Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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21. Sonntag nach Trinitatis, 5. November 2006
(in Dänemark: Allerheiligen)
Predigt zu Matthäus 5,13-16, verfaßt von Lars Ole Gjesing (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Hier an Allerheiligen haben wir immer Teile der starken Einleitung zur Bergpredigt Jesu gelesen. Es sind keine ganz leichten Worte, aber sie sind es wert, dass man sich in sie vertieft, denn sie enthalten tiefe Gedanken über das Leben und den Tod. Und sie sind wohl nicht zuletzt der Grund, weshalb wir in dieses Haus kommen.
Das Problem ist, dass ein himmelschreiender Unterschied besteht zwischen dem, was die Jünger sind, wenn man sie sich so betrachtet, und dem, was sie nach diesen Worten sind. Um sie geht es doch. Sie werden das Salz der Erde und das Licht der Welt genannt. Obgleich das Einzige, was man ihnen ansehen kann, dies ist, dass sei eine kleine Schar unbekannter, armer Männer aus einer Gegend am Rande der Welt sind. Nichts an ihnen fällt auf. Aber was sie genannt werden – das Salz der Erde und das Licht der Welt – kann nicht flotter und größer sein. Wenn man wirklich die Größe der Bezeichnungen begreifen will, dann betrachtet man am besten die Gegensätze dieser Worte. Eine Erde ohne Salz ist ein Boden, der vergeht. Es ist das Bild vom Salz als Konservierungsmittel, das hier benutzt ist. Die Jünger werden zu der Salzlake ernannt, die verhindert, dass Speisen verderben und zugrunde gehen. Die Jünger werden dazu ernannt, diejenigen zu sein, die die Erde daran hindern, mit all ihrem Leben unterzugehen.
Ganz entsprechend ist es mit dem Licht. Die Finsternis, die uns in die Flucht schlägt, ist die Finsternis der Welt, wiederum ein Bild des Vergessens und der Zerstörung, die diese unansehnliche Schar verhindert.
Und wir dürfen doch wohl die Frage stellen, wie das vor sich gehen soll. Und sollen wir selbst darauf antworten, d.h. sollen wir einen erfahrenen, wahrheitsliebenden Menschen unserer Zeit antworten lassen, dann wird die Antwort sein, dass sich das leider nicht machen lässt. Es lässt sich nicht machen, die Welt und die Menschheit vor demUntergang zu bewahren, denn alles versinkt in Finsternis, alles vergeht. Früher oder später.

Wie kann jemand überhaupt darauf kommen, so etwas zu sagen, zuerst, dass es Licht und Bewahrung gibt, und dann, dass es sie bei diesen Männern gibt?

Zunächst müssen wir sagen, dass dasjenige, wovon die Worte sprechen, das Wichtigste von allem ist. Es geht um die Frage, ob man untergeht und in Finsternis versinkt oder ob man lebt und existiert. Es ist auch die berühmte Frage des Hamlet, der den Schädel in der Hand hält: Sein oder Nichtsein – das ist hier die Frage. Wenn alle Kleinigkeiten und Verdrießlichkeiten des Alltags beiseite geschoben werden, dann ist es die einzige wesentliche Frage in der Welt – das einzige Gegensatzpaar, das es letztlich wert ist, sich damit zu befassen, der Gegensatz zwischen Leben und Tod.
Darüber, so glaube ich, können wir unter uns, die wir hier zu Allerheiligen versammelt sind, nicht uneins sein. Aber es ist nicht nur unsere private Meinung, dass dies das Wesentlichste sein soll. Es ist auch die Auffassung der Bibel. Von der ersten bis zur letzten Seite handelt sie von nichts Anderem als Leben und Tod. Und sie tut das wohlgemerkt auf eine äußerst realistische Art und Weise. Es gibt keine einzige Seite, keine einzige Erzählung, keinen einzigen Verfasser in der Bibel, der nicht wüsste, dass das Lebendige zugrunde geht.
„Es ist alles ganz eitel, sagte der Prediger,
es ist alles ganz eitel, es ist alles ganz eitel.“
„Alles Fleisch ist Gras,
alle seine Güte wie die Blume auf dem Felde,“ sagte Jesaja.
Das sind nur zwei Beispiele aus dem Alten Testament von Leuten, die gesehen haben, dass das Dasein ein Abgrund ist. Der Realismus liegt offen zu Tage. Sie wagen sowohl zu sehen, worum es geht, als auch, es auszusprechen.

Vielleicht wagen die alten Israeliten es so deutlich zu sehen und zu sagen, weil sie auch noch etwas mehr wissen.
Sie wissen, dass es dennoch eine Welt gibt. Jedenfalls wäre es schwierig zu leugnen, dass die Welt faktisch existiert, dass Menschen faktisch leben. Obwohl es ein völlig unwahrscheinlicher Gedanke ist, dass überhaupt irgend etwas existieren sollte. Wenn man diese Tatsache erst einmal entdeckt hat, dann ist es schwer, darüber hinaus zu kommen. Dann muss man immer wieder mit der größten Verwunderung und der größten Dankbarkeit darauf zurückkommen. Denn es ist so wenig einleuchtend, zutiefst merkwürdig, dass es eine Welt gibt und nicht nur nichts, so dass man niemals damit fertig wird, sich zu wundern.
Wenn die Bibel dieser Tatsache nach-denken soll – wie es auf den allerersten Seiten im Alten Testament geschieht – dann wird anerkannt, dass der Untergang das Wahrscheinlichste ist. Die Welt beginnt mit dem Meer, in dem man nur ertrinken kann. Und das Leben der Welt und der Pflanzen, der Tiere und der Menschen ist Ausdruck eines Aufruhrs, eines Widerstandes, eines Willens, der in nichts zum Vorschein kommt, und der von der ersten Seite der Bibel an Gott genannt wird. Und Blatt für Blatt wird dann im Rest des Buches erzählt von den vielen anderen merkwürdigen Dingen, die es faktisch in der Welt gibt und die selbst nicht mit dem Untergang verwandt sind, sondern ganz andere Seiten zeigen. Es sind sehr verschiedene Dinge. Es ist z.B. das Wissen des Menschen um Gut und Böse. Wie kann so etwas die Bedeutung haben, die es tatsächlich hat, wenn alles vergeht und in Vergessenheit gerät? Dann müsste doch alles gleich gültig sein, weil nichts gültig wäre. Aber so ist es eben gerade nicht. Etwas ist gut. Und etwas ist böse. Und das Gewissen des Menschen weiß, was gut und was böse ist.
Es gibt viele andere merkwürdige Dinge: die Schönheit der Natur, der fundamental gute Charakter des menschlichen Lebens, das Streben des Menschen nach Wahrheit. Da ist die Liebe, die manchmal einen Menschen dazu bringen kann, seine eigenen Tod nicht so wichtig zu nehmen. Es ist all dies, das in den Erzählungen der Bibel immer wieder untersucht und betrachtet wird. All dies, das so nachdrücklich der Vorstellung widerspricht, alles sei letzten Endes Finsternis und Vergessen.
Diese ganze Mannigfaltigkeit von Erfahrungen des Menschseins auf Erden fasste Jesus zusammen. Die Macht, die die Welt aufrecht erhält, die dem Menschen Geist und Gewissen und Lebenswillen verleiht, die den Tagen ihre Güte und der Erde ihre Schönheit gibt, sagt er, ist die Liebe Gottes. Es ist kein Realismus, dem Tod das letzte Wort zu lassen, sondern es ist Resignation.
Die Macht, die uns die Erde, das Leben und Mitmenschen gegeben hat, hat sowohl Macht als auch Liebe, um die Finsternis zu zerstreuen und der Vergänglichkeit zu widerstehen.

So verlaufen die Erzählungen der Bibel und ihre Gedichte, ihr Nachdenken und ihre Verkündigung von Leben und Tod.
Aber Gott bewahre – das alles sind ja nur Worte. Nichts hat sich daran geändert, dass Menschen faktisch sterben und dass wir einander verlieren.
„Nur Worte“, ja, aber was bewirken nicht diese Worte! Sie bewirken Dankbarkeit, Fürsorge, Barmherzigkeit und Liebe und Hoffnung, so dass die Gleichgültigkeit des Todes keinen Raum erhält, ohne Einspruch zu herrschen, so dass wir das Leben lieben und so auch trauern können. Die Worte können kurz gesagt die Macht und das alleinige Recht des Todes brechen.
Wer diese Worte trägt, ist Salz für die Erde und Licht in der Welt, bis sich die Macht der Liebe von Angesicht zu Angesicht sehen lässt. Amen,

Pastor Lars Ole Gjesing
Søndergade 43
DK-5970 Ærøskøbing
Tel.: +45 62 52 11 72
E-mail: logj@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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