Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch

Sonntag: Reminiszere
Datum: 8.3.1998
Text: Römer 5, 1-5
Verfasser: Wolfgang Petrak


Predigttext: Römer 5, 1-5

"Da wir nun gerecht geworden sind durch den Glauben, haben wir Frieden mit Gott durch unsern Herrn Jesus Christus; durch ihn haben wir auch den Zugang im Glauben zu dieser Gnade, in der wir stehen, und rühmen uns der Hoffnung der zukünftigen Herrlichkeit, die Gott geben wird.
Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir wissen, daß Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung, Hoffnung aber läßt nicht zuschanden werden; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben ist."

Liebe Gemeinde,

Glauben und Frieden, Zugang und Gnade: die Herrlichkeit, die Trübsal, die Geduld und die Bewährung; die Hoffnung, die nicht zuschanden werden läßt: Worte werden schnell gesagt, denn sie lassen sich hintereinanderreihen wie Perlen auf einer Schnur. Es ist das Leben, das erzählt.

"So, ich mache mich dann auf den Weg", hatte der Pastor gesagt, " feiern Sie noch schön". "Naja, man wird nur einmal 75", murmelte Walter und brachte den Pastor an die Tür. "Und vielen Dank auch". Als Walter zurück in die Küche kam, hatten die anderen bereits ihre Jacketts ausgezogen. Neue Bierflaschen standen auf dem Tisch. Sie wurden mit einem 'Plop' geöffnet, gut, daß man jetzt aus der Flasche trinken konnte. Ein Prosit der Gemütlichkeit anzustimmen mißlang ihnen allerdings, obschon sie im Männergesangverein waren.

"Mensch, Walter, du kannst doch nicht immer Trübsal blasen. Also dann: Wohlsein". Walter nahm das Geburtstagsbüchlein, das der Pastor ihm mitgebracht hatte, vom Küchentisch, um es auf die Schrankablage zu legen. "Auf dein Wort hin" stand oben auf der Titelseite, darunter das Foto einer kleinen Kapelle mit Zwiebeltürmchen; eine grüne Sommerwiese mit Wald im Hintergrund, darüber der blaue Himmel. Fast wie auf der Seiser Alm, dachte Walter; er hatte da mal mit Lisa Urlaub gemacht. Auf dein Wort hin: Worte können ja viel erzählen, doch er verstand es bis heute nicht, warum sie auf die Trennung bestanden hatte. Das bißchen Bier und das Fernsehen hätte sie ihm ja wohl gönnen können; gut, im Vergleich zu ihr sagte er ja nicht viel, was soll man auch sagen. Er nahm einen tiefen Schluck. "

So gefällst du uns schon besser", lachte einer, " komm, setz dich wieder her. Oder wolltest du etwa in dem Buch vom Pastor blättern?- Da steht ja doch immer dasselbe drin, Glück, Heil und Segen und so. Übrigens: er hätte ja uns eigentlich mal erklären können, warum Gott das alles zuläßt. Doch da kommt der Pastor immer ganz schön ins Schleudern. Wo er doch sonst so viele Worte hat. Na soll er. - Ist noch was von der Feuerwehrmarmelade da"? Walter schlurfte zum Kühlschrank, wickelte das restliche Mett aus. " Und noch ein bißchen Bier, wenn es recht ist".

Walter hatte da keinen rechten Zugang. sowohl nicht zu den Sangesbrüdern mit ihrer ewigen guten Laune: ob die sich nie Gedanken machten, nie quälende Träume hatten? - Und zu dem da oben erst recht nicht.

Früher, als Kind in Schlesien, da war das anders gewesen. Seine Eltern hatten ihn in den Nachbarort zum Konfirmandenunterricht geschickt, weil der Superintendent ihres Städchens bei den Deutschen Christen gewesen sein sollte. Gut, er war dann immer mit dem Fahrrad hingefahren, manchmal mußte er heute über seine Ausdauer damals lachen; gelernt hatten sie in der Pfarre ziemlich viel. Auswendig, das prägt sich ein.

Auf dein Wort hin: das war doch die Geschichte, wie die Jünger damals losgefahren waren, die Netze auszuwerfen. Und dann dieser eigenartige Spruch: "Die Hoffnung läßt nicht zuschanden werden". Heinz, sein Freund, hatte das als Konfirmationsspruch. Der ist auch nicht zurückgekommen, sie waren in einer Einheit gewesen... Zuschanden werden. Damals in Serbien. Als sie die Partisanengruppe gefangengenommen hatten und dann der Kompaniechef jenen Befehl gegeben hatte. Warum hatte da keiner "Halt" gerufen? Das läßt einen nicht: das Kommando, das Krümmen des Fingers, die Stille danach. Kann man jemals zur Ruhe kommen? Gnade uns Gott, hatte Heinz mal gesagt. Und kurze Zeit später, da hatte es ihn dann erwischt.

"Walter, was ist, du hältst ja gar nicht mit"? Jaja , was ist. Irgendwann merkst du es, daß du das brauchst. Daß dich einer anredet. Und daß du dabei Geduld brauchst, das Richtige zu hören. Und den Richtigen. Und was bei dir los ist.

"Komm, Walter, wir genehmigen uns noch einen kleinen. Auf die alten Zeiten: Wohlsein"! Plop. Fehlt bloß noch, daß die anfangen zu singen: "So ein Tag, so wunderschön wie heute". Und dann sagen, daß heute keine Ordnung mehr ist. Früher, so werden sie wagen, sei alles anders gewesen. Und die Butter hätte bei Adolf auch besser geschmeckt. Und wenn die dann erst mal mit ihren Heldentaten anfangen: wie sich der Feind hatte verstecken müssen.

Walter sieht auf den Tisch, sieht an den Bierflaschen, dem Mett, den Brötchen und den Krümeln auf der Resopalplatte vorbei. Er sieht ins Leere. Ich habe mich auch versteckt, mein Leben lang. Habe auch dichtgehalten und haben auch immer diese Reden ausgehalten. Und diese Träume, die Wirklichkeit waren. Genau genommen bin ich doch der Feind gewesen. Auf Befehl gehandelt. Oja, Walter kennt es genau, diese Versuche, sich zu rechtfertigen. Irgendwie ziemlich billig, sich auf die Worte anderer zu berufen. Oder zu beklagen daß da keiner "Halt" gesagt hätte. Er hätte es doch sich selbst sagen können. Das Schweigen Gottes, sozusagen. Sind wir nicht selbst zu seinem Feind geworden? Auf dein Wort hin will ich...Ach Gott, ja.

"Komm, Walter, bevor wir gehen, zieh noch mal mit". Eine volle Flasche wird ihm über den Tisch geschoben. Er öffnet sie, führt sie zum Mund, um: sie dann zu schließen. "Nein", sagt er, " ich will das nicht mehr. Ich mach da nicht mehr mit. Es gibt einen anderen Weg". Es sind Worte, die uns gesagt werden, aneinandergereiht wie Perlen auf einer Schnur. Doch in den Worten ist seine Macht. Denn wir wissen: Trübsal bringt Geduld, Geduld bringt Bewährung, Bewährung aber bringt Hoffnung. Es ist nämlich so: Obwohl wir Gottes Feinde waren, macht er sich auf den Weg, um sich zu versöhnen. So daß es einen Zugang gibt zum Frieden mit Gott und den Menschen .

Lied nach der Predigt: Vertraut den neuen Wegen( EG 395)

Wolfgang Petrak (Pastor in St. Petri- Weende) Schlagenweg 8a 37077 Göttingen


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