Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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Heiliger Abend, 24. Dezember 2006
Predigt zu Johannes 7, 28-29, verfaßt von Monika Waldeck
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


„Alle Jahre wieder, kommt das Christuskind...“

Wir feiern Weihnachten, alle Jahre wieder.
Viele von uns begehen das Fest zu Hause in ihren Familien jedes Jahr gleich.
Es soll so sein wie immer, wie in der eigenen Kindheit, wie früher.
Plätzchen backen, Weihnachtsbaum aufstellen, das Weihnachtsessen, der Kirchgang mit der Weihnachtsgeschichte.

Auch hier in der Kirche ist alles wie letztes Jahr. Wir haben den Baum aufgestellt, ihn geschmückt mit Strohsternen und Kerzen, wir hören das Weihnachtsevangelium und singen die alten Lieder.
Alle Jahre wieder wollen wir die Welt für einen Moment aus den Augen von Kindern sehen.

Dass es oft nicht so harmonisch zugeht, wie wir es uns wünschen, ist auch eine Erfahrung.
Da gibt es gerade bei jungen Paaren schon mal Stress um die Frage, wie genau denn der Ablauf des Festes sein soll, so wie bei ihr oder bei ihm früher.
Da wollen die Kinder etwas anderes als die Eltern, da muss man zu Weihnachtsfeiern, die man nicht mag und all der Rummel in der Stadt ist auch nicht jedermanns Sache.

Und doch warten wir jedes Jahr neu auf dieses Fest mitten im Winter, in der dunklen Jahreszeit.

Weihnachten ist eine Reise in die Urzeit der eigenen Lebensgeschichte, so hat es der Philosoph Ernst Bloch beschrieben, in die Kindheit, in ein Land der Sehnsucht, die wir auch gerade als erwachsene, vernünftige, durch die Realität und Lebenserfahrung zurechtgestutzte Menschen erleben möchten.

Vieles ist alle Jahre gleich, aber nicht alles.
Da ist im letzten Jahr in einer Familie ein Kind geboren worden, es ist im Gottesdienst heute dabei.
Jemand hat eine Arbeit gefunden, unerwartet und freut sich darüber.
Ein Mann hat sich keinen Weihnachtsbaum aufgestellt, er ist dazu nicht in der Stimmung, denn seine Frau ist vor einiger Zeit verstorben. Letztes Jahr haben sie noch zusammen gefeiert, jetzt ist er allein.
Eine Frau hat vor einigen Monaten erfahren, dass sie eine schwere Krankheit hat. Sie fragt sich, wie oft sie noch Weihnachten feiern wird.

Vieles ist alle Jahre gleich, aber nicht alles. Gerade an Weihnachten denken wir an das, was sich verändert hat.
Es ist, als zeige gerade dieses Fest „alle Jahre wieder“ die Entwicklungen unserer Lebensgeschichte.

Das macht uns dünnhäutiger als sonst. Weihnachten ist auch ein bedrohliches Fest, weil Sehnsucht, hochgesteckte Erwartung und Realität erbarmungslos aufeinandertreffen und Menschen wehrloser oder auch reizbarer als sonst machen kann.
Ein Widerspruch gegen den Leistungs- und Erfolgszwang drückt sich Weihnachten aus, der Wunsch nach geglückten Beziehungen, nach dem Zulassen von Gefühlen und der Gefahr, dass sie einen überfluten und aus Enttäuschung über unerfüllte Erwartungen Einsamkeit und Wut erwächst.

So betrachtet, liebe Gemeinde, ist Weihnachten eine sehr sensible Angelegenheit.
Es ist ein spannungsvolles Fest.
Viele ersehnen es so sehr wie sie es fürchten. Es spiegelt die Spannung zwischen Aufbruch und Rückblick, Wiederholung und Veränderung, Erinnerung und Erwartung. Es geht um nichts weniger als die Frage nach dem Sinn und Ziel unseres Lebens.
Das ist für Christinnen und Christen die Frage nach Gott, der Herkunft und Lebensaufgabe seines Sohnes Jesus Christus.

Darüber erzählt auch unser Predigttext, der beim ersten Hören gar nicht weihnachtlich daherkommt.
Hier begegnet uns Jesus als Erwachsener in einem Streitgespräch:

Jesus sprach gerade im Tempel. Er rief mit lauter Stimme:“ Ihr kennt mich und wisst, woher ich bin. Aber ich bin nicht im eigenen Auftrag gekommen. Aber der mich gesandt hat, ist ein Wahrhaftiger. Ihr kennt ihn nicht. Aber ich kenne ihn; denn ich komme von ihm und er hat mich gesandt.“

Um die Frage danach, woher Jesus kommt, geht es hier. Um die Frage nach seiner Identität.
Jesus macht deutlich, dass er ein wirklicher Mensch ist, der Sohn eines Zimmermannes, mit Heimat und Familie, ein Mensch mit Geschichte.
Aber darin geht er nicht auf. Ein anderer verfügt über ihn, hat ihn gesandt, Gott, der Wahrhaftige.
Er gehört auch auf diese Seite, auf die Seite Gottes. Er lebt mit uns, aber er weist gleichzeitig über unser Leben hinaus auf die Ewigkeit.

Vielleicht ist es auch unsere Frage, denn in besonderer Weise beschäftigen wir uns am Weihnachtsabend mit den Veränderungen und Umbrüchen unserer eigenen Lebensgeschichte und suchen nach dem, was Halt gibt und bleibt.
„Da schleußt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis“, so heißt es in dem schönen alten Weihnachtslied.
Er wendet sich uns zu, heute, jetzt.

Und wir haben es bitter nötig.
Denn unsere Welt ist auch in diesem Jahr nicht friedvoller geworden. Noch immer hungern mehr als 850 Mill. Menschen auf der Welt, sterben Kinder im Krieg und auf der Flucht, werden gnadenlos sexuell ausgebeutet. Noch immer.
Da ist es nicht selbstverständlich, dass wir ein Dach über dem Kopf haben, genug zu essen, Zugang zu Bildung und dass wir in einem freien Land leben.
Das Selbstverständliche ist gar nicht so selbstverständlich, diese Erfahrung machen auch bei uns viele Menschen jeden Tag.
Da wünschen wir uns, dass es wenigstens einen Menschen gibt, mit dem wir unsere Freude und unsere Sorge teilen können, der uns liebt und der uns vertraut.
Auch das ist keine Selbstverständlichkeit, denn die Einsamkeit ist groß in einer Zeit, die durch ein hohes Lebenstempo große Anpassungsleistungen von Menschen verlangt.

Unsere Fragen, Erinnerungen und Hoffnungen hängen zusammen mit der Geschichte vom Kind im Stall von Bethlehem, das dann der Mann aus Nazareth wurde, erwachsen wie wir.
Es ist, als wären unsere Fragen nach uns selbst in geheimnisvoller Weise an ihn gerichtet. Als bekämen wir Klarheit über uns selbst, wenn wir wissen, wer er ist.

Jesus sagt, er kommt von Gott, der hat ihn gesandt. Das verstanden seine damaligen Mitmenschen nicht.
Aber wir, die wir heute hier seine Geburt feiern, wir wissen darum, denn mit Jesu Geburt setzt Gott etwas Neues in die Welt. Er will uns zeigen, dass er uns nahe ist, mit uns zu tun haben will. Er wird ein Mensch wie wir.

Hannah Arendt, die große Philosophin hat einmal gesagt, das Besondere am Menschen sei nicht seine Sterblichkeit, die gelte auch für Tiere und Pflanzen. Das Besondere sei die menschliche Fähigkeit, etwas Neues beginnen zu können.

Mag sein, dass manche von uns der festlichen Stimmung in diesem Jahr misstrauen, weil wir wissen, wie brüchig sie sein kann.
Mag sein, dass uns gerade zu Weihnachten traurig zumute ist, weil es so anders ist als früher.
Mag sein, dass Gott uns fremd geworden ist und Glaube ein Fremdwort. Aber – er redet uns an.

Er sagt uns am heutigen Abend: Ich komme vom Vater, in mir vereint sich Göttliches und Menschliches. Der Gegensatz von Himmel und Erde ist in mir aufgehoben.
Mein Wort will euch begleiten, meine Liebe euch umgeben. Fürchtet euch nicht, denn ich bin bei euch heute, aber auch an allen anderen Tagen eures Lebens, den schönen und den schweren.
Darum könnt ihr Menschen werden, die mutig und zuversichtlich in den Tag gehen, der morgen kommt.
Auch und besonders in diesem Jahr sei Friede mit Euch.

Das feiert. Davon singt. Darüber freut Euch.

Amen.


Monika Waldeck
Klinikpfarrerin in Bad Sooden-Allendorf
waldeck.esg-wiz@ekkw.de

 


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