Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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Predigtreihe zum Vater Unser, Oktober 2006
"Unser Vater im Himmel", Roland Rosenstock
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


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Unser Vater im Himmel

Wie sind die Väter von heute? „Väter von heute: Sie finden es wunderbar Kinder zu haben, und fühlen sich ihnen so nah wie nie zuvor“, fasst die Zeitschrift „Eltern“ die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des Forsainstituts zusammen. Väter von heute können wickeln, kochen und nach der Geburt die Nabelschnur durchtrennen, wenn es denn nötig ist. Auf dem Spielplatz unterhalten sie sich über Masern, Mumps und Zahnweh und haben immer einen Ersatzschnuller dabei. Nur noch selten kommen Kinder mit zwei verschiedenen Socken in den Kindergarten, wenn Papa das Anziehen übernommen hat, weil Mama schon wegmusste. Und muss Papa dann doch Überstunden machen, beschleicht ihn ein schlechtes Gewissen, weil die Kinder heute ohne seine Gutenachtgeschichte ins Bett gehen müssen.

I. Väterbilder

Das Bild vom Vater verändert sich: Vom Familienpatriarchen des 18 Jh. - über den Arbeitervater des 19. Jh., bei dem die Frau im Haus das Sagen hatte, den stolzen Alleinernährer der 1950er Jahre, den ums Sorgerecht kämpfenden Scheidungsvater der 1980er bis hin zum „aktiven Vater“ des 21. Jh.: mit den gesellschaftlichen Veränderungen wandeln sich auch die Väterbilder.

Und durch die Jahrhunderte zieht sich auch das Bild der Väter, die nicht da sind, wenn man sie braucht, die „abwesend“ sind – aus welchem Grund auch immer.

Ja, das Bild vom Vater verändert sich weiter. In diesem Jahr war es ein Tierfilm über die Kaiserpinguine, die ein neues Vaterbild hinzufügte. „Wer wäre nicht gerührt von einem Vater wie diesem“, ist dann auch in der neuen „Geo“ zu Kindheit und Erziehung zu lesen: Im Moment des Eierlegens bleibt das Männchen die ganze Zeit an der Seite seiner Gefährtin. Sobald das Männchen das Ei entdeckt, beginnt es zu singen. Die Pinguindame stimmt mit ein und das Kaiserpinguinpaar singt eine Stunde zusammen, während sie die ganze Zeit auf das Ei blicken. Wenig später wird der Pinguinvater das Ei übernehmen, vorsichtig auf seinen Füßen balancieren und in einer speziellen Hautfalte ausbrüten. Während sich das Weibchen auf den Weg zum Meer macht, um sich nach langem Hungern satt zu essen, wird der Pinguin Vater in antarktischer Kälte sich mit Tausend anderen Männern zusammendrängen und in einer meditativen Stille für zwei bis drei Monate das Ei ausbrüten. Kommt die Mutter zurück und ist das Küken geschlüpft, wechseln sich Vater und Mutter bei der Nahrungssuche und beim Aufpassen ab.

Ein zärtlicher und aktiver Vater, der von seinen anderen Verpflichtungen drei oder vier Monate freigestellt wird, um mit seiner Frau in Ruhe die Geburt des Kindes zu erleben ... Vielleicht inspirieren die romantischen Tierfilme ja auch die Politik, damit Väter auch ihre neue Rolle aktiv leben können, ohne zwischen Dauerbelastung im Job und neuen familiären Bildern hin- und her gerissen zu sein.

II. Der eigene Vater

Auch wenn die Väterbilder sich ändern, lösen sie sich nicht unbedingt ab. Das Bild, das eine Gesellschaft vom idealen Vater entwirft, kann ganz anders sein als die Begegnungen mit dem eigenen Vater.

In der Erfahrung des kleinen Kindes kann der Vater alles, im Blick des Jugendlichen ist alles was der Vater kann falsch, vielleicht kommt es sogar zum Hass auf den Vater. Im Blick des Erwachsenen bekommt das Vaterbild eine neue Dimension, wenn der Sohn selbst Vater wurde oder der Vater keine Macht mehr hat, er hilflos und bedürftig wird.

Und da gibt es auch die andere Seite der Erfahrungen mit dem Vater: eine traumatische Kindheit - mit oder ohne Schläge, den züchtigenden Vater, der seine Kinder nicht in die Arme nehmen kann, emotionale Vernachlässigung, vielleicht sogar die Erfahrung vom Missbrauch.

Was verbinden Menschen heute damit, wenn sie an ihren „Vater“ denken? Eine intime Frage, die in Wahrheit nur eine innere Stimme beantworten kann, weil zum Bild die Beziehung tritt, das Erleben in den schönen, den kämpferischen und den überforderten Momenten zwischen Vater und Kind. Doch: Wer wächst heute noch bei seinem leiblichen Vater auf? Für manche Kinder bleibt nur noch der „Erzeuger“, der von der Familie nichts mehr wissen will.

Aktive Väter sind wichtig. Nicht nur für Bewegung, Fahrradfahren und Schwimmen. Sie fordern ihre Kinder, geben Orientierung und Selbstbewusstsein, lassen die Kinder mutig werden, schenken ihnen Mut, die größer ist als die Angst.

III. Gottesbilder

Ist Gott ein Kaiserpinguin? Manche Vorstellungen in der Bibel scheinen dem zärtlichen und aktiven Vaterbild nahe zu kommen, vor allem die mütterlichen. Zum Vater gehört auch die Mutter. Deshalb gehören auch mütterliche und fürsorgende Gefühle zum monotheistischen Vaterbild. Der erbarmende Gott ist immer ein zärtlicher Gott. Er fühlt, was nur eine Mutter fühlen kann, die ein Kind geboren hat. Auch Jesus redet von den mütterlichen Zügen Gottes, vergleicht Gott mit einer Henne, die ihre Küken unter den Flügeln sammelt ...

Vaterbilder verändern sich: Auch in der Bibel steht neben den zärtlichen Anteilen in Gottes Wesen, dem erbarmenden Gott, ein Gott der züchtigt. Es sind die Vorstellungen von Gottes Gerechtigkeit, die den Grenze setzenden, den richtenden und autoritären Vater hervortreten lassen.

Der richtende Vater ist dann auch das Bild, was Tilmann Moser als „Gottesvergiftung“ bezeichnet. Ein Gott, der keine Gnade mehr kennt, vor dem man sich versteckt, weil man Angst vor ihm hat, der dann aber einen trotzdem findet, damit die Schuld bereut wird. Das ist auch der Vater-Gott der schwarzen Pädagogik, der Vogelscheuchengott der Erzieher und Eltern, der auf das Kind aufpasst. Der liebe Gott sieht alles, ist dann eine Drohung, die nicht nur in der Pubertät zu beklemmenden Erfahrungen werden kann.

Die Rede von Jesu ist unvorstellbar ohne den Vater. Bietet uns das Vater-unser, der Vater Jesu Christi, die Beziehung zwischen Jesus und seinem Vater, den er mit Abba anredet, eine anderes Gottesbild? Im „Abba“ Gott begegnet uns ein liebevoller intimer Vater, der uns annimmt. Im Vater-unser begegnet uns auch ein Grenzen setzender Vater. Die Person Jesu ist unvorstellbar ohne den Vater. Alles was er ist, ist er durch den Vater.

Auch Grenzen zu setzen, ist ein Ausdruck der Liebe und einen Halt geben. An der Grenze lernt das Kind Verantwortung zu übernehmen. Manchmal auch dadurch, dass die Grenze überschritten wird.

Grenzen zu respektieren und für sich selbst anzunehmen, heißt auch, sich rücksichtsvoll zurecht zu finden, also zu lernen, Rücksicht zu nehmen. Aber welche Grenzen setzt der Vater und welche setzen wir uns selbst?

Eine klare und vertrauensvolle Beziehung zu einem anderen Menschen gibt Kraft. So ist es auch in der Beziehung zu Gott. Die Rede von der Liebe des Vaters, die uns auch im Gleichnis des verlorenen Sohnes begegnet, ist verbunden mit einem Grenzen setzenden Vater, der auch das Scheitern zulässt. Der Vater bricht die Beziehung nicht ab. Und der Sohn? Es ist das Gefühl, dass der Vater im Sohn gesät hat, die Erfahrung der grenzenlosen Liebe, an die sich der Sohn selbst „bei den Schweinen“ erinnert. Der Vater ist bei ihm gewesen, auf dem Weg, weit weg von zuhause.

Was verbinden Menschen heute mit dem Vaterbegriff, wenn sie an Gott denken? Ist Gott der Vater ein Gegenbild zu dem, was wir mit unseren Vätern erleben? Wie können wir einen Vatergott erlebbar machen, der die Menschen fördert, selbst wenn sie Grenzen überschreiten, der uns zur Achtsamkeit ermutigt, wo andere Menschen von unserm Handeln betroffen sind?

Aktive Väter sind wichtig. Nicht nur für Bewegung, Fahrradfahren und Schwimmen. Sie fordern ihre Kinder, geben Orientierung und Selbstbewusstsein, lassen die Kinder mutig werden, schenken ihnen Freiheit und Mut, der für Momente ihre Angst besiegt. So ist es auch bei Gott.

IV. ... wie die Kinder

Das Nachdenken über den Vater, schließt auch die Bereitschaft „Kind zu sein“ ein. Deshalb stellt Jesus ein Kind in die Mitte und sagt: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder ... .

Und Kindsein heißt in der Beziehung zu Gott: Ich muss in mir einen Türspalt offen halten, damit die Liebe des Vaters erfahrbar wird. Das können wir von denn Kindern lernen. Oder den Mund offen halten und die Augen geschlossen, wie im alten Kinderspiel „Mund auf, Augen zu“. Man bekommt etwas in den Mund gesteckt und vertraut, dass es etwas Gutes ist, zum Beispiel eine Erdbeere. Vielleicht ist das ein schönes Bild: Bei meinem Vater darf ich mutig sein, er wird mich nicht enttäuschen.

Aktive Väter sind wichtig. Nicht nur für Bewegung, Fahrradfahren und Schwimmen. Sie fordern ihre Kinder, geben Orientierung und Selbstbewusstsein, lassen die Kinder mutig werden, schenken ihnen Freiheit und Mut, der für Momente ihre Angst besiegt. So ist es auch beim Vater-Unser und bei Gott.

Denn seit Jesus uns das Beten lehrte, ahnen wir: Auch unser Vater im Himmel findet es wunderbar, Kinder zu haben, und er fühlt sich ihnen jeden heute näher als je zuvor. Amen

Prof. Dr. Roland Rosenstock
Roland.Rosenstock@gmx.de

 

 


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