Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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Heiliges Christfest II, 26. Dezember 2006
Predigt zu Matthäus 23,34-39, verfaßt von Peter Skov-Jakobsen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Es ist eines der hübschesten Bilder: die Winterrose, die sich durch die gefrorene Erde nach oben kämpft und die kalte Landschaft mit ihrer Schönheit bricht; die die vereiste Erde mit ihrer Farbe bricht.

Die hohen Festtage, der Gottesdienst, das Gebet bieten für die Menschen natürlich irgendwie die Möglichkeit, sich aus dem Alltag zurückzuziehen. Für kurze Zeit können wir uns von der Welt und allem, was darin geschieht, absondern. Wir können unser Leben unter anderen Persepktiven betrachten als denen, mit denen wir uns mehr oder weniger abfinden müssen, solange nur das eine Wort das andere gibt – und solange die geschäftigen Tage nur verlangen, dass wir Schritt halten.

Aber wenn die Rose aus der gefrorenen Erde hervorbricht, wenn sich uns die hohe Festzeit mit ihrer Wirklichkeit nähert, dann empfinden wir etwas Sonderbares, nämlich dass es zu nichts führt, wenn wir Unwirklichkeit um uns herum schaffen. Es ergibt keinen Sinn, sich im Idyll zu verlieren oder seinen Platz in einem Glanzbild zu finden. Man kann der Wirklichkeit wohl den Rücken kehren; aber deshalb verschwindet sie ja nicht. Im Gegenteil! Immer wenn wir vergessen, über ein Problem zu sprechen, jedesmal wenn wir versuchen die Augen zu verschließen, jedesmal wenn wir so tun, als wäre nichts, wissen wir nur zu gut, dass uns unangenehme Überraschungen erwarten, vielleicht sogar geradezu Unglück.

Aber wer wollte es wagen, von Glauben zu reden in einer Welt, in der der Zweifel uns immer wieder quält und in der wir keine Ahnung haben, woher wir Vertrauen nehmen sollen? Wer wagt es, von Liebe zu sprechen, wenn man immerzu sieht, wie der eisern gepanzerte Hass überall in der Welt das Leben auseinanderdividiert? Wer wagt es, von Hoffnung zu sprechen mitten in einer Welt, in der man das Gefühl hat, dass die Lüge ununterbrochen darauf lauert, der Wahrheit einen Stein an den Kopf zu werfen?

Machtlosigkeit, Apathie und Zorn pflegen sich Gehör verschaffen zu wollen. Es kann schwer sein, nicht vor Wut zu schnauben über die besten seiner eigenen Wünsche.

Es gibt so viele Ruinenberge, aus denen erstickender Rauch steigt. Es gibt so viel Wahnsinn, der sich zu toben erlaubt. Es gibt so viel Bosheit, die nur dazu führt, dass uns schwarz vor Augen wird, und die unseren Zorn in der Form von wütenden Worten und roher Vergeltung provoziert.

Der zweite Weihnachtsfeiertag, der Tag des Märtyrers Stephanus, erinnert uns an die Brutalität der Welt. Er erinnert uns daran, dass wir, auch wenn wir uns davon fernhalten, ein hohes Fest zu begehen und Gottesdienst zu feiern, das nicht tun, um uns von der Welt fernzuhalten. Die Wirklichkeit folgt uns bis in diesen Raum hinein. Der Glaube an Gott schließt uns nicht von der Wirklichkeit aus. Der Glaube distanziert uns nicht von der Wirklichkeit; er bringt uns nicht dazu, die Augen zu verschließen. Gott ist wirklich in die Welt hinein geboren, wie sie nun einmal ist: ein Ort, an dem Menschen lieben; ein Ort, an dem wir einander im Stich lassen, ein Ort, an dem wir hassen, ein Ort der Sehnsucht – hier zweifeln wir, hier entbehren wir, und wir merken, dass es Schaden und Unglück gibt.

Jesus sah voraus, dass wir die Propheten erschlagen würden, dass wir ihnen den Mund, der die Wahrheit sprach, stopfen würden, dass wir die, die sich nicht zum Schweigen bringen ließen, töten würden. Er wusste, dass Leere und Dummheit über der Menscheit erdröhnen würden und dass wir versuchen würden, uns, um des lieben Friedens willen, der Stupidität zu fügen.

Aber er kehrt uns nicht den Rücken. Im Gegenteil! Er versieht uns mit einem Segen. Er vertraut uns die Heiligkeit des Lebens an. Und was das bedeutet, können wir erahnen, wenn wir die Geschichte von Stephanus betrachten.

Sie wurden so wütend, als sie ihn über Jesus erzählen hörten, dass sie mit den Zähnen knirschten. Sie hatten nämlich das völlig klare Empfinden, wenn man dies im ganzen Land hören würde, dann würde die Macht plötzlich völlig anders werden. Dann würde Macht etwas völlig anderes sein. Dann würde es keine Drohungen mehr geben – die Niederträchtigkeiten würden ein Ende finden – Kleinlichkeit würde die Menschen nicht umtreiben – Gerede und Klatsch würden nicht mehr herrschen – Speichellecker und Kriecher würden sich davonmachen können, denn ihnen würde man nur mit Gelächter begegnen.

Stephanus hatte ein gutes Gefühl dafür, worauf es hinauslief. Er wich nicht zurück – es war, als nähme Jesus Wohnung in ihm, und er sah seine Verfolger an, wie Jesus seinerzeit seine Verfolger angesehen hatte. Stephanus wurde von Beredsamkeit ergriffen. Aber er wurde auch von einer Liebe zur Wahrheit ergriffen, die ihn milde, geduldig und ausdauernd machte.

Seither ist es, wie wenn die Hingabe an die Wahrheit die Gläubigen nie verlassen hat. Die Liebe hat die Menschen befähigt, standhaft zu sein, auch wenn es bedeutete, dass sie Verfolgungen, Entwürdigungen, Tortur und Totschlag erleiden mussten. Das hat bedeutet, dass das Gespräch, von dem niemand geglaubt hat, es sei möglich, trotzdem eine Chance erhielt.

In einer ergreifenden Schilderung des Heiligen Abends des Jahres 1989 erzählt Egon Krenz, der damals für ein paar Monate Generalsekretär der ostdeutschen Sozialistischen Einheitspartei war, wie der Gemeindepfarrer an jenem Abend an seine Tür klopfte und ihm, der kurz zuvor seines Parteiamtes enthoben worden war und ihm Übrigen Hohn und Spott über sich hatte ergehen lassen müssen, die Frage stellte, ob es nicht etwas gebe, worüber sie sprechen sollten. Und dann saßen die beiden Männer zusammen und sprachen miteinander – über einen Abgrund hinweg. Der eine sah, dass alles, wofür er gekämpft hatte, in Ruinen lag, und dass die Anklagen sich nur so häuften, ja, die Selbstvorwürfe waren nahe daran, ihm allen Mut zu nehmen. Der andere hatte die Zukunft vor sich, er war in der Vergangenheit Opfer zahlreicher Schikanen gewesen. Aber die Liebe führte ihn dennoch zu dem Menschen, der zwar gewiss verantwortlich war für viele politische Verbrechen; aber er besaß doch ein Einfühlungsvermögen und eine fundamentale Sympathie, die so stark waren, dass sie ihn auch seinen ärgsten Gegner erreichen ließen. Sie sprachen ehrlich miteinander. Es lagen keine Vorwürfe oder Beschuldigungen in der Luft. Als sie sich voneinander verabschiedeten, ärgerten beide sich, dass das Gespräch nicht früher stattgefunden hatte.

Es ist in der Geschichte auch vorgekommen, dass solch eine Begegnung nicht so friedlich verlief. Die Henker haben ihre Anklagen den Angeklagten ins Gesicht geschrien – Menschen wurden zu Opfern unbeschreiblicher Erniedrigungen, und dennoch hielten sie sich treu an die Wahrheit, dass die Liebe alles überwindet, auch wenn es das Leben kostet.

Während wir glaubten, es sei Winter – während wir glaubten, die Erde sei gefroren und habe sich um uns geschlossen, da wuchs die Winterrose hervor und erinnerte uns daran, dass die wirkliche Perspektive der Welt immer die Liebe ist, die alles überwindet. Mit Jesus wurde ein Traum geboren, eine Hoffnung, eine Zukunft für die Welt. Die Welt kann nun wirklich verändert werden. Die Wirklichkeit kann verwandelt werden. Wenn jemand in Gelächter ausbricht oder besserwissend zu schnauben beginnt, dann halte geduldig an der Liebe fest. Ich glaube wirklich, dass Christus uns verändert, wenn wir still zu sein wagen, wenn wir wagen zu sehen, zu hören und zu fühlen – wenn wir in seinen Protest zu gehen wagen.

Er verändert uns mit der Liebe. Ist es vielleicht nicht richtig, dass man einem Säugling zulächelt, wenn er so daliegt und murmelt? Ist es nicht richtig, dass man das Kind tröstet, das unglücklich ist, weil es Vater oder Mutter aus den Augen verloren hat? Ist es nicht richtig, dass man gerührt ist angesichts des Stolzes, von dem das Kind oder der junge Mensch ergriffen werden kann? Ist es nicht richtig, dass man das Leben in sich kribbeln fühlt, wenn man die Verliebten sieht? Ja, wir werden von Mitleid überwältigt mit dem, der leiden muss; mit dem, der sich allein gelassen fühlt.

Jesus verwandelt unsere Schadenfreude in Mitgefühl. Er bewegt uns und unsere Gedanken weg vom Tode und lässt uns träumen von einer Welt, die von Liebe, Gerechtigkeit und Güte besessen ist.

Mag es auch Winter sein und mögen Finsternis und Kälte uns umgeben, in den Herzen der Menschen ist Hoffnung gesät – sie keimt und kommt in die Welt und verwandelt Menschen mit Wahrheit und Schönheit! Amen.

Pastor Peter Skov-Jakobsen
Gammelvagt 2,
DK-1312 Kbh. K
Tel.: ++ 45 33919933
e-mail: pesj@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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