Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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Gedenktag der Reformation, 31. Oktober 2006
Predigt zu Galater 5, 1-6, verfaßt von Eberhard Busch
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder in das knechtische Joch fangen! Siehe, ich, Paulus, sage euch: Wenn ihr euch beschneiden lasst, so wird euch Christus nichts nützen. Ich bezeuge erneut einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz zu tun schuldig ist. Ihr habt Christus verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollte, und seid aus der Gnade gefallen. Denn wir warten im Geist durch den Glauben auf die Gerechtigkeit, auf die man hoffen muss. Denn in Christus Jesus gilt weder Beschneidung noch Unbeschnittensein etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.

Wie mit Hammerschlägen auf eine Alarmglocke ruft der Apostel hier seine Mitchristen zum Evangelium zurück. Er sieht sie in größter Gefahr des Abfalls von der frohen Botschaft von Jesus Christus in eine scheinbar schöne Gesetzlichkeit. Es kommt ihnen gut vor, aus der Freiheit in eine Haftanstalt zu marschieren. Damit verspielen sie doch alles, was ihnen Christus geschenkt hat. „Ihr habt Christus verloren“, ruft er ihnen zu, und: „Ihr seid aus der Gnade gefallen“. Halt! schreit er ihnen zu: Kehrt um! „Zur Freiheit hat euch Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder in das knechtische Joch fangen (unter eine versklavende Last)!“ Aber eben, vielleicht fühlen sie sich gar nicht versklavt. Doch, wie der Dichter Gotthold Ephraim Lessing sagt: „Es sind nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten.“ Die sich für frei halten, sind es noch lange nicht. Sie tun wohl, was ihnen in den Sinn kommt, - und merken nicht, wie sie dabei manipuliert werden wie Marionetten, die an Drähten gezogen werden. Auch ihnen, auch uns ruft der Apostel zu: So hört es doch! „Zur Freiheit hat uns Christus befreit.“

Und hört auch das: Frei sind wir erst dann, wenn wir befreit werden. Frei sind wir nicht von selber. Es gibt zuviel, was uns fesselt und festhält. Frei werden wir da, wo uns der befreiende Christus in den Weg tritt und uns gibt, worum wir uns sonst vergeblich bemühen. Und vielleicht bemühen wir uns nicht einmal darum, weil wir den Aufenthalt in unseren Zellen für so normal halten. Aber dann haben wir es erst recht nötig, dass er zu uns kommt. Und er ist wahrhaftig schon zu uns gekommen. Das auf höchst verwunderliche Weise. Er ist so gekommen, dass er mitten hinein gegangen ist in das, was uns fesselt und bedrückt. Und er tat das, um uns herauszuholen aus dem, was uns fesselt und bedrückt. In seiner Musik zur Leidensgeschichte Jesu lässt Johann Sebastian Bach den Chor singen: „Durch dein Gefängnis, Gottessohn, / ist uns die Freiheit kommen. / Denn gingst du nicht die Knechtschaft ein, / müsst unsre Knechtschaft ewig sein“. Als dieser Befreier kommt er auch noch heute, um den Menschen, um uns an die Frischluft der Freiheit zu führen.

Sollten wir ihn da nicht freudig willkommen heißen? Es bleibt uns jetzt nur noch das übrig – wie Paulus sagt: „So steht nun fest!“ Er, euer Befreier, hat euch aufgestellt. Ihr dürft euch nun in einem aufrechten Gang üben. So seid nun auch solche Aufrechten! Lasst euch nicht gleich ins Bockshorn jagen! Seid Menschen, die „den Mut haben, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen“! Seid wohl beweglich, aber bitte nicht wetterwendisch! Seid nicht Leute, die nach oben katzbuckeln und nach unten treten! Und merkt euch den Spruch Theodor Storms: „Der eine fragt: Was kommt danach, der andere fragt nur: Ist es recht, und also unterscheidet sich der Freie von dem Knecht.“ In solchem Feststehen sind wir ernsthaft nur von einer Seite bedroht, nämlich durch uns selbst. Eben durch die, denen Paulus gebietet: „Begebt euch nicht wieder unter eine versklavende Last!“ Aber wie können wir diese Dummheit begehen!? Wo uns doch gesagt ist: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Darum steht nun fest!“

*

Doch das Unheimliche geschieht. Und es geschieht noch und noch, dass schon Befreite wieder unter ein knechtisches Joch geraten. Paulus hat einen Fall vor Augen in den jungen Gemeinden in Galatien, in einem Gebiet der heutigen Türkei. Die aus den Juden stammenden Christen verlangten von den Christen aus der Heidenschaft, sie müssten jetzt auch den Ritus vollziehen, mit dem sonst Heiden in jüdische Gemeinden aufgenommen wurden. Nämlich die männlichen Mitglieder müssten sich beschneiden lassen. Gegenüber dieser Forderung wird nun Paulus ganz grundsätzlich: Wenn ihr das tut, dann werdet ihr Christus verlieren. Warum so grundsätzlich? Nicht darum, weil Paulus diesen Ritus an sich ablehnt. Aber das darum, weil er auf Klarheit pocht in der Erkenntnis: Wir werden errettet allein aus Gottes Erbarmen mit uns in Jesus Christus. Er lehnt sich damit auf gegen eine Haltung, in der man sagt: „Ja gewiss, aber ... Ich muss erst das und das geleistet haben, damit ich Frieden haben kann.“ Heute wird bei uns wohl etwas Anderes gefordert als damals in Galatien, oder als vor bald 500 Jahren zur Zeit der Reformation. Aber immer wieder dieses schreckliche „Du musst dich dem beugen.“ „Du musst dabei mitmachen.“ „Du musst das so machen.“ „Du musst.“ Sonst gibt es keinen Frieden. -

Eben, wir gedenken heute der Reformation. In einem seiner Lieder spricht Martin Luther von der Erfahrung dieses schrecklichen „Du musst“ und davon, wie deshalb die Angst ihn zum Verzweifeln trieb. Aber dann fährt er fort: „Da jammert Gott in Ewigkeit / mein Elend über Maßen; / er dacht an sein Barmherzigkeit, / er wollt mir helfen lassen.“ Diese seine köstliche Entdeckung breitet Luther in einer Schrift aus, die sich wie ein Kommentar zu unserem Bibeltext liest: „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Diese Freiheit ist keine bindungslose Willkürfreiheit. Vielmehr schreibt Luther: Es hat unsere Seele nichts Anderes, weder im Himmel noch auf Erden, worin sie frei ist, als das heilige Evangelium, das Wort Gottes, von Christus gepredigt. Und wenn der Mensch aus Gottes Geboten sein Unvermögen gelernt hat, dann kommt die göttliche Zusage und spricht: Willst du alle Gebote erfüllen, deine bösen Begierde und Sünde los werden, wie die Gebote fordern, siehe da, glaube an Christus, in dem ich dir zusage alle Gnade, Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit. Und Luther fährt fort: Diese Freiheit macht, dass wir nicht müßig gehen. Denn, so heißt es weiter: Ist ein Mensch ganz frei, so wird er sich willig zu einem Diener machen, seinem Nächsten zu helfen, und mit ihm verfahren, wie Gott mit ihm durch Christus gehandelt hat.

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In dem letzten Satz greift Luther das auf, was Paulus in unserem Text zuletzt sagt: „In Christus gilt das und nur das: der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.“ Offenbar ist das die Freiheit, zu der uns Christus frei gemacht hat: der Glaube, der durch die Liebe tätig ist. Dieser Glaube ist nicht etwa faul, im Unterschied zur vorherigen gesetzlichen Geschäftigkeit. Er ist tätig, aber anders tätig. Neu ist nun, dass der Mensch den Mittelpunkt seines Denkens und Handelns nicht mehr in sich selbst hat, nicht im Interesse am eigenen Nutzen, und sei es seinem geistlichen Nutzen. Neu ist: er hat den Mittelpunkt nun einerseits in Gott und seiner Gerechtigkeit, auf die er seine Hoffnung setzt, wie Paulus sagt. Und er hat ihn andererseits in seinen Mitmenschen, in der Liebe zu ihnen. So sagt es ja auch Luther am Ende seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“: dieser Christenmensch „lebt nicht in sich selbst, sondern in Christus und seinem Nächsten, in Christus durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe; durch den Glauben fährt er über sich in Gott, und aus Gott fährt er wieder unter sich durch die Liebe, und bleibt doch immer in Gott und göttlichem Leben. Siehe, das ist die rechte, geistliche, christliche Freiheit.“ So Luther.

Das Gebot Gottes verliert dabei gänzlich seinen vormaligen Sinn der Unterdrückung von Menschen durch eine harte, versklavende Last. Es macht nun Freude, es zu halten. Dem anderen Reformator, Johannes Calvin in Genf, ist es aufgefallen, dass die 10 Gebote in der Bibel ja dem Volk gegeben wurden, das Gott soeben aus der Sklaverei heraus geführt hat. Und darum seinen die 10 Gebot vielmehr so zu verstehen: „Sein Volk ist von der elenden Knechtschaft frei geworden, damit es nun seinen Befreier in freudiger Bereitschaft folgsam verehre.“ Auf dieser Linie hat in neuerer Zeit der Theologe Karl Barth geschrieben: „Das Gebot Gottes setzt den Menschen in Freiheit. Das Gebot Gottes erlaubt. So und nicht anders gebietet es. Es wird den Menschen nicht zwingen, sondern es wird die Tore des Zwangs, unter dem er gelebt hat, sprengen. Es wird ihm nicht mit Misstrauen, sondern mit Vertrauen begegnen. Es wird ihm nicht Angst, sondern Mut einflößen. (Es ist) das sanfte Joch und die leichte Last Christi, die als solche mit keiner anderen Last zu verwechseln ist, die auf uns zu nehmen unsere Erquickung bedeutet.“

Dass es uns eine Erquickung bedeutet, das liegt daran, dass hier der Glaube in der Liebe tätig ist. Das heißt aber nicht, dass es bequem ist, in der Liebe tätig zu sein. Der Glaube, der in der Liebe tätig ist, muss oft genug gegen den Strom schwimmen und wird dann doch nicht Angst, sondern Mut haben. Gewiss, nicht jeder, der gegen den Strom schwimmt, verrichtet das im Glauben, der in der Liebe tätig ist. Das Maß, ob es recht ist, was er tut, oder nicht, ist schlicht dies: ist es in der Liebe getan, in aufrichtiger, aufrichtender Liebe? Wird es in der Liebe getan, dann fragt man nicht lang: Ist das erlaubt? Oder machen das die Anderen auch so? Sondern dann tut man es, so gut und hilfreich wie nur möglich. Während des Zweiten Weltkriegs lebte in der Schweiz eine Gertrud Kurz. Als sie hörte, dass auf Anordnung der Berner Regierung die Grenzen des Landes geschlossen wurden, damit keine Juden ins Land fliehen konnten, da gab sie keine Ruhe, bis sie zu dem verantwortlichen Minister vorgedrungen war. Und als der ihrer Bitte nicht nachgeben wollte, sagte sie: „Ich bin schwach, aber hinter Ihnen sehe ich einen, der ist stärker als Sie. Und der hat Erbarmen.“ Tatsächlich wurden dann die Grenzsperre wenigstens etwas gelockert. Es gibt manche, bis zum heutigen Tag, die uns das eindrücklich machen: den Glauben, der in der Liebe tätig ist. Gott schenke auch uns solchen Glauben! Amen.

Prof. Dr. Eberhard Busch, Göttingen
eberhard.busch@theologie.uni-goettingen.de

 


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