Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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4. Sonntag im Advent / Heiliger Abend, 24. Dezember 2006
Predigt zu Johannes 1, 19-28, verfaßt von Heribert Arens
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Text: (Einheitsübersetzung)
Dies ist das Zeugnis des Johannes: Als die Juden von Jerusalem aus Priester und Leviten zu ihm sandten mit der Frage: Wer bist du?, bekannte er und leugnete nicht; er bekannte: Ich bin nicht der Messias.
Sie fragten ihn: Was bist du dann? Bist du Elija? Und er sagte: Ich bin es nicht. Bist du der Prophet? Er antwortete: Nein.
Da fragten sie ihn: Wer bist du? Wir müssen denen, die uns gesandt haben, Auskunft geben. Was sagst du über dich selbst?
Er sagte: Ich bin die Stimme, die in der Wüste ruft: Ebnet den Weg für den Herrn!, wie der Prophet Jesaja gesagt hat.
Unter den Abgesandten waren auch Pharisäer. Sie fragten Johannes: Warum taufst du dann, wenn du nicht der Messias bist, nicht Elija und nicht der Prophet?
Er antwortete ihnen: Ich taufe mit Wasser. Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt und der nach mir kommt; ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren.
Dies geschah in Betanien, auf der anderen Seite des Jordan, wo Johannes taufte.

 

Es war bei den Olympischen Sommerspielen 1972 in München. Die Zuschauer auf den Rängen des Olympiastadions erwarteten Sieger des Marathonlaufs. Ein junger Mann aus Rheda-Wiedenbrück hatte sich kurz vor dem Stadion im Läufertrikot mit frei erfundener Startnummer auf die Bahn geschmuggelt und lief, als vermeintlicher Sieger beklatscht, eine Ehrenrunde durchs Stadion ins Ziel. Den eigentlichen Sieger, der kurze Zeit später ankam, beachteten die Zuschauer kaum. Erst später merkten sie: Wir haben den falschen beklatscht: der war nur ein Vorläufer!

Heute rückt das Evangelium eine Gestalt in den Blick, die sich selbst als Vorläufer bezeichnet: Johannes den Täufer. Er wehrte ab, als man ihn beklatschen wollte: Nach mir kommt ein Größerer, einer, der wichtiger ist. Ich laufe vor ihm her, bereite ihm die Wege. Ich mache Platz für den, der nach mir kommt. Ich bin nur der Vorläufer, der die Blicke auf den lenkt, der nach ihm kommt.

Johannes wusste: Ich bin nicht der Mittelpunkt, ich weise auf den Mittelpunkt hin, auf Jesus. Er war sich seiner Vorläufigkeit bewusst: Nach mir kommt anderes, wichtigeres – nach mir kommt der Wichtige: Jesus von Nazareth.

Die Einsicht des Johannes in seine Vorläufigkeit fasziniert mich. Ich weiß, wie Johannesmenschen gut tun: Menschen, die anderen die Show nicht stehlen, die gönnen können, die sich mitfreuen können am Erfolg der anderen, die sich nicht so wichtig nehmen. Solche Menschen sind wohltuend auf dem Hintergrund vieler, die sich unangemessen in den Vordergrund spielen, die nur von sich reden „Aber ich erst mal...“ Jedem Witz müssen sie noch einen besseren draufsetzen. Sie neiden anderen Erfolg und Gelingen. Sie geben den Lebensraum nicht frei für die Nachrückenden!

Bei Johannes-Menschen kann man sich wohlfühlen. Sie haben Freunde, obwohl sie sich nicht in den Vordergrund rücken. Ich denke an Eltern und Menschen der älteren Generation. Irgendwann kommt jeder in die Situation, die ihn herausfordert, Nachrückende zu fördern, den Platz freizugeben: Jetzt sind die dran!

Das ist nicht leicht für manche ältere Menschen, die eigene Vorläufigkeit zu erleben und den Nachrückenden den Platz zu räumen. Schwer erträglich sind die, die immer noch meinen, sie müssten sich beweisen. Wohltuend sind die alten Johannes-Menschen, die dem Nachrückenden trauen und sich mitfreuen. Solche alte Menschen werden nicht so leicht einsam, sie haben Freunde!

Menschen jeden Alters sind wohltuend, die sich selbst nicht wichtiger nehmen als sie sind. Sie können gönnen, lassen anderen Lebensraum, freuen sich mit, wenn anderen etwas gelingt, fördern nicht nur sich selbst sondern auch andere. Sie bereiten Wege ins Leben. In ihrer Nähe kann man atmen, leben.

Eine adventliche Kirche ist eine Johannes-Kirche: Sie ist sich ihrer Vorläufigkeit bewusst. Sie weiß: ihre wichtigste Aufgabe ist hinweisen auf den, der kommt und der größer ist als sie selbst. Ihre Aufgabe ist es, wie Johannes auf Christus und seine Zukunft hinzuweisen. Es gibt sie in der Kirche: die Johannesmenschen, die wissen, sie haben einem größeren zu dienen. Aber auch die gibt es, die nicht loslassen können oder wollen, die sich selbst in den Mittelpunkt drängen und Christus „die Show stehlen“. Sie verdecken den Blick auf die Sonne, auf die sie doch hinweisen sollten.

Ich danke Gott für die vielen Johannes-Christen in jeder Gemeinde und auch in den Amtskirchen, die nicht vergessen: Ich bin nur der Briefträger, nicht der Brief! Ich bin nur der Wegweiser, nicht der Weg. Das ist eine Kirche, die nicht – wie der junge Mann aus Rheda-Wiedenbrück 1972 – dem Sieger Christus die Show stiehlt. Das ist eine Kirche, in der Gott Mensch werden kann, weil sie ihm Raum gibt: Eine Johannes-Kirche ist sich ihrer Vor-läufigkeit bewusst: In den Mittelpunkt gehört nur einer: Christus selbst!

Adventliche Menschen und eine adventliche Kirche nimmt sich selbst zwar ernst, aber nimmt sich nicht so wichtig, denn nach ihnen und nach ihr kommt einer, der ist größer und wichtiger als ich selbst. ihm bereite ich den Weg.

Dies geschah in Betanien, auf der anderen Seite des Jordan, wo Johannes taufte. Der Ort ist genau benannt, an dem Johannes perdigte und auf Jesus hinwies. Ob es heute lautet: Dies geschah in NN, wo die Christen sich nicht so wichtig nahmen, sondern auf den Wichtigen hinwiesen?

P. Heribert Arens ofm
Franziskanerkloster Hülfensberg 
heribert_arens@huelfensberg.de

 


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