Göttinger Predigten im Internet
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20. Sonntag nach Trinitatis, 29. Oktober 2006
Predigt zu 1. Korinther 7, 29-31, verfaßt von Christoph Hildebrandt-Ayasse
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


1. Kor 07, 29-31
Das sage ich aber, liebe Brüder:
Die Zeit ist kurz.
Fortan sollen auch die, die Frauen haben, sein, als hätten sie keine;
und die weinen, als weinten sie nicht;
und die sich freuen, als freuten sie sich nicht;
und die kaufen, als behielten sie es nicht;
und die diese Welt gebrauchen, als brauchten sie sie nicht.
Denn das Wesen dieser Welt vergeht.

Liebe Gemeinde,

Haben, als hätte man nicht.
Was soll denn das bedeuten?

Gewohnt sind wir doch: alle tun so, als hätten sie.

Als hätten sie die super Idee.
Als hätten sie das tolle Produkt.
Als hätten sie den provozierenden Einfall.
Als hätten sie die Lösung.

So viel Fasade.
So viel Angeberei.
So viele Ego-Shows.

So wenig Nachdenklichkeit.
So wenig Natürlichkeit.

Wir tun so als hätten wir.

Nur was zur Schlagzeile wird, ist wichtig.
Nur was eine Nachricht wird, hat statt gefunden.

Und zugleich das Gefühl von Sinnlosigkeit, von Alleinsein, Übersehenwerden.

Die Zeit ist kurz.
Wer weiß, wie lange noch.
Klimakatastrophe, Terrorangst, Globalisierung.
Wer hier am richtigen Nerv bohrt, hat schnell seine Lobby.
Kann so tun, als hätte er.
Aber hinter der Fasade?
Unsicherheit.
Flucht ins Grelle, Schreiende.
Mit einem Schädel postieren.
Sich mit den Fans der Gegenmannschaft prügeln.
Andere Ethnien verachten.
Hinter großen Tönen verstecken sich meist kleine Persönlichkeiten.

Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist, und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott (Mi 6,8), so der Wochenspruch.
Wer weiß heute noch, was sich gehört.
Wer weiß heute noch, was sich einfach nicht gehört.

So tun, als hätte man.
Das gilt auch religiös.
Fundamentalismus oder begeisterte Wohlfühlevents.
Zwei Seiten derselben Medaille.
So tun, als hätte man.

Wie anders klingt da Paulus.
Haben, als hätte man nicht.
Das klingt nach Distanz.
Katzennüchtern. Nachdenklich.

Denken wir dem einmal nach.
Beginnen wir mit dem Einfachsten.
Damit wir merken, was Paulus meint.

Fortan sollen die, die kaufen, sein, als behielten sie es nicht:

Man hat ja so seine Träume, die man sich erfüllen möchte.
Und wenn man sich einen Wunsch erfüllt hat, dann steht da schon der nächste Wunsch auf der Einkaufsliste.
Das ist wie ein Kinderwunschzettel in der Adventszeit.
Nur vermeintlich erwachsener.
Habenwollen. Statussymbole. Abhängig von Dingen.
Man meint, die eigene Person mit gewissen Dingen wie mit Orden schmücken zu müssen.
Man kann nicht mehr souverän mit den Dingen umgehen.
Man muss unbedingt etwas haben, sonst fehlt einem persönlich etwas.

Es gibt aber auch das asketische Gegenbild.
Dann muss man etwas garantiert nicht haben.
Kein Fernsehen. Kein Auto. Kein was auch immer.
Verzicht. Weil man was Besseres ist.
Mir sagte einmal vor vielen Jahren eine Frau in der Fastenzeit: sie wisse gar nicht, worauf sie verzichten solle, sie habe keinen Fernseher, esse keine Süßigkeiten, habe auch sonst keine Laster....

Manche sollten einmal einfach von ihrer eigenen Radikalität und Selbstgerechtigkeit fasten...
Ja, die eigene Selbstgerechtigkeit. So tun, als hätte man....
Auch hier tut ein „Haben, als hätte man nicht“, gut.

Es tut gut, einmal in Distanz zu treten, zu dem, was man so hat und so darstellt.

Warum tut das gut?
Weil man merkt, dass einen nichts ganz verschlingen und bestimmen muss.

So verstehe ich die Sätze:
und die weinen, sollen sein, als weinten sie nicht;
und die sich freuen, als freuten sie sich nicht.

Man kann sich ganz dem Weinen und Jammern hingeben.
Dann wird man auch ein Leben voller „Gejaumere“ erleben.
Man kann sich auch ganz auf den Spaß konzentrieren.
Dann ist eben alles nur irgendwie lustig, fun und oberflächlich.

Aber: alles hat seine Zeit.
Paulus ist Schüler des berühmten jüdischen Rabbiners Gamaliel.
Er kennt die jüdische Weisheit und Auslegung.
Er kennt Kohelet, das Buch „Prediger“ im Tanach, der jüdischen Bibel.
Alles hat seine Zeit, heißt es da.
Weinen und sich Freuen hat seine Zeit.
Aber:
Nicht alles ist immer nur Weinen.
Nicht alles alles ist immer nur Spaß.

Nein, schreibt Paulus, die Zeit ist kurz.
Jedes Ding hat seine Zeit.
Seine Berechtigung. Aber auch seine Begrenzung.

Es tut gut, einmal in Distanz zu treten, zu dem, was man so hat und so darstellt.
Warum tut das gut?
Weil dann deutlich wird, wieviel einem eigentlich geschenkt ist im Leben.

So verstehe ich Paulus, wenn er schreibt:
Fortan sollen auch die, die Frauen haben, sein, als hätten sie keine;
Und umgekehrt, umgekehrt, natürlich: die, die Männer haben...

Haben, als hätte man nicht...

Was für ein Geschenk sind doch Beziehungen. Paulus spricht hier von der Ehe.
Aber wir dürfen auch unsere Freundschaften hierunter verstehen.

Was für ein Geschenk. Und wie wenig selbverständlich. Dass einer für den anderen da ist. Das: „Haben, als hätte man nicht“ bekommt hier einen ganz anderen Klang.
Einen bewahrenden. Beschützenden. Vorsichtigen. Staunenden. Zarten.
Habe ich das wirklich verdient?

Die Zeit ist kurz.
Natürlich meint Paulus hier, dass der Herr Jesus Christus bald wieder kommt. Das war sein Zeithorizont damals. Das Wesen der Welt vergeht.

Aber das heißt gerade nicht, dass alles deshalb egal ist.

Nein, Paulus fordert uns auf, souverän zu sein.

Nicht ängstlich von einem Thema zum anderen getrieben.
Von der Klimakatastrophe zur Globalisierung zum Bunderwehreinsatz zu sonstwas.
German Angst!

Nicht im Jammern zu versinken.
Nicht im „Ich will Spaß“ zu verdummen.

Nicht unsere Liebe, Beziehungen, Freundschaften vernachlässigen. Sie sind nicht selbverständlich. Sie sind Geschenk. Die Zeit ist kurz.

Haben, als hätten wir nicht.
Eigentlich gehört der Vers 23 als Überschrift über unseren Predigttabschnitt.
Denn hier wird klar, worum es geht:
„Ihr seid teuer erkauft“, schreibt da der Apostel Paulus – Gott hat alles für euch gegeben, in seinem Sohn Jesus Christus - also: „werdet nicht der Menschen Knechte.“

Für alle Mächtigen, die so tun als hätten sie, ist das natürlich ein Problem.
Weil: hier wird unverfroren hinter die Fassade der Macht geguckt.

Für alle, die an Jesus Christus glauben, ist es die größte Freiheit.
Weil: hier wird uns zugetraut, dass wir souverän mit unseren Fehlern, mit unseren Bindungen und mit unseren Freiheiten umgehen.

Denn: wie schreibt Paulus im 6. Kapitel:
Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient mir zum Guten.
Alles ist mir erlaubt, aber es soll mich nichts gefangen nehmen.
Amen

Christoph Hildebrandt-Ayasse
pfarramt@leonhardskirche.de


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