Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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2. Sonntag im Advent, 10. Dezember 2006
Predigt zu Lukas 21,25-36, verfaßt von Bent Arendt (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Wieder einer dieser Texte über das Jüngste Gericht, für die das Christentum so berühmt oder vielleicht eher berüchtigt ist: ”Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen… und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde… Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit”, wie es hieß. Noch vor wenigen Jahren hätten viele Prediger die Leute überrreden können, sich zu bekehren und sich dem Prediger anzuschließen, indem sie ihnen vorhielten, dass Christus bald kommen und Gericht halten würde. Es galt, auf der richtigen Seite zu stehen und ein gutes Gewissen zu haben, wenn man nicht vor Schrecken und Angst vergehen und in der Hölle landen wollte. Ein so angstbetontes Christentum hat natürlich auch viele Menschen dazu veranlasst, sich vom Christentum abzuwenden. Heutzutage gibt es nur noch wenige christliche Sekten und Fundamentalisten, die eine derartige Verkündigung bewahren wollen. – Aber: Dennoch sollen wir vom Jüngsten Gericht hören an diesem zweiten Advent, wo wir so langsam anfangen, uns auf Weihnachten zu freuen. Und wir sollen aus mindestens drei Gründen davon hören, auf die ich hier eingehen will.

Erstens um realistisch zu sein; zweitens um dem Elend der Welt eine Grenze zu setzen; und drittens, damit wir etwas haben, worauf wir uns freuen können. –

Dass es durchaus realistisch ist, ein Jüngstes Gericht zu verkünden – um das zu hören, brauchen wir nicht in die Kirche zu kommen; wir können es im Fernsehen sehen: am Elend im Sudan und im Irak, angesichts der von Menschen geschaffenen Klimakatastrophen, die auf uns zukommen, oder an den massiven Völkerwanderungen in Richtung Europa, die eine Folge unseres unfassbaren Reichtums auf Kosten der Dritten Welt sein können. Es gehört nur wenig dazu, dass Menschen das Leben füreinander zur Hölle machen, oder dass wir uns greifen lassen von ”Angst und Schrecken und Furcht vor den Dingen, die kommen sollen über die ganze Erde”, wie wir gehört haben. Das ist ja wohl ganz realistisch. Auch im Leben des Einzelnen gibt es Tage des Jüngsten Gerichts, wo alles vorbei ist oder wo die Folgen deutlich werden. Gewiss können wir dann gelassen sein: dass es wohl nicht so schlimm kommt, dass die Menschen im Grunde gut sind, dass wir uns das trotzdem ohne Schaden erlauben können usw. Aber der christliche Glaube will der Wirklichkeit ins Auge sehen, ohne zu blinzeln: will anerkennen, dass Menschen einander schlimmer behandeln können als der Teufel und dass den Menschen die Konsequenzen ihrer Taten unfassbar gleichgültig sein können; der Glaube will ernst nehmen, dass menschliches Elend und Unglück ganz unerträglich sein können; er will einsehen, dass das Dasein nicht einfach als bedeutungslos abgetan werden kann und dass es zu nichts führt, ihm den Rücken zu kehren oder vor ihm zu entfliehen. Denn hier, in der Wirklichkeit, erhält die Verheißung des Jüngsten Gerichts ihre Bedeutung: Nur wenn wir dem furchtbaren Leiden in die Augen sehen, können wir die unfassbare Freude und Möglichkeit entdecken, die das Leben auch enthält. Wenn wir sagen: ”Ich kann es nicht aushalten!” – dann sagt die christliche Verkündigung: ”Doch, du kannst es!” Wenn du Zeuge der Leiden anderer Menschen bist, dann unternimm etwas. Denn auch wenn du die Welt nicht erlösen kannst, so kannst du doch das Deine tun, und die guten Dinge, die du tust, reichen länger und halten länger als alle mögliche Bosheit. Und leidest du selbst, dann nimmt dein Leiden auf dich als eine Bedingung deines Lebens, nimm es an, wie es ist, nicht um es zu pflegen oder Aufmerksamkeit auf dein Leiden zu provozieren; sondern weil das Leiden eine Grenze hat, über die das Leben hinausreicht. Es ist die Grenze des Jüngsten Gerichts: Hölle ist nicht überall, dem Leiden sind Grenzen gesetzt. Gewiss können Menschen auf alles Mögliche verfallen. Und doch muss das Reich eines Hitler oder eines Stalin untergehen und ihre Hölle offenbar werden. Denn das Böse vermag nichts aufzubauen, sondern es muss von der Güte anderer und dem Vertrauen zwischen Menschen leben, um überhaupt entstehen zu können. In dem Augenblick, wo wir sagen: ”Halt!”, da geben wir dem Leben Möglichkeit und schaffen Platz für die Wahrheit. Und in dem Augenblick, wo wir das Leiden, das uns das Leben beschert und für das wir niemandem die Schuld geben können, auf uns nehmen, haben wir bereits wieder das Leben angenommen und eingesehen, dass das Leben etwas anderes und mehr ist als das Leiden. Wir können es tun, weil es ein Jüngstes Gericht gibt, eine Grenze für Bosheit und Leiden in der Welt. Das Jüngste Gericht ist Gottes Gericht, und das heißt: Wir können daran glauben und uns daran halten, dass selbst da, wo Leiden und Bosheit menschlich betrachtet grenzenlos erscheinen, dass selbst da eine Grenze besteht, die Platz für ein Leben im Leiden gibt und die Bosheit zum schwächsten Teil des Lebens macht, nur ein Schatten all der Güte und Wahrheit, die dem Leben beschieden sind; sogar der Tod ist mit Frieden und Erlösung verknüpft, wo der Tag des Gerichts seine Grenze setzt. ”Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht,” wie es im Text von heute hieß. Gott beim Wort nehmen, daran glauben und danach handeln, das heißt, dass man beginnt zu erfahren, dass es so ist. –

Und damit kommen wir zum dritten Aspekt des Jüngsten Gerichts: der Tag des Gerichts gibt uns etwas, worauf wir uns freuen können, etwas, das es uns möglich macht, realistisch zu sein und zugleich an Gottes Grenze zu glauben. Wenn wir uns freuen – wenn wir uns auf Weihnachten freuen oder auf den Frühling, auf alles, dem wir so erwartungsvoll entgegensehen; wenn wir Kinder in die Welt setzen und das Beste für sie erhoffen, ein noch besseres Leben als das unsrige; wenn wir nach vorn schauen oder auf unser Leben in Dankbarkeit zurückschauen, ja, bloß die einfache Erwartung, dass der morgige Tag besser sein kann – dann geschieht das alles auf dem Grund eines Glaubens und Vertrauens, dass es mit zum Leben gehört, dass einem entgegengekommen wird, dass einem entgegengesehen wird – trotz aller Enttäuschungen und allem Versagen, trotz aller Flucht und Schlappheit gegenüber dem Leben und vor einander. Zu diesem Glauben und zu diesem Vertrauen gibt der christliche Tag des Gerichts den Grund. Es ist immer etwas Gutes zu erwarten, es gibt immer eine Freude auf etwas, immer eine Möglichkeit für uns, auch wenn alle Möglichkeiten ausgenutzt und vergeudet scheinen mögen. Weil Gott uns entgegenkommt. Das ist eine Wirklichkeit in dem Leben, das unser gemeinsames Leben ist, ja, es ist mehr Wirklichkeit als irgendetwas anderes. Dieses Entgegenkommen verkündet der Tag des Gerichts. So dass das Leben, mit der Freude von Weihnachten, mit Erfüllungen und Hoffnungen, so dass das alles Zeichen dafür ist, was wirklich für uns gilt: Seht den Feigenbaum und alle Bäume an: wenn sie jetzt ausschlagen, dann wisst ihr selber, dass jetzt der Sommer nahe ist. So sollt ihr auch wissen: wenn ihr seht, dass dies alles geschieht, so ist das Reich Gottes nahe. Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte vergehen nicht,” wie Jesus sagte. Ebenso wie wir in Erwartung, Leben und Freude leben können, und es wohl kaum ohne sie tun können, so sind wir immer von ihm erwartet, der uns mit Erfüllung und Erlösung entgegenkommt. Ebenso wie wir darauf vertrauen dürfen, dass wir notwendig sind für das Leben und für diejenigen, die wir lieben, und wohl nichts ohne das unternehmen könnten, so kommt Gott uns entgegen mit einer Liebe und einem Lebensmut, die wir als ein Geschenk erfahren können weit über das hinaus, was wir selbst zu leisten vermögen. Ebenso wie wir im Licht der Erinnerung vor allem an die guten Erlebnisse und Erfahrungen denken, so können wir hier das Leben in dem Licht sehen, das die Güte und die Wahrheit und die Lebe bestehen lässt, weil sie in Wirklichkeit am meisten bedeuten in den Augen Gottes und alles andere überstrahlen werden – wie ein Bethlehemstern, mit dessen Hilfe wir Weg und Richtung finden, wie die weisen Männer, mitten hindurch durch alle Bosheit und alles Leiden der Welt. Diese Wirklichkeit im Leben miteinander ist es, was Gottes Tag des Gerichts uns offenbaren will und woran er uns immer wieder erinnern will. Es ist immer Gutes zu erwarten…

Amen

Pastor Bent Arendt
Larsen-Ledets Gade 1
DK-8000 Århus C
Tel.: ++ 45 – 86 12 21 36
E-mail: brar@os.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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