Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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Heiliger Abend, 24. Dezember 2006
Predigt zu Hesekiel 37, 24-28, verfaßt von Maria Widl
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


„Ich werde ihr Gott sein“ (Ez 37,24-28)

"Mein Knecht David wird ihr König sein und sie werden alle einen einzigen Hirten haben. Sie werden nach meinen Rechtsvorschriften leben und auf meine Gesetze achten und sie erfüllen. Sie werden in dem Land wohnen, das ich meinem Knecht Jakob gegeben habe und in dem ihre Väter gewohnt haben. Sie und ihre Kinder und Kindeskinder werden für immer darin wohnen und mein Knecht David wird für alle Zeit ihr Fürst sein. Ich schließe mit ihnen einen Friedensbund; es soll ein ewiger Bund sein. Ich werde sie zahlreich machen. Ich werde mitten unter ihnen für immer mein Heiligtum errichten und bei ihnen wird meine Wohnung sein. Ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein. Wenn mein Heiligtum für alle Zeit in ihrer Mitte ist, dann werden die Völker erkennen, dass ich der Herr bin, der Israel heiligt."

Nun ist Weihnachten endlich da: Die Kinder haben ihre Geschenke erhalten, für die Großen ist der Stress endlich vorüber. Ein paar schöne freie Tage im Kreis der Familie stehen bevor – für die meisten zumindest. Selbst wenn es so ideal wäre: Soll das alles gewesen sein?

Der Prophet Ezechiel spricht in unserem Text von einer Verheißung, einer Zusage, einem Vorhaben, das Gott bei seinem Volk einlösen will. Diese Zusage ist ein Friedensbund, der auf ewig bestand hat. Er ist ein Vertrag ohne Ablaufdatum. Die Menschen haben sich diesen Vertrag nicht verdient, er ist ein reines Geschenk Gottes an uns – einfach so, einfach weil er uns liebt. Es ist „gratis“, was wörtlich „aus reiner Gnade“ bedeutet, also kostenfrei – eines der vielen Worte aus der christlichen Tradition, die man heute in unserer Kultur verwendet, oft ohne ihre Bedeutung zu kennen oder zu beachten.

Gott löst diesen Vertrag durch Jesus Christus ein, seinen Sohn. Heute feiern wir, wie jedes Jahr, dass dieser letzte, größte, endgültige Vertrag Gottes, dieser „ewige Bund“ mit uns beginnt. Er bringt uns die Erlösung von Sünde und Schuld, die Befreiung von allem Bösen, die Versöhnung mit dem Leben und dem Tod. Er ist ein „Friedensbund“, wie der Prophet Ezechiel betont. Und Ezechiel beschreibt auch, was Inhalt dieses Bundes ist, in drei Zusagen Gottes:

  • „Ich werde sie [das Volk Gottes] zahlreich machen.“
  • „Ich werde mitten unter ihnen für immer mein Heiligtum errichten und bei ihnen wird meine Wohnung sein.“
  • „Ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein.“

Ich werde sie zahlreich machen.

Schon der erste Punkt fällt uns schwer, sehr schwer zu glauben. Wo wir doch gegenwärtig sehen, wie die Kirche immer weiter abnimmt, wie wir überall einsparen und reduzieren müssen, wie uns der Nachwuchs fehlt – an Priestern und an Gläubigen. Ganz unrealistisch, utopisch, ein frommer Gedanke ohne Realitätsbezug! … Ob man das wirklich so einfach abtun darf? Lesen wir weiter.

Ich werde mitten unter ihnen für immer mein Heiligtum errichten und bei ihnen wird meine Wohnung sein.

Wir haben durch die Jahrhunderte viele Kirchen gebaut, große und kleine, prächtige und unscheinbare. Sie stehen mitten in unseren Städten, Dörfern und Siedlungen. Gott hat in ihnen Wohnung genommen: das Ewige Licht zeigt es uns an. Das Heilige ist ganz nah an unseren Alltag heran gerückt. Oft ist uns das sehr wenig bewusst; wir gehen drum herum, ohne es zu beachten. Die schützenden Mauern verbergen es vor unseren Blicken; die Türme und die Glocken machen es nach außen sicht- und hörbar.

Unsere Kultur hat sich daran gewöhnt, das möglichst zu ignorieren; zu ignorieren, dass Gott unter uns wohnt; zu ignorieren, wie nah wir dem Heiligen sind. Da kommen die dicken Kirchenmauern vielleicht auch gerade recht: Gott soll drinnen bleiben, sofern es ihn dort überhaupt gibt. Er soll sich nicht einmischen in unsere Art, die Dinge zu handhaben. Er soll nicht zusehen, wenn wir uns das eine oder andere zu unserem ganz persönlichen Vorteil erlauben. Er soll Frieden geben wie das Kindlein in der Krippe: klein, herzig, harmlos. Und wer will und nichts Besseres zu tun hat, kann ihm ja huldigen und stimmungsvolle Weihnachtslieder singen. Hauptsache, wir haben seine Ruhe vor Ihm – sofern es Ihn überhaupt noch gibt.

Wir Christen unterscheiden uns natürlich von dieser Kultur. Oder doch nicht immer so ganz? Vielleicht ist es uns manchmal auch ganz recht, wenn uns Gott nicht über den Weg läuft, wenn wir nach unseren eigenen Vorstellungen voran kommen können. Vielleicht ist es uns auch manchmal lieber, den lieben Gott in der Kirche zu besuchen statt damit rechnen zu müssen, dass er uns nachgeht. Vielleicht ziehen wir es auch manchmal vor, über die Dinge des Alltags der Einfachheit halber lieber „ganz normal“ zu denken, so wie „man“ eben denkt. Und ersparen uns daher ganz gern die reale Provokation des Evangeliums, wie z.B. vorigen Sonntag: sich auf das Kommen des Herrn vorbereiten bedeutet, wer zwei Mäntel hat, gebe einen den Armen. Wer von uns hat das in der letzten Woche tatsächlich getan: die Armen nicht mit Almosen abgespeist und tatsächlich Halbe-Halbe gemacht? Das ist u-topisch, im wörtlichen Sinn „ort-los“, hat einfach keinen Platz in unserer normalen Welt! Man könnte ärgerlich werden über die Zumutung, das Evangelium so wörtlich nehmen zu sollen. Dagegen war die Zumutung zu glauben, wir würden bald wieder „zahlreich sein“, vergleichsweise harmlos. Aber den stimmungsvollen Weihnachtsfrieden, den wir suchen, bringt es auch nicht gerade. – Einen dritten Punkt haben wir noch; vielleicht geht es uns dann besser.

Ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk sein

Wir haben viele heilige Kühe in unserer Kultur: das Geld, die Arbeitsplätze, das Wirtschaftswachstum, den Wohlstand, die Sicherheit … Auch so manche Götter sind zu finden: die Götter im weißen Arztmantel als Herren über Leben und Tod, die Götter der Popmusik die riesige Hallen voller Jugendlicher in Ekstase versetzen, die Götter des grünen Rasens die die Massen in die Fußballstadien und vor die Fernseher holen … Angesichts dessen könnte man verstehen, wenn Gott uns über den Propheten ausrichten ließe: „Vergesst all eure Ersatzgötter und Alltagsheiligtümer. Ich will euer Gott sein und ihr werdet damit besser fahren!“ Ezechiel aber berichtet anderes: nicht „ich will“, sondern „ich werde“ ihr Gott sein, ist hier zu lesen. Mit dem Friedensbund, mit der Geburt Jesu Christi, mit Weihnachten ist Er unser Gott – ob es uns gelegen kommt oder nicht. Und wir, die Kirche, das Volk Israel, die ganze Menschheit, sind Gottes Volk. Jedem Menschen ist aus der Gnade Gottes das Leben geschenkt, mit der Geburt und jeden Tag neu und bis in die Ewigkeit. Wer trauert wird darin Trost finden. Wer sich freut, juble im Herrn. Wer unter Ungerechtigkeit leidet, kann Hoffnung schöpfen. Wer reich ist, bedenke die Mahnung. Wer glaubt, obwohl es utopisch scheint, wird selig.

Das Kind liegt in der Krippe. Gott hat seinen ewigen Friedensbund unter uns aufgerichtet. Gelegen oder ungelegen – er ist unser aller Gott auf ewig.

In diesem Sinn: ein gesegnetes Weihnachtsfest! Amen.

Prof. Dr.habil. Maria Widl
Lehrstuhl f. Pastoraltheologie
email: maria.widl@uni-erfurt.de

 


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