Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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17. Sonntag nach Trinitatis, 8. Oktober 2006
Predigt zu Markus 2, 14-22, verfaßt von Elof Westergaard (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

1. Warum „sitzt Jesus im Haus des Zöllners Levi und isst zusammen mit ihm und anderen Zöllnern und Sündern? Jesus! Warum fasten deine Jünger nicht?“
Im Bericht des Evangeliums von heute, beim Evangelisten Markus, werden diese Fragen gestellt. Fragen an Jesus und Fragen zum Handeln seiner Jünger.

2. Fragen können unserer Verwunderung und unserer Neugierde entspringen. Da ist etwas, was wir gern geklärt hätten, etwas worüber wir gern mehr hören würden, – etwas, was unser Interesse geweckt hat, und was uns nun dazu bewegt, dass wir eine Antwort suchen müssen.
Aber Fragen können auch Zeichen einer tiefen Skepsis sein oder aus einer heftigen Empörung entstehen über eine Tat oder ein Verhalten, das unerwartet war und als verkehrt angesehen wurde. Fragen werden dann gestellt, damit wir unseren Verdacht bestätigt bekommen, und oft auch, um denjenigen, den wir ausfragen, bloßzustellen.
In den Fragen, die wir heute im Bericht des Evangeliums gehört haben, liegt so ein unterschwelliger Ton tiefer Skepsis. Es sind die Fragen des Empörten, denen der Evangelist hier Raum gewährt.

3. Jesus hat kurz vor den Worten, die wir hier heute gehört haben, einen Gelähmten geheilt. Es ist eine bildlich starke Szene, denn die Freunde des Kranken deckten sogar das Dach auf und ließen den Gelähmten auf seinem Bett hinunter, wo Jesus saß. Sie konnten auf andere Weise nicht zu Jesus hinkommen wegen der großen Volksmenge, die in dem Haus um Jesus versammelt war; sie wählten also diese untraditionelle, aber recht tatkräftige Art und Weise, nahe an Jesus heranzukommen.
Die ersten Worte, die Jesus nun zu dem Gelähmten sagte, und zwar bevor er ihn heilte, waren: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“ Jesus gab dem Kranken Sündenvergebung.
Das rief bei den Schriftgelehrten Empörung hervor, so dass sie sich selbst fragten: „Wie kann dieser Mann so etwas tun?“

4. Es war also eine Frage, aber eine Frage, auf die sie selbst die Antwort zu kennen glaubten, indem sie dachten: „Jesus spricht gotteslästerlich. Denn wer kann Sünden vergeben – das kann nur einer, nämlich Gott.“
Ihre Frage war also eine rhetorische Frage. Sie glaubten, die Anwort schon zu kennen. Das Wort Jesu hatte sie empört. Die Worten waren eine Blasphemie und Gotteslästerung. Sie erregten Anstoß.
Verärgerung und Anstoß, die mit der Zeit, die nun folgte, nur noch größer werden sollten bis zu dem Tage, an dem ein gefangen genommener Jesus vor dem Hohenpriester stand. Der würde dann seine Kleider zerreißen aus reiner Empörung über den Gedanken, Jesus sollte der Sohn Gottes sein.

5. Denselben Grundton der Empörung tragen auch die Fragen im Bericht des heutigen Evangeliums:
Warum sitzt Jesus im Haus des Zöllners Levi und isst zusammen mit Zöllnern und Sündern? – das heißt: er sollte es nicht tun. Denn da befindet er sich in schlechter Gesellschaft. Es sind die, die man nicht dazu zählt.
Warum fasten die Jünger Jesu nicht? Die Jünger sollten es tun, denn sie tun es auch selbst, – sogar die Jünger Johannes’ des Täufers tun es.
Die so fragen, fragen sich verwundert, warum Jesus und seine Jünger sich von den anderen absetzen. Ist Jesus ein Provokateur, ein Rebell oder einfach nur ungewöhnlich dumm? Jesus und seine Jünger brechen mit den Normen und Erwartungen, mit wichtigen Tradtionen und mit Aspekten dessen, was die „normle Praxis“ der damaligen Zeit war, wie sollten sie da das Handeln Jesu und seiner Jünger nicht mit tiefer Skepsis und Empörung betrachten?

I. Empörung und Verwunderung

6. Empörung wie wir ihr begegnen, ist ein sehr sicheres Gefühl.
Wenn Empörung einen Menschen erfasst, dann fühlen wir uns in unserem guten Recht, zornig zu sein.
Empörung lässt jedoch nur selten Platz für Überlegung, weil sie einen stattdessen schluckt und ergreift. Sie baut eine selbstgerechte Mauer um den, der sich empört, – zwischen dem Empörten und der Welt. Eine Grenze zwischen uns und den anderen, zwischen Sünder und Gerechtem, zwischen rein und unrein, zwischen dem, der dem Gesetz gehorcht, und dem, der es bricht, zwischen drinnen und draußen, zwischen Freund und Feind, zwischen uns und den anderen, zwischen Nächstem und Fremdem. Empörung zieht Grenzen, von Menschen geschaffene Grenzen.

7. Empörung beschützt gewiss auch, aber es geschieht durch Absonderung. Empörung mag der Ordnung und dem Schutz der betreffenden Gesellschaft, der Familie, der Stadt und des Landes, der Konfession und der Gemeinschaft von Gesinnungsgenossen dienen, aber Empörung erstickt andererseits leicht das Empfinden und den Sinn für Vielfalt.
Wer sich empört, gewährt ferner kaum Platz für etwas Neues und Anderes, – so dass etwas Unerwartetes geschehen könnte. Es ist meistens nur junger und alter Wein in alten Schläuchen.
Empörung kennt keine Öffnung – sie gedeiht zwar gut mit der Aussicht auf andere Welten, – sie entfacht sie – aber sie will sich am liebsten im eigenen und damit in geschlossenem Raum aufhalten.

8. Auf umgekehrte Weise kann die Antwort Jesu im Text von heute eigentlich der Denkweise der Empörten zu ähneln scheinen. Da sind ja Leute, die Jesus als außenvor stehend betrachtet. Er zieht auch Grenzen.
Wenn Jesus die Frage hört, warum er in das Haus des Zöllners gegangen ist und dort mit Sündern und Zöllnern isst, antwortet er: „Die Gesunden bedürfen keines Arztes, sondern die Kranken. Ich bin nicht gekommen, die Gerechten zu rufen, sondern die Sünder.“
Diese Antwort lässt sich unmittelbar so verstehen, als ob Jesus jetzt innerhalb der Trennung von rein und unrein, von guter und schlechter Gesellschaft verbliebe, denn hier unterscheidet er ja auch zwischen dem Kranken und dem Gerechten.
Er, Jesus, ist gekommen, um den Kranken zu erlösen, den jeweils Ausgestoßenen. Er ist der Freund der Elenden.

9. Das ist er! Jesus nimmt unser Unterscheiden auf sich, wie immer diese Abgrenzungen auch aussehen mögen, zwischen rein und unrein, krank und gesund, gerecht und ungerecht, drinnen und draußen.
Aber Jesu Anliegen ist es nicht, die Trennung auszubauen, – das erbaut sein Wesen nicht – im Gegenteil, er überschreitet fortgesetzt unsere Grenzziehungen und gegenseitigen Verurteilungen. Er geht gern in jeden Raum hinein.
Und das bedeutet einen entscheidenden Unterschied und umfasst eine sehr erbauliche Pointe. Es gibt uns allen eine Hoffnung.

10. Mit unserer Grenzziehung zwischen denen außerhalb unseres Kreises und denen, die darin sind, zwischen den Guten und den Bösen – und indem wir uns über die anderen empören –, sind wir versucht, wenn wir diese Worte hören, leicht uns selbst als Gerechte zu betrachten und als solche, die zur guten Gruppe gehören.
Das ist ein Missverständnis.
Wir sollen uns vielmehr klarmachen, dass wir auch selbst zu den Elenden gehören. Jesu Worte bedeuten nicht, dass wir wie der Pharisäer im Tempel mit dem Finger auf die Anderen zeigen und sagen können: „Wir sind glücklicherweise nicht wie die Anderen. Wir sind weder krank noch Sünder. Wir gehören dazu. Es sind die Anderen, die draußen stehen.“
Nein! Auch wir bedürfen der Nähe Gottes. Levis Welt, die Welt der Zöllner und der Sünder ist unsere Welt. Wir sitzen im selben Raum. Wer sich empört, ist selbst empörend.
Der Balken sitzt in meinem eigenen Auge.

II. Fasten und Fest

11. Zurück zu den Fragen: „Warum ist Jesus in Levis Haus gegangen, und warum sitzt er mit Zöllnern und Sündern zusammen?“ Jesus gibt selbst die Antwort:
Er isst mit den Zöllnern und Sündern, mit den Ausgestoßenen und in schlechter Gesellschaft, weil er nicht der Strich ist, der die Schafe von den Böcken trennt, sondern er ist der Arzt, der die Wunden heilt.
Die skeptische Frage der Empörten beantwortet er also mit den Worten: „Die Gesunden bedürfen nicht des Arztes, sondern vielmehr die Kranken.“
Jesus ist der Arzt, der seinem ärztlichen Eid folgt. Er erfüllt die Pflicht, mit den Schwachen und Kranken zusammenzusein. Er folgt seiner Berufung. Er folgt seiner Liebe.

12. „Jesus! Warum fasten deine Jünger nicht?“ Die Fragen gehen weiter. Aber mit seiner Antwort wechselt Jesus jetzt das Bild. Die Jünger sollen nicht fasten, solange der Bräutigam bei ihnen ist, antwortet Jesus.
Er ist nun nicht nur Arzt, sondern er ist auch der Bräutigam, dessen Ankunft bedeutet, dass das Hochzeitsfest beginnen kann. Jesu Gegenwart, seine Nähe bedeutet Fest, und deshalb muss das Fasten aufgeschoben werden.

13. Jesus stellt hier mit seiner Antwort einen Gegensatz auf, oder vielleicht richtiger, er gibt ein Gegenbild, zwischen dem vorgeschriebenen Fasten und auf der anderen Seite dem Hochzeitsfest, das die Nähe des Bräutigams auslöst.
Fasten wie Fest sind Gegenbilder aus dem Alltag. Sie schärfen beide die Aufmerksamkeit für das Leben als gegeben und die Welt als Geschenk. Wie es die Ernte mit den Stoppelfeldern und die mit Korn gefüllten Scheunen und die reich gedeckten Tische tun. Sie verbessern den Blick für die Dankbarkeit, die wir von Anfang an haben sollen – was wir Gott und unserem Nächsten schuldig sind.
Fasten und Hochzeitsfest sind dann aber auch Gegensätze. Sie sind wie der Ernst gegenüber der Freude, die Nacht vor dem Tag.
Fasten ist eine Art Antifest, bei dem die gewaltigen Verwandlungen, die im Leben eines Menschen stattfinden können, anschaulich gemacht werden. Das Fasten als Enthaltsamkeit zeigt das nackte Leben auf und damit das Gericht, unter dem wir Menschen leben.
Fasten ist an sich ein Bekenntnis unserer Hinfälligkeit, der Sünde und des Todes in unserer Welt und in unserem Leben. Zugleich ist Fasten dann auch Ausdrück dafür, das wir etwas zu erwarten haben. Eines Tages wird das Fasten zu Ende sein und das Fest wird anfangen.
Das Fest, das Jesus bringt, das Hochzeitsfest, ist somit die Erfüllung der Erwartung, die das Fasten mit seiner Entbehrung hervorgebracht hat.
Wir sollen das Fest sehen als eine Zeit, getragen von Freude und von dem Gefühl von Hoch-Zeit und Fülle. Zwar kann alles bei uns schief gehen, und sogar das Fest kann sich zu einem Albtraum entwickeln. Aber der Ausgangspunkt ist: bei dem Hochzeitsfest, von dem Jesus spricht, ist der Tisch gedeckt, und es entsteht eine Gemeinschaft von Gästen, Hausherr, Braut und Bräutigam.
Das Fest ist Nähe, und das Fest wirft ein Licht auf das gemeinsame Leben – das Licht des Segens auf das Leben und die Gemeinschaft des Menschen.
Das Fest ist die Gegenwart, ist das Warten mit den Lichtern, die angezündet sind, das Wachen und Beschützen des Lichts.
Das Fest erzählt vom Reich Gottes hier, und bei dem Fest wird den Gästen ein neues Lied in den Mund gelegt. Beim Hochzeitsfest werden sich die empörten Blicke senken, und ein anderer Ton wird hörbar. Ein Ton, wie wir ihn in dem alttestamentlichen Psalm gehört haben: „Ich harrte des Herrn, und er neigte sich zu mir und hörte mein Schreien. Er zog mich aus der grausigen Grube, aus lauter Schmutz und Schlamm, und stellte meine Füße auf einen Fels, dass ich sicher treten kann. Er hat mir ein neues Lied in meinen Mund gegeben, zu loben unseren Gott.“

14. Beim Fest wandeln sich Skepsis und Empörung in Vertrauen, Glaube und Hoffnung, alles um Gottes willen. Er hat sich zu mir niedergebeugt. Diese Hoffnung auf die Gegenwart Gottes ist auch in der Art und Weise gegenwärtig, wie der Evangelist Markus uns die Geschichte von heute hören lässt.
Markus sagt nicht nur in allgemeinen Wendungen, dass Jesus mit Zöllnern und Sündern aß und dass seine Jünger nicht fasteten. Als geschähe das alles in einer anderen, fernen und mythischen Welt. Nein, Jesus ging in das Haus eines mit seinem Namen genannten Zöllners, in das Haus Levis, des Sohnes des Aphäus.
Das Kommen Gottes, das Kommen des Bräutigams handelt von der Welt und dem Leben hier, von der Gegenwart Gottes, vom Reich Gottes genau hier unter unseren misstrauischen Blicken, mitten in unserer Skepsis und unseren Urteilen und unseren Trennungen.
Es hat schon begonnen. Mitten unter uns ist das Reich Gottes. Das geschieht im Namen Jesu. Amen.

Pastor Elof Westergaard
Mariehøj 17
DK-8600 Silkeborg
Tel.: +45 – 86 80 08 15
E-mail: eve@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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