Göttinger Predigten im Internet
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4. Sonntag im Advent / Heiliger Abend, 24. Dezember 2006
Predigt zu Johannes 1, 19-23, verfaßt von Gottfried Brakemeier
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde!

Noch ist nicht Weihnachten. Zwar fällt der 4. Advent in diesem Jahr auf den Heiligen Abend, aber noch ist der Advent nicht zu Ende. Darauf weist der für die Predigt am heutigen Sonntag vorgesehene Text mit aller Deutlichkeit hin. Er spricht von Johannes dem Täufer, und der gehört in den Advent. Die Kirche verehrt in ihm den Vorläufer, den Wegbereiter Christi, den Zeugen für das Licht, das mit Weihnachten in die Welt gekommen ist. Er predigt Busse und Einkehr, damit Weihnachten würdig gefeiert und und dem Kind in der Krippe der rechte Empfang bereitet wird. Er ist, nach seinen eigenen Worten, “Stimme eines Predigers in der Wüste: ‘Ebnet den Weg des Herrn’, wie der Prophet Jesaja gesagt hat.”

Wer ist dieser Prediger? Offenbar hat es schon damals Zweifel an seiner Identität gegeben. Hier heisst es, dass man Priester und Leviten aus Jerusalem zu ihm gesandt hat, um ihn zu fragen: “Wer bist du?” Johannes hatte Aufsehen erregt durch seine Taufe am Jordan und mehr noch durch seinen Angriff auf die Unbussfertigen vor allem unter den Einflussreichen im Land. “Schlangenbrut” hatte er sie gescholten, und so etwas hört man nicht gern. Das Reich Gottes sei nahe und mit ihm das Gericht über alle, die Gottes Willen missachten. Nur eine entschiedene Umkehr, eine allgemeine Kehrtwende, wir würden sagen eine Neuorientierung der Gesellschaft könne die kommende Katastrophe abwenden. Das war der Kern seiner Predigt. Ob die Menschen klug genug sein würden, die nötigen Veränderungen rechtzeitig in die Wege zu leiten?

Es ist verständlich, dass so ein Mensch Erwartungen weckt bei denen, die unter den Verhältnissen leiden. Wir wissen, dass Johannes Jünger gehabt hat und dass messianische Hoffnungen auf ihn gesetzt wurden. Er würde eine neue Heilszeit herbei führen. Deshalb weiss er auch sofort, woher der Wind weht, als die Abgesandten aus Jerusalem ihn auszuhorchen beginnen. “Nein, ich bin nicht der Christus”, sagt er, also kein Anwärtner auf den Messias, kein politischer Reformer, kein Revolutionär. Genauso lehnt er es ab, als wiederkommender Elia betrachtet zu werden, der nach dem Zeugnis des Propheten Maleachi den grossen und schrecklichen Tag des Herrn einleiten wird. Er bringt überhaupt nichts. Er ist nur Stimme der Umkehr: “Ebnet dem Herrn den Weg.” Bringt euch selbst und eure Welt in Ordnung, damit, wenn Gott kommt, er nicht allzu heftig und allzu schmerzlich aufräumen muss. Seid ihr bereit zur “Verantwortung”?

Wir kennen die Versuchungsgeschichte Jesu. Die Evangelien berichten davon. Das hier ist die Versuchungsgeschichte des Johannes. “Bist du der Christus?” Ja, warum eigentlich nicht? Johannes hat alles um als Messias gefeiert zu werden. Er hat Erfolg, er hat eine Gemeinde, die an ihn glaubt, er ist eine Berühmtheit selbst bei seinen Gegnern. Und trotzdem weist er alle Ehrentitel von sich und begnügt sich mit der bescheidenen Rolle eines Predigers in der Wüste. Die Versuchung des Johannes hat etwas typisch Menschliches. Sie wiederholt sich in tausendfacher Form, natürlich unter anderen Vorzeichen und in anderer Sprache. Messias ist ein altertümlicher Titel, mit dem sich heute niemand schmücken möchte. Aber der Traum davon, die Welt möge an unserem Wesen genesen, der ist wohl bekannt. Wenn doch die anderen so wären wie wir. Dann sähe es anders aus in der Welt. Und: Sich in der Gewissheit zu wiegen, andere Menschen gerettet, zu ihrem Heil beigetragen, sie auf den rechten Weg gebracht zu haben, das ist ein gutes Gefühl. Auch heute ist es verlockend, sich zu einem Christus hochzustilisieren und sich als Heilsbringer, sei es im Kleinen sei es im Grossen, in der Religion, in der Politik oder auch nur im nahen Bekanntenkreis, beklatschen zu lassen. Wie weit das im einzelnen der Fall ist, kann ich nicht sagen. Aber faszinierend ist der Gedanke schon, dass man zu den grossen Wohltätern der Menschheit gezählt wird.

So gesehen ist Johannes unglaublich naiv. Er nutzt seine Chance nicht. Er will keine Ehre, keine Macht, keine Privilegien. Das alles lässt er sich entgehen. Er stellt sich ganz in den Dienst desjenigen, der nach ihm kommt und will nichts anderes sein als dessen Vorbote. Und dennoch, was wie fast unerträgliche Bescheidenheit aussieht, ist in Wirklichkeit Weisheit. Johannes fühlt sich als Heilsbringer hoffnungslos überfordert. Er weiss, dass er nicht halten kann, was man sich von ihm als angeblichem Messias verspricht. Das Heil kommt von Gott, und nur von ihm. “Trost gibt der Himmel, von den Menschen erwartet man Beistand”, so las ich es vor kurzem. Ein gescheites Wort. Es lohnt sich darüber nachzudenken. Nein, man darf von Menschen nicht erwarten, was sie nicht geben können. Wer es trotzdem tut, wird auf die Nase fallen und um eine Enttäuschung reicher sein. Und wer sich anmasst, den anderen sein eigenes Heil aufzuzwingen, wird sie letztlich ins Unglück stossen. An geschichtlichen Beispielen fehlt es nicht. Selbsternannte Erlöser haben die Völker meistens ins Unheil gestürzt und sind zu Verbrechern geworden. Johannes widersteht der Versuchung, selbst in die Rolle des Messias zu schlüpfen und die Welt mit seinem Licht zu beglücken. Johannes ist ein kluger Mensch.

Soll das bedeuten, dass menschlicher Einsatz für eine bessere Welt unsinnig ist? Nichts wäre falscher als das. Johannes zeigt es auf seine Weise. Er ruft zur Umkehr, legt den Finger auf verdeckte Wunden, er mahnt und öffnet den Leuten die Augen. Wenn etwas anders werden soll in dieser Welt, dann muss es so beginnen. “Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung” sind Zukunftsbedingungen der Menschheit. Und sie sind sehr wohl zu erfüllen. Viel Angst könnte abgebaut werden durch resoluten Einsatz von präventiven Massnahmen. Aber es fehlt die Einsicht. Ein gewaltiger Reformstau steht einer besseren Welt entgegen. Das war schon zur Zeit des Johannes zu beklagen. Leider ist es heute nicht viel anders. Wer Menschen hilft, ihren Widerstand gegen Reformen, gegen Umkehr und Umdenken zu überwinden, hat viel geleistet. Der hat den Weg des Herrn geebnet, das Kommen des Reiches Gottes vorbereitet, den Advent in rechter Weise genutzt.

Aber die Massstäbe zu setzen, das steht uns nicht zu. Das steht keinem zu. Das ist Gottes Sache. Er gibt die Richtung der Umkehr an und zeigt, worauf hin das Steuer ausgerichtet werden soll. Es geht eben nicht darum, irgend ein Reich aufzubauen, ein menschliches, eines nach unserem Geschmack und unserer Wahl. Genau das ist es, was Johannes der Täufer verweigert, nämlich sein eigenes messianisches Reich zu errichten indem er sich die Christuswürde zulegt. Dann könnte genau so gut ein anderer kommen und von sich das gleiche behaupten. Und schon haben wir Krieg, richtige Kreuzüge gegeneinander, die den Hass säen und unschuldige Opfer fordern auf beiden Seiten. Ich wiederhole: Johannes ist ein kluger Mensch. Er verzichtet darauf, die Welt nach eigenen Vorstellungen gestalten zu wollen. Er will nicht herrschen. Er vesteht sich als Diener der Welt Gottes, die in Gestalt des “Stärkeren”, bald erscheinen wird. Johnannes bringt kein eigenes Licht, kein eigenes Heil. Er will nur Abglanz sein, so wie das Licht des Mondes Reflex der Sonne ist.

Bedenkt man die so erfolgreich bestandene Versuchung des Johannes, kann man schliessen, dass der Advent auch und nicht zuletzt dafür da ist, Illusionen zu zerstören. Das vierte Evangelium legt grossen Wert darauf, dass das wahre Licht nicht mit falschen Lichtern verwechselt wird. Es gilt das Reich Gottes von Menschenreichen klar zu unterscheiden. Kein Reich auf dieser Welt darf mit dem Reich Gottes verwechselt werden. Kein Mensch darf sich messianische Würde zulegen. Der Christus, der ist nur einer. Vorboten hat er viele. Ich denke an die Propheten und Psalmendichter des Alten Testaments. Unter all diesen Gestalten nimmt Johannes der Täufer einen besonderen Platz ein. Aber der Christus wird in Bethlehem geboren. Das ist die Überzeugung der Christenheit und Grund des Weihnachtsfestes.

Worauf gründet diese Behauptung? Mit welchem Recht feiern wir Weihnachten? Hat es einer gewagt, sich doch den Messiastitel zuzulegen und sein eigenes Regiment zu errichten? Ist Jesus der Versuchung erlegen, der Johannes wiederstanden hat? Wer die Geschichte seiner Versuchung kennt, weiss, dass das nicht der Fall ist. Auch Jesus will nichts für sich selbst. Er hat keine messianische Partei gegründet, und wer darauf spekuliert, in einem zukünftigen jesuanischen Reich für die jetzigen Entbehrungen entschädigt zu werden, wird schwer enttäuscht. Und doch unterscheidet sich Jesus von Johannes. Um es mit den Worten des vierten Evangelisten zu sagen: “Wir sahen seine Herrlichkeit.” Mit keinem Anderen hat sich Gott derart eng verbunden wie mit Jesus von Nazareth. In ihm kommt Gott selbst zu Wort. In ihm tritt er in Erscheinung, und zwar nicht als der Richter, als der Rächer, als der Zornige, sondern zunächst und vor allem als der liebende Gott. In ihm kommt Gottes Licht selbst in die Welt. Und wer das nicht glaubt? Johannes würde antworten: “Komm, und sieh!”

Johannes, der Zeuge! Er selbst bringt kein Heil, aber er weiss, wo das Heil zu suchen ist. Er setzt sich ein für die Erneuerung der Menschen und der Welt, aber er weiss, dass all sein Bemühen nur Vorarbeit ist. Er ist ein grosser Prophet, und doch nur Stimme eines Predigers in der Wüste. In all dem ist Johannes Vorbild der Kirche. Von ihm hat sie die Aufgabe geerbt, Zeuge zu sein für das was in Jesus von Nazareth sichtbar geworden ist. Auch Christen haben sich einzusetzen für eine bessere Welt und wissen doch, dass erst Weihnachten das Licht bringt, dass die Dunkeheit hell macht. Der Text für diesen letzten Sonntag im Advent will uns einladen, klug zu sein wie Johannes und den Weg zu ebnen für das Christkind.

Amen

Gottfried Brakemeier, Nova Petrópolis, RS
Brasilien
gbrakemeier@gmx.net

 


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