Predigtreihe zum Vater Unser, Oktober 2006 |
Zur Übersicht der Reihe Und führe uns nicht in Versuchung Diese Bitte setzt voraus, dass wir alle mit Versuchung/Versuchungen zu kämpfen haben. Aber worin bestehen sie? Wie könnte uns „Unser Vater im Himmel“ im Kampf mit ihnen helfen? Führt er uns etwa selbst in Versuchung? Was können wir im Kampf gegen die Versuchungen in unserem Leben tun? Diesen Fragen wird hier nachgegangen. Dabei soll das Evangelische Gesangbuch (EG) als Hilfsmittel herangezogen und eingesetzt werden. In ihm haben Erfahrungen früherer Generationen einen deutlichen Niederschlag gefunden. Sie bilden für uns einen bisher kaum wahrgenommenen, geschweige denn ausgeschöpften Schatz an alten, aber keineswegs veralteten christlichen Einsichten in einem Kampf, der uns verordnet ist. Drei Bereiche, in denen wir seit Menschengedenken vor allem mit Versuchungen zu kämpfen haben, sollen hier besonders thematisiert werden.
Zu I hören wir die Geschichte von der Versuchung Jesu aus dem Matthäus-Evangelium. Diese Geschichte steht im Kapitel 4, 1-11 kurz vor dem Vater-Unser und unserer Bitte. Da ward Jesus vom Geist in die Wüste geführt, auf dass er von dem Teufel versucht würde. In allen diesen – vom Teufel – ausgedachten und vorgetragenen Versuchungen unseres Herrn geht es um die Macht. Auch wenn sie persönlich, dass heißt auf die Person des Gottesssohnes und auf sein Erlösungswerk unter den Menschen zugespitzt sind, thematisieren sie über seine Person hinaus auch allgemein menschliche Versuchungssituationen
Das Teuflisch-Versucherische liegt in der Grenzenlosigkeit der Rolle, in die der Mensch gedrängt wird und willentlich gerät – ob es nun Jesus Christus ist oder vergleichbar abgewandelt wir selbst sind. Denn Mit diesen Rollen verbunden sind Einsamkeit und die Angst, in unserer tatsächlichen Begrenztheit durchschaut und schließlich von den desillusionierten Anderen abgestoßen, verstoßen zu werden. Die Kraft und „Klugheit“ Jesu Christi liegt in der Wahrung seiner Menschlichkeit, das heißt, im Beharren auf seiner Begrenztheit und Abhängigkeit von Gott. Die Anerkennung dieser Grenzen macht den Menschen nicht klein, sondern frei; frei zum Dienst für Gott und für die Menschen an seinem Platz, in seinen Möglichkeiten. Ebenfalls im Matthäus-Evangelium (16,26) findet sich das Wort Jesu Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Positiv formuliert heißt das: Es hilft dem Menschen, wenn er der Versuchung zu unbegrenzter Machtausübung über andere widersteht und durch den Glauben seine Seele rettet. Der Glaube macht ihn frei zum Dienst an anderen und mit anderen im Reich Gottes. Aus dem EG wären für diesen Komplex besonders zu empfehlen: Zu II gehen unsere Erinnerungen zurück bis in die Zeit des Nationalsozialismus. Wir wissen, dass damals viele Menschen, darunter auch kirchentreue und fromme Christen, von dieser Bewegung eine Stärkung und Wiederbelebung der Kirche erhofften. Von dieser Erwartung war zum Beispiel der Einsatz der „Deutschen Christen“ für das System Hitler getragen. Dieser Grundgedanke – die Kirche durch Mitmachen und Anpassung an zeitgeistige Bewegungen retten oder stärken zu wollen –, zieht sich bis heute durch die gesamte Kirchengeschichte. Im Altertum war es die Versuchung, sich mit den Kaisern Roms oder Konstantinopels und den heidnischen Kaiserkulten zu arrangieren. Im Mittelalter war es die Versuchung, sich mit den Wahnvorstellungen und Ängsten der Menschen (Teilnahme an Kriegen, Hexenwahn, Ausgrenzungen, Weltuntergangstimmungen) zu arrangieren In der Neuzeit ist es die Versuchung „mit der Zeit zu gehen“, modern zu sein um jeden Preis. Die Anpassung ist die große Versuchung von Gemeinden, Kirchenleitungen, Synoden. Sicher nicht ohne Bedacht heißt es denn auch in unserer Bitte „Führe uns nicht in Versuchung“. Dabei geht die Anpassung bis in die Predigten und die Gebete in den Gottesdiensten hinein. Die Hilfe, die uns das Evangelische Gesangbuch hier an die Hand gibt, ist sehr vielfältig: Sie ermöglicht Nüchternheit durch die Erinnerung an die Begrenztheit und Vergänglichkeit aller menschlichen Bewegungen und Ideen Fürsten sind Menschen, vom Weibe geboren (303,2) – Der Fürst dieser Welt, wie saur er sich stellt…(362,4) – Die Herrlichkeit der Erden muss Rauch und Asche werden (527) –Schönster Herr Jesu, Herrscher aller Herren …(403). Sie stellt demgegenüber die unvergleichliche Größe, Kraft, Treue, Herrlichkeit Gottes in der Schöpfungsordnung und in der moralischen Weltordnung heraus – etwa in den Liedern 303,362, 331 Sie ermuntert uns, sie ermutigt uns, Zu III im Zuge der Auslegung der Sechsten Bitte hat Martin Luther darauf hingewiesen, dass nicht alle Menschen zu jeder Zeit mit den gleichen Versuchungen zu kämpfen haben: „Die Jugend leidet Anfechtung vom Fleisch; was erwachsen und alt wird, leidet Anfechtung von der Welt; die andern aber, die mit geistlichen Sachen umgehen, das heißt die starken Christen, leiden Anfechtungen vom Teufel“. Was mit der Anfechtung des Fleisches gemeint sein kann, zeigt sein Gebet: „Lieber Vater, gib uns Gnade, dass wir des Fleisches Lust zwingen; hilf, dass wir übrigem Essen und Trinken, Schlafen, Faulenzen, Müßiggang widerstreben; hilf, dass wir es (das Fleisch) mit Fasten, mäßigem Futter, Kleidern, Lager, Arbeit, Wachen und Arbeiten dienstbar und zu guten Werken geschickt machen….“. Die Anfechtung der Welt ist zusammengefasst in der Beobachtung „Da will niemand der geringste sein, sondern jedermann obenan sitzen und von jedermann gesehen sein.“. Die Anfechtung durch den Teufel zielt darauf, „dass man beide, Gottes Wort und Werk, in den Wind schlage und verachte; vom Glauben, der Hoffnung und der Liebe will er uns reißen und zu Missglauben, falscher Vermessenheit und Verstockung oder auch umgekehrt zu Verzweiflung, Gottesverleugnung und Lästerung und anderen unzähligen gräulichen Stücken bringen….“. Im EG gibt es zu diesem Realismus in den modernen Kirchenliedern keine Parallele. Darum werden wir auf die alten Prediger und Dichter mit ihren Konkretionen angewiesen bleiben. Unter den Rubriken Umkehr und Nachfolge, Nächsten- und Feindesliebe, Beichte und Bußtag können wir einiges an hilfreichen Texten finden. Wenn Fleisch, Welt und Teufel als Verursacher der Versuchung namhaft gemacht werden, ist ausgeschlossen, dass Gott für diese Rolle in Frage kommt. Im Gegenteil, er ist es, der unsere Widerstandskraft in der Versuchung stärkt. In diesem Sinn erklärt Luther: Nicht in Versuchung führen heißt nu, wenn er (Gott) uns Kraft und Stärke gibt, zu widerstehen….Denn solang wir im Fleisch leben und den Teufel um uns haben, kann niemand Versuchung und Reizung umgehen. ….Aber darum bitten wir, dass wir nicht ganz hineinfallen und drin ersaufen. Zum Abschluss Lied 344 Vater unser im Himmelreich… Orgel: Dietrich Buxtehude „Vater Unser“ BuxWV 219. Dr. Christian-Erdmann Schott |
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