Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, Redaktion: C. Dinkel und I. Karle

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Passionszeit 2006
Theologische und kirchenmusikalische Anregungen zu Passionsliedern
Alexander Völker und Thomas Schmidt
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Zum 4. Sonntag der Passionszeit (26. März 2006)

Korn, das in die Erde EG 98

„Noël nouvelet“ (15. Jh.), Now the green blade rises, Korn, das in die Erde… – ein europäisches Passions- und Osterlied mit französischem Ursprung und in der französischen Tradition lebendig (ein virtuoses Orgelwerk von Marcel Dupré [1886-1971] hat den Refrain zum Thema), mit einer österlich-englischen Zwischenstation, bis Jürgen Henkys 1976/78 daraus meisterhaft ein ganz und gar meditatives Lied formte, das, in den Gemeinden in der früheren DDR zuerst gesungen, sich im deutschen Sprachraum längst überzeugend durchgesetzt hat. Seine Stärke liegt in der knappen, strengen, assoziativ arbeitenden Sprache, die in Andeutungen weite Dimensionen aufscheinen lässt: die von Tod und Grab (1,1; 1,3; 2,2; 2,3) wie die des Lebens (1,2; 1,3; 3,3).

Beherrschend ist das Bildwort vom Weizen-Korn (Joh 12,24), das im Keim (1,2) und in Gestrüpp und Dorn (3,2) gewissermaßen den „Erdboden“ des Ganzen abgibt (zu Beginn kontrastieren Korn-Erde-Tod sinnreich zur Trias Keim-Acker-Morgen). Immer trägt die dritte Zeile jeder Strophe, auch melodisch-rhythmisch retardierend und ‚in Gegenbewegung’ konzipiert, den weiterführenden Hauptgedanken: Strophe 1 die Hoffnung auf Leben, längst erstorben; Strophe 2 die Unwiderruflichkeit des Todes Jesu, Strophe 3, dies verstärkend (Im Gestein verloren / unser Herz gefangen), wird aus der Nacht durch Gottes Liebe am dritten Tag (Credo) neues Leben. Der mittleren Strophe kommt durch den Namen Jesus und Gottes Liebe, die der gleich bleibende Refrain aufnimmt, die Funktion des Kerns, ja Schlüssels für das Lied zu: brach die Welt den Stab. Doch ist diese Redeweise noch gebräuchlich, auf Anhieb wirklich verständlich?

Der Predigttext-Schluss „Denn Christus ist mein Leben ...“ (Phil 1,21) bietet wohl den besten Ansatzpunkt dafür, der aus Anfechtung (1,15ff.) wie auch aus Gewissheit (19f.) erwachsenen Argumentation des Apostels das spannungsreiche Passions- und Osterlied Korn, das in die Erde an die Seite zu stellen, das sein endzeitliches Sich-Ausstrecken nach einem Leben in Gottes Liebe durch die Erfahrung von Tod und Grab („wie ich sehnlich warte und hoffe“, 1,20a) mit keiner Zeile verleugnen kann. Festzuhalten bleibt, dass unser Lied nicht irgendeiner „Liebe im Sinne Jesu“ das Wort redet, die alles erklären und alles rechtfertigen will. So wie es unlösbar mit der Christusgeschichte verbunden ist, bringt auch Paulus die ‚Christusförmigkeit’ seiner Gefangenschaft, seines Lebens und Sterbens zum Ausdruck. Der österliche Voraus-Klang im Predigttext („ich werde mich auch weiterhin freuen“, 1,18c) und im Lied soll an diesem Passionssonntag unüberhörbar sein.

oder

Jesu, meine Freude EG 396

„Im Auge des Hurrikans“: Tobe, Welt, und springe; ich steh hier und singe in gar sichrer Ruh – eine solche Herausforderung und Konfrontation aus Strophe 3 kommt am ehesten dem nahe, was Paulus seinen Mitchristen in Philippi zu sagen hat. Um der Sehnsucht (Phil 1,20) nach dem Geliebten (Bräutigam, außer dir ... nichts Liebers, Ergötzen, Lust), nach Jesus (1), Ausdruck zu geben, wählt die Barockpoesie Johann Francks als literarische Form die Liebeserklärung, eine Art geistlicher ‚Parodie’ von „Flora, meine Freude“ (mit gleichem Strophen-Schema; Simon Dach und andere Liederdichter hatten um 1650 Ähnliches in ihrem „Album“).

Was Lieder von heute oft vermissen lassen, realisiert Jesu, meine Freude vollauf: Die Bekenntniszusage zu ihm (Str.1 und 6) kann es nur mit einer klaren Absage geben, einem „Nein“ an Feinde, Satan, Welt, Sünd’ und Hölle, Drachen, Todesrachen, Erd und Abgrund, Schätze, Ehren, Stolz und Pracht, Lasterleben, – und dies geschieht mit zunehmender Intensität und Schärfe (2: Lass ... ob gleich; 3: Trotz ... muss; 4: Weg ... soll mich nicht; 5, jetzt ironisch: Gute Nacht ...; 6: Weicht). Doch ist, was das Lied über mindestens vier seiner Strophen hinweg vollzieht, heute wirklich ohne weiteres, ohne Vorbehalt nachvollziehbar? Manchem wird solches „Glaubenstheater“ mit Satans- und Höllenspektakel als für Menschen des 21. Jahrhunderts unzumutbar erscheinen, ungeachtet der berühmten, vielfach aufgeführten Motette Johann Sebastian Bachs (BWV 227) und der zum Lied so reichen Vokal- und Instrumentalmusik.

Zeichenhaft bildet die Melodie Johann Crügers etwas ab von dem Kampf, dem Niederringen, von Christussieg und Christusverherrlichung (durchdachter Halbe-Viertel-Wechsel; Aufschwung zum Spitzenton, der auch im Abgesang erscheint; Spiel mit Tonarten u.a.). Es ist dem Prediger wie dem Musiker aufgetragen, dies auch der Gemeinde nahe zu bringen. Die Passion Jesu erscheint (wie im Predigttext) nur implizit (Gottes Lamm); um so präsenter ist das ob ich viel muss leiden derer, die hier singen.

-> EG 98 / EG 396

Alexander Völker
asvoelker@teleos-web.de


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