Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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Heiliges Christfest II, 26. Dezember 2006
Predigt zu Jesaja 11, 1-9, verfaßt von Paul Geiß
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


11, 1 Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. 2 Auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN. 3 Und Wohlgefallen wird er haben an der Furcht des HERRN. Er wird nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, noch Urteil sprechen nach dem, was seine Ohren hören, 4 sondern wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande, und er wird mit dem Stabe seines Mundes den Gewalttätigen schlagen und mit dem Hauch seiner Lippen den Gottlosen töten.
5 Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die Treue der Gurt seiner Hüften.
6 Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. 7 Kühe und Bären werden zusammen weiden, daß ihre Jungen beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder. 8 Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter.
9 Man wird nirgends Sünde tun noch freveln auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land wird voll Erkenntnis des HERRN sein, wie Wasser das Meer bedeckt.

Liebe Gemeinde!

Heute ist noch immer Weihnachten, zweiter Weihnachtstag!
Hinter den festlich geschmückten Häusern und Tannenbäumen, hinter den sehnsuchtsvollen Weihnachtsliedern, hinter dem Wunsch nach einer heilen Familie, verkörpert in der Familie um das Kind in der Krippe, wird der Kern der Weihnachtsbotschaft sichtbar.

Jesaja verheißt und predigt in Gottes Auftrag:
Ein durch Sünde und Schuld ausgestorbenes Königtum, das sich von Gottes Bund getrennt hat, soll mit Gottes Hilfe wieder errichtet werden, eine ganz irdische Hoffnung nach Wiederherstellung eines ganz irdischen Reiches in ganz irdischen Bildern vom Friedensbringer, der den Geist des Herrn, den Geist der Weisheit, des Rates und der Stärke auf sich ruhen spürt. Selbstverständlich ein Mensch, dieser Messias, dieser König aus dem Stamm Davids, der Wurzel Jesse.
Diese ganz irdische Hoffnung paart sich mit unwirklichen, anrührenden Bildern vom Frieden zwischen den Tieren und zwischen Mensch und Tier bis hin zu Frieden und Gerechtigkeit für die Armen und schliesslich im bewegend ausgemalten Bild vom Frieden auf Gottes heiligem Berg, dem Zion.

Und der Kern der christlichen Weihnachtshoffnung, um den jede Predigt in diesen Tagen kreist ist::
I. Himmlische und irdische Hoffnungen sind vereint, himmlische und irdische Wünsche und Visionen, sie glauben wir erfüllt im Kind in Bethlehems Stall, das dazu bestimmt ist, der Welt Sünde zu tragen.
II. Friede auf Erden unter den Menschen seines Wohlgefallens, so haben es die Engel gesungen.
III. An Gottes Gerechtigkeit mitwirken – auf Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, trauen - unsere Aufgabe seit Christi Geburt

I. Himmlische und irdische Hoffnungen sind vereint, himmlische und irdische Wünsche und Visionen, sie glauben wir erfüllt im Kind in Bethlehems Stall, das dazu bestimmt ist, der Welt Sünde zu tragen.

Wir haben es klingen gehört, das Weihnachtsoratorium von Bach, das Magnificat der Maria, ihren Lobgesang, die tausend und abertausend Chöre und Choräle zu Weihnachten. Seit Jahrhunderten bemühen sich die besten Dichter und Komponisten um die musikalische Deutung des Weihnachtsgeschehens.
Wir haben selbst nach Kräften mitgesungen, mindestens „O Du fröhliche“ und „Stille Nacht“, wir haben gehört, was seit 2000 Jahren die Botschaft des Weihnachtsfestes ist: „Christ, der Retter ist da!“
So einen Retter hat sich Jesaja schon erträumt, hat ihn herbei gesehnt, verheißen. Dieser Retter wird aufgehen, wie ein Zweig an einem schon tot geglaubten Baum, er wird stark sein und alle Hoffnungen auf sich vereinen.
Mir kommen die Waldbrände in Norditalien an der ligurischen Küste in den Sinn, sie ergreifen auch zum Beispiel Olivenplantagen, Jahrhunderte alte Bäume werden ein Raub der Flammen. Öde und abgebrannt liegt das Land da. Und ein paar Jahre später treibt er wieder, der Wurzelstock des abgebrannten Olivenbaums. Was sich Jahrhunderte lang mit seinen Wurzeln in die Erde gegraben hat, das geht nicht zu grunde. Ein neuer Zweig sprosst empor, der Olivenbaum lebt.
So glaubt es auch Jesaja angesichts der Katastrophen, die sich für das Volk Israel abgespielt haben. So glauben auch wir Christen angesichts der Katastrophen, die sich ereignet haben und sich ständig ereignen.
Unsere Welt ist bedroht, nicht erst seit heute, unser Friede ist ständig bedroht, nicht erst, seit Terroristen die Türme des World Trade Centre zerstört haben, es ist die ständige Aufgabe von verantwortlichen Politikerinnen und Politikern, den Frieden zu sichern.
Das Volk Israel erwartete den einen irdischen Herrscher, wir erwarten die eine weltweite stabile Demokratie, die für Gerechtigkeit sorgt. Die Vereinigten Staaten von Amerika, das vereinte Europa mit seinen bald 27 Nationen, die Vereinten Nationen, sie sind ein Zeichen, dass es möglich ist, Demokratie und Kompromissfähigkeit, Schutz von Minderheiten und Rechtssicherheit zumindest im Rahmen fester Verträge anzustreben, wenn sie auch zur Zeit noch lange nicht Frieden und Sicherheit für alle Menschen garantieren.
Aber das ist ja nicht alles.
Der Messias, auf dem der Geist Gottes ruht, will nicht nur weltlichen Frieden und soziale Gerechtigkeit bringen, er will auch die Menschen mit Gott versöhnen. Die Bibel sieht in dem Bruch der Bundesschlüsse mit Gott durch den Menschen die Ursache für den schlimmen Zustand unserer Welt.
Und an Weihnachten mit der Geburt Jesu beginnt für uns Christen das Rettungswerk der Versöhnung mit Gott, das durch Jesaja und andere Propheten des alten Bundes vorhergesagt wurde.
Das kann man durchmusizieren, das kann man singen, das kann man staunend an den Krippendarstellungen betrachten, Weihnachten, das ist für uns die irdisch sichtbar gewordene Erfüllung der Verheißung des Jesaja.
Ein Traum wird wahr! Ein Traum wird wahr?

II. Frieden auf Erden unter den Menschen seines Wohlgefallens, so haben es die Engel gesungen.
Diese ganz irdische Hoffnung paart sich in diesen Worten des Propheten Jesaja mit unwirklichen, anrührenden Bildern vom Frieden zwischen den Tieren und zwischen Mensch und Tier bis hin zu Frieden und Gerechtigkeit für die Armen und schliesslich im bewegend ausgemalten Bild vom Frieden auf Gottes heiligem Berg, dem Zion.
Eine Safari im Ngorongoro-Krater östlich der Serengeti in Tansania. Ein idyllischer Blick bietet sich dem Touristen, Millionen von Vögel, Gazellen, Nilpferde und Nashörner, und ... auch Löwinnen und Löwen mit ihren Jungen. Sie liegen friedlich im Gras im Schatten eines großen Baumes. Die Touristen versuchen aus dem Landrover heraus diese Idylle zu fotografieren. Der Landrover hält an, einer der Touristen springt heraus und will auf die so friedlich da liegenden Löwen zu gehen, um ein besseres Foto zu schiessen. Der Löwe reckt den Kopf, ein scharfer Ruf des afrikanischen Wildhüters bringt den Touristen zur Besinnung, er hastet zum Landtover zurück und der Löwe, der unmerklich seine Muskeln angespannt hatte, - der Wildhüter hat es gesehen -, lässt den Kopf mit der mächtigen Mähne wieder sinken und döst weiter. Sehr schnell sucht der Landrover das Weite, so rasch geht es doch noch nicht mit dem Frieden zwischen Mensch und Tier. Das macht die Verheißung des Jesaja so unwirklich und zugleich so anrührend.
Es wäre so schön, wenn wir keine Angst mehr zu haben brauchten. Es wäre so schön, wenn wir unsere Kinder überall friedlich spielen lassen könnten, ohne die Angst, es könnte was passieren. Es wäre so schön, wenn wir mit Lust und Freude unserer Arbeit nachgehen könnten, wenn da nicht die Angst vor einem wirtschaftlichen Umschwung wäre, der auch einen von uns arbeitslos machen wird.
Unbeirrt dichtet, singt Jesaja seine Vision in die Welt, er redet in einem vollendeten Futur: Es wird geschehen, dass Friede ist zwischen Tier und Tier, es wird geschehen, dass Friede ist zwischen Mensch und Tier, und es wird geschehen, dass Friede ist sogar zwischen Mensch und Mensch? Wirklich? Dafür muss der Herrscher sorgen, der Spross aus dem Stamm Isais.
Und was hat uns denn Jesus gebracht mit seiner Geburt, mit seiner Passion, mit Kreuz und Auferstehung?
Wir Christen sagen: Die Rettung, die Erlösung, er-löst, frei gekauft, losgebunden von der ewigen Angst und Sorge, schon jetzt erleben wir ansatzweise in den friedlichen Bildern von Weihnachten, was es heissen könnte: Frieden auf Erden unter den Menschen seines Wohlgefallens. Der mutige Tourist, der aus dem Landrover hüpfte, um den angeblich friedlichen Blick auf die Natur ins Bild bannen zu können, er hat an diesen Traum geglaubt, der Wildhüter vielleicht auch, aber gesunde Vorsicht hat in diesem Fall die Touristengruppe gerettet. Vision und Realität in bizarrer Verbindung, das haben die Touristen mitgenommen von ihrer Safari.

Friede auf Erden ist ansatzweise in jedem von uns angekommen, er wartet noch auf die endgültige Vollendung, so haben wir selbst noch Zeit, so haben wir selbst noch eine Chance, nach Gottes Gebot und Verheißung mitzuwirken an diesem Frieden. Weil wir er-löst sind, wollen wir diese Chance weitertragen durch

III. Mitwirken an Gottes Gerechtigkeit – auf Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, trauen - unsere Aufgabe seit Christi Geburt

Seit Weihnachten, Passion und Ostern sind wir mithineingenommen in die Aufgaben des Messias, auch wir können Anteile davon ahnen und manchmal sogar wirklich erleben, was es heisst, den Geist des HERRN, den Geist der Weisheit und des Verstandes, den Geist des Rates und der Stärke, den Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN zu spüren und dafür einzutreten.
Was wir dazu brauchen? Einen nüchternen, denkenden christlichen Glauben, der fern von jedem Fundamentalismus das unmögliche will und nach dem möglichen strebt.
Eine sinnvolle Aufgabe, die sich jede und jeder vornehmen kann, der sich seines Verstandes zu bedienen weiss.
Manchmal muss man dann nicht endlos theologische Debatten führen, um einer Meinung zu sein, was getan werden muss.
Ein frühes prägendes Erlebnis auf dem Weg zum Pfarramt, auf dem Weg zur engagierten Christin, die nüchtern und vernünftig auf ihre Weise am Heil der Welt mitarbeitet:
Ein Erdbeben erschüttert die Region Gjumri in Armenien, zehntausende obdachlos, tausende Menschen verschüttet, viele hunderte Tote zu beklagen.
Ein ökumenisches Team aus Freiwilligen und Experten kommt zwei Monate später in die Region, sieht die Zerstörung und hilft mit beim Wiederaufbau. Wasserleitungen reparieren, Notunterkünfte bauen, Strassen instand setzen. Es sieht aus, wie ein Tropfen auf den heissen Stein. Aber es ist ein Zeichen der Anteilnahme und der Solidarität. Junge und alte Menschen aus vielen Nationen kommen und helfen, so gut sie können. Evangelische, katholische, muslimische, atheistische, kommunistische Helferinnen und Helfer.
Später übernehmen die großen Katastrophenhilfeorganisationen, die Vereinten Nationen und andere Weltverbände die weitere professionelle Hilfe. Aber zunächst war es wichtig, ein Zeichen des Mitgefühls und der Anteilnahme zu setzen. Diese Erfahrung prägt Helfer und die betroffenen Menschen.
Solche Erfahrungen prägen Menschen, die bei der Aktion Sühnezeichen mitmachen, solche Erfahrungen prägen die Friedens- und Konfliktexperten, die sich zwischen die Fronten begeben, sie prägen die ökumenischen Beobachter im Westjordanland und im Gazastreifen, die die rechtswidrige und menschenunwürdige Behandlung der Palästinenser durch die israelischen Soldatinnen und Soldaten an den Strassensperren ebenso beobachten, wie die Auseinandersetzungen unter den Palästinensern und auch Angriffe auf das israelische Militär.
Auch das ist ein indirektes Ergebnis der Wirkung der Jesaja-Verheißung: Wer durch Weihnachten an den weltweiten Frieden zu glauben gelernt hat, der setzt sich an seiner Stelle auch dafür ein. Und es sind einfach schöne Bilder, die uns Jesaja mit seiner Prophezeiung geschenkt hat, Bilder, die Wirklichkeit werden wollen auf dem Weg hin zur Vollendung von Gottes Reich in dieser Welt.
Weihnachten ist Vorwegnahme, aber nicht selbst schon Vollendung dieser Verheissung.
Christ, der Retter ist da, das glauben wir, seine Botschaft: Lasst Euch versöhnen mit Gott, das hat Paulus uns als Botschaftern an Christi statt mit auf den Weg gegeben. Diese Vision hält uns auch nach Weihnachten auf Trab.

Wir können mitarbeiten daran und wir lassen uns von Gott beschenken mit dieser Vision, die, so glaube ich fest, noch kommen wird und die sich in Christus schon entscheidend der Vollendung genähert hat:

Man wird nirgends Sünde tun noch freveln auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land wird voll Erkenntnis des HERRN sein, wie Wasser das Meer bedeckt, spricht Gott, der Herr.

AMEN

Pfarrer Paul Geiß
Hauptstr. 30
55270 Jugenheim
Tel 06130/440
Fax 06130/430
Mail: Geiss.ev.kirche@t-online.de


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