Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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Letzter Sonntag nach Epiphanias, 28. Januar 2007
Predigt zu Johannes 12, 34-36, verfaßt von Ekkehard Heise
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

spätestens nun,
Mitte Januar,
verschwinden die letzten Lichterketten aus den Strassen unserer Städte.
Weihnachten
und Epiphanias liegen hinter uns.
Gedanken an die Festtage -
wer hat da schon Zeit für?
Das neue Jahr verlangt unsere Aufmerksamkeit.

Und dennoch,
mich befällt eine gewisse Traurigkeit,
wenn ich die abgeschmückten Tannenbäume,
hier und da vereinzelt noch liegen sehe.
Es war doch schön,
über die Feiertage,
und nun ist schon alles wieder vorbei.

Aber es geht ja nicht nur um das bisschen Sentimentalität,
das wir uns zu Weihnachten
und dem Jahresende zugestehen.

Es geht um die Weihnachtsbotschaft,
es geht um Lebensgewissheit.
Stimmt die Geschichte vom Licht,
das in die Welt gekommen ist?
Wird sie sich nun in den kommenden 12 Monaten bewähren –
oder bleibt uns Jesus, der Menschensohn und Christus verborgen?

Der Predigttext für den heutigen Sonntag
steht im Johannesevangelium im 12. Kapitel.
Wir lesen ihn in den Versen 34 – 36:

Da antwortete das Volk Jesus:
Wir haben aus dem Gesetz gehört,
dass der Christus in Ewigkeit bleibt;
wieso sagst du dann:
Der Menschensohn muss erhöht werden?
Wer ist dieser Menschensohn?
Da sprach Jesus zu ihnen:
Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch.
Wandelt, solange ihr das Licht habt,
damit euch die Finsternis nicht überfalle.
Wer in der Finsternis wandelt,
der weiß nicht, wo er hingeht.
Glaubt an das Licht,
solange ihr's habt,
damit ihr Kinder des Lichtes werdet.
Das redete Jesus und ging weg und verbarg sich vor ihnen.


Die Jünger wollen von der Erhöhung des Menschensohnes nichts wissen.
Christus soll bei ihnen bleiben
für immer.
Das wäre doch das Beste!
Wer ist dieser Menschensohn?
Ein uns unheimlicher Aspekt, der doch so einfachen Angelegenheit:
Jesus immer bei uns.

Jesu Antwort an die Freunde klingt schwierig,
schmerzhaft, nicht ohne Zumutung.
Seine Antwort verspricht aber auch
Reifung, Selbstständigkeit,
Erneuerung zu einem reicheren Leben.

Mir ist dazu ein Stück Lebensbericht eingefallen.
Er stammt von einem jungen Mann,
der die wunderbare Gabe hat,
andere Menschen zu trösten.
Ein Mensch, der gelernt hat,
auf das Licht in seinem Leben zu achten.

Der junge Mann war auf dem Lande geboren
und als er das erstemal in Hamburg in einen Bus stieg,
grüßte er noch alle Mitfahrenden und den Busfahrer.

Ich möchte von einem wichtigen Moment in seinem Leben erzählen.
Es ist Arbeitsschluss,
den Weg in sein möbliertes Zimmer ist triste.

Als der junge Mann aus dem Bus steigt
schlägt ihm der Regen heftig ins Gesicht.
Schmutziges Wasser spritzt auf
als er in eine Pfütze tritt.
Die Hosenbeine saugen sich voll,
die Kälte lässt ihn zittern.
Es ist dunkel.
Der Wind reißt Äste von den Bäumen.
Die Straßenlaternen senden diffuses Licht durch die Regenwände.
Er ist allein.
Allein in dieser großen, gleichgültigen Stadt.
Als er das Büro verlies grüße ihn niemand.
Ein langes einsames Wochenende liegt vor ihm.
Wie gerne wäre er nach Hause gefahren ...

„Bei uns, da wo ich herkomme, da sind die Leute anders,“
denkt der junge Mann
und eine Welle von Heimweh steigt in ihm auf.
„Hier kümmert sich doch keiner um den anderen.
Alle gehen wie in Dunkelheit.
Man spricht zu dir,
aber es ist,
als würdest du gar nicht existieren.
Im Grunde
ist doch jeder nur mit seinen eigenen Problemen beschäftigt.

Die Menschen leben hier so dicht beieinander,
dicht gedrängt fahren sie zusammen im Bus,
aber niemand hat ein Gespür für den anderen.
Die menschliche Wärme verkommt zu
einem gleichgültigem Gemisch
aus feuchten Mänteln
und fremder Atemlosigkeit.
So ganz anders als die Atomsfähre von Offenheit und Freundschaft,
da wo ich her komme
ist es hell und freundlich.

Wie sieht wohl der Gott dieser Leute hier aus?
An was glauben meine Arbeitskollegen,
die sich nicht einmal nach einander erkundigen,
keiner hat gefragt was war,
als ich einige Tage nicht da war.
Wie kann man so ohne Interesse am anderen leben,
am Nächsten, mit dem man die Luft zum Atmen teilt.“

Der junge Mann geht weiter die Strasse entlang,
voller Menschen,
die einander anstoßen,
weiterhasten ohne aufzublicken
und das schlechte Wetter verfluchen.

Seine Stiefel geben ihm Halt,
machen seine Schritte fest.
Voller Zuneigung denkt er
an den alten Schuster in seinem Dorf,
der sie ihm schon einige Male repariert hat.
Er hatte sich zu ihm in die Werkstatt gesetzt
und endlose Gespräche mit dem alten Mann geführt,
der mit seiner Lederschürze,
mit seinem Werkzeugen und dem Kleber
in aller Ruhe hantierte.
So war sein Dorf,
so waren die Leute seines Dorfes,
des besten Ortes auf der Welt

„Da habe ich meine Wurzeln“,
sagt er sich,
„von dort bekomme ich die Kraft,
die ich brauche
um hier weiter machen zu können.
Nicht einen Tag länger würde ich diese Gleichgültigkeit,
diesen fehlenden Respekt für einander aushalten,
wenn ich nicht ab und zu
die Stimme meiner Mutter hören würde,
wie sie mir und meinen Geschwistern Geschichten erzählt,
Geschichten aus der Bibel,
die wirklichen
und die anderen,
ihre Geschichten,
auch wirkliche,
voller Weisheit und Liebe zum Leben.“

Was soll nun werden?
Der junge Mann spürt die Tränen in seine Augen steigen.
„Ich hatte gedacht dass alles so in Ewigkeit bleiben würde.
Dort zumindest
in meinem Dorf,
bei mir zuhause.
Man erträgt die Finsternis,
wenn man weiß, wo die Sonne scheint,
wo es hell ist.

Nun ist das Licht aus.
Mutter ist tot,
Dienstag war ihre Beerdigung,
und es ist, als wenn mit ihr
mein Dorf,
mein Lebenslicht verloschen wäre.

Weiß ich erst jetzt,
was ich an ihr hatte?
Nein,
das stimmt nicht.
Mutter mit ihren Geschichten,
mit ihrer Lebensweisheit,
wir Geschwister, alle wussten,
was sie für uns bedeutete
und wir haben sie besucht so oft es ging
und immer war es schön bei ihr.
Es war als erfüllte sie uns mit so viel Gutem,
sie machte mein Leben hell,
dass es für mehrere Wochen reichte -
bis zum nächsten Besuch.

Jetzt bin ich allein.
Woher nehme ich das Licht in meinem Leben.
Ohne Mutter
habe ich keinen Grund mehr
in mein Dorf zurückzukehren,
nach Hause fahren...
das geht nun nicht mehr.

Wo Mutter jetzt wohl ist?
Komisch,
ich fühle sie ganz nah bei mir.
Wie oft bin ich durch diese finstere Stadt gelaufen,
in Gedanken zu Hause
und es ging mir gut.

Was macht Mutter wohl jetzt?
Ob sie mich sieht, - an mich denkt?
‚Junge, zieh dich warm an ...’.“

Tränen mischen sich mit dem Regen in seinem Gesicht.
„So darf ich nicht denken,
so tut es zu sehr weh.
Ich weiß selber, was ich anziehen muss.
Ich kann auf mich Acht geben.

Und ich kann auch durch diese Finsternis laufen.
Was sagte Mutter immer:
‚Wenn du denkst es geht nicht mehr
kommt von irgendwo ein Lichtlein her.’

Das hat sie nicht nur so gesagt,
das wusste sie,
denn sie hat es oft genug selbst erlebt,
damals als Vater starb
oder als sie uns das Haus wegnehmen wollten.
Niemals werde ich vergessen, wie sie immer erzählte:
vorne an der Haustür klingelte der Gerichtsvollzieher
und hinten durch die Terrassentür kam mein Bruder,
der nach drei Jahren vergeblicher Suche
endlich Arbeit gefunden hatte.
Nein, nein,
der Glaube meiner Mutter an das Gute im Leben,
war schon begründet,
irgendwie völlig haltlos
aber doch voller Vertrauen.
Und sie hat recht behalten,
hoffentlich...“.

Der junge Mann, geht die Strasse weiter.
Seine Schritte werden fester.
Der Regen streicht liebevoll über sein Gesicht.
„Danke guter Gott,
für jenen Ort in der Welt,
an dem meine Seele ihre Wurzeln hat.
Danke für die Menschen,
die mir dein Licht zeigen,
danke für den Glauben,
den du mir schenkst,
damit ich deinem Licht vertrauen kann.


Danke, dass du Jesus zu dir genommen hast.
So ist er nun wirklich für uns alle da
und sein Licht
scheint,
wenn die Finsternis
in unserem Leben
überhand nehmen will. Amen.

Pastor Dr. Ekkehard Heise
St. Cosmae, Stade
ekkehard.heise@t-online.de

 


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