Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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Altjahresabend (Silvester), 31. Dezember 2006
Predigt zu Johannes 8, 31-36, verfaßt von Jobst v. Stuckrad-Barre
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


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"31Da sprach nun Jesus zu den Juden, die an ihn glaubten: Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger
32 und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.
33 Da antworteten sie ihm: Wir sind Abrahams Kinder und sind niemals jemandes Knecht gewesen. Wie sprichst du dann: Ihr sollt frei werden?
34 Jesus antwortete ihnen und sprach: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht.
35 Der Knecht bleibt nicht ewig im Haus; der Sohn bleibt ewig.
36 Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei.

Begonnen hat dieses Jahr unter dem Satz aus Josua 5, 1b: „Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.“ Ich habe ihn vor einem Jahr mit diesem Bild des kleinen F. konfrontiert, der aufmerksam bis besorgt zu seinen Eltern aufschaut. Der Satz, aus der Josua-Geschichte übertragen auf die ins Neue, Ungewisse wandernde Christenheit, sichert Gottes alle tragende Treue zu – damit wir auf den neuen Wegen (die nun schon wieder die vergangenen sind) nicht zurückschrecken, abirren oder einander, am Ende gar Gott verlassen.

So grundsätzlich haben wir die Wege des zu Ende gegangenen Jahres doch gar nicht gesehen?! So genau war uns diese Zusage Gottes gar nicht präsent. Und doch haben wir das Gute selbstverständlich genommen, etwas zu selbstverständlich vielleicht? Und haben das Schwere möglicherweise rasch auf die Seite des Nichtzufassenden, jedenfalls nicht zu Begründenden gewälzt, womöglich mit der Gottverlassenheit verrechnet.

Dabei ist Gott der, der uns nicht fallen läßt, aufgibt oder verläßt. Könnte es sein, daß uns diese Anfangserkenntnis im alltäglichen Kampf oder Krampf aus den Augen, aus dem Sinn gekommen ist? Oder – damit das nicht so moralisch, moralisierend zeigefingerhaft wirkt, wie es klingt: Gottes Vorgehen ist kein bloßer guter Vorsatz am Ende des alten oder am Anfang des neuen Jahres. Er bleibt unbeirrt bei den Seinen.

Welch ein Trost - am Ende. Welch Lichtblick am Anfang. Gott hält zu uns – und wir begreifen mit der Zeit, was das heißt und wie weit das reicht.

Da ist ein Dialog entstanden, ein Prozeß, der heute weitergeführt wird in dem Gespräch, das sich Johannes 8 entwickelt. Jesus redet mit einigen der Juden, die an ihn glaubten. Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. Der Prozeß ist schon längst im Gange, dieses Gespräch mit Gott und mit uns selbst, am Jahresende spürbar deutlicher als im Verlauf, im Dahingehen einer Zeit. Der da diesen Dialog weiterführt, hat die Autorität des Sohnes, des Nächsten zu Gott, er ist der, der unter dem Kreuz und als Gekreuzigter seine Gottverlassenheit nicht ausspart, sondern ausspricht; der bei Johannes als der Auferstandene begegnet und so in das Leben hineinführt.

An dem Wort des Christus zu bleiben, in Jesus sein Leben zu finden, das ist der Weg, der die Wahrheit erkennen läßt, das wird die Wahrheit, die frei macht.

Ich bringe das mit zwei Erscheinungen der vergangenen Jahre zusammen: Einmal – mehr Menschen bezeichnen sich als gläubig, als kirchliche Zugehörigkeit oder entsprechendes Teilnahmeverhalten es vermuten lassen. Umgekehrt sind Gesprächspartner etwa bei Kasualien, also zwischen Geburt und Tod, erkennbar froh, ihre Erfahrungen im Gespräch vermittelt zu sehen mit theologischen Einsichten, biblisch fundierten Brücken in das gemeinsame Leben vor Gott. Beide Entwicklungen weisen auf eine trotz aller entgegenstehenden Halb- und Unwahrheiten vorhandene Suche oder Sehnsucht nach dem, was hier als die Wahrheit erkannt und in seiner befreienden Wirkung vor Augen gestellt wird. Das Gespräch wird also aufzunehmen und weiterzuführen sein.

In Joh 8 geht es so weiter, daß sich Zweifel anmelden, ob hier nicht ein Bruch eintritt, zumindest aber ein Umweg gewählt ist: Wer so unangefochten spricht, ist schon auf dem Abweg, ist in der Gefahr, nicht mehr das zentrale Motiv im Blick zu behalten – die befreiende Wahrheit.

Die Berufung auf die Abrahamskindschaft wirkt wie ein Mißverständnis. Wir, Abrahams Kinder sind nie jemandes Knecht gewesen. Warum sollten wir also (erst) frei werden? Der Stolz dieser Behauptung ist nicht zu überhören. Von wegen befreiende Wahrheit.

So korrigiert Jesu Antwort in der Gestaltung dieses Gesprächsabschnitts mit prophetischer Geste: Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht. Ihr verlaßt Gottes Wort, das Gespräch mit ihm, mit euch, mit dem Sohn, wenn ihr auf eure Zugehörigkeit zu einer Gruppe, Herkunft oder religiösen Klasse setzt – wie der Knecht, der irgendwann aus dem Haus geht.

Nur der Sohn bleibt. Ewig!

Das Gespräch kommt nur mühsam auf die Anfangshöhe. Stolz – Sünde – Unfreiheit – weg von Gott, weg vom Sohn. Da ist Tor und Tür geöffnet für allerlei moralische Betrachtung unserer Zeit, des zu Ende gehenden Jahres, unserer eigenen Wege. Lassen wir doch die „Heuschrecken“ hüpfen (vor allem auch wieder weg!), die Hyänen heulen, „Bulle und Bär“ ihre Spiele ad infinitum treiben; nehmen wir die eigenen Um- und Abwege des vergangenen Jahres und sehen, wie schwer es tatsächlich ist, auch nur einen Schimmer der hier gemeinten Wahrheit zu erkennen.

Wenn wir nicht Hilfe hätten. Hilfe in Gestalt dessen, der seine Nähe zu Gott im Weg ans Kreuz lebte und so befreiend wirkte – in seinem Ende der Anfang für uns.

Wenn euch nun der Sohn frei macht, so seid ihr wirklich frei. Von ihm erneut zu sprechen mit denen, die unter dem Verlust eines Menschen, einer beruflichen Existenz, ihrer gesellschaftlichen Anerkennung leiden; die Nähe und Wahrheit stiftende Vorgehensweise Jesu, seine Armut und Gottesgelassenheit, dies in unser Herz und in unsern Verstand aufzunehmen, bringt Befreiung mit sich, bringt über Tagesform und Jahresgrenzen hinausgehende Perspektive ins Leben, die uns birgt und in die Zukunft hineinleitet, so wie auf dieser bildlichen Gestaltung der Jahreslosung 2007 aus Jesaja 43, 19a: „Gott spricht: Siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr´s denn nicht?“

Jetzt – nicht gebunden an Kalender und ihre Weisheiten, sondern an die Freiheit, die die Nähe Gottes in Jesus schafft.

Jetzt: Diese Nähe läßt unsere Zeit zu Gottes Zeit werden. Sie befreit unser Leben, unsere Gespräche, das, was wir zu bedenken und zu tun haben – wir hören sein Wort, es verheißt sein Leben. In dieser Hoffnung seid ihr wirklich frei. Amen.

Jobst v. Stuckrad-Barre, Hannover
Jobst.vonStuckrad-Barre@evlka.de


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