Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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12. Sonntag nach Trinitatis, 3. September 2006
Predigt zu Matthäus 12, 31-42, verfasst von Lars Ole Gjesing (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

Die Texte von heute bilden eine schönes Muster mit dem Zentrum, das die Macht des Wortes heißen könnte. Matthäus hat hier in Kapitel 12 einige Jesusworte gesammelt, die von der mächtigen Bedeutung des Wortes handeln, und der Abschnitt aus dem Jakobusbrief mit den dramatischen Bildern, was die Zunge bewirken kann, ist noch hinzugefügt: wir haben reichlichen Stoff. Aber nun steht da die Einleitung zum Abschnitt des Evangeliums von heute und wirft alles durch die starke Rede von der unverzeihlichen Sünde über den Haufen, so dass wir gezwungen sind, schon bei diesen Worten erst einmal Halt zu machen. Sie ziehen unsere Aufmerksamkeit an, und man kann es nicht verantworten, sie nur vorzulesen, ohne etwas dazu zu sagen. Heute müssen deshalb die Lieder allein das Thema von den Worten kommentieren, und die Predigt wird sich in die unverzeihliche Sünde vertiefen.

Zuerst steht da, „alle Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben“. – Im Grunde ein phantastischer Satz, der alle alte Gesetzgebung über den Haufen wirft. Er ist wirklich das Evangelium Jesu in einer sehr kurzen und direkten Formulierung. Aber ungeachtet, wie phantastisch diese Überschrift ist, wird alle Aufmerksamkeit von der kleinen Einschränkung in Anspruch genommen, die hinzugefügt ist: „Aber die Lästerung gegen den Geist wird nicht vergeben.“ Und die Einschränkung ist hinreichend zweideutig, um allerlei Vorstellungen und Spekulationen enthalten zu können, und es gibt auch keine Grenzen dafür, was sich die Leute darunter vorgestellt haben.

Aber was bedeutet dieser Zusatz: dass derjenige, der wider den Heiligen Geist redet, keine Vergebung erlangt, weder in dieser noch in der künftigen Welt?

Wenn wir uns zunächst an die alte Geheimsprache halten, dann bedeutet „keine Vergebung erlangen“ dasselbe wie „verloren sein“, „das Heil verpassen“. Und um aus der alten kirchlichen Geheimsprache herauszukommen, müssen wir noch einen Schritt weitergehen und fragen: Was ist Heil? – Wenn wir uns die Jesusgeschichten und seinen Gebrauch dieser Worte und Wendungen ansehen, wenn wir seine Gleichnisse und Heilungen betrachten, was liegt dann in dem Wort Heil?

Das beste und klarste Bild dafür ist das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Was ist das Heil für den verlorenen Sohn? Es besteht darin, dass er mit offenen Armen empfangen wird, obwohl er es keineswegs verdient hat. Und es wird ein Fest für ihn veranstaltet, und er wird wieder in die Würde als Sohn des Hauses eingesetzt, trotz der Tatsache, dass er sein Leben und seine Möglichkeiten vergeudet und im Grunde seinen Vater und seine Familie verhöhnt hat, als er sein Erbe vor der Zeit forderte.

Diese Geschichte erzählt Jesus einzig und allein, um zu veranschaulichen, wie Gott selbst sich zu den Menschen verhält. Er weiß, dass die lange Geschichte der Menschheit von zahlreichen Verbrechen handelt, von Ausnutzung der kleinen Leute, von Egoismus, Gewalt, Habsucht – obwohl das Dasein in seinem Reichtum zu Freigebigkeit und Nachsicht einlädt. Selbst noch so viele Gesetze und Bestimmungen und Zehn Gebote und Strafen und Drohungen hätten nicht ernsthaft etwas ändern können an der betrüblichen Art und Weise, wie die Menschen das Dasein zerstören.

Das radikal Neue in den Geschichten Jesu und in seinem konkreten Auftreten Menschen gegenüber ist, dass er erklärt, dass Gott ein Herz hat wie der alte Vater im Gleichnis. Dass er offene Arme hat, dass er von der Verurteilung absieht, wie berechtigt sie auch sein mag. Das ist der Kern und Nerv in der Verkündigung Jesu. Es sind diese Verheißungen, dass Gott die Menschen nimmt, wie sie sind. Es gibt keine Möglichkeit, außerhalb seiner Liebe zu fallen. Er sucht die Verlorenen auf, tröstet die Trauernden und vergibt denen, die sich bekehren. Das sind die Verheißungen Jesu. Auf sie zu vertrauen heißt Heil.

Auf die Verheißungen zu vertrauen heißt, die ganze Last der Vergangenheit abwerfen zu können, all das, was verkehrt gegangen ist und was wir nicht wieder in Ordnung bringen können. Auf die Verheißungen zu vertrauen heißt erleichtert zu werden, die Möglichkeit zu bekommen, froh und unbesorgt zu leben und sich mit Zuversicht der Probleme und eigener Mängel anzunehmen. Sein Vertrauen darauf zu setzen, dass ein Mensch von Gott geliebt ist, wie immer es gehen mag. Das ist Heil. Froh und dankbar zu leben aus der Gnade Gottes und sich anzustrengen, dass die Gnade sich ausbreiten kann – das ist Heil. Sein Vertrauen darauf setzen, dass die Liebe Gottes eine uneingeschränkte Macht ist, die auch vor dem Tod selbst nicht Halt macht. Das ist Heil und das ist neues Leben. Verdammnis ist alles, was im Gegensatz dazu steht. Zu glauben, dass man keine anderen Aussichten hat als diejenigen, die man sich selbst geschaffen hat, dass man für immer und ewig an seinen Fehlern und Untaten hängt, dass es keine Macht in der Welt gibt, die den Tod kleinkriegen kann, und dass alles nach Verdienst und Würdigkeit abläuft. Verdammnis heißt, wie der verärgerte große Bruder im Gleichnis zu handeln, der vielleicht nie zu dem Fest kam und sein Tanzbein schwang, weil er so verärgert war, dass der Vater nicht alles nach Verdienst geschehen ließ, sondern nach Barmherzigkeit.

Wie kommen wir nun zurück zu der Lästerung des Geistes, die niemals vergeben werden kann?

Der Zusammenhang ist ganz einfach für den, der sagt: ich glaube nicht an die Verheißungen Jesu; ich glaube nicht, dass sie aus dem Munde Gottes gesprochen sind; ich glaube nicht, dass sie den tiefsten Zusammenhang des Daseins ausdrücken – er hat es ja abgelehnt, diese Liebe und Freude und Vergebung anzunehmen. Den Geist lästern ist also im Grunde dies, dass man sich weigert, Vergebung anzunehmen und mit offenen Armen zu empfangen. Mit anderen Worten: Wofür es keine Vergebung gibt, ist, sich nicht vergeben lassen zu wollen. Was Jesus mit den aufsehenerregenden Worten über die Lästerung des Geistes zum Ausdruck bringt, ist also im Grunde recht einleuchtend: Wer Vergebung nicht annehmen will, kann keine Vergebung bekommen. Es kann nicht anders sein, solange wir Menschen sind mit Recht und Pflicht und Freiheit, unseren Weg zu wählen.

Der Einleitungssatz bleibt also stehen: „Alle Sünde und Lästerung wird den Menschen vergeben“ – und der Zusatz ist keine heimliche und drohende Einschränkung – eher ganz im Gegenteil. Er besagt, dass Gottes Liebe, Vergebung und Freude einem jeden offensteht, der sie annehmen will. Amen!

Pastor Lars Ole Gjesing
Søndergade 43
DK-5970 Æreskøbing
Tel.: +45 62 52 11 72
E-mail: logj@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier


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