Göttinger Predigten im Internet, hg. von Ulrich Nembach und Johannes Neukirch


Im homiletischen Seminar Wintersemester 1997/98 (Universität Göttingen) vorgelegte Predigt

Datum: 25.1.1998
Text: Röm 1, 14-17
Verfasser: Stud. theol. Daniel Konnerth


Übersetzung

14 Sowohl Griechen als auch Barbaren, Weisen und auch Ungebildeten bin ich verpflichtet.
15 So bin ich, was mich angeht, bereit, auch euch in Rom das Evangelium zu verkündigen.
16 Ich schäme mich nämlich des Evangeliums nicht, denn es ist Kraft Gottes zum Heil für jeden, der glaubt; für den Juden zuerst und genauso auch für den Griechen.
17 Denn Gottes Gerechtigkeit offenbart sich in ihm aus Glauben zum Glauben, wie geschrieben steht: "Der aus Glauben Gerechte wird leben."

Kurzexegese

Mit seinem Brief an die römische Gemeinde will Paulus diese für seine Missionstätigkeit gewinnen. Wie aus Kap. 15 hervorgeht, hat er die Absicht, nach Spanien zu reisen. Er erhofft sich von der Gemeinde in Rom Unterstützung, was die geplante Spanienmission angeht (15,24 f.). Er kennt die Gemeinde also noch nicht persönlich (abgesehen von einzelnen Gemeindegliedern), hat aber schon viel von ihr gehört (1,8 ff.).

Obwohl Paulus die Gemeinde in Rom nicht gegründet hat und auch nicht persönlich kennt, führt er seine volle apostolische Autorität ins Feld. Dieses tut er - im Gegensatz zur zurückhaltenden Schilderung seiner Reisepläne - sehr deutlich. Er versteht sich als zur Verkündigung des Evangeliums Gottes berufener Apostel (1,1).

Sein apostolisches Selbstverständnis geht so weit, daß er sich auch für die Gemeinde in Rom verantwortlich fühlt, ja, er ist jedem verpflichtet (1,14). Lediglich von der Formulierung in V. 15 (was mich angeht) geht eine leichte Abschwächung dieser Verpflichtung aus; Paulus formuliert hier wohl etwas vorsichtiger, um die (fremde) Gemeinde nicht gänzlich vor den Kopf zu stoßen.

In den Vv. 16 f. gibt Paulus nun überschriftartig eine Erklärung zum Evangelium ab, in dessen Dienst er sich durch seine Berufung gestellt sieht. Diese beiden Verse sind sozusagen Überschriften über den ganzen Brief: Die sich im Evangelium offenbarende Dynamis Gottes. V. 16 ist thesenartig formuliert, in V. 17 folgt dann die Begründung der These.

Paulus setzt ein in geprägtem Bekenntnisstil: "'Sich nicht schämen' ist gesteigertes Äquivalent zu "homologein" (U. Wilckens, EKK VI/l, 82). Im folgenden behandelt Paulus dann, was er bekennt. Das Evangelium ist Dynamis Gottes zum Heil des Glaubenden. In V. 17 wird dieses begründend fortgeführt: Denn Gottes Gerechtigkeit offenbart sich im Evangelium. Mit dieser Begründung setzt Paulus den Schwerpunkt auf V. 17. Die "Gerechtigkeit Gottes" ist das eigentliche Ziel der Argumentation Pauli. Diese Gerechtigkeit Gottes ist keine ethische Eigenschaft Gottes, sondern eine soteriologische Größe: Die Gerechtigkeit aus Gott aufgrund des Glaubens an Jesus Christus (Phil 3,9); Gott schafft im Menschen Gerechtigkeit, so er glaubt. Die Formulierung "aus Glauben zum Glauben" heißt dabei soviel wie: Ursprung und Ziel der Rechtfertigung ist der Glaube, d.h. der glaubende Mensch, wie dann das Habakuk-Zitat unterstreicht (Hab 2,4). "Glauben" ist im Verständnis des Paulus entsprechend dem hebräischen "vertrauen, sich festmachen" zu verstehen, nicht unser "fürwahrhalten" ist gemeint. Durch "glauben" wird ein Verhältnis des Menschen zu Gott zum Ausdruck gebracht. Der Mensch steht somit in Beziehung zu Gott.

Insgesamt kommt durch die VV. 16 f zum Ausdruck, daß das Verhältnis zwischen Gott und Mensch ein Aufeinander-Bezogen-Sein ist. So wie Gott als der gerechtsprechende Gott auf den Glauben des Menschen "angewiesen" ist, so ist der glaubende Mensch auf die Rechtfertigung Gottes angewiesen.

Predigt

Liebe Gemeinde!

Als Paulus sich nach jahrelangen Missionsreisen mal wieder in Korinth aufhielt, überlegte er: "Kleinasien habe ich missioniert; ich war in Arabien, Syrien, Kilikien und Galatien, ich bin sogar bis nach Griechenland gekommen. Meine Aufgabe ist hier in dieser Gegend erstmal erfüllt. Ich will weiterreisen, vielleicht nach Spanien; dort gibt es bestimmt noch Menschen, die auf Gottes Wort warten."

Er rief seinen Schreiber Tertius herbei und sagte ihm:
"Tertius, hole die beste Feder hervor, ich will einen Brief nach Rom schreiben."

"Aber Paulus", wandte da Tertius ein, "warum nach Rom, die Gemeinde kennt dich nicht, was willst du denen denn mitteilen?"

"Bin ich nicht berufener Apostel Gottes, habe ich nicht jedem, den Griechen wie auch den Barbaren, etwas zu sagen?"

,Ja, schon", gab Tertius nach, "aber warum ausgerechnet Rom?"

Da erklärte Paulus: "Ich habe einen Plan gefaßt. Schon lange, mußt du wissen, habe ich die Absicht, unsere Schwestern und Brüder in Rom zu besuchen, leider ist bisher immer etwas dazwischengekommen. Da wir nun aber in dieser Gegend schon viel herumgekommen sind, dachte ich, wir könnten demnächst nach Spanien reisen, denn dort brauchen die Menschen uns noch. Und auf dem Weg dorthin fahren wir über Rom.

"Und was willst du den Römern schreiben?"

"Ich werde ihnen vom Evangelium Gottes schreiben, und ich weiß auch schon wie: "Ich schäme ich des Evangeliums nicht, denn es ist Kraft Gottes zum Heil für jeden, der glaubt; für den Juden zuerst und genauso auch für den Griechen. Denn Gottes Gerechtigkeit offenbart sich in ihm aus Glauben zum Glauben, wie geschrieben steht: ‚Der aus Glauben Gerechte wird leben.'"

Ich weiß nicht, wie es ihnen geht, aber ich kann mir das Gesicht des Tertius gut vorstellen, als Paulus ihm diese Sätze diktiert hat. Er könnte etwas fragend geguckt und dann gesagt haben: "Paulus, kannst du das nochmal wiederholen?"

Uns geht es vielleicht ähnlich. Paulus verlangt viel von seinen Hörern. Unser Predigttext besteht aus mehreren theologischen Begriffen, die hintereinander aufgereiht stehen: Evangelium, Kraft Gottes, Heil, Gottes Gerechtigkeit und Glaube kommen da vor; man hat fast den Eindruck, von theologischen Begriffen erschlagen zu werden.

"Ich brauche keine theologischen Begriffe", wird der eine oder andere jetzt vielleicht denken, "ich will in erster Linie wissen, wie ich mein Leben sinnvoll leben kann, fromme Sprüche kann ich nicht gebrauchen. Das heißt, wie komme ich mit mir und meiner Welt zurecht? Finde ich das, was ich suche: Freunde, eine Arbeitsstelle, nette Berufskollegen? Komme ich mit meiner Familie zurecht? Kurz gesagt: Mein Leben ist kompliziert genug."

Von klein auf wachsen doch die Anforderungen an uns. Schon kleine Kinder sind in unserer heutigen Welt vielfältig unter Druck: Sie können nicht überall dort spielen, wo sie wollen, sondern sind auf die Hilfe und Begleitung ihrer Eltern angewiesen. In der Schule und später in der Ausbildung sind sie dann dem Leistungsdruck ausgesetzt. Jeder will sich heute gern noch seinen Arbeitsplatz aussuchen, obwohl das in vielen Fällen längst nicht mehr möglich ist. Dazu kommt dann später der Umgang mit Familie und Kollegen, die Erziehung von eigenen Kindern usw. Und überall werden Anforderungen an uns gestellt. Das Leben in einer Leistungsgesellschaft ist eben nicht einfach, und es sieht auch nicht danach aus, daß es demnächst leichter wird; dabei ist seit der Industrialisierung die gängige Meinung, das Leben würde immer einfacher werden. Die Frage, die sich mir mit dem Predigttext stellt, ist: Soll ich neben all meinen schwierigen Verpflichtungen auch noch die schwierigen Gedankengänge des Paulus berücksichtigen? Was können also die Verse des Paulus tatsächlich beisteuern, daß mein Leben in der Tat leichter und nicht noch komplizierter wird?

Eines ist klar, der römischen Gemeinde muß der Brief etwas gesagt haben. Sie hat ihn schließlich aufbewahrt; sie hat ihn für so wichtig gehalten, daß wir ihn sogar heute noch lesen können, fast 2000 Jahre, nachdem er geschrieben wurde. Für sie war der Brief des Paulus offenbar tatsächliche Hilfe im täglichen Umgang miteinander.

Auch Paulus wußte, wie schwer das Leben sein konnte, wenn seine Probleme auch anderer Natur waren. So schreibt er im zweiten Korintherbrief: "Von den Juden habe ich fünfmal vierzig Schläge weniger einen bekommen. Dreimal bin ich mit Ruten geschlagen. einmal gesteinigt worden; dreimal habe ich Schiffbruch erlitten; einen Tag und eine Nacht habe ich in Seenot zugebracht; oft auf Reisen, in Gefahren von Flüssen, in Gefahren von Räubern, in Gefahren von meinem Volk, in Gefahren von den Nationen, in Gefahren in der Stadt, in Gefahren in der Wüste... in Gefahren auf dem Meer, in Gefahren unter falschen Brüdern; in Mühe und Beschwerde, in Wachen oft, in Hunger und Durst, in Fasten oft, in Kälte und Blöße; außer dem übrigen noch das, was täglich auf mich eindringt: Die Sorge um alle Gemeinden."

Trotz all dieser Gefahren, in denen Paulus sich befunden hat, spricht aus seinen Briefen - und auch aus unserem Predigttext - ein großes Gottvertrauen: Im Evangelium offenbart sich Gottes Gerechtigkeit. Was Paulus meint, ist, daß wir Gott recht sind, daß wir uns Gott gegenüber so geben können, wie wir sind. Gott fordert von uns keine meßbare Leistung, er möchte nur, daß wir ihm vertrauen.

Ich bin Gott recht, und wenn ich das weiß, kann ich die Welt mit anderen Augen sehen. Ich kann gelassener durchs Leben gehen. Die Gewißheit, daß Gott mich begleitet, daß er mich trotz all meiner Fehler nicht alleine läßt, kann mich befreien, befreien zu einem veränderten Leben in einer veränderten Welt.

Wie Schuppen fiel es Paulus von den Augen, als er in Jesus Christus Gott neu kennengelernt hat. Die Welt - so wie sie ist - sah er plötzlich anders, konnte er plötzlich anders sehen. Er sah sie als Welt Gottes, ihm zum Leben und Handeln geschenkt.

Ich möchte uns eine Situation vor Augen stellen, die viele Eltern schon erlebt haben. Vielleicht ist sie manchem aber auch noch aus der eigenen Kindheit ganz gegenwärtig: Das soeben noch friedlich schlafende Kind erwacht plötzlich - vielleicht durch böse Träume bedrückt - und findet sich allein mit seiner Angst der Dunkelheit gegenüber. Das Kind ist in der Dunkelheit seiner vertrauten Wirklichkeit entzogen, das Chaos droht hereinzubrechen; das Kind schreit nach seiner Mutter. Und die Mutter ist es auch, die das Chaos bannen kann. Sie kommt herein, macht Licht, spricht vertraute Worte, nimmt das Kind in den Arm, streichelt es, singt vielleicht ein Schlaflied und beruhigt das Kind auf diese Weise. Und überall auf der Welt, wo Mütter so ihre Kinder beruhigen, ist der Grundtenor gleich: "Hab keine Angst', "alles ist in Ordnung", "alles ist wieder gut". Das Kind schluchzt vielleicht noch ein paarmal auf und gibt sich allmählich zufrieden. Sein Vertrauen zur Wirklichkeit ist zurückgewonnen, und in diesem Vertrauen kann es wieder einschlafen.

So wie das Kind beruhigt wieder einschlafen kann, weil es im Arm der Mutter geborgen ist, so dürfen auch wir uns in Gott geborgen wissen. Gott begleitet uns. Er sagt dir: Du bist recht so. Dieses befreiende Wissen entlastet mich. In meinem Verhältnis zum Ehepartner, zu meinen Kindern, am Arbeitsplatz oder sonstwo kann ich befreiter auf meine Mitmenschen eingehen, kann sogar Schwächen zeigen. Wir sind Gott recht, so, wie wir sind, wenn wir ihm nur vertrauen; in dieser einfachen Aussage faßt Paulus das Evangelium Gottes zusammen. Vielleicht ist diese Aussage für den einen oder anderen doch eine Hilfe, daß unser kompliziertes Leben leichter wird.

Ein Paradies ist diese Welt dadurch auch noch nicht geworden, viele Probleme bleiben sicherlich auch weiterhin bestehen, aber: In allem, trotz allem habe ich eine Kraft entdeckt, mit der ich leben kann - Gott ist mir zugewandt.

Amen

Nachbesprechung

Zwei Punkte wurde im wesentlichen diskutiert: die Aufmerksamkeit erregende Einleitung und die Übersetzung von "Glauben" mit "Vertrauen" als den Text verkürzend.

Stud. theol. Daniel Konnerth, Lange Geismarer Str. 63, 37073 Göttingen, Tel.: 0551-56083

 

 

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