Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Datum: Invokavit, 1.3.1998 (überarbeitete Fassung)
Text: Hebräer 4, 14-16
Verfasser: Dr. Johannes Neukirch


Predigttext

"Weil wir einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so laßt uns festhalten an dem Bekenntnis. Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. Darum laßt uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben."

Liebe Gemeinde,

es lohnt sich! Das ist eine der Botschaften unserer Zeit - es lohnt sich! Ständig werden wir von Versprechungen der Art umworben: Es lohnt sich, dies oder das zu kaufen, es lohnt sich, bei uns mitzumachen, es lohnt sich, mich zu wählen. Bei uns bekommst du etwas für dein Geld, für deine Mitarbeit, für dein Engagement, für das Kreuzchen auf dem Wahlzettel an der richtigen Stelle. Kaum jemand rührt auch nur den kleinen Finger, wenn es sich nicht in irgendeiner Weise lohnt

Auch unser Text umwirbt uns: Laßt uns festhalten an dem Bekenntnis, so fordert er uns auf, weil wir dadurch einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat. Das kann man auch so abkürzen: Laßt uns festhalten an dem Bekenntnis, weil es sich lohnt.

Nun, das ist in der Tat eine verheißungsvolle Perspektive, die sich hier auftut, wenn man am Bekenntnis zu Jesus Christus festhält: Ein Hoher Priester, das ist einer der oberen Priester, einer der Chefs, in damaligen Zeiten oft sogar gleichzeitig der König. Und es ist immer sehr gut, wenn man Beziehungen zu den allerhöchsten Stellen hat.

Die Aufgabe eines Hohenpriesters bestand darin, zwischen Gott und den Menschen zu vermitteln. Das taten sie durch Gebete und durch Opfer. Nur sie hatten Zugang zum Innersten des Tempels, zu dem Ort, an dem Gott selbst präsent war, zum Allerheiligsten. Jesus ist nun, wie es hier heißt, ein großer Hoherpriester, also noch eine Stufe mehr: "Denn Christus ist nicht eingegangen in das Heiligtum, das mit Händen gemacht und nur ein Abbild des wahren Heiligtums ist, sondern in den Himmel selbst", so beschreibt der Hebräerbrief seinen Rang; Jesus sozusagen als himmlischer Hoherpriester. Er opfert nicht, wie die irdischen Priester, Tiere, um Gott zu versöhnen, denn, so heißt es weiter: "Er ist auch nicht durch das Blut von Böcken oder Kälbern, sondern durch sein eigenes Blut ein für allemal in das Heiligtum eingegangen und hat eine ewige Erlösung erworben."

Es dürfte sich also wohl lohnen, sich an diesen großen, himmlischen Hohenpriester zu halten. Er hat Gott ein für alle mal versöhnt und dabei für die Menschen ewige Erlösung erworben. Er hat die Schlüssel zum ewigen Leben in seiner Hand.

Wenn sich das so offensichtlich lohnt, warum dann der Aufruf: Laßt uns festhalten an dem Bekenntnis - als ob jemand auf die Idee käme, davon abzulassen! Warum ist denn der ganze Hebräerbrief durchsetzt von Mahnungen und Warnungen, die an eine müde und mutlos gewordene Gemeinde gerichtet sind? - "Darum sollen wir desto mehr achten auf das Wort, das wir hören, damit wir nicht am Ziel vorbeitreiben" lautet eine dieser Mahnungen. Ein Psalmwort wird zitiert: "Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht..." und: "Seht zu, liebe Brüder, daß keiner unter euch ein böses, ungläubiges Herz habe, das abfällt von dem lebendigen Gott." und so geht es weiter.

Wenn die Gemeinde von diesem tollen großen Hohenpriester wußte, und sie wußte davon - warum diese Mahnungen und teilweise heftige Warnungen? Eigentlich hätten sie sich doch voller Begeisterung zu diesem mächtigen Sohn Gottes halten und ihren Glauben bekennen müssen.

Ist da vielleicht irgendetwas mit diesem Hohenpriester nicht in Ordnung, oder gibt es Probleme mit dem Bekenntnis zu ihm, das ja genau unser Bekenntnis ist? Was geschieht, wenn wir bekennen, daß wir an Jesus Christus, den Sohn Gottes glauben, an den, der für uns gestorben und am dritten Tag auferstanden ist - und der uns dadurch die Erlösung vom Tod erworben hat?

Nun, in gewisser Weise gehen wir dabei tatsächlich ein hohes Risiko ein:

Wenn uns jemand sagt: Es lohnt sich, dies oder das zu kaufen, dies oder das zu tun! - dann können wir uns darauf einlassen und in Ruhe abwarten, was passiert. Für uns selbst entscheiden wir dann irgendwann: Es hat sich gelohnt, oder auch nicht. Dann geht man vielleicht ein zweites mal auf das Angebot ein oder läßt es in Zukunft bleiben. Und die Urteile darüber, ob sich etwas lohnt oder nicht, können ganz unterschiedlich ausfallen - je nachdem, ob ich die Aktien gekauft habe, deren Kurs steigt oder die, deren Kurs fällt, je nachdem, ob man von seinem Tun etwas gehabt hat oder nicht.

Wenn wir dagegen, wie es hier heißt: "am Bekenntnis festhalten", wenn wir uns auf den großen Hohenpriester Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, einlassen, dann können wir nicht mehr abwarten, was passiert - ob es sich für uns lohnt oder nicht.

Bei den normalen Hohenpriestern, die die Leute damals vor Augen hatten, da war das noch so. Man konnte zu ihnen hingehen, im Tempel beten, Opfertiere kaufen und opfern lassen und abwarten, ob die Opfer etwas bewirken oder nicht. Man konnte sozusagen zuschauen, ob denn die Vermittlung zwischen Gott und den Menschen durch das Priesteramt funktioniert oder nicht.

Beim Sohn Gottes, dem großen Hohenpriester, der nicht am steinernen Tempel wirkt, haben wir es aber nicht mit Mittelsmännern, sondern mit Gott selbst zu tun. Wir probieren nichts aus, wir sehen nicht von außen zu, wir beauftragen niemanden, für uns ein Opfer zu bringen, um Gott gnädig zu stimmen, wir schicken niemanden ins Allerheiligste, um für uns ein paar Gebete zu sprechen. Wir selbst stehen dann dort, im Allerheiligsten, mit allem, was wir fühlen, denken, glauben, hoffen und lieben. Nichts trennt uns mehr von Gott, wir werden in der Tiefe unserer Existenz von ihm berührt, durch seinen Geist neu geboren.

Kann man das überhaupt aushalten, im Allerheiligsten zu stehen, Gott selbst gegenüber, der in unsere Herzen sieht und uns in der Tiefe unseres Wesens erkennt? Unser Text sagt: Es geht, weil er uns in seinem Sohn entgegenkommt: "Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. Darum laßt uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben."

Lohnt es sich, am Bekenntnis festzuhalten? Man muß nur das Risiko kennen, das zugleich der Lohn ist, den wir seit unserer Taufe mit uns herumtragen: Der alte Adam wird ersäuft und ein neuer Mensch geboren. Nichts bleibt beim alten.

Amen.

Dr. Johannes Neukirch, Geversdorf

E-Mail: Johannes.Neukirch@t-online.de

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