Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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16. Sonntag nach Trinitatis, 1. Oktober 2006
Predigt zu Apostelgeschichte 12, 1-17, verfaßt von Gabriele Arnold
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Liebe Gemeinde,

manches muss man wieder und wieder hören, bis man es glaubt. Und manches kann man kaum glauben. So geht es offenbar nicht nur uns heute, uns aufgeklärten Zeitgenossen, die sowieso geneigt sind, nur das zu glauben, was sie sehen. So ging es offenbar auch schon damals Petrus. Ausgerechnet Petrus. Er müsste ja eigentlich an Wunder gewöhnt gewesen sein. Er war doch jahrelang mit Jesus unterwegs, er hatte Ostern und Pfingsten erlebt. Aber er selbst meint zu träumen.

Nun es ist ja auch eine Nachtgeschichte, wenn auch keine Gute-Nacht-Geschichte. Dunkel sind die Farben der ersten Verse unseres Predigttextes. Da braut sich etwas zusammen. Herodes, der Herrscher, umstritten im Volk, mehr geduldet als geliebt, sucht Anerkennung und geschickt nutzt er die Stimmung. Waren die Christen am Anfang noch klein und unbedeutend, aber irgendwie toleriert, so schlug die Stimmung nach und nach ins Gegenteil um. Sie wurden argwöhnisch betrachtet und genau da setzt Herodes an, kaltblütig, um sich beim Volk beliebt zu machen. Er lässt Mitglieder der Gemeinde foltern, den Jakobus sogar töten.

Und als er sah, dass es den Juden gefiel, ließ er Petrus verhaften.

Wahrscheinlich um gleich noch mal einen Mord zu inszenieren. Menschen werden verfolgt und misshandelt bis heute – kaltblütig. Und bis heute sind es auch Christen, die verfolgt werden wegen ihres Glaubens. Wir sind geneigt, das zu vergessen. Leben wir doch hier in großer Sicherheit, genießen die Selbstverständlichkeit mit der der christliche Glaube immer noch Bestandteil unserer Kultur ist. Und nach wie vor erwarten die Menschen viel von der Kirche, und nach wie vor sind Christen gesuchte Gesprächsparten für Politiker, Mediziner und Menschen aus der Wirtschaft.

Und auch in unseren Gemeinden fragen Menschen nach wie vor nach den Dingen, über die wir als Christen Auskunft geben können: Wo komme ich her? Wo gehe ich hin? Was ist Wahrheit? Bin ich geliebt?

Doch das ist ja nur ein kleiner Nebengedanke, der aus dem dunklen Anfang des Predigttextes ein Licht auf uns heute wirft. Die dunkle Nachtgeschichte des Petrus trägt in sich eine ganz andere Verheißung.

Es waren aber eben die Tage der ungesäuerten Brote.

Die das hörten und lasen, die, für die das Evangelium geschrieben war, und all die danach, die zuhause waren in den alten Geschichten der Bibel, die kannten diesen Satz.

Es waren aber nahe die Tage der ungesäuerten Brote. (Lukas 22,1)

So schreibt Lukas, der ja nicht nur die Apostelgeschichte, sondern auch das Lukasevangelium verfasste, zu Beginn der Passionsgeschichte Jesu. Dieser großen Geschichte, die durch Not und Schrecken, durch Qual und Schreien im Licht des Ostermorgens endet.

So gestimmt ist also die Petrusgeschichte. Vom Ende her schon leuchtet es hinein in diese Nacht.

Petrus ist gefangen, festgehalten, angekettet an menschlichte Wächter, weggesperrt hinter dicken Mauern und eisernen Toren und damit auch ja nichts passiert, sind die Wachen noch im Schichtdienst eingeteilt. Petrus hat den Tod vor Augen und schläft. Schläft wie damals in Gethsemane. Vielleicht war Petrus einfach gesegnet mit gutem Schlaf. Aber eigentlich denke ich, dass Lukas etwas anderes ausdrücken möchte. Petrus schläft den gleichen Schlaf, den Jesus schläft im Boot im See Genezareth, als sich das Unwetter zusammenbraut. Das ist der Schlaf aus Gottvertrauen. Und dieser Schlaf wird offensichtlich belohnt. Man ist versucht lächelnd zu sagen:

Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf. (Psalm 127,2)

Und es ist ja wirklich wie im Schlaf, so als ob Petrus ganz unbeeindruckt wäre, von dem was ihn erwartet. Der Engel strahlt auf – ganz wie der Engel in der Ostergeschichte, der war wie ein Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee (Matthäus 28,3) . Er wälzte den Felsklotz vom Grab, setzte sich keck oben darauf und öffnete den Ort des Todesschlafes Jesu.

Und nun hier, in der Todeszelle von Petrus blitzt es auf, wird hell und licht. Und doch muss der Engel Petrus kräftig in die Seite schupsen, ihn wachrütteln, damit er sieht, was es zu sehen gibt. Schnell steh auf.

Das ist der Osteruf des Engels. Petrus gehorcht – schlaftrunken. Der Engel muss ihm das Selbstverständliche sagen: Gürte dich, raff dein Gewand, dass du nicht stolpert. Zieh deine Schuhe an und vergiss deinen Mantel nicht. Ganz genau so, wie man einen verschlafenen Schüler morgens aus dem Haus schickt.

Und dann gehen sie, ruhig und gelassen an der ersten Wache vorbei, auch an der zweiten und schließlich kommen sie zum eisernen Tor. Das Tor springt auf. Petrus ist frei. Nur eine Straße weiter verlässt ihn der Engel.

Jetzt erst beginnt Petrus zu begreifen, er, der an Wunder gewöhnte. Jetzt erst sieht er sich um, wacht auf, erkennt ich bin frei und tut das Selbstverständliche, er geht nach Hause. Und was er kaum glauben kann, ist für die anderen noch unwahrscheinlicher. Als Petrus, der Befreite, an die Tür seiner Freunde klopft wollen sie es nicht glauben. Die einzige, die es glaubt, ist die Magd Rhode, auf deutsch Röschen, die vergisst vor lauter Freude aber die Tür zu öffnen.

Und so bleibt Petrus nichts anderes übrig, als weiter ans Tor zu hämmern und zu warten, dass ihm endlich geöffnet wird, und er erzählen kann der Herr hat mich herausgeführt.

Der Herr hat herausgeführt – das sind die uralten großen Worte, die von Gottes Tat berichten Ich bin der Herr dein Gott, der dich aus Ägyptenland geführt hat (Exodus 20,2).

Das war die Auszugs-, die Rettungsgeschichte damals, und ganz passend findet die Rettung des Petrus, seine Auszugsgeschichte, in den Tagen der ungesäuerten Brote statt, also während des Passahfestes, das an den Auszug erinnert.

Mit der Rettungsgeschichte des Petrus bekommt die junge Christenheit ihre eigene Auszugsgeschichte, ihre Geschichte, die mit jener alten verbunden ist.

In Elne, einen kleinen Ort im Süden Frankreichs, ist diese Geschichte vom verdatterten, schlafend ins Freie geführten Petrus gleich zweimal zu finden. Unübersehbar und prominent prangt sie aus Stein gehauen auf den Kapitellen zweier Säulen eine romanischen Kreuzgangs. Warum den Mönchen des Mittelalters diese Geschichte wohl so wichtig war? Vielleicht ja gerade deshalb, weil es die erste Befreiungsgeschichte der jungen Gemeinde war. Weil aber auch die Christen zu denen gehören, die herausgeführt werden aus Not und Gefahr.

Es ist die erste Ostergeschichte nach Ostern. Petrus erfährt Ostern nun am eigenen Leib. Ostern, das ist die größte, die unglaublichste aller Befreiungsgeschichten. Gott hat Jesus dem Tod entrissen. Und er hört damit nicht auf. Wieder und Wieder befreit er, reißt heraus, öffnet Mauern, sprengt Ketten, entlässt Menschen in die Freiheit. Wieder und wieder müssen wir das hören, Gott führt heraus, bis wir es glauben, bis wir die Wunder, die wir erleben, auch als Wunder begreifen. Wieder und wieder befreit Gott bis heute. Bis heute öffnen sich Gefängnisse und Folterkammern und Menschen kommen frei, wie durch ein Wunder, halten durch, gestärkt durch die Fürbitte der Gemeinde. Und wie viele Gefängnisse hat Gott schon gesprengt in unserem leben.

Eingeschlossen ins Dunkel der Angst und dann macht mir jemand Mut.

Eingekerkert in meine Schuld und dann höre ich die Worte: Deine Sünden sind dir vergeben.

Festgefahren in alten Bindungen und gefangen in Beziehungen, die mir die Luft zum atmen nehmen und dann öffnen sich Türen, manchmal lautlos und manchmal mit einem Knall. Dann ist Neuanfang möglich und Leben wird frei.

Hilflos gefangen in der Nacht der Depression und nach langer, langer Zeit wird es hell und das Leben kommt zurück.

So viele Befeiungsgeschichten. Auf die ganz große, die endgültige warten wir noch. Darauf, dass es uns geht wie Christus und wir befreit sind vom schlimmsten Feind, dem Tod.

Damit uns das Warten nicht mürbe macht, wir die Hoffnung nicht aufgeben und träge werden, einschlafen vor lauter Langeweile, darum erzählen wir uns die Geschichten von der Befreiung – wieder und wieder. Die Geschichte vom Volk, das aus Ägypten zog, die Geschichte von Petrus, der dem Kerker entkam und unsere Geschichten. Und dann reiben wir uns den Schlaf aus den Augen, werden schön und heiter und singen.

Wenn ich des Nachts oft lieg in Not, verschlossen gleich als wär ich tot, lässt du mir früh die Gnadensonn aufgehn: Nach Trauern Freud und Wonn. Halleluja. EG 111,2

Amen

Gabriele Arnold, Stuttgart
ele.arnold@arcor.de


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