Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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13. Sonntag nach Trinitatis, 10. September 2006
Predigt zu 1. Mose 4, 1-16a, verfasst von Claudia Goller
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.
Liebe Gemeinde,
Sie kennen diesen Satz von den ersten Seiten der Bibel, vom Anfang der Welt und der Erschaffung des Menschen.
„Sehr gut“ – das steht wie eine Überschrift über der Geschichte Gottes mit seiner Welt und den Menschen.
„Sehr gut“! Aber gilt das noch, als Adam und Eva das Paradies verlassen müssen? Wenn dann die Schatten von Mühsal und Angst, Schmerz und Bedrohung das Leben „jenseits von Eden“ kennzeichnen?
Hier, „jenseits von Eden“, beginnt unsere heutige Geschichte:
Textlesung
Das Leben der Menschen „jenseits von Eden“ - es beginnt doch zumindest gut, liebe Gemeinde, oder? Das erste Menschenpaar macht alles gut und richtig, es folgt den Weisungen Gottes. Sie sind fruchtbar und mehren sich. Aus den beiden, dem Mann und der Frau wird ein Fleisch und daraus entsteht ein neuer Mensch: Kain, der Erstgeborne und bald darauf der 2. Sohn, Abel.
Gut also: Sie sind nicht allein, jeder hat einen Gefährten, einen Bruder.
Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann.
Gut auch das: Sie sollen sich die Welt zunutze, untertan machen, sie bebauen und bewahren. Jeder von beiden tut das auf seine Weise, keiner kommt dem anderen ins Gehege: Landwirtschaft und Viehzucht, Bauer und Hirte.
Und als sie die Früchte ihrer Mühen ernten, da machen sie Gott davon ein Geschenk. Der eine von dem, was er auf dem Feld geerntet hat, der andere von den Erstlingen seiner Herde. Sie bringen ihre Dankbarkeit zum Ausdruck, dass sie ihr Auskommen haben und bitten Gott um seinen Segen, d.h. um Fruchtbarkeit und weiterhin guten Ertrag ihrer Arbeit.
Gut – es ist alles in einer guten Ordnung, alles im Lot im Leben jenseits von Eden, zwischen Gott und den Menschen und untereinander.
Doch dann gerät alles ins Wanken, unvermutet und unbegreiflich kommt alles aus dem Lot. Und wir wissen, wie katastrophal das enden wird.
Und der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an.
Als Kind habe ich mir immer vorgestellt, dass über den beiden Opfergaben sozusagen Gottes Auge auftaucht:
bei dem einen, Abel, freundlich, strahlend, von Himmelsblau umgeben,
bei dem anderen, Kain, düster, unfreundlich, in dunklen Wolken, womöglich mit Donnergrollen.
Natürlich hat das nicht so ausgesehen damals bei Kain und Abel, keine Augen, die am Himmel auftauchten. Aber wie war es denn dann zu merken, dass das Opfer des einen Gnade fand und das des anderen nicht?
Doch wohl dadurch, dass sich beim einen die erhoffte Wirkung einstellte und beim anderen nicht.
Vielleicht so: Abel ist fleißig und besorgt um seine Tiere. Und seine Mühen werden gesegnet, seine Herden vermehren sich. Sie stehen gut im Futter, haben keine Krankheiten.
Dagegen Kain: auch er rackert und ackert, aber was er anbaut, gerät nur kümmerlich. So viel er auch arbeitet auf dem Feld, er kommt zwar so einigermaßen über die Runden, aber mehr auch nicht.
Gnädiger Segen beim einen - beim anderen nicht.
Wieso stellt sich nach dem Opfern bei Abel Fruchtbarkeit und Erfolg bei seinen Herden ein, bei Kain auf dem Acker aber nicht?
Immer wieder stehen wir vor einem Rätsel an dieser Stelle, reiben uns auf mit Erklärungsversuchen. Ist Gott ungerecht? Verteilt er seine Gunst willkürlich?
Oder hat er seine Gründe? Gründe, die bei Abel oder Kain liegen?
Hat Kain womöglich nicht aus ganzem Herzen gehandelt, sondern sein Opfer wie eine lästige Pflichtübung absolviert, mit dem kleinstmöglichen Einsatz? Hat Gott womöglich von Anfang an erkannt, dass Kains Gesinnung böse ist? Oder hat er sich Abel deshalb besonders zugewandt, weil dieser als der Zweitgeborene den Segen besonders nötig hatte?...
Von all dem hören wir in unserer Geschichte nichts.
Und der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an.
Mehr nicht, keine Begründung, keine Erklärung.
Nur eine Beschreibung dessen, was auch wir täglich erleben:
zwei bitten um eine gute Ernte, der eine wird gesegnet, der andere nicht;
zwei bitten um Gesundheit, die eine wird geheilt, die andere nicht,
der einen gelingt alles auf Anhieb, ohne dass sie dafür groß etwas tun müsste, die andere plagt und schindet sich mit mäßigem Erfolg,
der eine wird mit einem goldenen Löffel im Mund geboren, der andere kommt sein Leben lang aus den Schulden schier nicht heraus.
Warum? Wieso geht es nicht anders zu auf der Welt, gerechter? Und ist gar Gott dafür verantwortlich?
Diese Frage wird nicht gelöst in unserer Geschichte, ja vielleicht nicht einmal gestellt.
Es geht darin um eine andere Frage, die sozusagen schon einen Schritt weiter denkt: Wie gehen die ersten Menschen mit dem Ungleichgewicht, mit dieser Erfahrung, dass es dem anderen besser ergeht als einem selber, um?
Wir wissen, was folgt: Kain sieht in seinem Bruder nicht mehr den Gefährten, sondern nur noch den Konkurrenten, ja den Feind. Auf dem Feld stehen sie sich gegenüber - für den einen ist das der Schauplatz seines Erfolgs und der wachsenden Herden, für den anderen der Schauplatz seiner Misserfolge und Missernten.
Sie sind allein, nirgends die Eltern, nirgends Gott, nirgends ein Zeuge. Und Kain schlägt seinen Gegner aus dem Feld, erschlägt seinen Bruder Abel.
Der erste Tod eines Menschen in der Bibel ist ein gewaltsamer Tod – was für eine bittere Wahrheit.
Das ist die Geschichte – von einem sehr guten Anfang und einem sehr schlimmen Ende.

Aber noch ist es eine stumme Geschichte. Bisher haben wir nur betrachtet, was getan wird, nicht, was geredet wird. Dabei macht das Reden, machen die Gespräche zwischen Gott und Kain den Hauptteil unserer Geschichte aus.
Aber gibt es denn überhaupt etwas zu reden?
Mehr noch: darf man überhaupt mit dem Täter reden, nach dem Täter fragen? Was tut man dem Opfer an, wenn man mit dem Täter redet und nach ihm fragt?
Es ist leichter, über ihn zu reden, voller Entsetzen und Abscheu: „So ein Unmensch, ein Monster, das ist ja gar kein Mensch. Der gehört selber umgebracht; genau das sollte man mit ihm machen, was er mit seinem Opfer gemacht hat.“
Sie kennen diese Gedanken und diese Sätze. Wir halten uns Kain damit vom Leib – kein Mensch, sondern ein Unmensch.
Und es verstört uns deshalb so, wenn sich dieses Bild vom Täter als Monster nicht aufrechterhalten lässt. Wenn es ein freundlicher Familienvater ist, von dem bekannt wird, dass er seine Frau manchmal fast totschlägt. Wenn es die unauffälligen, höflichen jungen Männer von nebenan sind, hier aufgewachsen und nicht in irgendwelchen afghanischen Lagern gedrillt, die ein schreckliches Attentat planen.
Darf man nach dem Täter fragen? Führt es nicht dazu, dass man damit seine Tat entschuldigt: „Er konnte nicht anders, er sah keine andere Möglichkeit, als sich sein Recht, das, was ihm zustand, mit Gewalt zu nehmen...?“
Es erfüllt uns mit gemischten Gefühlen, wenn wir solche Erklärungen hören. Verschwimmen nicht die klaren Grenzen zwischen Gut und Böse, bagatellisiert und entschuldigt man nicht die Tat durch solche Erklärungen?
Also besser nicht nach dem Täter fragen, nicht mit ihm reden, sondern ihn sich vom Leib halten!
Aber Gott redet mit ihm, er fragt nach Kain – ohne ihn zu entschuldigen.
4 Mal spricht Gott zu Kain. 2 Mal antwortet Kain.
Abel bleibt stumm, blass, ein „Windhauch“, wie sein Name sagt.
Zum ersten Mal spricht Gott Kain an, bevor es zu der Bluttat kommt. Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? Ist’s nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen, du aber herrsche über sie.
Das ist ein Angebot an Kain: „Sprich mit mir über deinen Zorn, verschließe ihn nicht in dir, so dass er in dir anwächst wie ein wildes Tier und dich auffrisst. Heb deinen Blick, du kannst den zerstörerischen und selbstzerstörerischen Impulsen in dir widerstehen.“ Ein Angebot und eine Zusage ist das an Kain, die Hoffnung macht.
Aber Kain antwortet nicht. Anstatt dass er seinen Zorn gegen Gott richtet, ihn anklagt wegen der Ungerechtigkeit, mit ihm hadert wegen seines Schicksals, wendet er diesen Zorn gegen seinen Bruder und erschlägt Abel.
Da spricht Gott Kain zum zweiten Mal an:
Wo ist dein Bruder Abel?
Abel, stumm, ein „Windhauch“ nur in dieser Geschichte, ohne Zeugen umgebracht auf dem Feld. Aber Gott fragt nach ihm. Er gibt ihm - wie all den Opfern der Gewalt, die ausgelöscht werden sollen, nach denen keiner mehr fragen soll -, seine Stimme und entreißt ihm durch diese Frage dem Vergessen.
Jetzt antwortet Kain. Aber wie! Vergeblich die Hoffnung auf Einsicht oder Reue. Das ist kein Bilderbuchgespräch, was wir hier erleben. Es läuft ganz und gar nicht so, wie wir es gern hätten. Höhnisch versucht Kain, das ganze Geschehen von sich fernzuhalten:
Ich weiß von nichts, geht mich auch nichts an – seit wann braucht der Hirte denn selber einen, der ihn hütet?
Eine Antwort, die keine Antwort ist, nur eine Zurückweisung.
Und so spricht Gott zum 3. Mal zu Kain und fällt sein Urteil: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. Verflucht seist du auf der Erde... Unstet und flüchtig sollst du sein.
Jetzt reagiert Kain zum ersten Mal wirklich, zum ersten Mal redet er wirklich mit Gott: Er schreit um Hilfe. Entsetzt begreift er erst jetzt die Folgen seiner Tat: Einsamkeit, Heimatlosigkeit, gehetzte Ruhelosigkeit und Todesangst.
Wie soll er das aushalten?
Wie würden wir auf diesen Aufschrei Kains reagieren? Vielleicht so: „Das hättest du dir früher überlegen müssen! Jetzt also kommst du gekrochen, aber dein Bruder ist tot, es ist zu spät. Sei froh, dass du überhaupt am Leben bleibst!“
Aber Gott reagiert anders. Er hört den Hilfeschrei Kains und spricht zum 4. Mal zu ihm. Er entschuldigt nichts. Aber es soll kein weiteres Blutvergießen geben, keine Rache. Ruhelos und unstet soll Kain bleiben, die Last seiner Tat kann ihm niemand abnehmen, er muss sie tragen, aber sie soll ihn nicht umbringen, er soll am Leben bleiben. Er bleibt unter Gottes Schutz, ist versehen mit Gottes Zeichen.
Der Mörder bleibt also am Leben.
Ist das das Ende der Geschichte? Ist das übrig geblieben von dem „Sehr gut“ des Anfangs? Der eine Sohn des ersten Menschenpaares Adam und Eva ermordet, sein Bruder der Mörder und auf der Flucht?
Es ist nicht die letzte Geschichte von Streit und Gewalt unter Brüdern in der Bibel. Immer wieder begegnen wir der ungerechten Ungleichheit, dem Neid und dem Hass.
Aber es gibt da eine Geschichte von 2 Brüdern, die sich für mich wie eine Folie über unsere Geschichte vom Brudermord legen lässt. Gott ist darin noch tiefer verwickelt als in diese Geschichte von Kain und Abel. Er ist darin selbst der Vater von zwei Söhnen. Und diese Geschichte endet nicht mit Tod. Nein, der jüngere Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden. Deshalb gibt es am Ende dieser Geschichte ein Fest.
Ob der ältere Bruder die Einladung des Vaters zu diesem Fest annimmt? Ob er den Zorn über die Ungerechtigkeit, die Kränkung und den Neid in sich verschließt und anwachsen lässt wie ein wildes Tier, das ihn dann auffrisst?
Das bleibt offen am Ende dieser Geschichte vom verlorenen Sohn. So endet sie: mit der ausgestreckten Hand des Vaters und seiner Einladung zum Fest – an den älteren Bruder und uns alle.
Für mich leuchtet darin das „Sehr gut“ des Anfangs leise auf - als eine Möglichkeit, die da ist wie eine ausgestreckte Hand, die wir ergreifen können. Amen.

Claudia Goller
-Pfarrerin-
Hindenburgstr. 18
Fon: (07071) 32361
Fax: (07071) 152834
Mail: goller@evk-kusterdingen.de

 


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