Göttinger Predigten im Internet
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14. Sonntag nach Trinitatis, 17. September 2006
Predigt zu 1. Thessalonicher 1, 2-10, verfaßt von Gerlinde Feine
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Am Gottesdienst nehmen Angehörige des Jahrgangs 1926/27 teil, die an diesem Sonntag ihre sog. „80er-Feier“ begehen. Der gemeinsame Kirchgang ist als Kasus zu berücksichtigen.

Liebe Gemeinde,

daß in dieser Woche der beinahe 80jährige Papst Benedikt XVI. auf den Spuren seiner deutschen Vergangenheit unterwegs gewesen ist, hat die Berichterstattung in den Medien so sehr bestimmt, daß selbst der fünfte Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center darüber in den Hintergrund geraten ist. Stattdessen ist auf einmal der Glaube in Deutschland das wichtigste Thema der Nachrichtensendungen, „der Aufmacher“, wie man so sagt, und sonst so kritische Journalisten betreiben vatikanische Hofberichterstattung.

Am vergangenen Dienstag wurde es wenigstens dem Heute Journal dann doch zuviel: Es thematisierte in einem Beitrag die Probleme im Bistum Regensburg, wo die Gestaltungsmöglichkeiten von Laien durch den Bischof seit einiger Zeit schon massiv beschnitten wurden. Durch einen Beitrag des WDR erfuhr ich über Finanzprobleme der Diözese Essen, die sich über den Verkauf von Kirchen Gedanken machen muß, und den eklatanten Priestermangel erleben wir hier im Steinlachtal bei jeder ökumenischen Pfarrerdienstbesprechung, wenn der katholische Kollege gleich 13 landeskirchlichen Pfarrerinnen und Pfarrern gegenübersitzt. Als wir im Rahmen einer Fortbildung zu Gast waren im Bischöflichen Ordinariat Rottenburg, hörten wir dem Generalvikar mit immer größerem Erstaunen zu: Was er über Kirchenaustritte und Motivationsprobleme, über die Aufgaben und Sorgen im Bereich der ambulanten Dienste, der Beratungsstellen und der Gemeindeorganisation erzählte, ähnelte dem, was in Stuttgart überlegt und beraten wird, auf ganz frappierende Weise. Nein, möchte man glauben, es steht gar nicht gut um die Kirchen in unserem Land, die römisch-katholische wie die evangelischen.

Und doch sind die Bilder beeindruckend, die da von dem „Fest des Glaubens“ in München, Regensburg und Marktl übertragen werden: Es kann doch gar nicht schlecht um das Gottesvolk stehen, wenn so viele zusammenkommen, miteinander singen und beten, wenn Pilger und Politiker gemeinsam ein Vaterunser sprechen, und Alt und Jung in das Glaubensbekenntnis einstimmt. So mutmachend und feierlich ist das, so wohltuend, wenn wir spüren, daß es stimmt, was der Bischof von Rom erzählt – „wer glaubt, ist nie allein“ - , daß sich auch unsere evangelischen Amtsträger gerne ein wenig dazustellen möchten: Plötzlich sieht man KollegInnen mit dem Collar, dem Priesterhemd mit dem steifen Kragen, liturgische Gewänder stehen hoch im Kurs auch bei denen, die gar nicht wissen, was man wann trägt (und vor allem, warum), und katholische Prälaten machen sich heute noch lustig über den evangelischen Bischof einer benachbarten Landeskirche, der sich bei einem offiziellen Anlaß bei ihnen erkundigte, wo er denn so ein „Scheitelkäppchen“ kaufen könne. Aber selbst ohne diese textile Annäherung an die römischen Geschwister gibt es vieles, für das wir uns nicht verstecken müssen: Die Kirchentage erfreuen sich ungebrochener Attraktivität; beim Landesposaunentag in Ulm herrscht dasselbe feeling wie auf dem Islinger Feld. Bei der Diskussion um Werte und Bildung hat die Stimme der Kirchen Gewicht und erfährt große Anerkennung.

Sie, liebe Frauen und Männer vom Jahrgang 1926/27, sind ebenfalls heute, an Ihrem Festtag, zuerst in die Kirche gekommen, und dabei spielt die Verbundenheit mit diesem Gotteshaus, spielen Heimatgefühle und Erinnerungen an die Kindheit bestimmt eine ebenso wichtige Rolle wie die grundsätzliche Wertschätzung der Gemeinde und die persönliche Verwurzelung im Glauben. Dabei verfügen Sie über ausreichend Lebenserfahrung, um auch die andere Seite zu kennen – Sie haben die Kirche an ihrem Tiefpunkt erlebt, gerade, als Sie jung waren und noch zur Schule gingen oder als KonfirmandInnen auf den vorderen Bänken saßen. Sie haben den damaligen Pfarrer in Offiziers-Uniform auf dieser Kanzel predigen erlebt und wurden – weil schon Krieg war – von einem längst pensionierten Kollegen konfirmiert. Sie haben erkannt und (manchmal auch erst im nachhinein) verstanden, wie Christen aneinander schuldig geworden sind, und Sie haben sich stützen und stärken lassen von der Gemeinschaft der Glaubenden. All das wissen Sie, und Ihr Altersgenosse auf dem Papstthron, der weiß das auch und versteht es noch mehr, denn Joseph Ratzinger ist ein ebenso kluger wie realistischer Mann, der die Kirche und ihre Probleme kennt.

Und doch hält er es mit jenem anderen Gelehrten, jenem Mann, der viel lieber Professor an der Jerusalemer Tempelhochschule geworden wäre, als durch die ganze Welt zu reisen, um das Evangelium vom menschgewordenen Gott zu verkünden, und der in seinem allerersten Lehrschreiben, dem 1.Thessalonicherbrief so innig von der Liebe redet – mit Paulus, der seine Gemeinde kennt, ihre Probleme ganz realistisch sieht und sie dennoch lobt, dankt und ehrt.

Dabei richtet er sich nicht an große Menschenmassen: In Thessalonich waren von den rund 100.000 Einwohnern damals vielleicht dreißig oder vierzig Christen, und die dürften im öffentlichen Leben dieser Provinzhauptstadt kaum aufgefallen sein. Der Hafen mit allem, was dazugehört, mit Warenumschlagplatz, Vergnügungsviertel und Verwaltung, der war viel wichtiger, und wer Geschäfte machen wollte, dem war Religion eher zweitrangig. Und dazwischen diese kleine Gemeinde, die sich erst finden musste und deren Mitglieder sicher auch manchmal Schwierigkeiten hatten miteinander, die Formen gemeinsamen Lebens finden und verwirklichen mussten, die auch angefochten waren von der Liberalität ihrer Umgebung. Da gab es vieles, was man hätte anmahnen und kritisieren hätte können. Da wäre so manche Warnung angebracht oder Impulse zur Verbesserung des Programms, strategische Missionsziele, Evangelisationsprojekte, zu denen Paulus aufrufen könnte.

Aber er sagt den Thessalonichern eben nicht, was ihnen noch fehlt in ihrem Angebot. Er spricht nicht von den Dingen, die man noch verbessern könnte, ganz im Gegenteil: er lobt, genau und präzise, und vielleicht deshalb so überzeugend.

Paulus spricht nicht wie ein Handelsvertreter, der durch großartige Sprüche das Wohlwollen seines Publikums erhalten will. Er schwätzt nicht wie einer, der bloß einen Wackelkandidaten vor dem Kirchenaustritt bewahren will, nicht wie ein Moralapostel, der den Seinen ein „Wir sind doch eigentlich die Wahren, Frommen und Guten“ zuruft. Sondern er bedankt sich für die freundliche Aufnahme. Für warme Mahlzeiten. Für einen Platz zum Schlafen. So, wie wir Kinder und Nachgeborenen uns einmal bei denen bedanken sollten, die die Gemeinde und den Ort vor 60 Jahren wieder aufgebaut haben. Die dafür gesorgt haben, daß ihre Kinder in Wohlstand, Freiheit und Frieden großwerden konnten. Es ist an uns, uns bei den 80ern zu bedanken dafür, daß Sie an sich gearbeitet und sich frei gemacht haben von den Spuren der Erziehung in der Diktatur, daß Sie die Demokratie in unserem Land mit aufgebaut haben und trotz allergrößter Schwierigkeiten - wir haben über Schulabschlüsse und Bildungsnöte gesprochen - in unserer Stadt und unserem Land einen Wohlstand geschaffen haben, der heute so selbstverständlich ist, daß wir nur auf seine Kehrseite schauen und nur zu gerne Ihnen die Last der Verantwortung für Ökologische Krise, Rohstoffmangel und Globalisierung auflegen würden. Aber nein, heute ist Zeit zum Loben. Und da will ich besonders die Frauen loben, die Frauen des Jahrgangs 1926/27, die erkämpft haben, was wir heute für selbstverständlich nehmen, nämlich Gleichberechtigung, die nicht bloß auf dem Papier steht. Ich habe mir sagen lassen, daß gerade die Damen viel gemeinsam unternehmen, und wenn ich Sie mir so betrachte, so flott und lebensbejahend, so selbständig und aktiv, dann macht mir das schon auch ein bißchen Mut fürs eigene Alter!

Ich will den Faden des Dankes weiterspinnen, den Paulus in seinem Brief an die Thessalonicher geknüpft hat aus den drei Strängen, die wir aus seinem anderen großen Text über die Liebe kennen, aus Glaube, Liebe und Hoffnung. Und ja, wir haben allen Grund, dankbar zu sein für das „Werk im Glauben“, das von der weltweiten Ökumene ausgeht, für das Zeugnis der Geschwister in anderen Ländern, auch dafür, daß wir uns immer wieder neu zusammenraufen müssen, daß wir herausgefordert werden, zu überdenken und zu begründen, was wir glauben, um so in Toleranz und Freiheit anderen Religionen gegenüberzutreten. Freilich, noch mancher Wunsch nach voller Gemeinschaft beim Abendmahl, nach Anerkennung der Ämter oder nach Geschlechtergerechtigkeit bleibt offen – aber wie vieles gelingt schon im gemeinsamen Dienst der Verkündigung, weil wir wissen, daß wir im Glauben unter dem Kreuz beieinander sind.

Die „Arbeit in der Liebe“ ist da das beste Beispiel und ein guter Grund, dankbar zu sein: für diakonische Zuwendung zu anderen, sei es in der häuslichen Krankenpflege oder beim Besuchsdienst, in der Telefonseelsorge und in den Beratungsstellen, beim Streetwork und im Krankenpflegeverein oder überall da, wo im Namen Jesu gute Nachbarn füreinander da sind. Ja, das ist oft harte Arbeit, die unsere volle Konzentration erfordert (beim Urlaub ohne Koffer in der vergangenen Woche habe ich es wieder gesehen), aber wo sie so liebevoll geschieht, da haben wir allen Grund zur Dankbarkeit.

Schließlich sagt Paulus Dank für „Geduld in der Hoffnung“, und was damit gemeint ist, das verstehen wohl auch die 80er am allerbesten. Sie haben hier am Ort ein ganzes Leben lang guten Kontakt gehalten, sich nie aus den Augen verloren und aneinander Anteil genommen, davon zeugt das liebevoll gestaltete Archiv mit den vielen Fotos und Erinnerungen. Aber die letzten 10 Jahre waren in vieler Hinsicht anders: Einige Altersgenossen sind gestorben, andere haben den Ehepartner verloren oder sind schwer krank geworden. Der Alltag lässt sich nicht mehr so leicht bewältigen, die Begrenztheit unseres Lebens ist mit Händen zu greifen. Und doch haben Sie Ihre Hoffnung nicht aufgegeben, das wurde mir in den Gesprächen mit Ihnen immer wieder deutlich, sondern im Gegenteil: Diese Hoffnung trägt und hält, jetzt erst recht, wo sie mit Erfahrung gefüllt ist: Die Hoffnung, daß Gott diese Welt und seine Geschöpfe nicht im Stich lässt, daß sein Reich kommt, wie wir es im Vaterunser beten, daß bei allem, was uns Angst macht und erschreckt, was uns zu Boden drückt und enttäuscht, sein Wille geschieht und sein Name geheiligt wird.

Das nämlich ist wichtig und besonders an den Worten des Paulus: Sein Dank gilt Gott, nicht der Gemeinde, jedenfalls nicht direkt. Er lobt Gott für diese kleine Gemeinschaft der Heiligen, er dankt dem, dessen Geist die Menschen überhaupt erst in Bewegung setzt, sie anstiftet, ermutigt und tröstet: „Wir danken Gott für euch…“

Klein war die Gemeinde von Thessalonich, an die Paulus schreibt, und er weiß: Da gibt es noch viel zu tun und einiges zu verbessern. Und dennoch lobt er Gott für diese Leute, deren Zeugnis für den Glauben das ganze Land beeindruckt, die Vorbilder sind für Achaja und Mazedonien. Sollten wir nicht um so mehr Gott zu danken für unsere Kirche und unsere Gemeinschaft, für das Viele, das von ihr ausgeht? Ich will mir ein Beispiel nehmen an Paulus, nicht immer nur klagen über das, was nicht da ist und fragen, was noch sein könnte, nicht immer nur jammern über die leeren Plätze bei Gottesdiensten und Veranstaltungen, sondern dankbar sein für das, was da ist, was Gott uns schenkt und worüber wir uns freuen können, ihn loben für alle, die mit uns feiern und mit zupacken, wenn es etwas tun gibt, und weitersagen, was als Werk des Glaubens, Dienst der Liebe und Geduld in Hoffnung besteht. Anstatt sich zu grämen um kleiner werdende Gemeinden, sich zu sorgen vor dem Alter und zu trauern über verpaßte Chancen und Gelegenheiten im Laufe eines langen Lebens, sollten wir uns klarmachen, daß Gott uns eine Menge zutraut, daß das, was wir tun, Bedeutung bekommt für diese Welt und das, was wir sagen, gehört wird, weil Gottes Geist dafür Sorge trägt. Es stimmt schon: Wir sind nicht allein, weil uns Christus verbindet, wir haben Grund zum Feiern und zur Freude, gerade in diesen Tagen, in denen ganz unverhofft für uns der Glaube wieder ein öffentliches Thema geworden ist, und dafür wollen wir Gott loben, heute zusammen mit den 80ern, und morgen hoffentlich auch. Amen.

Lied nach der Predigt: 250,1.2.5: Ich lobe dich von ganzer Seele

 

Pfarrerin Gerlinde Feine
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