

Gerade so ist und bleibt es ein Geschenk, wenn einer sprechen oder dichten, singen und glauben kann: "Weil Du vom Tod erstanden bist, werd ich im Grab nicht bleiben" (EG 522,4). Zu solchem Glauben aber gibt es keine Alternative; er ist konkurrenzlos. Niemand hat ihn erfunden. Alle möglichen Stürme und Wenden und Umbrüche hat er überstanden. Ostern ist der Anfang alles Neuen.

Für den aber, der Ostern feiern kann, gibt's dann auch Totensonntag. Sein Text könnte lauten, wie der schwäbische Dichterpfarrer Albrecht Goes - in diesen Tagen feierte er seinen 90. Geburtstag - gedichtet hat:

Grabschrift
"Mein bist Du"
spricht der Tod
und will groß Meister sein.

Umsonst -
Mir hat mein Herr
versprochen: "Du bist mein".

Amen.


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