Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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Traupredigt 2006
zu 1. Korinther 13, 7, verfasst von Ulrich Nembach
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


1. Korinther 13, 7: Die Liebe erträgt alles, sie glaubt alles,
sie hofft alles, sie duldet alles.

Liebes Brautpaar!
Liebe Hochzeitsgemeinde!

Sie sind hierher gekommen in die schöne, alte Petrikirche, um für Ihr gemeinsames Leben sich feierlich Ihrer Liebe gegenseitig zu versichern und um für Ihr Leben in Gemeinschaft Gottes Segen zu erbitten. Ihre Gemeinschaft stellen Sie ausdrücklich unter das Wort

Die Liebe erträgt alles, sie glaubt alles,
sie hofft alles, sie duldet alles.

Dieses Wort stammt aus dem 1. Korintherbrief des Paulus, dem 13. Kapitel, dem Kapitel, das vorhin vorgelesen wurde. Dieses Kapitel begegnet Ihrer Ehe hier erneut. Es hatte bereist die Standesbeamtin in ihrer Rede bei der standesamtlichen Trauung aus dem 13. Kapitel zitiert. Sie haben nun einen anderen Vers ausgewählt. Die Liebe erträgt alles.

Damit ist alles gesagt, sollte man meinen, aber dennoch braucht Paulus ein ganzes Kapitel, um die Liebe zu beschreiben, die alles trägt. Paulus ergeht es hier ähnlich wie Ärzten in der Klinik und wie Anwälten in ihrer Kanzlei. Ärzte müssen ihren Patienten erklären, was die Diagnose bedeutet. Anwälte müssen ihren Mandanten erklären, was der Anspruch bedeutet, welche Folgen er vor Gericht haben kann. Ähnlich ergeht es Paulus mit der Liebe und mir heute, zumal das Wort „Liebe“ überall und für alles gebraucht wird. Inzwischen weiß niemand mehr genau, was „Liebe“ ist oder was Paulus gar unter „Liebe“ versteht. Ähnlich verhält es sich mit dem Wort „alles“. „Alles“ meint alles und nichts. Das Fazit, das ich aus diesem sprachlichen Durcheinander ziehe, ist: ich will beide Worte, „alles“ und „Liebe“, erklären. Als Hilfe dazu habe ich mir zwei Beispiele ausgesucht. Es sind zwei Geschichten, eine reale und eine ausgedachte.

Was heißt alles? Zur Erklärung soll die reale Geschichte helfen. Sie ist ganz konkret. Es geht um Rostock, Ihre Stadt, in der Sie leben und um diese Gemeinde, Ihre Gemeinde, und um diese Kirche. Was haben Sie und was hat diese Stadt mit dieser Kirche alles erlebt? Gegründet wurde Rostock in dem ausgehenden 12. Jahrhundert. Davor war dieser Ort von Wenden und davor von Germanen bewohnt. Ich möchte mich auf die Zeit seit der Gründung des heutigen Rostock beschränken. Das sind immerhin über 800 Jahre, eine lange Zeit. Vieles kann in den langen Jahrhunderten passieren und ist passiert.

Schon die aller jüngste Vergangenheit, die wir selbst erlebt haben, brachte eine Menge Ereignisse, die von uns und von den Bürgern Rostocks bewältigt werden mussten. 1989, nach der Wende, gab es Probleme mit den Werften; der Alltag der Bewohner der Stadt veränderte sich total. Davor gab es bereits eine totale Veränderung 1945, davor 1933. Ähnlich erging es den Einwohnern in früheren Zeiten, die wir nur aus Geschichtsbüchern kennen und von denen die Mauern dieser Stadt, auch und besonders von den Mauern dieser Kirche, der ältesten der Stadt berichten. Vielleicht waren die Veränderungen nicht immer so radikal wie im 20, Jahrhundert. Es gab aber immer wieder Probleme für die Einwohner, für die ganze Stadt, für die Kirche und für diese Petrikirche. Feuer, Gewitter, Sturm, Politik und Krieg trafen Stadt und Kirche. 1942 griffen britische Bomber Rostock an und zerstörten die Stadt und mit ihr die Petrikirche. 1543 vernichte ein Feuer den Kirchturm; 1575, 1581, 1610 und öfter verrichteten Gewitter und Sturm ihr zerstörerisches Werk an der Petrikirche. Allein in wenigen Jahren von 1543 -1610 wurde die Petrikirche viermal getroffen. Die Bürgen bauten wieder auf, was Feuer und Sturm zerstörten. Dabei waren sie selbst und ihre Häuser von Feuer und Sturm getroffen worden. Schon 1311, bereits während des Baues der Kirche, wurden Steine von der Kirche wieder ab-getragen und für einen Wachturm bei Warnemünde verwendet zum Schutz vor den Dänen. Die Dänen haben damals auf Grund der für sie günstigen politischen Großwetterlage ihre Herrschaft im Ostseeraum ausgeweitet, u.a. eroberten sie die Insel Rügen. Noch zur Zeit der Reformation unterstand Rügen kirchlich gesehen dem dänischen König.

Dabei hatte alles bei der Gründung Rostocks sehr hoffnungsvoll begonnen. Die politische Großwetterlage war ebenfalls günstig für Städtegründungen am Südufer der Ostsee. Diese gute Situation kam der jungen Stadt wie der ganzen Hanse zugute, deren Mitglied Rostock bald nach seiner Gründung wurde. Schon 1218 erhielt Rostock Lübecker Recht, was damals soviel bedeutete wie heute die Aufnahme in die EU! Um 1300 – ich nenne die Zahlen, um zu zeigen wie dicht aufeinander die Ereignisse folgten – hatte Rostock neben der Petrikirche, wie gesagt, der ältesten Kirche der Stadt, weitere Kirchen! Sie prägen noch heute das Stadtbild. Eine Universität wurde schon 1419 gegründet, rund 250 Jahre nach Gründung Rostocks. Zum Vergleich sei Göttingen genannt, das fast 800 Jahre lang auf eine Universität warten musste! Anderseits lief nicht alles gut bei der Universität. Kurz nach ihrer Gründung der Universität gab es Probleme. Bereis 1456 wurde deshalb eine Universität in Greifswald gegründet.

Der kurze Überblick über die Geschichte Rostocks und der seiner Petrikirche zeigt, was alles die Menschen hier erleben. Dazu kamen die Schicksale der Einzelnen. Sie heirateten; sie bekamen Kinder. Sie lachten; sie weinten. Einen Einblick in so ein Einzelschicksal aus der jüngeren Vergangenheit gibt Walter Kempowski, dessen Elternhaus in der Nähe Ihrer Wohnung stand. Andere Autoren und die Denkmäler der Stadt zeigen andere Schicksale. Ein kurzer Überblick findet sich im Internet unter www.petrikirche-rostock.de .

Paulus – und damit kehre ich zu ihm zurück - meint dies alles, was die Rostocker und auch Sie persönlich erlebt haben, und noch vielmehr, wenn er, Paulus, alles sagt. Alles bedeutet viel, sehr viel. Paulus drückt das mit wenigen Worten knapp, eigentlich zu knapp aus. Er schreibt aber immerhin:

Die Liebe erträgt alles, sie glaubt alles,
sie hofft alles, sie duldet alles.

Paulus wiederholt sich. Er sagt viermal alles. Er tut noch mehr. Er verwendet für seine Darlegungen eine komplizierte poetische Form. Wir können sie in unserer Übersetzung so gar nicht nachmachen. Ich habe deshalb auf all die Erlebnisse Rostocks, Ihrer Stadt, im Laufe der Geschichte verwiesen.

Ja, und das alles trägt die Liebe. Mein Beispiel für die Liebe ist eine ausgedachte Geschichte. Diese fiktive Geschichte hat sich Hans Christian Andersen einfallen lassen und zwar für Erwachsene und Kinder. Er erzählt von zwei Kindern, von einem Jungen und einem Mädchen. Na, wisst ihr schon, welche Geschichte ich meine? Nein, gut, ich helfe euch. Das Mädchen heißt „Gerda“ und der Junge „ Kay“.

-Na, ist der Groschen gefallen? Luisa, Leni? Lina, Paula, was ist? Ja? Prima! Willst Du die Geschichte erzählen? Komm her zum Mikrofon, sonst können Dich die vielen Leute hier in der Kirche nicht verstehen.

-Nein? Gut, dann will ich die Geschichte erzählen: Also, Gerda und Kay sind gute Freunde. Sie finden sich prima. Sie spielen immer zusammen. Eines Tages passiert etwas. Die Beiden bemerken es gar nicht. Ein Spiegel zerspringt in lauter kleine, wirklich kleine Teile. Einer der kleinen Splitter trifft Kay. Da der Splitter klein ist, merkt Kay nichts, aber der Splitter hat es in sich. Der Splitter lässt Kay Herz zu einem Eisklumpen werden! Sein kaltes Herz verändert ihn ganz. Er beginnt mit Gerda, seiner Freundin, zu streiten. Ja, es kommt noch schlimmer. Nach außen sieht aber alles prima aus. Die Schneekönigin kommt so gar. Sie wohnt ganz im Norden, am Nordpol. Sie hat ein schönes weißes Kleid an. Es ist fast so schön wie das Kleid von der Braut. Was macht die Schneekönigin? Sie nimmt Kay mit in ihren Palast. Es ist ein Palast ganz aus Eis. Und was macht Gerda? Sie ist traurig. Nun ist Kay so gar fort, aber Gerda gibt nicht auf. Sie sucht Kay. Das ist anstrengend. Findet ihr ´mal jemanden, der im Norden bei der Schneekönigin im Eispalast ist! Jedoch Gerda gibt nicht auf. Sie sucht und sucht. Dabei wird es immer kälter. Ihr wisst, wie kalt es im letzten Winter war. Lina und Paula, bei Euch im Schwarzwald war es da nicht kalt? Und Luisa und Leni, war es nicht auch bei kalt? Ihr musstet Euch ganz schön warm anziehen, wenn Ihr zum Schlittenfahren oder Skifahren gegangen seid. Als Carla im Norden war, wäre ihr beinahe so gar das Gesicht erfroren, als sie zum Schlittschuhlaufen war.

Eine Zwischenbemerkung für die Erwachsenen: Natürlich weiß ich auch, dass das Märchen vielschichtig und voller Anspielungen ist, dass der Eispalast im Norden als Reich der abstrakten Vernunft gesehen wird. Ich und Sie, wir wissen ebenfalls, dass die Vernunft sehr kalt sein kann, der Liebe bedarf. Soviel sei an die Adresse der Erwachsene gesagt und nun geht es weiter mit dem Märchen für Kindern und Erwachsenen.

Also in so einer Kälte suchte Gerda den Kay. Das Ganze war anstrengend. Schließlich findet sie ihn. Da war Gerda vielleicht froh. Das könnt Ihr Euch gut vorstellen. Aber, was passiert nun? Kay beachtet die Gerda gar nicht. Er sieht sie nicht einmal an. Das ist zuviel für Gerda. Sie fängt an, ganz fürchterlich zu weinen. Sie kann nicht mehr. Ihre Tränen rollen ihr nur so über die Backen. Manche von den Tränen fallen auf Kay. Und nun passiert noch etwas. Die Tränen erwärmen das kalte Herz von Kay. Er kann nun wieder sehen wie früher. Er ist richtig froh, Gerda zu sehen! Auch Gerda wieder glücklich, und beide gehen zufrieden nach Hause(*).

Damit ist die Geschichte von Gerda und Kay zu Ende. Das ist eigentlich schade. Wie könnte die Geschichte weitergehen? Habt Ihr eine Idee? Ein Vorschlag von mir: Wir drehen die Geschichte einfach um. Gerda bekommt ein kaltes Herz. Was meint Ihr, wird Kay sie nun auch suchen? Ich denke schon. Die Beiden lieben sich ja.

Es geht ihnen wie dem Brautpaar.

Ihnen Beiden wünsche ich diese Liebe für die Zukunft. Andersen hat vielleicht Ihren Trauspruch vor Augen gehabt, als er sich die Geschichte von Gerda und Kay ausdachte. Diese Liebe lässt Gerda und Kay Eis und Schnee überstehen und ließ die Rostocker alle Gefahren, Feuer, Gewitter, durchhalten, ihre Stadt und die Petrikirche immer wieder aufbauen. Gott gebe Ihnen Beiden, liebes Brautpaar, diese Alles tragenden Liebe. Er segne Sie.

Amen.

(*) Hans Christian Andersen, Märchen, München 1975, Bd.2, S. 9ff.
Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Schneek%C3%B6nigin

Prof. Dr. Dr. Ulrich Nembach
Göttingen
ulrich.nembach@theologie.uni-goettingen.de


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