Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Sonntag: Ostersonntag
Datum: 12.4.1998
Verfasser: Prof. Dr. Joachim Ringleben
Text: 1. Korinther 15, 20-28


Liebe Gemeinde!

Was bekommen wir da zu hören? Wir haben einen freudigen, vielleicht erwartungsvollen Osterspaziergang in diese Kirche gemacht und stehen unversehens vor einem steilen Gebirge, dem Glauben an die Ewigkeit. Wie fern und fremd kommt uns der Apostel vor, eingestiegen in diese Hochwand. Ist da noch ein Gespräch möglich? Was hat diese steile Theologie der letzten Dinge zu tun mit unsern Fragen nach Ostern? Und was mit den Fragen des Glaubens überhaupt, mit unserer Sehnsucht nach einem Licht, mit unserm Wagnis des Glaubens - trotz allem, was dagegen redet, in uns und außer uns?

Uns bewegt heute sicher auch die Frage nach der Auferstehung: was man sich dabei denken soll, ob Gott wirklich einen Toten wieder lebendig gemacht hat, ob das Grab leer war oder nicht usf. Der Apostel scheint hier darüber direkt gar nichts zu sagen. Und doch redet er über die Endvollendung nur von der Auferstehung aus: "Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten" - damit fängt er an, und ausschließlich damit hat er sich schon in der 1. Hälfte des Kapitels befaßt, wie wir in der Epistellesung hörten.

Die Berge der Ewigkeit liegen für Paulus ganz im Morgenlicht der Auferstehung. Ja, er sieht diese fernen Gipfel überhaupt nur, weil sie vom Osterlicht erhellt und beschienen werden. Aber kann man das denn alles so genau wissen, wie Paulus es hier darlegt? Übersteigen diese Fragen der Eschatologie nicht unsern Horizont total? Muß man es überhaupt wissen wollen?

Paulus zieht mit diesen gewaltigen Aussagen über das Ende nur die Linien aus von Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen. Von ihm her und im Blick auf ihn sind sie aber auch unbedingt notwendig: "Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist euer Glaube nichtig, so seid ihr noch in euren Sünden ... Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen" - das hat er vorher unwidersprechlich festgestellt (V. 17 u. 19). Darum dürfen wir erwarten, gerade in diesem Text etwas ganz Wesentliches über Ostern zu erfahren. Vielleicht rückt das auch unsere unbeholfenen Fragen, wie man sich das alles vorstellen kann, zurecht. Wir wollen uns doch im Ernst nicht durch Spiegel-Interviews, sondern von dem Apostel sagen lassen, worum es bei der Auferstehung eigentlich geht.

I
Liebe Gemeinde, der Apostel Paulus spricht überall zuerst von dem gekreuzigten Jesus: "Ich beanspruchte unter euch nichts zu wissen, außer Christus und diesen als den Gekreuzigten" (2, 2). Aber erst im Licht der Auferstehung sieht man, was es mit diesem Gekreuzigten auf sich hat. Ostern ist die verborgene andere Seite des Karfreitags. So hat Paulus seinen Gemeinden den Gekreuzigten, wie er sagt, "vor Augen gemalt" (Gal 3, 1).- Auch uns hier steht auf diesem Altar das Bild des gekreuzigten Christus allsonntäglich vor Augen. Wir betrachten es oft und machen uns wohl unsere Gedanken dazu, wir versuchen dem stummen Bild des Toten sein Geheimnis abzulesen, und manchmal gewinnt er irgendwie bei unserem Meditieren darüber etwas Sprechendes, eine flüchtige Lebendigkeit.

Liebe Gemeinde, stellen wir uns vor, daß Gott so auf den am Kreuz Hängenden schaut. Die Wahrheit dessen, was wir hier sehen, ist bei Gott. Und was Gott, der ewige Quell alles Lebens, anblickt, das empfängt dadurch selber Leben. Auferstehung heißt, daß der tote Jesus von Gottes schöpferischem Blick umfangen lebt. Gottes Augen lassen diesen Toten nicht los, sondern halten den Gekreuzigten im ewigen Leben fest, und so ist Christus lebendig.

Genau das ist Ostern: Jesus lebt, weil der lebendige Gott ihn nicht im Tode beläßt, sondern mit seinem eigenen Leben sich ihm schöpferisch zuwendet. Hier wurde nicht ein Leichnam biologisch wieder belebt, sondern Jesu ganzes irdisches Leben mit seinem Wort und Vergebungshandeln und mit seinem Tod in Solidarität mit den Sündern, diese ganze Geschichte des wirklichen Jesus - das ist jetzt die Ewigkeit, das ist lebendig für alle Zeit und so auch für uns.

Noch einmal anschaulich gesagt: "Sein damaliges Leben, Reden und Handeln, sein Sein als der dort Leidende und Getötete wurde und ist als solches sein ewiges und ... sein an jedem Tag unserer Zeit heutiges Sein" (K. Barth, KD IV/1, 345). Das ist die Wahrheit bei Gott, dem mit seiner Macht und seinem Leben Allgegenwärtigen, die Wahrheit dessen, was wir mit dem toten Jesus am Kreuz vor Augen haben; das ist die Wahrheit der Auferstehung Jesu Christi.

Auferstehung heißt: Das Leben und Sterben dieses Menschen verschmilzt mit dem Glutkern des göttlichen Lebens zu ewiger Lebendigkeit für alle Zeiten und Räume. Gottes Auferweckung reanimierte nicht einen Toten, ließ nicht jemanden wiederkommen, um sein bisheriges Leben einfach fortzusetzen, sondern die Auferstehung Jesu bedeutet, daß er mit seinem ganzen Leben hineingerissen wurde in Gottes eigene Dynamik; Paulus: "Denn er ist gekreuzigt worden in der Schwachheit, aber er lebt aus der schöpferischen Macht Gottes" (II Kor 13, 4).

Wenn es sich so verhält, dann ist die Ewigkeit kein unbewegliches Gebirgsmassiv, sondern ein unvorstellbar lebendiges Geschehen, die schöpferische Dynamik Gottes selber, der den gekreuzigten Jesus in seine eigene Lebendigkeit hineinnimmt, dann ist die Ewigkeit nichts anderes als die unergründliche Kreativität des göttlichen Lebens selbst, nichts anderes als der unerschöpfliche Erfindungsreichtum seiner Liebe. Und dies ewige Leben hat ein menschliches Gesicht: das Antlitz Jesu - uns und unserer Gebrechlichkeit erbarmend zugewandt. Durch unsern Menschenbruder Jesus handelt der ewige Gott seit Ostern mit der Welt.

II
"Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als der Erstling unter denen, die entschlafen sind ... Denn wie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle lebendig gemacht werden" (V. 20 u. 22).

Liebe Gemeinde, das wichtigste Wort, an dem unser Glaube hängt, ist hier das Wort "Erstling". Paulus meint beileibe nicht nur: Christus ist als erster auferweckt, als erster der Zeit und der Zahl nach, und dann in ungewisser Zukunft wird sich vielleicht dasselbe auch an uns wiederholen. Nein, der Apostel will etwas Ungeheuerliches sagen: Christi Auferstehung und unsere Auferstehung vom Tode - das ist in Wahrheit nur ein einziges Geschehen. - In Christi Auferweckung an Ostern gehören wir für Gott mit dazu und mit hinein. Denn Gott sieht uns gar nicht vereinzelt, als individuelle Atome im chaotischen Winkel der weitertreibenden Weltgeschichte, sondern Gott sieht uns mit Jesus Chrisus zusammen, gleichsam als eine Person oder ein Gegenüber vor sich.

Darum ist Jesus überhaupt nicht nur für sich allein auferweckt worden: "Er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde. Er ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten, damit er in allem der Erste sei", heißt es im Kol (1, 18). Wir sind im Glauben an ihn "Kinder der Auferstehung" (Lk 20, 36); wir sind - begreifen wir das überhaupt? - wir sind " Auferstehungsgemeinde".

Noch einmal ist so das Mißverständnis korrigiert, als gehe es bei der Auferstehung Jesu um ein isoliertes, einzelnes Mirakel Gottes an diesem zufälligen einzelnen toten Menschen - etwa zum puren Beweis seiner Allmacht. Nein, mit Christus sind alle auferweckt, die an ihn glauben. In seiner Auferstehung ist für Gott die unsere schon enthalten: "Unser wahres Leben ist verborgen mit Christus in Gott" (Kol 3, 3).

Daß Christus auferstanden ist als der Erstling aus den Toten, das ist der Anfang einer neuen Wirklichkeit, die im Anbruch begriffen ist. Dieses Osterlicht liegt über dem Weltgeschehen, das Gott verborgen zuendeführt, und nur die Augen des Glaubens nehmen es wahr. So ist der Auferstandene wahrhaft "das Licht der Welt" (Joh 8, 12), das einzige Licht im Dunkel der Zeiten, das Erstlingslicht.

III
Liebe Gemeinde, mit Ostern ist alles in Bewegung geraten: Die Wahrheit, das wahre Leben kommt erst noch und ist im Kommen, die Wirklichkeit im Ganzen und unser eigenes Leben geht auf ihre wahre Bestimmung, wie sie im Auferstandenen offenbar ist., noch zu. Dann aber ist nichts von dem, was wir hier vor Augen haben, schon jetzt in seiner Wahrheit, dann ist niemand von uns schon das, was er oder sie letztlich sein wird; ja, dann wissen wir auch noch gar nicht, was unser Glaube eigentlich in der Wirklichkeit des kommenden Gottes ist und bedeutet. Nur für den Glauben an dem Gekreuzigten und Auferstandenen fällt darauf ein Licht, und nur so kann Paulus hier von den letzten Dingen zu reden wagen.

So aber läßt sich unser Predigttext auf einmal noch ganz anders lesen. Nämlich so, daß er nicht von unzulänglichen vagen Dingen am Horizont der Zeit redet oder gar einen Endzeitmythos veranschaulicht. Denn weil vom auferstandenen Christus hier als dem "Erstling" die Rede ist, darum sind wir immer mit im Blick, zielen die Aussagen über die letzten Dinge gerade auf uns Glaubende hier und heute. Denn Christi Auferstehung nimmt uns in Gottes Augen ja mit sich: also ist er zugleich neu hier bei uns, indem er zu Gott erhöht wird.

Paulus beschreibt in feierlichen Worten, daß der Auferstandene bei Gott zu Herrlichkeit und Macht gelangt und zum endgültigen Sieg über die Widersacher. Das verstehen wir nur richtig, wenn wir diese Erhöhung als sein Kommen herab zu uns begreifen. Was da im Himmel vorgeht, verändert die Erde. Denn die Ewigkeit, das ist nach Ostern nicht mehr das schweigende Gestade einer dämmernden Unendlichkeit, sondern eine lebendige Geschichte.

Indem Jesus zu Gott erhöht wird - als der Erstling -, ist er tiefer als je zuvor in unserer Niedrigkeit gegenwärtig. Im Glaubensbekenntnis reden wir von der Höllenfahrt Christi. Von Gottes Leben her dringt der Erhöhte auch in das Reich der Toten ein.

Liebe Gemeinde, das hat einen tiefen und wahren Sinn: Die Auferstehung schafft auch die Vergangenheit um; sie ist für Gott nicht unveränderlich. Die Geschichte der Ewigkeit, die mit Ostern anbricht, greift auch nach rückwärts aus. Sie gestaltet alles Leid und Grauen der Geschichte, alles Mißratene, Entstellte, alles Gescheiterte, Zerstörte, Abgebrochene schöpferisch um. Der ewig Lebendige verändert die Vergangenheit: Das ist unsere Hoffnung für die Opfer der Geschichte. Gottes Geschichte mit Kreuz und Auferstehung erneuert völlig unsere Unheilsgeschichte, denn sie schafft auch den Tod ab, sie definiert ihn neu. "Denn da durch einen Menschen der Tod gekommen ist, so kommt auch durch einen Menschen die Auferstehung der Toten" (V. 21). Durch einen Menschen, Jesus Christus, für uns Menschen!

Die Geschichte der Ewigkeit reißt auch unser Menschenleben zwischen Geburt und Sterben, zwischen Schuld und Todesverfallenheit in sich hinein. Und mehr noch: Ostern hat auch das Menschsein selber neu definiert. Weil Christus der neue Adam ist, ist jeder Mensch selber unterwegs zu seiner Wahrheit: "Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber: Wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist" (I Joh 3, 2). Dann erst werden wir auch sehen können, wer in Wahrheit wir selbst sind und was mit unserm Leben hier gemeint war. Unsere wahre Bestimmung ist die Auferstehung unseres Lebens mit Christus, dem "Anführer des Lebens" (Act 3, 15).

Das hält sich bis in den Schlußvers unseres überreichen Predigttextes noch durch. Paulus redet in geheimnisvollen Worten davon, daß Christus am Ende dem Vater alles wieder übergeben werde: "Wenn aber alles ihm untertan sein wird, dann wird auch der Sohn selbst untertan sein dem, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott sei alles in allem" (V. 28). Auch hier geht es gegen den ersten Augenschein nicht um unendlich ferne, nur innergöttliche Dinge. Sondern auch diese letzten und höchsten Aussagen des Apostels zielen noch auf uns, haben immer noch uns mit im Blick.

Paulus denkt sich die Vollendung so, daß Christus seinen Herrennamen ablegt, um Gott selber alles in allen und für alle sein zu lassen. Wenn er, der sich selbst erniedrigt hat bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz, und der als der lebendige Herr über alles erhöht wurde, sich nun zuallerletzt noch einmal herabneigt, um nicht mehr exklusiv und nicht mehr nur der erhöhte Herr zu sein, dann tut er auch das uns zu gut: Damit er "der Erstgeborene unter vielen Brüdern" (Röm 8, 29) und damit wir in Ewigkeit seine Brüder und Schwestern seien, "Miterben Christi" (Röm 8, 17). Der hier schon unser Bruder war, will es nun endgültig und in Ewigkeit sein. Dann gibt es keine Distanzen und kein Oben und Unten mehr, keine Herrschaft und kein Gehorchen, keinen zögernden Glauben und keine Anfechtung, sondern nur noch die lebendigste Einheit seliger Liebe und durchsichtige Teilhabe an der ewigen Fülle des göttlichen Lebens.

Gott gebe uns allen, daß dieses ewige Ostern uns heute erreicht - wie Christus spricht: "Ich lebe, und ihr sollt auch leben" (Joh 14, 19).

Amen

Predigt am Ostersonntag 1998 im Universitätsgottesdienst St.-Nicolai-Kirche Göttingen Prof. Dr. Joachim Ringleben, Platz der Göttinger Sieben 2, 37073 Göttingen, Tel. 0551-397115


Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

[Zum Anfang der Seite]