Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Sonntag: Okuli
Datum: 15.3.1998
Text: Epheser 5, 1-8a
Verfasser: Prof. Dr. Franz-Heinrich Beyer


Predigttext:

"So folgt nun Gottes Beispiel als die geliebten Kinder und lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch.

Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie es sich für die Heiligen gehört. Auch schandbare und närrische oder lose Reden stehen euch nicht an, sondern vielmehr Danksagung. Denn das sollt ihr wissen, daß kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger - das sind Götzendiener - ein Erbteil hat im Reich Christi und Gottes. Laßt euch von niemandem verführen mit leeren Worten; denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams. Darum seid nicht ihre Mitgenossen.

Denn ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn."

Vorbemerkungen:

Auffällig ist die Formulierung von V.1, die so nur hier im NT begegnet. Aber 4,32 sollte im Blick bleiben. Der moralisierende Charakter der Paränese ist problematisch. Die Konkretionen dort sollen nicht übernommen werden.

Im Mittelpunkt steht V.1. Ein Zusammenhang mit dem Sonntagsnamen "Okuli" legt sich nahe und kann zu einem Rahmen gefügt werden.

Liebe Gemeinde,

daran werden Sie sich auch erinnern. Im Stadtzentrum, auf den Bahnhöfen und an anderen zentralen Plätzen waren große Plakatwände zu sehen. Darauf die Porträts von erfolgreichen Leistungssportlerinnen und Leistungssportlern. Die Abgebildeten sind bekannt, auch ihre Leistungen, ihre Rekorde und Medaillen. Und dann ist da noch eine Textzeile auf jedem Plakat: "Keine Macht den Drogen".

Solche Plakatierung ist selbstverständlich geplant und überlegt. Die Bilder der Sport-Stars, sie wirken als Aufforderung, sich auf sich selbst zu besinnen, sich der eigenen Leistungsfähigkeit bewußt zu werden, sich von der zielgerichteten und entschiedenen, auch Entbehrungen einschließenden Vorbereitung der Athleten auch in der eigenen Lebensgestaltung beeindrucken zu lassen: Orientiert euch an diesen Sportlern, ahmt sie nach, folgt deren Beispiel. Was für den Erfolg einer solchen Aktion ausschlaggebend sein kann, das genau festzustellen ist schwierig - Ist es einfach die Freude an der eigenen Leistungsfähigkeit, oder ist es der Traum von Triumph und von Popularität, verbunden mit den damit gegebenen Vorteilen? Erkennbar bleibt jedenfalls die wahrnehmbare Aufforderung: Folge seinem Beispiel! Ahme seine Entscheidung nach!

Diese Beobachtung ist mir wieder eingefallen, als ich über die Verse des Predigttextes nachgedacht habe. Immer wieder bin ich mit meinen Gedanken an dem ersten Vers hängen geblieben: "So folgt nun Gottes Beispiel". Dieser Satz ist bemerkenswert. An keiner anderen Stelle des Neuen Testaments ist so etwas noch einmal zu lesen. "So folgt nun Gottes Beispiel"; Ahmt Gott nach.

Dieser Satz, so für sich genommen, klingt durchaus gefährlich. Es klingt immer wieder die vertraute Versuchung an, daß Menschen sein wollen wie Gott. Dieses Bestreben gehört wohl zu den Grundgegebenheiten des Menschen dazu. Die Bibel weiß davon einiges zu berichten. Und wir kennen auch genug Nachrichten, die deutlich machen, wie es dort aussieht, wo Menschen gewissermaßen Gott spielen, wo Menschen über das Recht und das Schicksal anderer Menschen, über deren Leben und Tod entscheiden. Nein, das darf gerade nicht mit dieser Aufforderung verbunden werden. Dem Beispiel Gottes folgen kann nicht bedeuten, Gott zu ersetzen, seinen Platz einzunehmen.

"Seid aber miteinander freundlich, herzlich und vergebt einer dem andern, gleichwie Gott euch vergeben hat in Christus. So folgt nun Gottes Beispiel als die geliebten Kinder und lebt in der Liebe wie auch Christus uns geliebt hat..." (Eph.4,32-5,2).

Das erscheint mir das Besondere und das Hilfreich an diesen Versen aus dem Epheserbrief, daß sie konkret und anschaulich sprechen. "So folgt nun Gottes Beispiel" - Das ist so, als wenn ein Plakat aufgestellt wird, auf das wir blicken. "Folgt nun Gottes Beispiel" - Was wissen wir von Gott? Vieles wäre hier zu nennen. Und wahrscheinlich würden wir mit unseren je eigenen Erfahrungen unterschiedliches zusammentragen. Im Epheserbrief wird unser Wissen von Gott gewissermaßen auf einen Punkt gebracht: "Gott hat euch vergeben in Christus".

Das Wort Vergebung mag für viele Menschen veraltet und überholt klingen. In der hektischen Zeit ist eher von einer Gegendarstellung in einer Zeitschrift die Rede, kaum noch von einer Richtigstellung und schon gar nicht von der Möglichkeit, etwas, oder richtiger: einem Menschen zu vergeben.

Kehren wir noch einmal zurück zu dem Beispiel des Plakats "Keine Macht den Drogen". Drogen werden dort konsumiert, wo Menschen meinen, mit der eigenen Kraft, mit dem eigenen Willen nicht auszukommen. Sie wollen sich aufhelfen, zu höheren Leistungen gelangen oder tiefere Erlebnisse erreichen. Es gibt viele Arten von Drogen, nicht nur die sogenannten harten oder weichen; es gibt nicht nur Drogen, die eingenommen oder gespritzt werden.

Alltäglich werden wir mit Angeboten und mit Verheißungen überschüttet. Vom Traumurlaub, der "die Zeit stillstehen läßt" über die Verheißung "Eigentum schafft Sicherheit" bis zu dem ganz persönlich adressierten "individuellen Weg zum Gewinn" begegnen uns zahllose Angebote. Ein Blick in die Zeitungen und ihre Beilagen macht auf die zahllosen Angebote und Verheißungen aufmerksam. Und die damit vermittelte Botschaft ist nur allzudeutlich: Mit dir allein, mit deiner Kraft allein bist du nichts, aber mit unserem Angebot kannst du erreichen, wonach du dich sehnst, darum greife zu...

Angesichts dieser Beschreibung erhalten die Verse aus dem Epheserbrief noch einmal einen anderen Klang. "So folgt nun Gottes Beispiel als die geliebten Kinder und lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat...". Ich höre auch das als ein Angebot. Und auch in diesem Angebot erscheinen Bilder, die angenehme Vorstellungen und Erinnerungen wachrufen - als geliebte Kinder leben, Gutes erfahren, Geborgenheit erleben, von sorgender Liebe umgeben, die nicht abschließt, sondern zur Freiheit verhilft..

Aber es geht ja weiter, es geht um die alltäglichen Herausforderungen, um die kleinen und die großen Entscheidungen, die täglich getroffen werden müssen. Wir schauen dabei aus nach Konkretionen, danach, wie es aussehen könnte, wenn Menschen dieses tun, Gottes Beispiel folgen, Gott nachahmen...

Auch hier hält der Epheserbrief einige konkrete Hinweise bereit, aber vor allem in negativer, in abgrenzender Sprache. "Von Unzucht aber und jeder Art von Unreinheit und Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein...". Wahrscheinlich sind mit Unzucht, Unreinheit und Habsucht Verhaltensweisen angesprochen, die in der damaligen Zeit gewissermaßen als "Drogen" dienten, um mit ihnen ein oberflächliches Gefühl von Sicherheit, von Überlegenheit und von Genuß zu erlangen. Die Frage, was das Leben reich zu machen vermag, ist durchaus eine alte Frage, die von Menschen schon immer gestellt wurde und die immer wieder gestellt wird, damals, aber ebenso heute.

"So folgt nun Gottes Beispiel...lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat..."

Dieses Angebot zu hören oder zu sehen ermöglicht es, darin ein Angebot für mich zu erkennen. Einen Weg zu sehen, der eine deutliche Orientierung hat. Hier geht es nicht nur um die Überbrückung eines Gemütszustandes. Gott nachahmen, seinem Beispiel folgen - das heißt, sich auf einen Weg gestellt sehen, dessen Richtung klar und verheißungsvoll ist: Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung - so zeigen es die Wegweiser an - und Liebe und Vergebung. Hier geht es stets um beide Bereiche: Die Für-Sorge ist angesprochen, der persönliche Einsatz für andere, für die Schöpfung wird ermöglicht.

Aber es geht nicht nur allein darum, daß wir etwas tun können und was dieses sein kann. "Ihr wart früher Finsternis; nun aber seid ihr Licht in dem Herrn." - auch das lesen wir im Epheserbrief. Die darin angesprochene radikale Scheidung zwischen Finsternis und Licht mag uns schwer nachvollziehbar erscheinen. Aber etwas Entscheidendes wird uns damit in Erinnerung gerufen. Das Licht, schon gar nicht das "Licht in dem Herrn" können wir uns niemals selbst bescheinigen. Vielmehr wird uns deutlich gemacht, daß hier von uns die Rede ist, schon lange bevor wir etwas dazu getan haben. Von den "geliebten Kindern" wird da an anderer Stelle gesprochen. Vielleicht ist damit eine der Grundnöte unserer Zeit angesprochen. Die Menschen sind umgetrieben von der Sehn-Sucht danach, geliebt zu werden. Sie jagen Angeboten und Hinweisen nach, um wenigstens für einen Augenblick dieses Gefühl zu erlangen und dabei nicht mit sich allein sein müssen.

Die Passionszeit kann als ein Angebot beschrieben werden, einmal von dieser eigenen, ungestillten Sehnsucht absehen zu können. Die Passionszeit macht uns auf den Weg Jesu aufmerksam. So kann anschaulich werden, was sonst nur als Wort hörbar ist. "So folgt nun Gottes Beispiel als die geliebten Kinder und lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat.." So können wir diese Verse als eine Anleitung zum Schauen hören und verstehen. Und von daher sind wir dem Psalmvers, der diesem Sonntag den Namen gegeben hat ganz nahe: "Meine Augen sehen stets auf den Herrn". Ja, es geht um uns, um einen Weg, den wir gehen können.

Amen

 

Prof. Dr. Franz-Heinrich Beyer, Hamannsbusch 109, 44797 Bochum


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