Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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Heiliges Christfest I, 25. Dezember 2006
Predigt zu Johannes 3,31-36, verfaßt von Alfred Buß
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

I

Weihnachten ist ein Fest für alle Sinne. Zu keinem Fest gibt es Tieferes und Höheres, Schöneres und Bewegenderes zu hören, zu sehen, zu riechen, zu schmecken, zu empfinden als zu Weihnachten. Aber dieser Predigttext kleidet Weihnachten in schwierige Worte. Beim Johannes-Evangelisten sehen wir keine Engel, keine Hirten, keine Krippe, keinen Stern und keine Weisen aus dem Morgenland. Viel abstrakter setzt Johannes an: Der von oben her kommt, ist über allen.

Es ist, als sei der Stall von Bethlehem für wenige Nachtstunden erfüllt gewesen vom Gottesglanz. Als sei jetzt, am Weihnachtsmorgen, der nüchterne Alltag wieder eingezogen. Jetzt kommt es wohl darauf an, dass wir durch die Weihnachtsszene mit Stallgeruch und Engelsgesang hindurch sehen und die Weihnachtsbotschaft dahinter aufnehmen. So manches sehen wir klarer mit geschlossenen Augen. Zum Beispiel, was Johannes uns heute sagt: Der von oben her kommt, ist über allen. Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde.

II

Eine kleine Episode aus einem eigentlich unbedeutenden Spätabend- Fernseh-science-fiction-Film kommt mir vor Augen: Ein Weltraumkommando war von der Erde bis in ein anderes Sternensystem vorgedrungen und hatte sich auf einem fernen Himmelskörper niedergelassen. Plötzlich sah sich das Häuflein dort rätselhaften Angriffen ausgesetzt. Während sich die Gruppe noch stritt, ob man den gefährlichen Ort verlassen solle oder nicht, erhob sich über ihr eine leuchtend strahlende Scheibe, aus der ihr eine strenge Stimme befahl, sofort zu verschwinden. Der Führer der Gruppe wollte zur Gegenrede ansetzen - da knarzte die Stimme: "Wir wissen alles, was du sagen willst. Wir können eure Gedanken lesen. Wir haben die Geschichte eurer Menschheit von Anfang an beobachtet und wissen, was für eine verdorbene, entsetzliche Rasse ihr seid. Wir werden nicht dulden, daß ihr in unsere heile Welt eindringt. Verschwindet - oder ihr seid des Todes." Und die Menschen zogen vor, schleunigst auf die Erde zurückzukehren.

Hier eine lichte Welt - dort unsere dunkle Erde? Der von oben her kommt, ist über allen. Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde. Wie zwei geschlossene Kreise scheinen sich auch bei Johannes das irdische und das göttliche Leben gegenüberzustehen, hoffnungslos voneinander getrennt. Da ist der Bannkreis des Irdischen. Keiner vermag aus ihm auszubrechen. Erdenkinder sind auf irdische Möglichkeiten festgelegt. Erdlinge sind wir, die nach den Sternen greifen; wir dringen in den Weltraum und in die kleinsten Bausteine des Lebens vor. Wir wollen nach oben und konstruieren immer neue Ober- und Überwelten. Wir träumen davon, uns unsterblich zu machen und bleiben doch der Erde und dem Vergänglichen verhaftet.

Und da ist der andere Kreis, der des hellen göttlichen Lebens. Hoffnungslos getrennt sieht das Johannes-Evangelium beide Kreise voneinander: Was vom Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was vom Geist geboren ist, das ist Geist, heißt es im selben Kapitel (3,6) und an anderer Stelle Ihr seid von unten her, ich bin von oben her (8,23).

III

Nun aber steht hier nicht: Wer oben ist, der ist über allen, sondern: Der von oben her kommt, ist über allen. Vom Kommen ist hier die Rede. Vom Himmel hoch, da komm ich her... Die helle Welt Gottes grenzt sich gerade nicht von der dunklen Erde ab. Jesu Kommen ist die Aufhebung der Trennung zwischen diesen beiden Kreisen. Christi Erscheinen stellt die Verbindung her, ist das Ereignis der sich auf die Welt einlassenden Liebe Gottes. Neues Leben wird gegenwärtig, ungeahntes Leben, ewiges Leben mitten im irdischen.

Christus ist nicht oben geblieben, er hat sein Obensein nicht festgehalten, sondern ist herunterkommen in die menschliche Existenz, dorthin, wo es wehtut. Christus kommt in diese Welt, in der es Oben und Unten gibt, Drinnen und Draußen, Dazugehören und Nichtdazugehören, Entweder-Oder, Freund oder Feind, geschlossene Kreise. Menschen grenzen sich gegeneinander ab.

Bethlehem ist heute eingekreist mit einer hohen Mauer, die Bewohner leben wie in einem großen Gefängnis, Israelis und Palästinenser tun sich Haß und Gewalt an; nun auch Hamas und Fatah untereinander.

Europa ist gegen Flüchtlinge abgeschottet wie eine Burg.

Es gibt ein Drinnen und Draußen, ein Dazugehören und Nichtdazugehören auch mitten unter uns, symbolisch stehen dafür Namen wie der des kleinen Kevin oder des Amokläufers Bastian aus Emsdetten. Wenn ich Bastians Abschiedsbrief richtig verstehe, verbirgt sich unter der widerlichen Gewalt ein einziger Schrei nach Anerkennung, nach Zugehörigkeit und richtigem Leben.

Die Schere zwischen Arm und Reich tut sich bei uns immer weiter auf. Armut ist nicht nur ein finanzielles Problem. Wer arm ist, dem bleiben viele Türen verschlossen. Es ist ein Teufelskreis: Keine frühe Förderung, keinen Abschluss, keine Ausbildung, keinen Job, kein Geld, keine Perspektive. 1,7 Millionen Kinder wachsen bei uns unter solchen Umständen auf. Aus Pfarrhäusern wird berichtet: nicht nur die bekannte Klientel steht vor der Tür, zunehmend kommen auch Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die nicht mehr klarkommen.

Davon ist der Evangelist Johannes zutiefst überzeugt: Wir Menschen haben Gottes Erde zur „Welt“ verdorben. Was immer wir erkennen, denken und vollbringen, es macht die Welt nicht heil. Wir bleiben unter dem Zorn Gottes. Zorn beschreibt keine Willkür. Gott überlässt die Welt ihrem Lauf. Seine Abwendung trifft uns als Zorn. Wir kennen diesen zornig-eisigen Hauch bis in die Slums, die Hungerzonen, in die Arbeits- und Seelenlosigkeit unserer Tage. Wir spinnen Luftgespinste und suchen viele Künste und kommen weiter von dem Ziel (EG 482,4). Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde.

IV

Darum wird Gott Mensch. Der vom Himmel kommt, der ist über allen und bezeugt, was er gesehen und gehört hat...

Wo ist der Freuden Ort?, fragt das Weihnachtslied. Nirgends mehr denn dort, da die Engel singen mit den Heil’gen all und die Psalmen klingen im hohen Himmelssaal. Von dort kommt Christus. Er kommt aus dem Raum göttlicher Herrlichkeit. Er redet Gottes Wort. Er denkt Gottes Gedanken. In ihm ist Gottes Geist ohne Maß. Mensch geworden ist der eine und Einzige, der schlechthin Unvergleichliche.

Der Vater hat den Sohn liebund hat ihm alles in seine Hand gegeben. In seiner Person ist das ganze göttliche Leben nun hier unten und das Irdische nicht mehr allein.

Christus hat Hunger und Durst wie wir, ist müde, erschöpft, betrübt, erschüttert und zornig wie wir. Ist wahrer Mensch – wie wir. Wir sollen ihn ganz bei uns haben. Aber so nah er uns ist, so fest er zu uns steht, so konsequent er seinen Weg geht bis in den Tod - er ist und bleibt der von oben Gekommene, ist wahrer Mensch und wahrer Gott.

Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben . Auch wenn das vierte Evangelium nichts von der Geburt im Stall erzählt, lasst uns einmal mit Johannes auf eine Krippe schauen. Alte Meister - wie Conrad von Soest – malen die ärmliche Szene, und doch ist alles vom Feinsten. Niedriges und Hohes, Entbehrung und Fülle, Himmel und Erde - alles ist gleichzeitig da. In aller Kargheit leuchtet es gülden, Maria ist in blauen Samt und edle Seide gehüllt, die bergende Decke in königlichem Rot wärmt das neue Leben, Josephs Mantel unterstreicht golddurchwirkt die Würde des treuen Gefährten.

Wird die Armut hier kaschiert, übermalt, das Elend versteckt? Im Blickpunkt steht das Geheimnis dieses Kindes: wahrer Gott und wahrer Mensch. Seine Armut bleibt sichtbar, sie wird nicht geleugnet. Aber die Künstler lassen uns in das Geheimnis seiner Person schauen, nicht geschönter, sondern tiefer, wahrer und wahrhaftiger. Dieses Kind macht unsere Augen, Herzen, die Menschen, ja die Welt reich. Licht, Leben, Wahrheit gehen aus vom Kind in der Mitte, vom Sohn Gottes. Gott ist im Fleische, wer kann dies Geheimnis verstehen? Hier ist die Pforte des Lebens nun offen zu sehen.

V

Oder auch nicht. Denn das Geheimnis, das die Künstler so eindrucksvoll ins Bild setzen, liegt beim irdischen Christus gerade nicht obenauf. Wer das Oben finden will, von dem die ganze Bibel spricht, der muss hier auf Erden ganz nach unten gehen.

Merkwürdig: Was irdisch ist, das denkt und strebt nach oben; was aber wahrhaft göttlich ist, das denkt und strebt nach unten. Christus finden wir ganz unten, am Rande, wo kein Raum ist, am Kreuz und im Grab, in das wir alle müssen.

Christus, der wahre Mensch, widersteht allen Versuchungen, mit menschlichen Mitteln das Heil herzustellen. Vom menschlichen Denken und Handeln ist für das Heil der Welt nichts zu erwarten. Wir können sie höchstens heillos verderben. Aber in ihm ist das Heil schon da – in Christus, dem wahren Gott. Wahrheit, Liebe, Licht und Leben sind in seiner Person gegenwärtig da; wenn die Menschen nur aufhören würden, durch ihr Denken und Handeln dieses Heil zu verdrängen. Gottes Heil gilt auch dem geknickten Rohr und dem glimmenden Docht. Darum ist Christus ganz unten, hat kein Ansehen, wird verhöhnt und bespeit. Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben (Joh.3,16) Auf dass alle, alle, alle, alle singt die Motette von Heinrich Schütz. Nicht verloren werden ist ein anderes Wort für Ewigkeit.

Aber der Glaube an den in Krippe und Kreuz Fleisch Gewordenen bleibt eine Zumutung. Das weiß der Evangelist: Sein Zeugnis nimmt niemand an. Der Glaube an den gekreuzigten Gott ist keine menschliche Möglichkeit. Und wieder zeichnet Johannes zwei gegeneinander geschlossene Kreise: Sein Zeugnis nimmt niemand an, um im selben Atemzug fortzufahren Wer es aber annimmt, der besiegelt, dass Gott wahrhaftig ist. Also stehen wir doch im richtigen Kreis? Das wäre zu einfach. Glaube ist kein Besitz. Wie könnten wir so einfach glauben? Es ist Christus, der den geschlossenen Kreis aufbricht und sich uns mitteilt. Und wie?

Zum Beispiel, wenn wir singen. Beim Singen dürfen wir den Mund ganz voll nehmen. Wir müssen nicht jedes Wort abwägen und nicht jeder Zeile zustimmen. Wir brauchen nur einzustimmen. Zaghaft vielleicht; womöglich mehr auf die anderen hörend als selber tönend.

Wir glauben meist längst nicht alles, was wir singen. Aber Text und Melodie nehmen uns in ihrem Singen und Sagen mit. Wir stimmen ein in das Vertrauen, das uns trägt. So haben Menschen vor uns und neben uns Glauben erfahren. Plötzlich wird dann wahr, was wir singen und sagen: Ich sehe dich mit Freuden an und kann mich nicht satt sehen; und weil ich nun nichts weiter kann, bleib ich anbetend stehen. O dass mein Sinn ein Abgrund wär und meine Seel ein weites Meer, dass ich dich möchte fassen (EG 37,4).

Wer es aber annimmt, der besiegelt, dass Gott wahrhaftig ist.

Aber, was ist, wenn uns Singen, Hören und Sehen vergehen? Wenn die Vergänglichkeit nach uns greift? Mein Vorgänger, Präses Manfred Sorg, brachte vor einigen Jahren von einer Reise in die USA diese kleine Begebenheit mit:

Knapp 70jährig erkrankte eine Frau, die in der Gemeinde engagiert war, an Alzheimer. Die Sorgen und die Angst vor der Krankheit ließen sie nicht mehr zur Ruhe kommen. Was wird sein, wenn ich alles vergesse: meinen Namen und die der Menschen, die ich liebe? Wenn ich mein Leben vergesse, auch die Gebete, die Psalmen, kein Vater-unser mehr sprechen kann? Was passiert, wenn ich Christus vergesse? Und dann, nach vielen unruhigen Nächten und Tagen, die Einsicht: ich mag alles vergessen - aber Christus vergisst mich nie!

Nicht verloren werden ist ein anderes Wort für Ewigkeit.
Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Amen

Alfred Buß, Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen
Altstädter Kirchplatz 5, 33602 Bielefeld;
Email: Sekretariat_Praeses@lka.ekvw.de

 


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