Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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3. Sonntag nach Epiphanias, 21. Januar 2007
Predigt zu Matthäus 8, 1-13, verfaßt von Marianne Christiansen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)



Als er von dem Berg herabging.

So beginnt das Evangelium von den beiden Heilungen. Und wie in der ganzen Epiphaniaszeit geht es in dem, was wir hören, darum, Gott zu sehen, Gott zu kennen: Wer ist Gott? – was ist der Sinn? Keine schlechte Frage.
Nach der Überlieferung und sicher auch nach psychologischen Mechanismen sucht der Mensch Gott oben. Oben auf dem Berg, auf den Höhen – deshalb sind die Kirchen oft auch an den Orten alter Heiligtümer, auf den Höhen, gebaut. Wir erheben unseren Blick, sogar bis in die dünne Luft, so nahe wir dem Himmel nur kommen können, um einen Schimmer vom Sinn hinter dem Leben zu erhaschen.
Im Alten Testament wird von Mose erzählt, wie er ganz allein auf den Berg Sinai stieg, während das ganze Volk unten am Fuß des Berges wartete, und die Spitze war in Wolken und Gewitter gehüllt. Und dort oben, in der Wolke, so heißt es, empfing Mose das Gesetz von Gott. Und als er mit dem Gesetz von dem Berg herabging, leuchtete sein Angesicht so sehr, dass die Israeliten es nicht aushalten konnten, ihn anzusehen. Er erzählte ihnen, was Gott ihm gesagt hatte, aber als er damit fertig war, verhüllte er sein Angesicht mit einem Schleier, denn sonst hätten sie es nicht aushalten können.
”Als Jesus von dem Berg herabgekommen war” – Jesus war nicht auf dem Berg Sinai gewesen, aber dennoch an einem Ort, wo er ein neues Gesetz gegeben hat. Ein lange, lange Auslegung des alten Gesetzes, deren Kern in einem neuen Verständnis von Gott, in einer neuen Offenbarung besteht.
Er hat die Bergpredigt gehalten – die lange Rede, in der er immer wieder sagt: ”Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist…” – nämlich im Gesetz Moses und den Zehn Geboten – ”ich aber sage euch…” – und dann kommt etwas Neues, z.B.:

”Ihr habt gehört, dass gesagt ist: ‘Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen.’ Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Das tun die Zöllner auch. Und wenn ihr nur zu euren Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes? Das tun die Heiden auch. Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist!” (Matt. 5, 43-48)
Und: ”- alles, was ihr wollt, dass euch andere tun, das tut ihnen auch” – warum? Weil Gott barmherzig ist – und nicht nur Gesetzgeber.

Das ist es, womit Jesus vom Berg herabkommt. Ein neues Verständnis von Gott. Und das ist es, worum es geht, in dem, was er sagt, und in dem, was er tut. Denn das Erste, was er tut, da er herabkommt, ist, zu einem Aussätzigen zu sprechen und ihn zu berühren – und das klingt vielleicht sehr schön und friedfertig. Aber das Gesetz Moses, das ja auch ein praktisches Gesetz der Gesellschaft ist, verbietet jeglichen Kontakt mit angesteckten Aussätzigen – sie waren nämlich ausgestoßen auf eine Art und Weise, die wir nur schwer verstehen können und die wir nur als eine Furcht in uns selbst kennen, völlig aus der Gemeinschaft herauszufallen. Das Gesetz Moses sagt.
”Der Aussätzige soll zerrissene Kleider tragen und das Haar lose und soll sein Angesicht verhüllen und rufen: ’Unrein, unrein!’ Solange die Stelle an ihm ist, ist er unrein. Er soll isoliert wohnen und sich außerhalb des Lagers aufhalten.” (3. Mos. 13, 45-46)
Es besteht ein merkwürdiger Zusammenhang zwischen Mose, der vom Strahlenglanz Gottes erfüllt worden ist, so dass er sein Angesicht verhüllen muss, und auf der anderen Seite dem von der Krankheit befallenen Menschen, der dazu verurteilt ist, sein Angesicht zu verhüllen, damit niemand sein schreckliches Angesicht sehen kann, und über sich selbst immerzu zu rufen: ”Unrein, unrein.”
Vielleicht ist das Angesicht hinter dem Schleier immer Gottes Angesicht?
Aber Jesus kommt vom Berg herab, und das Erste, was ihm begegnet, ist die Frage eines verhüllten, ausgestoßenen Menschen: ”Herr, wenn du willst, kannst du mich reinigen.” Und er antwortet und tut es in einer einzigen Handbewegung: Er streckt seine Hand aus und rührt ihn an und sagt: ”Ich will, sei rein!”
Das ist ein Bruch des alten Gesetzes und der Durchbruch des neuen Gesetzes.
Er rührt den Unreinen an, und daraufhin wäre er nach dem Gesetz selbst als aussätzig und als Träger der Krankheit zu betrachten, und er tut es mit göttlichen Worten: Ich will, sei rein!
Ich will, sei rein. Darin liegt der Nachhall der allerersten Erzählung in der Bibel, der Schöpfungsgeschichte, nach der Gott die Welt durch sein Wort schafft: ”Es werde Licht, und es ward Licht.
Ich will, sei rein. Es sind Worte, die schaffen, was sie nennen. Und es ist göttlich, im Grunde aber ganz gewöhnlich.
”Das sind ja nur Worte, ” sagen wir manchmal, als bedeuteten Worte nicht so viel wie Handlung.
Aber so ist es nicht. Tatsächlich sagen wir erst dann, wenn die Handlungen im Verhältnis zu den Worten lügen, unser: ”nur Worte”.
Denn auch im Alltag schaffen die Worte, was sie nennen.
Es besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen dem Davor und Danach, wenn ein Mensch zu einem anderen Menschen sagt: Ich liebe dich. Es ist noch immer, wie oft wir es auch in amerikanischen Filmen gehört haben mögen, ein Satz, der ein Verhältnis zwischen Menschen herstellt. Der Satz ist nicht nur eine Feststellung – er hat mit der Zukunft zu tun. Du hast das Recht, etwas von mir zu erwarten, wenn ich den Satz gesagt habe. Es ist ein Satz, der allem Anderen, was ich sage, eine besondere Bedeutung verleiht.
Willst du mich heiraten – ja? Willst du es? Ja. Das sind auch Worte, die die Zukunft auf eine neue Weise öffnen, eine neue Situation schaffen, obwohl die Wolken am Himmel wie gewöhnlich vorüberziehen und obwohl man immer noch am Mittwoch zum Zahnarzt muss.
Und das Gegenteil davon: Wenn man mit Worten erfährt, dass man krank ist – obwohl man an seinem Körper nichts merken kann. Die entsprechenden Worte erlebt man wie ein Gerichtsurteil, obwohl sich gar nichts geändert hat. Die Worte ändern die Zukunft – verwandeln den Weg.
Worte haben immer mit der Zukunft zu tun. ”Ich komme Donnerstag” – das sind Worte, die den Montag und Dienstag und Mittwoch in ein neues Licht stellen. Wenn man ihnen vertraut. Erst wenn der Donnerstag verstrichen ist und er nicht gekommen ist, kann man sagen: ”Es waren nur Worte” – aber es waren Worte, die Leben und Hoffnung bestimmten.

Alle diese Gedanken über Worte, weil der andere Mann, von dem wir in der Geschichte des heutigen Textes hören, ein Mann ist, der Moses und Gottes Wort und das Gesetz nicht kennt, der aber trotzdem derjenige ist, der am stärksten daran erinnert, dass das Wort, das Wort, das Jesus spricht, etwas Neues schafft.
Es ist ein römischer Offizier. Ein fremder, verhasster Soldat, der einen von den Menschen, die er unterdrückt, aufgesucht hat und ihn um Hilfe gebeten hat. Und er hätte sie bekommen können. Der Heilende wollte mit ihm in dessen Haus gehen und hätte wohl irgend etwas tun können. Der Offizier ist zum Arzt gegangen, und der Arzt ist bereit zu kommen, aber der Offizier selbst hält ihn auf und sagt: ”Nein, das ist nicht nötig. Sage nur, dass du willst. Das reicht. Dein Wort ist genug.”
Der Offizier spricht zu Gott. Er spricht zu dem, der Macht über Leben und Tod und Krankheit und Gesundheit hat. Der Offizier kennt einen solchen Gott nicht. Er ist Römer, Heide. Er hat vielleicht viele Götter mit unterschiedlichen Aufgaben. Aber er kennt die Ordnung Welt. Er kennt den Kaiser, kennt Menschen, die über andere befehlen: ”Tut das! – Und sie tun’s.” Und so, denkt der Offizier, muss es auch sein, wenn es einen Gott gibt, einen richtigen Gott. Da müssen seine Worte genügen.
Und sein Wort, hat er sich gedacht, ist der jüdische Mann, den sie Jesus nennen, denn er sagt und tut Dinge, an die der Offizier glaubt, obgleich er den Gott der Juden nie gekannt hat.
Er hätte ihn mit nach Hause bekommen können als seinen persönlichen Heilenden. Aber er kann es nicht in sich tragen, es wäre zu groß für ihn.
Es ist genug, wenn er nur das Wort sagt: ”Geh hin, dir geschehe, wie du geglaubt hast!”
Auf diesen Bescheid hin macht sich der Offizier auf seinen langen Heimweg. Mit nichts anderem als einigen Worten. Er geht in der Hoffnung, dass sich, wenn er einmal nach Hause kommt, zeigen werde, dass der Mann Recht hatte.
Auf gewisse Weise ist es der Weg, den wir alle gehen. Wir gehen mit einem Wort, einem Bescheid, der uns eine Hoffnung oder eine zukünftige Erwartung gegeben hat. Vielleicht geht der Offizier seinen Weg in aller Ruhe, weil er weiß, das alles in Ordnung ist. Vielleicht beeilt er sich, weil er froh ist und sich darauf freut, seinen Diener gesund zu sehen. Vielleicht ist er aber dennoch bange und läuft, weil er nicht völlig sicher ist, ob es denn auch wahr ist. Aber er geht – er ist auf dem Wege nach Hause mit einem Wort.
Das sind wir auch. Immer unterwegs. Wir haben ein Wort erhalten, einen Namen für Gott, einige Worte in unserer Hoffnung, wir haben das Vaterunser bekommen, in dem wir beten: ”Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auch auf Erden” – sowohl auf dem Wege als auch in der Ewigkeit.
Dein Wille geschehe, Gott.
Es gehört einiges dazu, diese Bitte zu wagen. Wie können wir wissen, was der Wille Gottes ist?
Es ist der Wille, nach dem wir in Jesus suchen – seinen Händen mit den Augen und seinen Worten mit den Ohren folgen. Weil er den Willen Gottes offenbart, den wir weder oben in den Wolken noch im Gesetz sehen können:
Der Wille Gottes ist die Verheißung der Barmherzigkeit und Aufrichtung.
Es geschehe dir, wie du geglaubt hast. Vertraue darauf, dass Gott erlöst.
Das ist das neue Gesetz, mit dem Jesus vom Berg herabkommt. Er spricht es aus und tut es: ”Gott, will, dass du rein bist; ich nehme deine Unreinheit von dir, sieh dich selbst als rein und lass Andere dich gesund sehen.”
Die Frage an Gott lautet immer: Wenn du willst, kannst du mich gesund und froh und heil machen und das Leiden von mir nehmen. Und Jesus antwortet: Gott will.
Und dann müssen wir mit dem Bescheid gehen und auf ihn vertrauen und nach ihm handeln. Wenn der Wille Gottes Heilung und Aufrichtung ist, müssen wir tun, was in unserer Macht steht, um zu lindern und einander zu helfen, um Worte und Berührung zu gebrauchen, um Leben zu retten und zu heilen und mit unserern Worten wahr zu reden und einander Hoffnung zu geben.
Der Weg kann lang sein. Aber wir sind allzeit unterwegs zur Erfüllung der Verheißung. Einst werden wir die Heilung sehen. Bis dahin muss Jesus, das Wort davon, wer Gott ist, uns Hoffnung geben und den Mut schenken zu gehen, allzeit auf dem Weg nach Hause.
Amen

Pastorin Marianne Christiansen
Asylgade 22
DK-7700 Thisted
Tel.: ++ 45 – 97 92 03 16
e-mail: mch@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier




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