Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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4. Sonntag im Advent / Heiliger Abend, 24. Dezember 2006
Predigt zu Lukas 2, 1-14, verfaßt von Hanne Drejer (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Es wurde spät, ehe man in der ersten Weihnachtsnacht im Stall in Bethlehem zur Ruhe kam. Das Neugeborene schlief in der Krippe, während Kuh und Esel ein wenig verdutzt sich damit abfanden, dass der Kleine in ihrem Futtertrog lag. Und Maria schlief. Hoffentlich kann sie lange schlafen und sich richtig ausruhen, dachte Joseph, während er seine Frau und seinen neugeborenen Sohn betrachtete.
Wir wollen an diesem Heiligen Abend Joseph folgen und allen seinen verwirrten Gedanken und Überlegungen, die er sich machte – aber auch, wie es kam, dass es Weihnachten für ihn wurde – wie die Geburt Jesu zu einer frohen Botschaft von Gott für ihn wurde.
Der Herr sei gelobt, dass die Geburt gut überstanden ist, trotz aller Unbehaglichkeiten – dachte Joseph – trotz der langen Reise von Nazareth nach Bethlehem, auf der Maria fast ununterbrochen Wehen gehabt hatte. Und das Gewimmel in der überfüllten Stadt, in der alle Wirtshäuser ”belegt” meldeten, bis sie endlich hier in dem Stall hatten unterkommen können. Und jetzt war alles überstanden, und es war gut gegangen. Joseph stand auf und ging ruhig zum Stalltor. An den Türpfosten gelehnt atmete er die trockene klare Nachtluft ein.
Jetzt bin ich also Vater geworden! Jedenfalls Vater für den Jungen hier auf Erden – wenigstens –, Joseph lächelte ein wenig vor sich hin, ironisch.
Und Joseph dachte zurück an die letzten hektischen Tage und Nächte – noch nie in seinem Leben war so viel auf einmal geschehen wie in dieser kurzen Zeit. Und Joseph dachte nicht nur an all das, was er und nicht zuletzt Maria hatten durchstehen müssen. Joseph dachte sehr viel mehr an den Zweifel und alle die unbeantworteten Fragen, die sich in ihm regten. Und auf die er jetzt glaubte eine Antwort erhalten zu haben. Der kleine Neugeborene in der Krippe, er war die Antwort Gottes.
Und die Antwort war nach und nach auf dem Wege nach Bethlehem zu Joseph gekommen, auf dem Weg, der ihm kein Ende zu nehmen schien.
Jedesmal wenn sie jemandem unterwegs begegneten, sah er zuerst, noch auf Abstand, die empörten Gesichter: Nein, ehrlich, lässt der Mann seine Frau reiten? Aber dann, aus der Nähe hellten sich ihre Gesichter in einem verstehenden Lächeln auf, als sie sahen, wie es um Maria stand, und sie kamen alle mit einem Gruß – oder einem Segen: Möge der Herr, der Gott Israels, dir einen Sohn schenken!
Und jedesmal biss Joseph die Zähne zusammen und musste sich beherrschen, um nicht zu rufen: Ja, aber es ist nicht mein Sohn!
Denn Joseph wusste natürlich alles über das Verstehensproblem, von dem wir oft meinen, es sei typisch allein für unsere Zeit – nämlich wie ist es möglich, dass eine Jungfrau schwanger wird? Wer ist überhaupt der Vater von Marias Kind, wenn es nicht Joseph ist? Denn Jungfrauengeburt und Besuch vom Engel Gottes, das können ja alle behaupten! Und wozu soll das gut sein – dass Maria und ich uns mit allen diesen Problemen herumschlagen müssen – dass wir allen Neugierigen und Misstrauischen gegenüber Rechenschaft ablegen sollen, wo wir doch selbst kaum erklären können, was hier geschieht?
Aber dass Maria die Wahrheit sagte, als sie ihm mit ängstlichem, aber ehrlichem Blick erzählte, welchen Bescheid sie bekommen hatte – vom Erzengel Gabriel selbst: dass sie Gottes Sohn zur Welt bringen sollte, das konnte Joseph einerseits bestimmt nicht verstehen – aber andererseits zweifelte er auch nicht daran, dass sie die Wahrheit sagte.
Und Joseph war sich doch völlig im Klaren gewesen, dass er die Möglichkeit hatte, sie zu verstoßen, wenn sie mit dem Kind eines anderen schwanger war, – sollte er sich in aller Stille von ihre trennen? Nein, seit der Nacht, in der ein Engel in einem Traum zu ihm gesagt hatte, dass Maria die Wahrheit sagte – denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist – seitdem würde Joseph niemals Maria verlassen, und er wollte alles tun, um für das Kind ein guter Vater zu werden – hier auf Erden.
Und seitdem hatte Joseph darum gekämpft, von Vertrauen zu leben – anstatt unablässig eine verständliche Erklärung zu verlangen.

Und wie es Joseph erging, kann es auch uns ergehen: dass wir von Vertrauen und Glauben erfüllt werden, der uns zu einem neuen Verständnis hinführt – viel größer als das, was wir mit dem Kopf verstehen – nämlich zu einem Verständnis im Herzen – das uns Augen schenkt, die Gottes Herrlichkeit sehen können. Und Ohren, die die eigentliche und frohe Botschaft von Weihnachten zu hören vermögen.
Und als sie den neugeborenen Jesus in Josephs Arme legten, geschieht eine Verwandlung an ihm. Damals, als er erfuhr, dass das Kind unterwegs war, war er voller Zorn: das ist nicht mein Sohn!
Jetzt aber geht es Joseph langsam auf, dass es gut und eine Freude ist, dass das Kind gerade nicht sein Sohn ist – sondern Gottes Sohn!
Der Junge ist bestimmt ein richtiger neugeborener Junge und kein übernatürliches Gotteskind, das kann er ja selbst sehen, wenn er die Frauen sich des Kleinen annehmen sieht, wie sie ihn wickeln, ihn stillen. Der Junge ist Marias neugeborenes Kind – ein richtiges Menschenkind.
Aber dennoch ist er nicht Josephs Sohn – er hat keinen irdischen Vater – denn der Junge ist Gottes Sohn. Und deshalb ist er also sowohl ein Mensch als auch Gott!
Und Joseph versteht plötzlich, dass dies sehr wichtig und schön und eine große Freude ist.
Und wie die Zeit verging und Joseph mit seinen kleinen Jungen dastand – denn sein Junge wurde Jesus ja, und zwar tagtäglich in immer höherem Maße – , da dachte Joseph so oft daran, dass der Junge Möglichkeiten hatte, die kein anderer Mensch haben konnte – weil Jesus zugleich ein Mensch war, aber auch Gottes eigener Sohn!

Das kleine Kind, Sohn Gottes des Herrn und der Jüdin Maria, Adoptivsohn des Zimmermanns Joseph – er hat getan, was niemand von uns tun kann – er hat uns Gottes Heil, seinen Frieden und Trost gebracht, den Gott allein uns schenken kann. Und deshalb war es notwendig, dass Gott selbst kam – und eben ein richtiger Mensch wurde.
Über all dies und vieles mehr dachte Joseph nach, während er das schlafende Kind betrachtete. Und deshalb war er bis an das Ende seiner Tage dankbar dafür, dass der Junge nicht sein Kind war. Und auf einmal war ihm, als hörte er einen Chor von Engeln, der sang: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.
Frohe Weihnachten. Amen.

Pastorin Hanne Drejer
DK-5466 Asperup
Kirkestræde 1
Tel:. ++ 45 – 64 48 10 82
hdr@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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