Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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Neujahrstag, 1. Januar 2007
Lukas 2,21, verfaßt von Peter Skov-Jakobsen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Kurz und bündig steht es über unserem Leben – steht es über dem Leben der Welt: JESUS.

Es steht da, manchmal als Fanfare; manchmal als ein stilles Wort; als Tiefe des Nachdenkens; als das kraftvolle und ehrliche Wort, es steht da in seiner Eindeutigkeit und in seiner Vieldeutigkeit.

Jesus, Marias Sohn, der Mann aus Nazareth, der Menschensohn, Gottes Sohn, ist der rätselhafte Name und die tiefe Wirklichkeit, von der wir noch immer herausgefordert werden.

Es gab Zeiten – und das ist eigentlich gar nicht so lange her –, da die Kunde von Jesus die einzige Herausforderung und unsere gemeinsame Geschichte war. Aber die Welt hat sich verändert. Das Christentum ist nicht mehr unsere einzige Religion, und es ist keinesweg mehr die einzige geistige Herausforderung des modernen Menschen.

In gewissen Kreisen gehört es allmählich zum guten Ton, zu diskutieren, ob oder inwieweit Dänemark multi-ethnisch sein soll. Die meisten sehen allerdings ein, dass die Diskussion unter einem gewissen Mangel an Aktualität leidet, nämlich insofern wir heute eine Bevölkerung darstellen, die aus Menschen vieler verschiedener Länder besteht. Aber mit feierlicher Stimme und großer Innerlichkeit hört man Leute deklamieren, Dänemark werde bestimmt nie multikulturell – und kurz darauf fallen dann oft einige allgemeine Bemerkungen über christliche Werte und Grundhaltungen. Auf irgendeine Weise gelingt es diesen Menschen fast immer, Jesus zu einem ziemlich brüskierten Phänomen zu machen. Auf irgendeine Weise steht dieser Jesus dann immer als Fürsprecher derjenigen da, die sich selbst gegen fremden Einfluss, gegen die Forderungen anderer schützen wollen; die sich selbst davor schützen wollen, an der freien Diskussion des Geistes teilzunehmen – dieser brüskierte Jesus kommt mir immer ziemlich provinziell vor – und ich verstehe eigentlich nicht, dass dieser Mann geistiger Ballast eines Johann Sebastian Bach, eines Dante, eines Rembrandt, eines Kierkegaard oder eines Heinrich Böll hat sein können.

Aber dann verstehe ich gewiss auch nicht die Diskussion, inwieweit Dänemark multikulturell sein soll oder nicht! Dänemark ist multikulturell! Und das ist nicht nur mit der Immigration so gekommen. Es geschah vor allem schon vor der Immigration. Wir haben schon vor vielen vielen Jahren die Geschichte von Jesus als unsere einzige Inspiration aufgegeben und sind von Philosophien, Ideologien, anderen Religionen beeinflusst worden. Aber es war unsere eigene geistige Neugier, die uns dahin gebracht hat. In einer Welt, in der wir voneinander so abhängig sind, wie wir es in der modernen Welt nun einmal sind, ist es im Übrigen nur natürlich, dass man sich füreinander interessiert, anstatt sich zu verbarrikadieren.

Es ist merkwürdig, den Mann, der mit einer samaritischen Frau, mit einem römichen Offizier sprach – einen Mann, der behauptete, dies sei für alle Menschen und nicht nur für das jüdische Volk – es ist merkwürdig, diesen Mann als Vertreter einer Einheitskultur dargestellt zu sehen. Ist es nicht vielleicht eher unsere eigene Angst davor, der Welt nicht zu genügen, die sich in die Brüskierung umsetzt, die wir dann mit den Worten ”christliche Werte” zu stützen suchen.

Auffälligerweise ähnelt unsere Gesellschaft heute sehr viel mehr der Gesellschaft, in der Jesus lebte – sie ähnelt sehr viel mehr dem Zusammenhang und den Bedingungen, die für das Christentum in den ersten vielen Jahrhunderten galten. Palästina und das Römische Reich waren ein Hexenkessel von Religionen, Propheten, Philosophien. Der Alltag war in hohem Maße dadurch geprägt, dass nicht wenige Menschen sich einen Kánon gekauft hatten und einen Anfang auf eigene Faust gemacht hatten!

Aber auch in unserem heutigen Zusammenhang, so multikulturell er ist, können wir diesen Namen nicht so einfach aufgeben, den Namen Jesu, der, seit er gelebt hat, so viele Träume, so viele Erwartungen, so viele Herausforderungen bewirkt hat.

Zwar hat die geistige Entwicklung in Europa (und der westlichen Welt) bedeutet, dass der christliche Glaube auf eine Seitenlinie gedrängt worden ist – und recht oft sogar noch etwas weiter darüber hinaus! Die uns gestellte Herausforderung der künftigen Jahre ist von einem deutschen Theologen und Pfarrer formuliert worden, als er schon in den 1940ern schrieb: ”Ich möchte von Gott nicht an den Grenzen, sondern in der Mitte, nicht in den Schwächen, sondern in der Kraft, nicht also bei Tod und Schuld, sondern im Leben und im Guten des Menschen sprechen… Gott ist mitten in unserem Leben jenseitig. Die Kirche steht nicht dort, wo das menschliche Vermögen versagt, an den Grenzen, sondern mitten im Dorf” (Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung, 30.4.1944, gegen Schluss).

Es gibt keinen Grund, sich zu verschanzen, es gibt keinen Grund, sich hinter Traditionalismus zu verstecken, es gibt keinen Grund zur Ängstlichkeit für die, die sich von dem Namen Jesus herausfordern lassen. Für unseren Glauben grundlegend ist doch, dass Gott sein Volk auf eine Wanderung schickt. So tat er es mit Abraham, und seitdem sind wir in Landschaften aller Welt und durch alle Zeiten gewandert. Wir wandern nicht mit leeren Händen, sondern mit seinem Segen, und das heißt, dass wir geistigen Ballast haben, um unserer Zeit zu begegnen. Ein jeder, der jemals von dem Namen Jesus fasziniert gewesen ist, weiß auch, dass hier selbst die besten Absichten und die höchste Moral zu kurz kommen; denn wenn er auftaucht, provoziert er stets und schafft Unruhe. Aber genau dieses Ärgernis, das er um sich verbreitet, hat zu allen Zeiten den Glauben am Leben erhalten und hat bewirkt, dass man sich ihn nicht aus dem Kopf schlagen kann. Keine Tadelsucht und keine Heuchelei vermag standzuhalten, wenn er auftaucht. Man mag sich darüber wundern, aber nicht einmal die gediegene Feindschaft und der wohlbegründete Hass halten vor ihm Stand. Wenn er auftaucht, wird im muffigen Raum gelüftet. Wenn er auftaucht, wird man sich des Rätselhaften an Gott bewusst – aber man entdeckt auch die Rätselhaftigkeit des Menschen.

Er bringt eine Unruhe mit sich, die Leben spendet – ein Verlangen und eine Sehnsucht. Neulich las ich das Gedicht des färörischen Dichters William Heinesen ”Denn die Nacht kommt”. Der Dichter bringt auf seine eigene Weise zum Ausdruck, dass das Leben nie fertig, sondern immer im Werden ist. Wenn ich das Gedicht lese, kann ich nicht anders als glauben, dass es auf seine wunderbar einfache Weise das ausdrückt, was Generationen mit dem Namen Jesus haben sagen wollen. Für mich ist es eine der schönsten modernen Umschreibungen sowohl der gefühlsmässigen als auch der gedanklichen Herausforderung, die von diesem Namen ausgeht – und es ist wichtig, dass sie künftigen Generationen vermittelt wird, wenn wir weiterhin die Zivilisation der Liebe aufbauen wollen und nicht bereit sind, dem Verderben der Brüskierung, der Habsucht und der Feindschaft zu erliegen.

Heinesens Gedicht ist eine Huldigung an den Menschen, und es endet folgendermaßen:

Da ahnst du
hier am Ende des Weges
wo deine Spuren verwehen
das Angesicht des ewigen Anfangs.
Vieles ist zu spät.
Manches ist verloren.
Aber alles ist noch im Werden.

Da erwartet dich
hier am Ende des Weges
wo deine Spuren verwehen
das tauige Lächeln des Siebensterns,
der Milchstraße atmende Brust.

Da erwartet dich
hier am Ende des Weges
wo deine Spuren verwehen –
da erwartet dich jenseits sterblicher Zeit
der tiefsten Tiefen gnädiger Mutterschoß.

Erwartet dich
der Dinge ausgelassenes vertrautes Lachen
das ewig junge.

Ja, möge Jesus uns begleiten, wo wir gehen, damit unsere Augen Gottes Herrlichkeit sehen und damit wir einander sehen und aus der Verbitterung gerettet und zum Leben und zur Liebe befreit werden.

Ein gutes neues Jahr!

Amen

Sognepræst Peter Skov-Jakobsen
Gammelvagt 2,
DK-1312 Kbh. K
Tel.: ++ 45 33919933
e-mail: pesj@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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