Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Sonntag/Feiertag: Gründonnerstag
Datum: 9. April 1998
Text: 1. Korinther 11, 23-26
Verfasserin: Hanna Kreisel-Liebermann


Liebe Gemeinde!

"Bei uns wurde am Gründonnerstag alles "grün" gegessen; mit Kräutern, Salat und Spinat garniertes und gefärbtes Fastenessen" erzählt mir die alte Dame. Mir ist das neu. "Ja, so wußten wir Kinder, daß wirklich Grün-Donnerstag ist. Heute mache ich für meine Enkelkinder grünen Wackelpudding, da haben sie Spaß dran".

"Gründonnerstag und Spaß haben", das befremdet mich. Ich verbinde mit dem heutigen Abend ein trauriges Ereignis.

Ich habe nachgesehen, woher der Name "Gründonnerstag" stammt. Vom mittelhochdeutschen "gronan" - das heißt "weinen" soll er kommen. Heute kennen wir das Wort als "greinen" - weil: die Büßer und Büßerinnen, die Weinenden, wurden an diesem Tag wieder in die volle kirchliche Gemeinschaft aufgenommen.

Also hat die alte Dame recht: Es ist ein Freudenfest, wenn die, die vorher Weinende waren, nun wieder lachen können. Ist der Wackelpudding für die Kinder doch das richtige - wenn auch nicht sehr gesunde und wenig feierliche Essen?

Um Essen und Trinken geht es auch im Predigttext. Allerdings um ein ganz spezielles:

Ich lese aus dem 1. Korintherbrief, Kapitel 11 die Verse 23 bis 26:
"Ich habe von Gott empfangen, was ich euch weitergegeben habe:
Jesus Christus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach's und sprach: "Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis."
Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: "Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; das tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis." Denn sooft ihr von diesem Brot eßt und aus diesem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn bis er kommt."

Klingen diese Worte in Ihren Ohren vertraut? In jeder Abendmahlsfeier sprechen wir sie - über dem Brot und dem Wein oder unvergorenen Traubensaft. Es geht um das Essen, aber nicht um das Sattwerden. Das Brot-brechen und aus einem Kelch trinken ist auch eine zeichenhafte Handlung. Eine, die Gemeinschaft stiften will. Wenn wir heute abend uns gemeinsam um diesen Tisch setzen, erinnern wir uns. Wir erinnern uns, so wie die Gemeinde in Korinth es tun sollte: warum wir eigentlich hier sitzen. Ein Bild ist mir vor Augen: Jesus in der Mitte, neben ihm Johannes, der sog. Lieblingsjünger und die anderen Elf und der eine: "in der Nacht, da er verraten ward". Nur angedeutet ist in diesen Sätzen, die zu Formeln wurden, was sich ereignete.

Im Korintherbrief wird - das fällt auf - nicht gesagt, WER dabei ist. Stimmt vielleicht das Bild von den zwölfen, das durch malerische Darstellung in unseren Köpfen ist, gar nicht? Es waren, das ist erforscht worden, natürlich mehr, die mit Jesus durch Galiläa wanderten. Und es waren viele Frauen dabei. Zahlreiche erwähnt auch Paulus in den Anreden seiner Briefe. In Korinth, wohin dieser Brief gesandt wurde, waren die Frauen in der Gemeinde wichtig. Es ist nicht zufällig, daß die Mitfeiernden nicht genannt werden: Es sind alle dabei, die mit Jesus gelebt haben, seine Gefährten und Gefährtinnen.

Paulus ist geborener Jude - wie viele Christen und Christinnen des ersten Jahrhunderts. Diese Feier ist ihnen vertraut. Das Passahfest wird begangen. Ungesäuertes Brot und Wein - und manches andere - steht auf dem Tisch. Brot und Wein werden gedeutet. Erinnerung gehört dazu: an Gottes Heilshandeln, der das Volk aus der Sklaverei befreite. Jesus fordert dazu auf, die Feier zu wiederholen - und dies in Gemeinschaft. Die soll bleiben "bis er kommt". Im jüdischen Passahmal steht ein Kelch auf dem Tisch für den Propheten Elia, "wenn er kommt".

Gemeinschaft untereinander, Gemeinschaft mit den früheren Generationen und Hoffnung auf die kommende Erlösung - all diese Elemente hat unsere Abendmahlsfeier vom Passahfest übernommen. Das Passahfest ist ein freudiges Fest: in der Familie mit Gästen und feierlich gestaltet.

Und unser Fest heute am Gründonnerstag: wie ist das mit der Traurigkeit? Bin ich auf der falschen Fährte? Ist es doch eher ein freudiges Fest?

Zwei Aspekte sind es, die mich traurig stimmen: Abschied - "das letzte gemeinsame Mahl" - und der "Verrat". In der Nacht. In der Dunkelheit. Auch dies.

Abschied ist etwas Schweres. Besonders von einem Menschen, der mir nahe war. Ich habe Jesus nicht gekannt, nicht erlebt. Aber ich stelle mir vor, wie schwer es war für alle, die mit ihm am Tisch saßen. Die mit ihm in enger Beziehung waren. Sie konnten sich nicht vorstellen, wie es ohne ihn weitergehen sollte. Darum sind sie - wie die Evangelien berichten - auch auseinandergelaufen. Aber: als er mit ihnen das Brot brach, so wird von den Emmausjüngern erzählt, da ging ihnen ein Licht auf und sie kehrten nach Jerusalem zurück.

Er wird gehen und sich dem stellen, was die Machthaber mit ihm vorhaben: den "Anführer" herausgreifen, um die Bewegung zu vernichten. Er hat es schweren Herzens getan. Leicht ist es ihm nicht geworden - wie auch? Aber er will nicht, daß die Mächtigen siegen: Jesus stiftet eine neue Gemeinschaft, die an die alte anknüpft.

Gemeinsam Brot brechen und aus einem Kelch trinken: das ist Beziehung untereinander - in der Hoffnung auf eine Welt, in der Menschen, Frauen und Männer, sich gegenseitig ermutigen und nicht entmutigen. Selbst dann, wenn wir, wie Jesus und seine Freundinnen und Freunde, erleben, daß uns jemand verrät.

Verrat ist für mich, wenn uns jemand alleinläßt - gerade dann, wenn wir ihren oder seinen Beistand bräuchten. Wenn er oder sie nichts sagt, wenn wir von anderen schlecht gemacht werden. Es geschieht, daß uns Menschen, die wir für Freunde hielten, aufgeben - in Krankheit oder anderen schweren Lebenskrisen. Vielleicht fühlten sich auch manche, die zu Jesu Gruppe gehörten, von ihm verraten und alleingelassen.

Das Abendmahl, gemeinsames Brotbrechen und aus einem Kelche trinken, kann Wunden heilen. Kann uns helfen, uns zu vergewissern: wir sind nicht allein. Es gibt einen Ort, wo wir Gemeinschaft erfahren können - wenn es gelingt, das Wachsen zu fördern.

Der letzte Satz im Predigttext, den der Schreiber des Briefes deutend geschrieben hat, liegt mir schwer im Magen: "Denn sooft ihr von diesem Brot eßt und aus diesem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt." Tod als Inspiration für Gemeinschaft?

Jesu Art und Weise zu leben wird für mich zur Befreiung. Weil ich durch andere, die sich von seinem Engagement anstiften ließen, erfahren habe, was geschenkte Befreiung und gewährtes Verzeihen von Schuld bedeutet. Aber sein Tod schmerzt mich.

Jede Erinnerung an seinen von Machthabern bewirkten gewaltsamen Tod stimmt mich ebenso traurig wie die sinnlosen gewaltsamen Tode von Kindern, Frauen und Männern in unserer Zeit.

Vielleicht war der Schreiber des Briefes noch davon überzeugt, daß Jesus wirklich und persönlich wiederkommen würde. Vielleicht war sein Tod nicht so endgültig, wie er mir heute erscheint - in des Schreibers Sicht. Jesu Botschaft und die von ihm gestifte Gemeinschaft hat überlebt. Das ist das Geschenk unserer Vormütter und -väter. Aber seinen Tod will und kann ich nicht verherrlichen.

Heute abend feiern wir gemeinsam das Fest der Erinnerung: Wir werden zusammen Brot brechen und aus einem Kelche trinken. Wir werden zusammen sitzen und erzählen. Wir werden uns aneinander freuen. Auch Trauer hat ihren Platz. Und die Freude: wir sind nicht allein. Gott sei mit uns, wenn wir feiern.

Amen

Pastorin Hanna Kreisel-Liebermann, Wilhelm-Weber-Str. 19, 37073 Göttingen, Tel.: 0551-44713



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