Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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3. Sonntag nach Epiphanias, 21. Januar 2007
Predigt zu Johannes 4, 5-30, verfaßt von Thomas Hirsch-Hueffell
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


4,5 Da kam er in eine Stadt Samariens, die heißt Sychar, nahe bei dem Feld, das Jakob seinem
Sohn Josef gab.
4,6 Es war aber dort Jakobs Brunnen. Weil nun Jesus müde war von der Reise, setzte er sich am
Brunnen nieder; es war um die sechste Stunde.
4,7 Da kommt eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen.
Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken!
4,8 Denn seine Jünger waren in die Stadt gegangen,
um Essen zu kaufen.
4,9 Da spricht die samaritische Frau zu ihm: Wie, du bittest mich um etwas zu trinken, der du ein Jude bist und ich eine samaritische Frau?
Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern.

4,10 Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist,
der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, du bätest ihn, und der gäbe dir lebendiges Wasser.
4,11 Spricht zu ihm die Frau: Herr, hast du doch nichts, womit du schöpfen könntest, und der Brunnen ist tief; woher hast du dann lebendiges Wasser?
4,12 Bist du mehr als unser Vater Jakob, der uns diesen Brunnen gegeben hat? Und er hat daraus getrunken und seine Kinder und sein Vieh.
4,13 Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten;
4,14 wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten,
sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das
in das ewige Leben quillt.
15 Spricht die Frau zu ihm: Herr, gib mir solches Wasser, damit mich nicht dürstet und ich nicht herkommen muß, um zu schöpfen!
16 Jesus spricht zu ihr: Geh hin, ruf deinen Mann und komm wieder her!
17 Die Frau antwortete und sprach zu ihm: Ich habe keinen Mann.

Jesus spricht zu ihr: Du hast recht geantwortet: Ich habe keinen Mann.
18 Fünf Männer hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann; das hast du recht gesagt.
19 Die Frau spricht zu ihm: Herr, ich sehe, daß du ein Prophet bist.
20 Unsere Väter haben aufdiesem Berge angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll.
21 Jesus spricht zu ihr: Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, daß ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet.
22 Ihr wißt nicht, was ihr anbetet; wir wissen aber, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden.
23 Aber es kommt die Zeit und ist schon jetzt, in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn auch der Vater will solche Anbeter haben.
24 Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.
25 Spricht die Frau zu ihm: Ich weiß, daß der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn dieser kommt, wird er uns alles verkündigen.
26 Jesus spricht zu ihr: Ich bin's, der mit dir redet.

27 Unterdessen kamen seine Jünger, und sie wunderten sich, daß er mit einer Frau redete; doch sagte niemand: Was fragst du? Oder: Was redest du mit ihr?
28 Da ließ die Frau ihren Krug stehen und ging in die Stadt und spricht zu den Leuten:
29 Kommt, seht einen Menschen, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe, ob er nicht der Christus sei!
30 Da gingen sie aus der Stadt heraus und kamen zu ihm.


Das ist eine der grandiosen Unterrichtsstunden der Weltliteratur. Was ist das Heilige, wie komme ich zu Gott? Keine Klientenzentrierung, kein warmes Abholen aus der Situation. Jesus redet an der Frau vorbei auf die Gestalt hin, die sie werden soll. Und zeigt ihr und uns, wie man zu sich kommt, wenn man sich an den Himmel verliert.

Wenn einer müde ist, macht er wohl nicht viel Worte.
Sitzt da und nimmt auf, was geschieht. Und tut obendrein (und wie immer), was man nicht tut: Fremde Frauen ansprechen, verschleierte Türkinnen mit Kopftuch zb. Immer wieder draufzugehen, nicht fragen, was erlaubt ist. Jetzt ist Durst und Begegnung dran, sonst nichts.
Und so geht es weiter:
Wenn sie reagiert, wie man reagiert, wenn einer falsch daherkommt, dann ist schon etwas aufgebrochen. Kein Smalltalk am Brunnen, sondern gleich am Vorhang ziehen, dass er sich einen Spalt für eine andere Realität öffnet: ‚wieso redest du mit mir?’ Das heißt ja: ‚wie kannst du das dürfen?’ oder ‚bin ich gut genug, dass du das tust?’
Das andere Gespräch ist eröffnet.

Als könnte man keine Zeit vertun, geht’s sofort weiter:
‚Du stehst hier vor dem Lebendigen, mitten beim Wasserholen. Lass das Wasser, es gibt mehr zu schöpfen!’ Wieder direkt vorbei an dem, was sie versteht. Ein Rätselwort als Eröffnung einer weiteren Ebene der Einsichts-Spirale. Wasser ist Wasser und ist mehr. ‚ Du Frau bringst Durst mit, den anderen Durst, den nach wirklichem Ankommen. ’Ich, Jesus, sehe genauso wie Gott die ersten Menschen erkannt und geliebt hat. Wer mir begegnet, berührt mich, und darum berühre ich ihn.’

Und ein Wort bleibt hängen: lebendiges Wasser. Das ist wie eine Geheimnis-Spur, die ein Vogel in einem abgezirkelten Garten hinterlassen hat, eine goldene Feder. Sie stammt aus einem anderen Land, und wer sie auf dem Rasen findet, findet keine Ruhe, bis er weiß, woher so eine Feder stammt. ‚Lebendiges Wasser’ also, mitten hier im Staub des Vorabends. ‚Was ist das?’ und ‚wie bekommt man das?’ und ‚wer ist der, der so was hat?’ Neue Fragen, die man vorher nicht hatte. Unruhe mitten im Tagesgeschäft. So tritt das Evangelium als Geheimwort ins Selbstverständliche.

Und nun beginnt die Schule, die zeigt, was heilig ist.
Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten;
4,14 wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten,
sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das
in das ewige Leben quillt.


In drei Zügen am Ziel - ansprechen und öffnen, eine Spur des Geheimnisses hinterlegen und schließlich sagen, was ist: 1. Du bist im Angesicht des Lebendigen immer gemeint – ob du dazugehörst oder nicht, 2. die Wirklichkeit, die du siehst ist nicht das Ganze, es gibt mehr als du ahnst, 3. und wenn du dich als Teil des Lebendigen verstehst, dann wirst du nicht mehr außen danach lechzen, sondern es innen in dir finden – und mehr noch: es wird aus dir herausschauen.

Das ist zu viel für die Frau und für den Menschen überhaupt. Aber gerade nur so viel zu viel, dass er neugieriger wird und weiterfragt. ‚ Herr, gib mir solches Wasser, damit mich nicht dürstet und ich nicht herkommen muß, um zu schöpfen!’
Wem grundsätzlich Neues begegnet, ordnet es immer ein ins Bekannte. Der suchende Glaube ist eine Kostbarkeit, aber er gibt sich manchmal mit Vorläufigem ab: ‚Ja, prima, mein Leben wird komfortabler, ich krieg Wasser mit einer Direktverbindung ins Haus, es wird mir ein Wunder geschehen – wie praktisch!’ - das hat nichts mit Glauben zu tun. Wer auf der Ebene bleibt, hängt fest - ohne neuen Horizont.

Der Mensch wird ja auch prompt zurechtgewiesen: ‚Hol deinen Partner.’
Das heißt hier: hol das, was Dich (am Leben) hält.
Es geht um Wahrheit, nicht ums gehobene Weitermachen. Die Wahrheit ist, dass der Durst der Frau auf ganz anderer Ebene liegt. Wenn jemand die Partner der Reihe nach durchnimmt und nicht zum Ziel kommt, so kann man vielleicht davon ausgehen, dass er oder sie chronisch unglücklich ist – und es vielleicht nicht einmal merkt. Die Frau, den Mann, den es so erwischt, hält nichts. Dabei geht es nicht zuerst um Promiskuität, sondern um ein Symbol für ein Leben auf der Oberfläche. Der dauernde Versuch es beim nächsten Mal anders oder besser zu machen tritt auf der Stelle.

Der ertappte Mensch (hier zufällig eine Frau) entbietet dem fremden Mann Respekt: Plötzlich wird die Beziehung zwischen ihr und Jesus wesentlicher. Vorher ein bißchn Neugier und eine Prise Belehrung, jetzt wird’s existenziell. Und das heißt, der Mann gegenüber hat wirklich etwas, das hier keiner sonst hat.

Und wieder versucht die Seele, das Verblüffende ins Bekannte einzuordnen, damit sie zurechtkommt:
Herr, ich sehe, daß du ein Prophet bist.
20 Unsere Väter haben aufdiesem Berge angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll.
So werden Reste eines gelernten Katechismus hervorgekaut. Immerhin. Es wird deutlich, dass es hier um eine andere, eine religiöse Realität geht, das heißt um etwas, was den ganzen Menschen berührt. Jetzt kommt wirklich anderes ins Spiel. Wenn ich erwischt bin beim Gang über das Bodenlose, dann frage ich nach dem Grund. Sind’s die 10 Gebote? Sind’s die Anstandsregeln meiner Eltern? Was glaube ich eigentlich wirklich? „Meine Mama hat immer gesagt, dass alles gut wird.“ Die Seele besinnt sich auf Relikte unbedingter Wahrheit.
„Aber ich habe auch gehört, der Papst sagt, dass nicht alles gut wird.“ Suche nach anderen Autoritäten. ‚Mann Jesus, sag mir, was soll denn nun stimmen!’ So stochert der Mensch in den Bruchstücken religiöser Richtigkeiten herum.
Aber Jesus dagegen im Schnellkurs Mystik: ‚Glaube mir, Mensch: Es braucht keinen Ort, keinen Papst, keine Metallkugeln. Wenn Du Dich ergreifen lässt, bist du am richtigen Ort, dann bist du der richtige Mensch zur rechten Zeit.’

Die Antwort aus dem Katechismus, die sich aber schon sehr in der Nähe zum Jetzt vorfindet: „ Ich weiß, daß der Messias kommt …“
Immer weiter nähert sich der Mensch der Wahrheit an, getrieben aus Erkenntnisdrang, aber ohne Offenbarung, tastend.
Jesus sagt sein Wort: „Das bin ich.“

Die Frau ist getroffen. Hingerissen. Der erste und nötige Akt des Glaubens: dass es mich ergreift. So zieht sie schreiend los. Auch die Jünger fragen nichts, weil sie merken, hier ist Größeres im Gange.

Der Vorhang, am Anfang nur einen Spalt breit offen, geht jetzt fast ganz auf, wenn die Menschen kommen und gucken. Das Heilige zeigt sich in diesem Jesus Christus. Dort und nur dort - auf dem Gesicht eine Menschen. Sonst weiß man über das Heilige nichts. Man kann es hier und dort anbeten, aber es begegnet nur im Antlitz. Das ist das Hinreißende.
Die Frage-Antwort-Vergegnung der beiden zeigt ebenfalls, wie unmöglich das Reden vom Glauben ist, wenn nicht eine Ahnung entsteht, was mich da ergreift. Jesus entzieht der Frau, was er ihr zeigen will – das Heilige. Es ist nie zu haben allein im Vorhandenen. Aber auch nicht ohne die Realitäten, die mich umgeben. Durch sie hindurch und im Entzug all dieser Sicherheiten wartet mir das Heilige entgegen. Auch das Schuld-Geständnis (5 Partner) ist es nicht selbst, sondern die Öffnung ist es, die durch die Wahrheit entsteht. Immer ist es die Öffnung. Aber auch die nicht erpresst, sondern entstehend durch Sehnsucht nach mehr. Wenn ich ahne, es gäbe mehr, dann gehe ich etwas weiter ins Neuland. Und Jesus führt dort ohne Illusionen. Er spricht konsequent an den Vorverständnissen des Menschen vorbei auf den Punkt zu: Es geht um dich als Kind Gottes wie es um mich als Kind Gottes geht. Schau mich an, dann siehst du, was Menschsein ist: Kindschaft hin zum Ursprung-Vater. Sonst nichts. Hier kommt der Durst zur Ruhe, und wer dies lebt, wird andere nähren.


Thomas Hirsch-Hueffell
hirsch-hueffell@web.de

 


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