Göttinger Predigten im Internet
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Erntedankfest, 1. Oktober 2006
Predigt zu 1. Timotheus 4, 1-5, verfaßt von Jürgen Weber
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet. (1.Tim 1,1-5)

Liebe Gemeinde,
Dankbarkeit ist die Erinnerung des Herzens. Auf einem Plakat in einem Schaukasten habe ich diesen Satz einmal gelesen, und er hat mich nachdenklich gemacht.
Dankbarkeit ist die Erinnerung des Herzens.

Alles Wesentliche in meinem Leben habe ich empfangen, so war auf verschiedenen Zetteln in diesem Schaukasten zu lesen: Vor mir gibt es Menschen, die ich nicht gemacht habe, die mir aber sehr wohl ihre Schätze und Ruinen hinterlassen haben, die dazu beigetragen haben, dass ich zu dem geworden bin, der ich heute bin. Der Kirchenraum, in dem ich mich heute morgen aufhalte, ich habe ihn nicht gebaut. Das Brot, das ich heute morgen gegessen habe, ich habe es nicht selbst gebacken; habe den Weizen nicht gesät und nicht geerntet. Die Tee- oder Kaffeepflanze nicht gepflegt, ihre Blätter nicht geerntet.
Alle Fürsorge und Liebe, von der ich lebe, habe ich nicht gemacht. Die Tatsache, dass ich überhaupt lebensfähig bin, verdanke ich nicht mir selber.
Ich bin in eine Welt hinein geboren, die ich nicht selber geschaffen habe, und in einen Zusammenhang hineingestellt, den ich nicht nur mit meiner eigenen Kraft hergestellt habe, aber ich lebe in diesem Zusammenhang und zugleich von ihm. Sich in diesen Lebensstrom hineingenommen zu fühlen, kann mit dem Gefühl der Dankbarkeit einhergehen.

Danken kommt von Denken, so sagt das Herkunftswörterbuch. Danken, das ist in Ge-danken halten, gerade auch mit dem Herzen. Dankbarkeit ist die Erinnerung des Herzens.
Nun gibt es viele Menschen, Geschöpfe, Dinge, so möchte ich vermuten, denen im Laufe unseres Lebens unser Dank gilt. An einem Tag wie heute, am Erntedankfest, da kommt mir zunächst einmal der Dank für die Ernte in den Sinn, die in diesem Jahr etwas weniger üppig in unserem Land ausfiel als sonst, aber immer noch reichlich genug.
Aber ich denke auch an all die Menschen und Ereignisse, für die ich im Rückblick auf mein Leben dankbar bin. Und selbst diese Menschen und Dinge wiederum, denen wir uns verdanken, leben nicht aus sich selber. Auch sie sind ins Dasein gerufen von Gott, der uns geschaffen hat und will, dass wir leben.

Käthe Kollwitz, die große Malerin zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Berlin, schreibt Weihnachten 1915 nach dem Tod ihres Sohnes in ihr Tagebuch eine alte jüdische Weisheit: „Der Mensch kommt zur Welt mit geballten Fäusten als spräche er: Die ganze Welt ist mein. Der Mensch entfernt sich aber aus ihr mit offenen Händen, als wollte er sagen: Sehet, nichts nehme ich mit.“
Und es stimmt ja tatsächlich. Säuglinge kommen oft mit ihrer kleinen, quasi geballten Faust auf die Welt. Und Sterbenden löst sich die verkrampfte oder feste Hand und öffnet sich.
Zwischen der geballten Faust und der gelösten, geöffneten Hand liegt eine ganze Weltgeschichte. Es ist ein Weg auf dem wir immer wieder lernen, so meine ich, dass wir nichts festhalten können, sondern Empfangende sind.

Was mich persönlich betrifft, so weiß ich nicht, wann ich ein bewußt dankender Mensch wurde. Aber ich merke, wie ich im Laufe der Jahre vieles sehr viel mehr zu schätzen lerne, genieße und dankbar dafür bin. Die Eindrücke einer zurückliegenden Reise, die Schönheit einer Landschaft, ein gutes Essen, das unverwechselbare Gesicht eines Menschen, die Wärme der Haut, eine Musik, die Strahlen der Sonne an einem Herbsttag wie heute, ein Kirchenraum wie dieser……
Das Danken kann zu einer Lebenshaltung werden und zu einer grundlegenden Wesensäußerung unseres Glaubens. Alles was ich habe, habe ich von einem anderen, so wie es Paulus zum Ausdruck bringt, wenn er sagt:

Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.(1.Tim 4,4f)

Dankbarkeit, die Erinnerung des Herzens, das in Ge-danken halten dessen, was einem an Gutem widerfahren ist. Diese Dankbarkeit lässt einen nicht bei sich verharren. Der dankbare Mensch will weitergeben.
Wer hinter den Gaben den Schöpfer erblickt und dankbar hinter seinem eigenen Leben den Schöpfer alles Sein, der spürt: Das Leben geht auch durch mich hindurch zu anderen. Ich bin ein Teil allen Lebens und trage selber zu einer wahrhaftigen Lebendigkeit bei.
Wenn man uns fragt, so hat der Theologe Eugen Drewermann einmal gesagt, was es bisher war mit unserem Dasein, was wir getan haben und wofür wir gewesen sind, werden wir gewisslich aufzählen müssen, wo wir versagt haben aus Schwäche, Feigheit, Unwissenheit, Bequemlichkeit und wohinter wir häufig auch zurückgeblieben sind.
Kein Zweifel. Und oft genug macht uns dies beim Blick auf unser bisheriges Leben auch zu schaffen. Wir werden aber sicherlich auch antworten können, wo es uns gelingt, etwas von dem weiterzugeben, was wir ohne unser Zutun dankbar erfahren haben. Wo es uns gelingt, andere zu ermutigen; wo es uns gelingt ein Stück unserer Lebensfreude und unserer Dankbarkeit weiterzugeben.
Wo denn wären wir, wenn wir nicht immer wieder auf Menschen gestoßen wären, die für uns zu einem Abglanz Gottes wurden. Wo denn wären wir, wenn wir nicht hin und wieder, wie wir dann sagen, Glück gehabt hätten, wo der Prüfer gnädiger war, als wir es eigentlich verdient hätten; wo jemand Ja zu uns sagte obwohl wir noch nicht einmal JA zu uns selber sagen konnten; wenn wir nicht Liebe erfahren hätten, ohne dass es hierfür irgendeinen bestimmten Grund gab, einfach so.
Daran, dass wir immer wieder auf Menschen gestoßen sind, die für uns zu einem Abglanz Gottes wurden, möchte ich uns an diesem Erntedankfest erinnern und uns ermutigen etwas von dem uns Widerfahrenen weiterzugeben und so selber zu einem Abglanz dessen zu werden, der uns erst ins Leben gerufen hat.

Amen


Pfr. Dr. Jürgen Weber
Johanneskirche I
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70176 Stuttgart
Tel 0711/628019
dr-jweber@web.de



Gebet (von Theophil Askani aus: Denn Du hältst mich bei meiner rechten Hand, S. 48):

Alles Leben kommt aus Deiner Hand, Herr,
die raschen Tage und die stillen,
das Lachen und das Weinen,
unsere Zweifel und unsere Zuversicht,
es ist alles vor deinen Augen,
und es lebt von dem Atem deiner Güte.

Herr, es ist alle Zeit
wie ein anvertrautes Land.
Wieviel versäumen wir daran,
und wieviel kann werden und wachsen
auf einem Land,
über das die Sonne deines Erbarmens geht.

Löse uns aus dem Schatten der Schuld,
bewahre uns vor dem Leichtsinn der Gedankenlosen
und vor dem Unsinn vieler Sorgen.
Schenke uns die Zuversicht
und das fröhliche, getroste Herz derer,
die dir vertrauen.

Amen





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