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Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Bibel und Sport
Predigten aus Anlaß der Fußballweltmeisterschaft 2006
Der Gott der Bibel und die Fußballgötter
Predigt über Gen 32,23-33, verfasst von Wolfgang Vögele
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Der Gott der Bibel und die Fußballgötter

„Und Jakob stand auf in der Nacht und nahm seine beiden Frauen und die beiden Mägde und seine elf Söhne und zog an die Furt des Jabbok, nahm sie und führte sie über das Wasser, so daß hinüberkam, was er hatte, und blieb allein zurück. Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Und als er sah, daß er ihn nicht übermochte, schlug er ihn auf das Gelenk seiner Hüfte, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm verrenkt. Und er sprach: Laß mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber Jakob antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. Er sprach: Wie heißest du? Er antwortete: Jakob. Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen. Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißest du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst. Und Jakob nannte die Stätte Pnuël; denn, sprach er, ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet. Und als er an Pnuël vorüberkam, ging ihm die Sonne auf; und er hinkte an seiner Hüfte. Daher essen die Israeliten nicht das Muskelstück auf dem Gelenk der Hüfte bis auf den heutigen Tag, weil er auf den Muskel am Gelenk der Hüfte Jakobs geschlagen hatte.“

Liebe Gemeinde,

beim unheimlichen Nacht- und Machtkampf am Fluß Jabbok verletzt sich der heimkehrende Jakob. Sein unbekannter Gegner hat ihn nach langer unentschiedener Auseinandersetzung auf den empfindlichen Hüftknochen geschlagen. Aus diesem Treffer wird er ein bleibendes Hinken zurückbehalten.

Eine ungewöhnliche, hilfreiche Körpersprache ist aus dieser Geschichte herauszuhören. Nicht nur in und mit der Seele trägt Jakob trägt seine Glaubenskämpfe aus; am Jabbok wird er körperlich herausgefordert. Für den Kämpfer und Ringer sind Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit gefragt. Darum hilft die biblische Erzählung dem christlichen Glauben, denn der vergißt über allem Geistigen, dem Himmlischen, dem Unsichtbaren und dem Jenseitigen häufig den Körper, den Leib, die Muskeln, das Irdische, Diesseitige.

Der Mensch ist Seele und Leib, Seele und Körper. Wer aufmerksam auf die Profifußballer schaut, der kann von ihnen gut lernen, wie sie sensibel auf ihren eigenen Körper achten. Sie trainieren geduldig, sie üben sich ausdauernd, sie halten sich ständig fit; und sie nehmen dafür die hilfreichen Ratschläge von Orthopäden, Physiotherapeuten und Masseuren in Anspruch. Verletztenlisten und medizinische Bulletins von Spezialisten, die sich um die Knie und die Oberschenkel der Nationalmannschaft kümmern, finden das übergroße Interesse von „Kicker“, „Sport-Bild“ und den meisten anderen (Sport-)Zeitungen.

Auch wenn Profifußballer gerne dem Ideal körperlosen Spiels huldigen, der Körper ist ihr Kapital, das zu pflegende Instrument zum Geldverdienen. Und der volle Körpereinsatz, das Tackling gefährdet Gelenke, Sehnen und Muskeln. Jede Verletzung, sei es am Meniskus, an der Achillessehne oder an den Adduktoren, macht den Einsatz im folgenden Spiel fraglich. Ein Bänderriß oder eine Muskelverhärtung ziehen eine Zwangspause von Tagen oder sogar Wochen nach sich. Gefährlich wird es, wenn Sportler ihre Verletzungen nicht auskurieren und zu Wehwehchen herunterspielen, wenn sie zu unerlaubten Mitteln greifen, um für das nächste Spiel einsatzfähig zu sein.

Fußballer stellen ihre durchtrainierten Körper auch zur Schau, was insbesondere vierzehnjährige Mädchen gelegentlich unheimlich interessant finden. Astronomische Jahresgagen und unbeirrbare Fanbegeisterung verleihen Fußballspielern den Status von Halbgöttern.

Der von seinem Vater gesegnete Jakob ist kein Halbgott. Er ist auch kein Fußballspieler, obwohl er mit seinen elf Söhnen ohne weiteres eine familiäre Fußballmannschaft hätte trainieren können. Aber Jakob ist ein unverzagter, beharrlicher, hartnäckiger Kämpfer, der das Risiko der Verletzung eingeht.

Am Fluß läßt sich der reich gewordene Jakob auf einen Kampf ein, und am Ende erhält er einen gewaltigen Schlag auf die Hüfte. Der bringt ihm eine lebenslange Behinderung ein. Man kann den Kampf am Jabbok und ein Fußballspiel miteinander vergleichen. Man sieht dann: Kampf und Wettspiel haben erstaunliche Gemeinsamkeiten: Es geht darum, Sieger oder Gewinner zu werden. Der Gegner will die Niederlage vermeiden. Man muß gut trainiert sein, um den Kampf zu überstehen.

Aber es gibt auch Unterschiede: Das Fußballspiel endet nach 90 Minuten. Schiedsrichter sorgen dafür, daß fair und entsprechend den Regeln gespielt wird. Eine Niederlage bewirkt Niedergeschlagenheit, Müdigkeit und Enttäuschung und im besonders negativen Fall den Rücktritt des Trainers, dem immer die Verantwortung aufgebürdet wird.

Ganz anders dagegen der Kampf am Fluß Jabbok. Der Erzähler sagt nicht, ob Jakob, bevor er zum Fluß kam, mit einem solchen Kampf gerechnet hat. Es ist dunkel. Jakob weiß offensichtlich nicht, mit wem er kämpft. Kein Schiedsrichter schreitet ein, als er den Schlag auf die Hüfte erhält. War das ein Foul oder nicht? Es stellt sich heraus, daß Jakob mit Gott selbst gekämpft hat. Davon gleich, in einem Moment, mehr.

Zunächst einige Worte über Kampf und Wettkampf. Wettkampf ist ein Spiel, ein geregelter Kampf, der Kraft und Emotion, Gewalt und Gefühl miteinander verknüpft – und doch zügelt und begrenzt. Den meisten Fans bleibt immer bewußt, daß Fußball nur ein Spiel ist. Doch das Spiel versetzt in gewaltige Begeisterung, vor allem wenn die eigene Mannschaft siegt. Sie schafft ein flüchtiges Gemeinschaftsgefühl, ein gigantisches Ventil für Jubel, Zorn, Stimmungen der Traurigkeit (bei Niederlagen), der Empörung (bei Fehlentscheidungen), der Überlegenheit (bei gelungenen Flanken, erfolgreichen Kopfbällen und eingeschnappter Abseitsfalle). All das kann man im Sport, besonders beim Fußball unbeschwert ausleben, als engagierter Spieler ebenso wie als anfeuernder begeisterter Zuschauer. Fußball schürt mächtige Gefühle, er bringt sie zum Ausdruck, von begeisterten Fangesängen - We are the Champions - über den nicht enden wollenden Torjubel bis zu den bitteren Tränen nach der hauchdünnen Niederlage im Elfmeterschießen.

Fußball ist auch viel einfacher als das unübersichtliche verworrene Leben: Bist du für Schalke oder für Bayern? Schreist du für Deutschland oder schreist du für Brasilien? Für eine begrenzte Zeit kann man sich darauf einlassen, kann Emotionen zulassen, für die im nüchternen, höhen- und tiefenlosen Alltagsleben kein geeigneter Platz ist.

Aber solche Kämpfe haben auch eine dunkle Seite, die sich gut an Jakobs Kampf mit dem Unbekannten zeigen läßt. Jakob wird von diesem Kampf sozusagen überfallen. Seinen unbekannten Gegner, der mit ihm kämpft, den kann er nicht erkennen. Der Kampf dauert lange und länger, und Jakob muß den Eindruck bekommen: Es geht auf Leben und Tod. Verletzungen muss er in Kauf nehmen. Es stellt sich das Allerunheimlichste heraus: Jakob kämpft mit Gott selbst.

Aus der kurzen Jabboksgeschichte ist herauszuhören: Das Leben ist Kampf, und die Kämpfe bleiben niemandem erspart. Manchmal muß man sogar mit Gott kämpfen.

Das Leben ist Kampf, aber im Fußball ist dieser Kampf vereinfacht und vor allem gezähmt, durch Fairness und Spielregeln, durch Fairplay und mehrere Schiedsrichter. Der Kampf soll auf den grünen Rasen beschränkt und vor allem ungefährlich bleiben, die Gesundheit aller Beteiligten nicht gefährden. In der Jabboksgeschichte lautet die unheimliche Botschaft: Sogar mit Gott müssen wir kämpfen.

Wir haben uns angewöhnt, die großen Unterschiede zwischen Gott und Mensch zu betonen: der fehlbare, endliche, begrenzte, schwache Mensch gegenüber dem vollkommenen, unendlichen, allmächtigen Gott. Jakobs Geschichte ignoriert diese Unterschiede: Plötzlich kämpft Jakob mit einem Unbekannten, der sich als Gott herausstellt. Plötzlich stehen sich Gott und Mensch auf Augenhöhe gegenüber. Plötzlich ringen und kämpfen sie miteinander, und das ist kein harmloses Spiel mehr. Ohnmacht kämpft gegen Allmacht, und menschliche Schwäche gegen göttliche Stärke. Kein grelles Scheinwerferlicht beleuchtet die Szene am Fluß: Alles ist Dunkelheit, undurchdringliches Schwarz.

Jakob weiß auch am Anfang gar nicht, mit wem er es zu tun hat. Ohne jedes Zögern stürzt er sich in diesen Kampf; keinesfalls will er sich überwältigen lassen. Die ganze Nacht lang dauert es, und bei einbrechender Morgenröte steht es unentschieden, remis. Erst da kann Jakobs Gegner seinen Hüftschlag platzieren. Aber Jakob gibt deswegen nicht auf; er hat nach dem nachtlangen Kampf offensichtlich gemerkt, mit wem er es zu tun hat.

Er fordert für sich den Segen.

Nun gewinnt die Geschichte ihre überraschende Wendung. Der Siegespreis besteht nicht in einem goldenen Pokal oder einem Preisgeld oder Ligapunkten: Jakob will den Segen.

Mit der Dämmerung kommt auch die Erinnerung. Denn der Kampf am Jabbok hat eine Vorgeschichte. Jakob hat ja schon einen Segen erhalten. Den Segen hat er sich von seinem Vater Isaak erschlichen und dabei seinen Bruder betrogen, in einer Mischung aus List und Hinterhalt und unterstützt von seiner findigen Mutter Rebekka. Heimlich mußte er vor dem Zorn und der Rache seines betrogenen Bruders fliehen. Nun, in der Nacht des Kampfes am Jabbok, ist Jakob nach langen Jahren des Exils auf dem Rückweg in seine Heimat. Reich geworden will er sich mit seinem Bruder versöhnen.

Der Kampf um den Segen geht am Fluß Jabbok in eine neue zweite Runde. Und Jakob läßt sich auf den Kampf ein, selbst als er die Hüftverletzung erlitten hat. Er fordert den Segen.

Und er erhält den Segen.

Die Geschichte verweigert sich allem Eindeutigen und Einseitigen. Gott stellt sich zuletzt auf die Seite Jakobs, aber Jakob muß dafür heftig und bis an die Grenzen seiner Muskelkräfte kämpfen. Er ist gleichzeitig der Gewinner des Segens und der Verlierer im Kampf, der an der Hüfte Verletzte.

Jakob wird sein ganzes Leben hinken. Das ist das Zeichen seines Kampfes und seines Makels. Und gleichzeitig hat er den Segen gewonnen, was die Bibel in einem ganz materiellen Sinn als Reichtum an Vieh, an Kindern und Nachkommen versteht. Hier, an dieser Stelle geht die Bibel über alle Fußballweisheit hinaus. Der Verlierer gewinnt. Der Betrüger wird gesegnet. Der, der es nicht verdient hat, verdient sich den Segen.

Gott ist nicht das blinde Schicksal, das ungerührt die Lebensgeschichten von Menschen verfolgt. Er ist auch nicht der Schiedsrichter, der Gut und Böse wie Erbsen auseinanderzählt.

Der Gott des Jakob ist ein Gott, der sich anrühren läßt von den Menschen, ihrem Leben, ihrem Leiden und ihren Erfolgen und Niederlagen. Wenn es sein muß, kämpft er die Kämpfe mit, durch die Nacht, bis zur Dämmerung.

Dieser barmherzige Gott des Jakob läßt sich auf alle Schwierigkeiten, auf Wege und Umwege der Menschen ein. Das ist mehr als ein Spiel, auch mehr als ein Kampf. Das ist der Segen, den Gott in Jakob den Menschen erteilt hat. Amen.

PD Dr. Wolfgang Vögele
Goldaper Str.29, 12249 Berlin
Mail: wolfgang.voegele@aktivanet.de

 


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