Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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Buß- und Bettag - 22. November 2006
Predigt zur Offenbarung des Johannes 3, 14-22, verfaßt von Werner Schwartz
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


14 Und dem Engel der Gemeinde in Laodizea schreibe: Das sagt, der Amen heißt, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes:
15 Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest!
16 Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.
17 Du sprichst: Ich bin reich und habe genug und brauche nichts!, und weißt nicht, dass du elend und jämmerlich bist, arm, blind und bloß.
18 Ich rate dir, dass du Gold von mir kaufst, das im Feuer geläutert ist, damit du reich werdest, und weiße Kleider, damit du sie anziehst und die Schande deiner Blöße nicht offenbar werde, und Augensalbe, deine Augen zu salben, damit du sehen mögest.
19 Welche ich lieb habe, die weise ich zurecht und züchtige ich. So sei nun eifrig und tue Buße!
20 Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.
21 Wer überwindet, dem will ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden habe und mich gesetzt habe mit meinem Vater auf seinen Thron.
22 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!

Liebe Gemeinde,

nicht gerade schmeichelhaft, was der Gemeinde in Laodizea da gesagt wird. Ein harter Brocken. Ich stelle mir vor, uns würde einer so etwas schreiben, und wir müßten den Brief im Presbyterium vorlesen oder hier in der Kirche. Ich bin nicht sicher, ob wir zu Ende zuhören würden, ob wir uns damit befassen würden - oder ob wir nicht abwinken würden, den Schreiber für überspannt und verrückt erklären und uns einfach dem Alltag zuwenden würden.

Ob es der Gemeinde in Laodizea leichter fiel, den Brief zu lesen? Eine christliche Gemeinde in einer reichen Stadt in Kleinasien, reich durch Textilindustrie, die die Wolle der Schafe in der Umgebung verarbeitete, diese dunkelviolette Wolle schwarzer Schafe, und reich durch pharmazeutische Industrie, verbunden mit dem Kult des Asklepios, vor allem mit Salben und Tabletten gegen Augen- und Ohrenleiden.

Eine Stadt, die den Kaiser verehrte, Diokletian, voller Pomp in den Tempeln. „So spricht der Kaiser, der Sohn des Gottes Vespasian, der anbetungswürdige Domitian“ - diese Formeln waren den Leuten geläufig, Ausfluß einer allgegenwärtigen Herrscherideologie. Dem steht entgegen, was der Seher Johannes schreibt: „Das sagt, der Amen heißt, der treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes.“

Eine andere Herrschaft wird da ausgerufen. Sie überbietet die Macht des mächtigen Kaisers durch eine größere Macht: „Der der erste und der letzte ist, der tot war und wieder lebt“ (2,8). Der Macht auf der Erde tritt die Macht im Himmel gegenüber. Der Menschensohn, Christus tritt auf. Nicht als König, nein, als Richter. Und er geht hart ins Gericht mit den Leuten, seinen Leuten, seiner Gemeinde in Laodizea:

Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde ...“ (3,15f).

Lau, weder heiß noch kalt, lauwarme Brühe, die nicht schmeckt, ich spucke sie aus, damit mir nicht übel wird. Eure Unentschiedenheit, eure Wischi-Waschi-Haltung. Nur nicht eindeutig sein, nicht klar, lieber auf allen Schultern Wasser tragen, es jedem recht machen, keinem weh tun, ja nicht anecken. Ich kann das einfach nicht mehr ertragen.

Nicht Fisch noch Fleisch. Dem einen so,dem andern so. Keine Geradlinigkeit; alles mitmachen wollen, aber nichts richtig tun; alles haben wollen, aber sich für nichts entschieden einsetzen. Wie das halt mal so ist, auch unter uns, bis heute. Die kleinen Spiele, die wir tagtäglich miteinander spielen, zeigen das.

Heiß oder kalt, ja oder nein. Entschiedenheit ist gefragt, Geradlinigkeit, Verlässlichkeit, Verbindlichkeit - gegen das Alles-und-jedes-Prinzip unserer Zeit, das erlebnistrunkene Strohfeuerabbrennen, das hopsige „ein bißchen hiervon, ein bißchen davon, aber von nichts nicht zuviel“, nichts zu nahe an mich herankommen lassen. Ein bißchen Liebe, ein bißchen Friede, ein bißchen Geld, ein bißchen Glück, von allem ein bißchen, gut gemixt, aber es soll mir jan nichts zu sehr auf die Pelle rücken.

So sei nun eifrig und tue Buße!“ Das ist der Bußruf, dessentwegen es gut ist, daß es den Bußtag gibt, ob an einem Mittwoch im November oder an sonst einem Tag, am besten an jedem Tag. Und den Bußruf, den Ruf zur Umkehr, wird es weiter geben, auch wenn es den Bußtag als Feiertag nicht mehr gibt. Kehrt um, ändert euch, laßt die Halbheit hinter euch. Sonst ist euer Leben nichts Halbes und nichts Ganzes. Werdet andere Leute.

Welche? Leute mit Rückgrat, aufrechte Leute, nicht länger solche solche, die ihr Fähnlein nach dem Wind hängen. Leute, die wissen, daß es auf sie ankommt, auch auf sie. Die wissen, daß es auch von ihnen abhängt, ob sie die Welt ein bißchen besser verlassen, als sie sie betreten haben. Die ein Ziel haben, eine Richtung, die um Gottes Ziel wissen für diese Welt und dann vorangehen, nicht stehenbleiben. Die den Pfad suchen für ihr Leben und ihn finden. Solche Leute sollen wir werden. Solche Leute sucht Jesus.

Leute, die leben, wie er lebt, tun, was er tut. Menschen, die offen sind für andere, gerade den Schwachen zugewandt. „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken“ (Matthäus 11,28). Gerade für euch bin ich da, gerade für solche sollen wir da sein. Nicht mit den Großen sollen wir uns allein abgeben, nicht mit den Mächtigen uns verbünden. Zu den Armen, materiell arm, arm im Gemüt, im Empfinden, in der Seele, im Geist, arm im Leben, zu denen sollen wir uns halten. Denen helfen, die nicht recht mitkommen; die in den Arm nehmen, die traurig sind; die aufmuntern, die niedergeschlagen sind; für die eintreten, deren Rechte mißachtet werden.

Auch wenn’s nicht mit Siebenmeilenstiefeln vorangeht, sollen wir doch beharrlich dranbleiben. Alle Gaben einsetzen, die uns zur Verfügung stehen, Kraft, Zeit, Engagement, um wenigstens hier oder da etwas zum Besseren zu ändern. Und beharrlich dranbleiben, uns nicht entmutigen lassen, kämpfen, weiterkämpfen, nicht aufgeben. Eintreten für Recht und Gerechtigkeit, für Menschlichkeit und Liebe.

Was würde das unter uns nicht ändern? Nicht: Jeder ist sich selbst der Nächste, sondern: Sorgt füreinander. Hinsehen, wo ich gebraucht werde. Dasein, mich nicht verdrücken.

Können wir uns zufrieden geben mit der Ungleichheit unter uns: Lange arbeitslos, ohne Perspektive die einen, und die anderen denken kaum dran zu teilen? Obdachlos, und uns fällt nur das Butterbrot, der Euro für den Hut ein? Ein ausländisches Kind, und wir überlassen’s der Lehrerin, ihr Bestes zu versuchen? Psychisch angeschlagen, und wir prahlen mit unserer Stärke: Hab Dich nicht so ...? Gewalttätig, und wir rufen nach der Polizei, als ob die die Ursachen beseitigen könnte, die Perspektivlosigkeit beheben, ein Selbstwertgefühl vermitteln, Gemeinsinn antrainieren?

Und weltweit: Wir lehnen uns zurück, wo Menschen sich bekriegen, und lassen unser Geld arbeiten und fragen kaum, wie und womit es arbeitet. Wir schaffen es nicht, die Arbeitslosigkeit bei uns zu mindern, und denken schon gar nicht an Länder, in denen die Verhältnisse ungleich katastrophaler sind. Wir stöhnen unter Steuern und Abgaben, und statt daß wir uns nur über den Schlendrian und das Verprassen bei uns aufregen, wollen wir auch die Hilfe nach außen beschneiden. Wir klagen eine Umweltpolitik ein, die unsere Erde bewahrt, und haben faule und faulste Ausreden, für jeden Kilometer, den wir mit dem Auto fahren, für jeden Müll, den wir produzieren, für jedes Gerät, das wir einschalten.

Bußtag - „Ich kenne deine Werke, dass du weder kalt noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde ... So sei nun eifrig und tue Buß.!“ (3,15f.19b)

Kehrt um. Ein schweres Programm, immer neu. Einen Hinweis deshalb noch: Wir werden’s nicht allein schaffen, jede und jeder für sich. Dazu ist die Aufgabe zu groß, die Welt zu unübersichtlich. Kehrt um - ihr gemeinsam. Gemeinsam werden wir’s angehen müssen, als Gruppe, als Gemeinde.

Jesus hat’s nicht allein versucht. Er braucht die Jünger. Baden Powell hat’s nicht allein versucht. Er sammelte Pfadfinder. Martin Luther King hat’s nicht allein versucht. Er rief eine mächtige Protestbewegung zusammen. Und alle trauten sie ihren Leuten etwas zu: „Ihr werdet meine Zeugen sein“ (Apostelgeschichte 1,8). „ Ihr seid das Salz der Erde ... Ihr seid das Licht der Welt“ (Matthäus 5,13f). Auf euch kommt’s an. Mit euch will ich für die neue Welt Gottes arbeiten.

Wir brauchen einander, brauchen die Gemeinschaft. Weil wir uns allein verlieren, an der Aufgabe verzweifeln. Wir können uns zusammentun, miteinander das Ziel bedenken, miteinander den Weg suchen. Miteinander uns die Kraft geben lassen, die wir brauchen. Miteinander die neuen Werte, die neuen Normen leben, uns immer wieder vergewissern, daß sie es sind, denen unser Gott in seiner Welt zur Geltung helfen will: Liebe, Sorge für die Schwachen, für die geschundene Schöpfung, für die gedemütigten Menschen.

Ich glaube, wir müssen uns gegenseitig stabilisieren, weil wir sonst so leicht in den Schlendrian und unseren ganz normalen Egoismus abdriften. Wir müssen und können als Christen, als Gemeinde immer wieder auch die Gegenkultur zu unserer Welt leben, und wir brauchen einander, um uns darin zu bestärken.

Wir brauchen die Mahnung, den Ruf zur Umkehr. Denn der Weg ist beschwerlich. Zu verlockend ist es, auszuscheren und den bequemeren Weg zu gehen. Wir brauchen die Buße, immer wieder, ob mit oder ohne Bußtag.

Weil es um das Heil der Welt geht, darum, daß alles ganz und heil wird, daß alle Menschen zur Fülle ihres Lebens finden können, darum, daß Gott zur Welt kommt.

Darauf leben wir hin. Amen.

Dr. Werner Schwartz · Vorsteher, Pfarrer
Hilgardstrasse 9 · D - 67346 Speyer
werner.schwartz@web.de

 

 

 


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