Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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17. Sonntag nach Trinitatis, 8. Oktober 2006
Predigt zu Jesaja 49, 1-6, verfaßt von Wolfgang Achtner
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

I. Aktualisierender Einstieg

Die Welt ist voller Propheten, Menschheitsbeglücker und Moralapostel. Sie wissen genau, was man zu tun und zu lassen hat. Sie wissen, dass die Entwicklung der Menschheit entweder einem goldenen Zeitalter entgegengeht – sofern man auf sie hört – oder bald in einer Katastrophe endet – sofern man nicht auf sie hört. Und da wir im Zeitalter der Globalisierung und der weltweiten Kommunikation leben, bekommt ihre Existenz auch eine besondere Bedeutung: Globalisierung plus Menschheitsbeglücker oder Untergangspropheten, eine brisante Mischung.

Kennen Sie solche Menschen? Und was halten Sie von ihnen? Folgen Sie ihnen, oder fühlen sie sich abgestoßen von Menschen, die im kraftvollen Bewußtsein ihrer Sendung andere auf den Weg zur Wahrheit führen wollen? Hand auf Herz, haben Sie in ehrfürchtiger Anerkennung der moralischen Autorität beispielsweise von Günter Grass, seinen Ratschlägen und Direktiven Folge geleistet oder haben Sie sich verärgert über eine solche moralische Anmaßung – den potentiellen Pharisäismus schon witternd – von ihm abgewandt?

Hand aufs Herz, haben sie den klugen Lebensratschlägen beispielsweise eines Dale Carnegie in seinem Buch „Sorge nicht, lebe“ – lange stand er auf den Bestsellerlisten – Folge geleistet in der Hoffnung, auch ein sorgenfreies Leben in einer goldenen Zukunft führen zu können, oder haben Sie das Buch, milde lächelnd über seinen pausbäckigen und unbedarften Optimismus wieder ins Verkaufsregal zurückgestellt?

Aber weiter: Haben Sie Samuel Huntingtons prophetische Weltdeutung eines zukünftigen Kampfes der Kulturen zitternd in ihre Seele aufgenommen, oder dieser Schwarz-Weiß Malerei widerstanden? Oder umgekehrt: Sie haben den Schlachtruf von Hans Küng „Kein Friede der Kulturen ohne Friede der Religionen“ seines Weltethosprojekts vernommen?. Sind Sie diesem honorigen Ansinnen vorbehaltlos gefolgt – von Coca Cola gesponsert – oder hat sich bei Ihnen doch eine gewisse Skepsis gegenüber solchen optimistischen und formelhaften Parolen eingestellt?

Die Welt ist voller Propheten, Menschheitsbeglücker und Moralapostel. Man erkennt sie leicht an ihrem überbordenden Selbstbewußtsein, an ihrer Überzeugung von der Richtigkeit – wenn nicht gar Unfehlbarkeit – der eigenen Weltsicht und ihrem missionarischen Eifer, diese zu verbreiten, Anhänger um sich zu scharen, und Gegner zu brandmarken. Nicht selten erkennt man sie auch an ihrem gesunden Geschäftssinn. Sie werfen ihre Netze aus, auf dass wir uns in ihnen verfangen, oder legen ihren Leim aus, auf dass wir nicht nur auf ihm gehen, sondern auch kleben bleiben. Im Zeitalter der Globalisierung, in der viele kulturelle und religiöse Weltdeutungen sich miteinander vermischen, sich anziehen oder abstoßen, konkurrieren oder bis aufs „Schwert“ bekämpfen, bekommt die Existenz der Propheten mit einem kompromisslosen Wahrheitsanspruch eine besondere Sprengkraft.

II. Predigttext

Was machen wir mit diesen Propheten? Sind sie wahre Propheten, oder falsche Propheten, kann man ihnen vertrauen, oder muss man ihnen misstrauen? Brauchen wir nicht grosse prophetische Visionen, die über den täglichen Kleinkram und Überlbenskampf hinaus gehen? Und vor allem: Woran erkenne ich einen wahren Propheten, einen wahrhaft moralisch hochstehenden Menschen und wie kann ich ihn von dem Zerrbild des selbsternannten Propheten und der selbsternannten moralischen Instanz unterscheiden? Brauchen wir nicht Menschen, die mit Mut vorangehen? Oder schaffen wir uns unsere Propheten, Menschheitsbeglücker und Moralapostel nicht sogar selbst, indem wir all unsere eigenen Defizite oder Hoffnungen in sie hineinprojizieren, so dass diese, auf der Woge unserer eigenen Vorstellungen nach oben getragen, diese uns von oben – nunmehr als Autorität – uns nach unten wieder zurückspiegeln?

All diese Frgen werden sich stellen, wenn wir den heutigen Predigttext hören, der uns auch von einem Propheten, seiner Berufung, seinem Scheitern und seiner Neuberufung erzählt. Und er ist in einer Zeit geschrieben worden, in der auch ein Konflikt der Kulturen und Religionen stattfand, es kam zu einem „clash“ des biblischen Monotheismus mit der babylonischen Astralreligion. Unser prophetischer Text steht im zweiten Buch Jesaja, man nennt ihn auch mit einem Kunstwort den Deuterojesaja, der in der Zeit des babylonischen Exils wirkte. Es ist ein ganz besonderer Text, denn er ist eines der sogenannten Gottesknechtslieder, von denen man nicht genau weiß, wer sie verfasst hat und auf wen sie bezogen sind. Die eine Gruppe der Exegeten meint, es sei damit ein einzelner Prophet, die andere ganz Israel gemeint, wieder andere plädieren dafür, dass diese Alternative zu kurz greift. Doch hören Sie selbst:

Verlesung des Predigttextes: Jesaja 49, 1-6

Liebe Gemeinde,

Was ist das nur für ein seltsamer Prophet, der im globalisierten Klein-Israel des babylonischen Exils wirkt?. Da haben wir auf der einen Seite die machtvolle Ausstattung mit besonderen Fähigkeiten durch Gott. Man schaudert ein wenig, wenn man unvermittelt mit Kriegsmetaphern konfrontiert wird und hört, dass Gott seinen Mund zu einem „scharfen Schwert“ gemacht hat und er in Gottes Hand „zum spitzen Pfeil“ gemacht ist. Unwillkürlich denkt man da an den Heiligen Krieg oder das Schwert des Propheten. Und die Älteren unter Ihnen mögen sich vielleicht an Billy Graham erinnern, den man auch „God’s machine gun“, „Gottes Machinengewehr“ nannte. Gibt diese Passage nicht denjenigen Recht, die in den Religionen – insbesondere den monotheistischen Religionen – eine Quelle der Gewalt sehen, die man am besten schnellstens austrocknen sollte? Jedoch Vorsicht vor solchen voreiligen Gedankenverbindunge. Der Text spricht nur metaphorisch, gemeint ist, dass der „Mund“ des Propheten mit diesen machtvollen Fähigkeiten ausgestattet werden soll, es geht also um die Macht des Wortes. Aber immerhin, Gott will ihm schon die nötigen Fähigkeiten geben.

Und der Prophet? Der verhält sich nun gänzlich anders als unsere selbstbewussten modernen Propheten. Es ist untertrieben, ihn zaghaft zu nennen. Wir lernen in unserem Text einen von Selbstzweifeln und Versagensängsten geplagten Mann kennen, einen, der sich aus allem ein Gewissen macht, der auch all die Fruchtlosigkeit und Ergebnislosigkeit seines Einsatzes kennt. „Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz“.

Ein schöner Prophet, könnte man denken, war doch die Aufgabe, zu der er sich berufen fühlte, alles andere als einfach, ja man muss sagen, sie war gigantisch.

Versetzen wir uns einen Augenblick in seine Lage und Aufgabe. Stellen wir uns vor, wir seien Teil des Volkes Israel im babylonischen Exil. Eine Exilantengruppe von einigen Tausend Verschleppten, an den Wassern Babylons, abgeschnitten von der Heimat, getrennt von ihrer vertrauten Umgebung, auseinandergerissene Familien, beraubt des sicher nicht schlechten Lebensstandards der israelitischen Oberschicht. Seit Jahrzehnten lebt man nun in der heidnischen Fremde, sieht die Macht der fremden Götter, wie sie auf feierlichen Prozessionen herumgetragen werden. Soll man sich anpassen, integrieren in die neue Umgebung und seine eigene Identität verraten? Oder soll man der eigenen Tradition treu bleiben, bald als ewig Gestriger verschrieen sein? Hin und her gerissen sind sie, die Israeliten in diesem Exil zwischen dem Anpassungsdruck oder der Anpassungsversuchung – so genau wissen wir das ja nicht – und dem Beibehalten der eigenen Tradition. In diesem Hexenkessl mit den bekannten Problemen entwurzelter Exilanten tritt nun unser Prophet auf, der Gottesknecht. Was soll er in dieser Situation machen, was kann er machen, nach menschlichem Ermessen? Interessant ist, was er nicht macht. Er sucht keinen religiösen Kompromiss mit den fremden Gottheiten der Babylonier, vor allem dem mächtige Astralgott der Babylonier, Marduk. Er sucht keine Integration seiner Landsleute, kein Weltethos, er richtet keinen runden Tisch ein, auch verharrt er nicht in der Tradition der ewig Gestrigen. In seinem religiösen Anliegen ist er kompromisslos. Es geht ihm um die Wahrheit seines religiösen Anliegens, und das verträgt keine Kompromisse. Was er zu sagen hat ist unerhört. Weder tritt er für einen israelitischen Partikulargott ein, noch für eine appeasement der Religionen, noch für einen lauen Synkretismus. Nein, er, der Vertreter, dieser kleinen religiösen Minderheit im machtvollen babylonischen Reich, fängt an, zu missionieren. Er fühlt sich nicht nur berufen, die Zerstreuen Israels zurück in ihre Heimat zu bringen – wieder alle realpolitischen Möglichkeiten – , sondern auch viel mehr noch „Licht der Heiden“ zu sein. Das heisst, er hat allen Ernstes vor, als Desperado, als Vertreter dieser kleinen geknechteten Minderheit, der machtvollen Mehrheit den Weg zur religiösen Wahrheit zu zeigen. Und worin besteht diese Wahrheit? Sie besteht darin, dass es nur einen Gott gibt, nicht die Vielheit des heidnischen Götterhimmels, dass dieser eine Gott der Gott des geknechteten Volkes Israel, und dass dieser Gott zugleich der Gott aller Völker ist.

Was sollen wir davon halten? Liegt hier Größenwahn vor, verbreitet sich hier ein lächerlicher Sektierers, oder werden wir hier Zeugen des Geheimnisses des göttlichen Wirkens in dieser Welt?

Mit Deuterojesaja beginnt eine religiöse Revolution. Das Volk Israel entdeckt inmitten seiner Erniedrigung in der Knechtschaft in Babylon, dass sein Gott nicht nur es selbst, sondern auch seine Feinde, die Babylonier als der eine Gott umgreift. Das Vok Israel, vertreten durch seine Propheten, entdeckt den Monotheismus. Mitten im Exil fängt es an, für diesen einzigen Gott zu missionieren, es versucht, „Licht der Heiden“ zu werden, bis an die Enden der Welt, bis zu den „Völkern der Ferne“ zu missionieren. In dieser Globalisierung en miniature des babylonischen Exils treffen zwei religiöse Wahrheitsansprüche kompromisslos aufeinander. Die machtvolle Gottheit Marduk des babylonischen Weltreichs und der ins Universale aufgestiegene Gott der kleinen israelitischen Exilsgemeinde. Wer hat in diesem Treffen obsiegt? Die Geschichte lehrt uns, dass die machtvolle heidnische Gottheit Marduk von der Bildfläche verschwunden ist, während sich der universale Anspruch des Gottes Israels durchgesetzt hat. Legt man hier den Maßstab der Realpolitik an, dann muss man sagen: Nach den realpolitischen Möglichkeiten ein extrem unwahrscheinliches Ergebnis. Dürfen wir daraus schließen, dass wir hier ein Zeugnis des Wirkens Gottes in unserer Welt und Geschichte vor uns haben? Hat sich hier der Wahrheitsanspruch unseres Gottes durchgesetzt? Wahr also dieser Gottesknecht des Deuterojesaja ein wahrer Prophet?

III. Die Botschaft dieses Propheten heute

Liebe Gemeinde,

kann uns dieses Beispiel einer Auseinandersetzung zweier Religionen in der Antike helfen, unsere eigenen Auseinandersetzungen mit anderen Religionen im Zeitalter der Globalisierung besser zu verstehen, oder gar als Beispiel für unseren eigenen Umgang mit ihnen gelten? Die Welt ist voller Propheten und Weltverbesserer, sollen wir auf diesen kleinen verzgten Mann des babylonischen Exils hören?

Zunächst müssen wir sagen, dass wir diesen Text als Christen lesen. Aber dennoch haben wir zwei Dinge mit ihm gemeinsam. Wir teilen mit ihm zum einen den Kleinmut und die Verzagtheit. Wie sehr sind wir doch in unserem eigenen Glauben wankend geworden, wie sehr kleben wir doch in unserer binnenkirchlichen Nabelschau – fast möchte man sagen in unserem gesellschaftlichen Exil einer immer kleiner werdenden Minderheit. Wir sehr lassen wir uns von den realpolitischen Notwendigkeiten unserer schwindenden Mitglieder und zurückgehenden Kirchensteuer gefangenennehmen, wie wenig jedoch von einem kraftvollen Glauben an die Möglichkeiten Gottes, wenn man sich denn auf ihn einlässt und seinen Zusagen vertraut. Zum anderen teilen wir mit ihm aber auch den universalen Anspruch auf Ausbreitung und Wahrheit unseres Glaubens, wie er uns im jüdischsten unserer Evangelien, dem Matthäusevangelium von Christus anvertraut ist. „Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker...“. Universaler Missionsanspruch bei gleichzeitigem Kleinglauben und Verzagtheit, das verbindet uns mit dem Autor dieses ergreifenden Gottesknechtslieds. Kann man auf dieser Basis im Zeitalter der Globalisierung ins Treffen mit den immer stärker konkurrierenden anderen Religionen gehen, insbesondere dem immer selbstbewusster auftretenden Islam? Wir müssen ja einerseits irgendeinen modus vivendi finden, ohne uns und unseren Anspruch aufzugeben. Es versteht sich von selbst, dass die Option des „Schwertes“ keine ist. Drei Optionen werden auf dem „Markt der Möglichkeiten“ gehandelt, einen friedlichen Ausgleich der Religionen zustande zu bringen. Die Vertreter der ersten Option empfehlen einen Rückgriff auf die Aufklärung und Lessings Ringparabel. Es ist der Appell an die universal wirksame gemeinsame Vernunft. Die Vertreter der zweiten Option empfehlen die Gemeinsamkeit im Ethos, speziell die goldende Regel: „Was du nicht willst, was man dir tu, das füg’ auch keinem andern zu“, das ist das Projekt Weltethos von Hans Küng. Die Vertreter der dritten Option empfehlen die Mystik und die mystische Erfahrung als eine gemeinsame Wurzel von Religiösität in allen Religionen. Ein Sufimeister aus dem Islam, ein christlicher Mystiker und ein Zenmeister könnten sich sicher über die Erfahrung des göttlichen Urgrunds – oder ist es ihr eigener seelischer Urgrund? – verständigen. So honorig diese drei Optionen auftreten, so sehr scheinen sie aber Schrumpfformen wirklicher religiöser Dynamik zu sein, wie wir sie in dem Dichter des Gottesknechtslieds kennen gelernt haben. Auch das europäische Christentum war einst von einer solchen Dynamik ergriffen, in der Begegnung mit ihm sind viele andere Religionen untergegangen, oft, man muss es leider sagen, mit zweifelhaften Missionsmethoden. Das darf uns aber nicht davon abhalten die Dynamik unseres eigenen Glaubens neu zu entdecken, in der Tiefe der Depression, in der wir uns als Christen heute in Deutschland angesichts der angesprochenen Entwicklungen befinden. So wie damals dieser kleine Gottesknecht im babylonischen Exil. Denn wir wissen: Gottes Kraft wird in der Schwachheit mächtig.

Amen

Wolfgang Achtner
info@wolfgangachtner.de


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