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Predigt für den 2. November 1997

Verfasser: Prof. Dr. Dietz Lange, Göttingen

Predigttext: Matthäus 22, 15-22

Liebe Gemeinde!

„Ist es richtig, daß man dem Kaiser Steuern zahlt?“ wird Jesus gefragt. Das ist mal ein handfestes Thema! Steuern zahlen, wer tut das schon gerne? Das war damals nicht anders als heute. Die Frage der Pharisäer zeigt, daß man wohl auch in alten Zeiten versucht hat, sich der Steuerpflicht zu entziehen. Zwar gab es noch keine Steuerparadiese in Luxemburg oder Liechtenstein, wo man sein Geld anlegen konnte, aber dafür gab es sicher andere Tricks. Wozu Steuern zahlen, wenn der Staat dafür den Eurofighter kauft, den wir für gänzlich überflüssig halten? Wozu Steuern zahlen, wenn wir doch das Geld selbst so nötig brauchen? Das Thema ist unerschöpflich. Wir könnten ohne weiteres bis morgen früh darüber debattieren. Aber wenn wir einfach unserer Phantasie die Zügel schießen lassen, werden wir wahrscheinlich an der Pointe vorbeireden, auf die es in der Auseinandersetzung Jesu mit den Pharisäern ankommt. Damit würden wir auch das verpassen, was für uns heute an dem Thema wichtig ist. Wir würden bloß wiederholen, was man jeden Tag im Fernsehen hören und in der Zeitung lesen kann über die Notwendigkeit einer Steuerreform, wie man sie gegenfinanzieren soll, welche Ausgaben nötig über überflüssig sind, warum die großen Parteien die Sache blockieren, usw. Das würde nicht viel weiterführen. Hören wir also, was Jesus zu dem Thema zu sagen hat.

Zunächst einmal geht er hier nicht um die Frage, ob man überhaupt Steuern zahlen soll. Diese Frage wäre auch ziemlich töricht, denn daß die Leistungen, die der Staat erbringen soll, wie Straßen, Schulen, Polizeischutz, irgendwie vom Volk bezahlt werden müssen, ist doch klar. Aber damals war es die verhaßte römische Besatzungsmacht, die die Steuern kassierte. Das war etwas anderes. Auf jeder von den Münzen, mit denen man bezahlte, war überdies noch das Bild des Kaisers eingraviert. So wurden die Juden jedes Mal ganz unmittelbar an ihre Abhängigkeit von der Weltmacht Rom erinnert. Besonders ärgerlich war, daß das Bild des Kaisers vielfach sogar religiös verehrt wurde. Soll man unter diesen Umständen Steuern zahlen?

Das ist eine Fangfrage. Entweder Jesus sagt Nein. Dann wird das Volk begeistert sein, aber die Besatzungsmacht wird hellhörig und wird ihn mundtot machen. Oder Jesus sagt Ja. Dann hat er mit den Römern keine Probleme, aber beim Volk hat er verspielt. Schlau eingefädelt. Alles wartet gespannt, viele sicherlich auch schadenfroh, wie Jesus sich aus der Schlinge ziehen wird. Jesus aber läßt sich einfach eine Münze zeigen. „Wessen Bild ist darauf?“ „Des Kaisers Bild natürlich.“ Auf jeder Münze ist das Bild. Alle haben welche bei sich. Sie bezahlen auf dem Markt damit, und sie lassen sich auch selbst für ihre Arbeit damit bezahlen. Ganz selbstverständlich ist das. Niemand findet etwas dabei. Beim Handeln stört das Bild des Kaisers überhaupt nicht, sondern erst beim Steuernzahlen. Das macht Jesus ihnen klar. Dadurch entlarvt er ihre Hinterlist. „Also dann gebt dem Kaiser, was ihm zusteht!“ Schließlich bekommt ihr ja auch staatliche Leistungen dafür.

Das ist aber erst die eine Hälfte der Antwort Jesu. Er fügt hinzu: „Und gebt Gott, was Gottes ist!“ Klar: Religiöse Verehrung steht dem Kaiser nicht zu, die gebührt allein Gott. Der Staat bekommt dafür das, was er verlangt: die Steuern und dann wohl auch den Gehorsam seiner Bürger ohne jede Einschränkung. Für Gott ist die Religion zuständig, also damals die Synagoge, und heute die Kirche. Das ist dann etwa für den inneren Menschen. Die Kirche kann ja auch Geld bekommen; Gott bekommt sozusagen seine Steuern sonntags im Klingelbeutel. Aber die sind nur für streng religiöse Zwecke. Der Staat mischt sich nicht in die Angelegenheiten der Kirche ein, aber die Kirche sagt auch nichts zur Politik und zu den sozialen Mißständen im Staat. Eigentlich ganz bequem. Das entspricht auch so ziemlich den Vorstellungen, die viele Menschen in der Kirche heute von der Sache haben.

An dieser Stelle würde aber Jesus mit uns ebenso ungehalten werden, wie er es damals mit den Pharisäern war. „So stellt ihr euch das vor? Euer Leben hier in der Welt gehört dem Staat und der Gesellschaft und der Wirtschaft, Gott bekommt gütigerweise auch noch eine kleine Ecke reserviert? Habt ihr nicht gerade in Deutschland schreckliche Erfahrungen gemacht mit eurem blinden Staatsgehorsam?“ So würde er uns wohl fragen. Eigentlich hätten wir uns das auch denken können. So eine schiedlich-friedliche Aufteilung war Jesu Sache nicht. Daß wir im Alltag ohne Frage und ohne Kritik das tun, was der Staat von uns verlangt, was „man“ tut, bloß nicht auffallen , und Gott kriegt das, was übrigbleibt, eine kleine Stunde am Sonntagmorgen und vielleicht ein paar heimliche Gedanken zwischendurch, wenn es niemand merkt, das kann Jesus nicht gemeint haben.

„Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ Was ist denn Gottes, was gebührt Gott? Dem Kaiser, dem Staat, gehört das Geld, auf dem das Kaiserbild, oder heute ein Symbol der Bundesrepublik eingraviert ist. Das gilt für die staatlichen Aufgaben in der Welt, solange die nötig sind. Aber der Staatschef darf nicht zum Gott werden. Er darf nicht wie Hitler oder Stalin kritiklos verehrt werden. Dem Staat gehört das Geld, das er in Umlauf bringt, aber nicht die Menschen. Denn das Kaiserbild steht nur auf dem Geld. Wir Menschen aber sind Ebenbilder Gottes, so sagt es die Schöpfungsgeschichte. Wir Menschen gehören Gott. Wir müssen Gott mehr gehorchen als den Menschen. Damit haben sich die Gewichte völlig verschoben. Gottes Anspruch auf unser ganzes Leben ist so umfassend und so eindringlich, daß die ganze Steuerfrage, mit der das Streitgespräch damals und auch heute unsere Predigt begonnen hatte, ganz in den Hintergrund zu treten scheint. „Ihr fragt nach etwas so Nebensächlichem wie Steuern, während es doch eigentlich darauf ankommt, daß der Glaube, das heißt euer Verhältnis zu Gott, in Ordnung ist“, darauf scheint jetzt alles hinauszulaufen.

Eigentlich enttäuschend. Es hatte so handfest angefangen, und jetzt enden wir bei etwas so schwer Faßbarem wie dem Glauben. Damit hätten wir allerdings den Glauben mißverstanden. Wenn unser ganzes Leben Gott gehört, dann natürlich auch unsere berufliche Existenz, unser Dasein als Staatsbürger, als Kunden oder Leistungsanbieter in der modernen Wirtschaft, als Fernsehzuschauer und als Teilnehmer am Internet. Das heißt sicher nicht, daß jedes Mal, wenn wir etwas zu kritisieren finden, unser Widerstand gegen den Staat im Namen Gottes gefordert wäre. Es kann solche Momente durchaus auch heute geben, keine Frage. Aber der Normalfall ist doch, daß die politischen und sozialen Fragen, mit denen wir jeden Tag konfrontiert werden, in unsere Verantwortung gelegt sind. Damit sind sie nicht gleichgültig, ganz im Gegenteil. Wir haben mitzuentscheiden, was tatsächlich rechtens dem Staat gehört, was für die Obdachlosen und die Asylsuchenden in unserer eigenen Gesellschaft und darüber hinaus für die Notleidenden weltweit getan werden muß. Das ist insofern anders als zur Zeit Jesu, als wir nicht machtlos einer Obrigkeit gegenüberstehen, die praktisch tun kann, was sie will. Vielmehr sind wir in der modernen Gesellschaft für sehr viele Dinge selbst verantwortlich, sei es persönlich, sei es durch gewählte politische Vertretungen.

Was wird nun aber neu und anders, wenn wir diese Verantwortlichkeiten im Licht von Jesu Aufforderung betrachten „Gebt Gott, was Gottes ist“? Wenn wir Gott unser ganzes Leben überantworten, seiner Liebe alles anheimstellen, was er mit uns vorhat, dann gibt uns das eine gewisse Gelassenheit. Wohlgemerkt: Gelassenheit, nicht Gleichgültigkeit. Gelassenheit bedeutet: Wir können ruhig und vernünftig abwägen, was Recht ist und was Unrecht, Augenmaß und Taktgefühl walten lassen.

Aber sind das nicht ganz natürliche Dinge, braucht man dafür Gott? Es sind ganz natürliche Dinge, doch die Erfahrung zeigt, daß Augenmaß und Takt und vernünftiges Abwägen gerade in der Politik allzu leicht verloren gehen. Da hängt sehr schnell alles daran, daß meine Partei die Wahl gewinnt, daß ich als Inhaber der Macht am Ruder bleibe, daß ich am Stammtisch oder in der Familienrunde Recht behalte. Dann habe ich aber schon der Politik gegeben, was nur Gott zusteht! So konkret ist das, was Jesus meint. Die innere Freiheit und der offene Blick für die Wirklichkeit, wie sie ist, das verlangt tatsächlich den Glauben, der uns frei macht von den Verlockungen der Macht und von dem inneren Zwang, unbedingt Recht behalten zu müssen.

Es kommt noch etwas Zweites hinzu. Für das vernünftige Abwägen dessen, „was des Kaisers ist“, was also in die Zuständigkeit politischer Entscheidungen fällt, brauchen wir einen Maßstab. Die Vernunft oder auch das Taktgefühl sind gute Hilfsmittel, aber für sich allein sind sie blind. Der Maßstab ist nichts anderes als Gottes Liebe zu uns Menschen. Gott geben, was Gottes ist, das heißt: Wir sollen uns von Gottes Liebe leiten lassen, die uns in Jesus begegnet. Damit haben wir zwar kein Rezept in der Hand, mit der jede Personalentscheidung im Beruf oder jedes Kreuz auf dem Wahlzettel bereit vorgegeben wäre. Wir müssen uns schon in die Sachfragen, die wir öffentlich beurteilen wollen, richtig einarbeiten, damit wir nicht wie die Blinden von der Farbe reden. Aber die Richtung, in die unsere Entscheidung zielt, wird dadurch vorgegeben, daß Gott uns annimmt, ohne daß wir das verdient haben. Das öffnet uns die Augen für das, was in unserer gegenwärtigen Asylpraxis unmenschlich ist, und läßt uns erkennen, warum im Jugendstrafrecht die Resozialisierung viel wichtiger genommen werden müßte, als das bei uns der Fall ist. Und um zum Anfang zurückzukommen: Gott geben, was Gottes ist, das hilft auch dazu, mit kühlem Verstand und zugleich aus Liebe zu den Menschen besser zu beurteilen, wie die Steuereinnahmen verwendet werden sollten. Denn der Maßstab ist dann jedenfalls nicht mehr das Image einer Partei oder der erhoffte Wahlsieg, sondern das Wohl der Menschen.

Gebt Gott, was Gottes ist, nämlich euch selbst mit allem, was ihr seid und habt. Das kommt sowieso alles von Gott. Vertraut euch seiner Liebe an. Er wird es wohlmachen. Eure Sorgen um Ansehen, Macht und Erfolg verlieren dann an Gewicht. Damit fällt die Binde von euren Augen, und ihr bekommt das Augenmaß, das ihr für eure praktischen Entscheidungen braucht. So ist der Glaube zwar eine Bindung an Gott, den wir nicht sehen können, aber es kommt etwas heraus beim Glauben, und das ist durchaus spürbar und setzt etwas in Bewegung – in uns selbst und auch zwischen uns und anderen Menschen.

Amen.

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