Göttinger Predigten im Internet
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Letzter Sonntag des Kirchenjahres, Ewigkeitssonntag, 26. November 2006
Predigt zu Jesaja 65, 17-24, verfaßt von Michael Rambow
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Die Infusionskanüle ist mit Pflaster am Fuß fixiert. Ein blasses Gesicht. Ein Mädchen in einem Krankenhausbett über Schläuche in Mund und Nase verbunden mit Apparaten, die Leben versprechen und Verheißenes doch nicht einlösen können. Am Ende eine Tote in rote Tücher eingehüllt in einem Sarg. Die Farben der Liebe als Letztes.
Elisa Nissa Dietrich hat das Sterben ihrer Schwester fotografiert. Mit diesen unmittelbaren, vorsichtigen und trotzdem nahen Bildern gewann die 20-Jährige in ihrer Altersgruppe den Deutschen Jugendfotopreis 2006.
Angesichts des Endes muss man eine Antwort finden: „Was kommt nun?“

Im Buch des Propheten Jesaja im Alten Testament heißt es:
„Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird.
Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe...Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen, sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt, und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht...Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen; denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des HERRN, und ihre Nachkommen sind bei ihnen.“

Sind wir heutzutage nicht ziemlich nahe dran an dieser ewig geträumten schönen neuen Welt? Therapeutisches Klonen verheißt, dass mancher frühe Tod künftig vermieden werden wird. Die Chancen steigen, dass die natürlichen Grenzen weiter hinaus geschoben werden. Die durchschnittliche Lebenserwartung in unseren Breiten geht mittlerweile an die 80 Jahre.
Trotzdem zeigt jeder Tod früher oder später die Grenzen und weckt Fragen, was dagegen hätte getan werden können. Der Tod kann ein schlechtes Gewissen machen. Dieses Leben ist nicht wie es sein sollte.

Hermann Schreiber gibt davon ein anrührendes Zeugnis. Der Hamburger Journalist und frühere GEO-Chefredakteur beschreibt ungeschönt und sehr persönlich Reue und Schuldgefühle angesichts des Sterbens der alten Mutter. „Das gute Ende“ nennt er sein Buch „Wider die Vergesslichkeit des Todes“. Vor dem Ende zählen keine Entschuldigung und keine Leistung. Das Schlimmste ist, dass wir uns damit nicht auseinander setzen sagt Hermann Schreiber.
Aber der Tod holt jeden ein. Plötzlich anlässlich der Beerdigung des Kollegen, der Nachbarin, der eigenen Schwester muss man sich Rechenschaft geben. Was füllt meine Lebenszeit? Worauf gründet sich mein Zutrauen, dass ich heute wie gestern und morgen wie heute aufstehe die Termine im Kalender selbstverständlich wahrnehme? Wird alles sinnlos, wenn es früher oder später im Tod endet? Die tägliche Arbeit, schreiben, lesen, mühen – alles vergeblich? Macht der Tod die Liebe überflüssig? Irgendwann ist jedes Leben wie ein abgeschnittenes Band. Bis hierher und nicht weiter ist die Todesbilanz. Sie krampft das Herz zusammen. Sie verschleiert den Blick mit Tränen. Sie raubt nachts den Schlaf im einsamen Bett. Sie macht sinnvolles Handeln am Tag schwer. Angesichts des Endes sind die Verheißung und der Traum von einem neuen Himmel und einer neuen Erde schwer vorstellbar.

Der Glaube hat sich mit den so genannten Realitäten nie abgefunden. "Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaf­fen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen soll." Jesaja träumt von einer vollkommen anderen neuen Welt. Als Knabe gilt, wer hundertjährig stirbt. Kein Weinen. Keine Ratlosigkeit. Kein vergebliches, zu früh abgebrochenes Leben.
Unter diesem neuen Himmel auf dieser neuen Erde muss es eine Lust und wie im Paradies sein zu leben. Gottes Überschuss an Verheißungen nährt Lebenshoffnung. Wo der Tod mit Händen zu greifen ist setzt der Glaube Hoffnungsbilder dagegen. Es wird alles noch ganz anders sein. Sei getrost. Glaube wagt das Kühnste. Die Hoffnungsbilder des Glaubens räumen das Sterben nicht weg. Sie helfen auszuhalten, was einem immer wieder begegnet: Der böse Tod wenn die alte Frau im Heim und die junge Schwester nach rätselhafter Krankheit sterben.
Solche bitteren Erfahrungen mit Hoffnungsbildern aus dem Überschuss der Verheißungen Gottes auffüllen lassen. Das ist die Ungeheuerlichkeit des Glaubens. Mich erwartet neues Leben. Nicht aus unseren Erfahrungen füllt sich diese Hoffnung. Der Glaube begründet Hoffnung nicht aus dem eigenen Handeln oder Wünschen. Der Mensch braucht Erlösung. Gott kann und will noch ganz anders auf unsere Lebenserfahrungen, auf die Schuldgefühle die unerledigten Unvollkommenheiten, auf die Rechenexempel nach denen sich erfülltes Leben darstellt antworten. Dieser Überschuss an Verheißungen hilft, das Leben zu gestalten.
Solange wir hier sind, hat der Überschuss an Verheißungen Gottes fragmentarischen Charakter. Beziehungen bleiben gefährdet. Handeln kann sinnlos erscheinen. Schmerz tut weiterhin weh. Verluste machen immer traurig. Hoffnung kann nur gelebt werden, wenn sie sich dem ausliefert, der vom Tod nicht betroffen ist. Gott ist jenseits unserer Hoffnungslosigkeiten. Er gibt gewissermaßen die Brücke, wenn wir an den eigenen Grenzen angekommen sind.

Suchen wir nicht nach dieser Brücke, die uns hinüber hilft zu anderen Einsichten und Antworten auf die Fragen? Suchen wir nicht nach dem Land, wo Schmerz gestillt, Trauer getröstet werden und neue Räume sich öffnen angesichts von Trost- und Sinnlosigkeit?
"Freut euch und seid fröh­lich über das, was ich schaffe" (V. 18a) lautet die gute Nachricht dieses Tages. Die Verheißungen Gottes, die Jesaja weitergibt, treffen uns im­mer in leidvoller Zeit. Je nachdem werden sie uns näher oder ferner, leichter glaubhaft oder zweifelhafter klingen. Aber es bleiben verheißungsvolle Hoffnungsbilder. Wir brauchen sie um zu leben.

Michael Rambow
Am Domplatz 8
21220 Seevetal-Ramelsloh
Telefon 04185/ 2229
eMail: ev.luth.kirche.ramelsloh@freenet.de


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