Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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12. Sonntag nach Trinitatis, 3. September 2006
Predigt zu Apostelgeschichte 3, 1-10, verfasst von Traugott Koch
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Der Abschnitt aus dem Neuen Testament, der dieser Predigt zugrunde liegt, steht in der Apostelgeschichte des Lukas im 3. Kapitel, in den Versen 1 bis 10 und lautet:
"Petrus und Johannes gingen hinauf in den Tempel um die neunte Stunde, da man pflegt zu beten. Und es ward ein Mann herbeigetragen, lahm von Mutterleib; den setzten sie täglich vor des Tempels Tür, die da heißt die schöne, daß er bettelte um ein Almosen von denen, die in den Tempel gingen. Da er nun sah Petrus und Johannes, wie sie wollten zum Tempel hineingehen, bat er um ein Almosen. Petrus aber, Johannes mit dabei, sah ihn an und sprach: Sieh uns an! Und er sah sie an und wartete, daß er etwas von ihnen empfinge. Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth stehe auf und wandle! Und griff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Augenblicklich festigten sich seine Füße und Fersen, und er sprang auf, konnte gehen und stehen und ging mit ihnen in den Tempel; lief umher und sprang und lobte Gott. Und alles Volk sah ihn herumgehen und Gott loben. Sie erkannten ihn auch, daß er es war, der um Almosen gesessen hatte vor der schönen Tür des Tempels; und wurden voll Staunens und gerieten außer sich über das, was ihm widerfahren war."

Liebe Gemeinde!

Jesus heilte. Er war als Heiland auch ein Heiler. Er heilte Krankheiten, die nach damaligem Verständnis natürlich verursacht sind, oder die man so nicht erklären konnte und für die man folglich annahm, sie rührten von bösen Geistern oder Dämonen her. Für Jesus waren solche wunderbaren Krankenheilungen sichtbare Beweise dafür, daß das Reich Gottes jetzt unter Menschen sich Bahn bricht, jetzt in der Gegenwart ankommt. "Wenn ich mit dem Finger Gottes", sagt Jesus, "Dämonen austreibe, so ist das Reich Gottes zu euch gekommen." (Luk. 11, 20) Das ist es, was Jesus wollte: Reich Gottes - ein neues Leben, ein neues Aufleben, befreit von allen Übeln, vom Unheil und allem Lebenzerstörerischen, Lebensbeschädigenden; ein neues Leben in freier, unbehinderter und in versöhnter Gemeinschaft der Menschen untereinander und mit Gott. "Gutes tun", das heißt für Jesus, "Leben retten" (Mk. 3,4). Und damit ist auf eine Kurzformel gebracht, was Jesus wolle und wofür er lebte und handelte. Von Jesus ist gesagt: "Der Menschensohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen", ihr innerstes Zentrum, "zu verderben, sondern zu retten" (Luk. 9, 56). Heilungen: das waren für Jesus Aufbrüche in ein unentstelltes, unzerrissenes Leben: Leben, befreit, erlöst aus allem Leben Verderbenden und Tötenden. - Und so hat Jesus auch seinen Anhängern, seinen Jüngern, das Heilen von Kranken und Besessenen ausdrücklich aufgegeben (Mk. 3, 14f. u.a.).

Aber Jesu Wunderheilungen wollten recht verstanden sein. Die wunderbare Heilung, das Gesundwerden, allein ist es noch nicht. Es kommt auf den Glauben an. "Dein Glaube hat dich gerettet", sagt Jesus zur jetzt, augenblicklich geheilten Frau (Mk. 5, 34): "dein Glaube" im Reich Gottes. dein Glaube jetzt, mit dem Auftreten Jesu, daß ein solches "heiles", unbeschädigtes, nicht vom Tod gezeichnetes Leben möglich und wirklich ist. Und das bleibt ja die grundsätzliche Frage, die allem Christlichen zugrunde liegt: Was rettet - was rettet vor dem Untergehen, vor dem Verderben? Das Gesund- oder Geheiltwerden ist es nicht - die Gesundheit allein ist es nicht. Der Glaube daran, gerettet und nicht verloren zu sein; gerettet und mit Gott verbunden zu sein, was immer einem im Leben zustoßen mag: das ist es. Als von den zehn Aussätzigen, Leprakranken, die auf Jesu Wort hin gesund geworden waren, nur einer zurückkommt, Gott lobt und Jesus dankt, ist Jesus sehr verwundert. War sein Heilen der neun Anderen für die nur Anlaß, wieder ins alltägliche Leben zurückzukehren? (Luk. 17, 11­19)

Jesus hat seinen ihm Nachfolgenden, seinen Jüngern, das Heilen aufgegeben. Die "Apostelgeschichte des Lukas" berichtet besonders von Heilungen Kranker und Besessenen durch Petrus (bes. Apg. 5, 12-15). Eine solche Geschichte ist auch der Text dieser Predigt. Ein von Mutterleib an Gelähmter wird dadurch, daß Petrus ihn anspricht, "im Namen Jesu Christi von Nazareth" gesund. Der gelähmte Mann, der zum Betteln abgerichtet war, erhält ungleich mehr, als er erwartet hat: Er erhält nicht nur ein Almosen, sondern Gesundheit. Was Wunder, daß er mit seinen wieder gestärkten, wieder beweglichen und haltgebenden Füßen und Beinen herumgeht und springt und Gott lobt!

Nun wäre es von uns sicherlich ganz abwegig, würden wir bestreiten, daß eine solche Heilung damals vorgekommen ist, sichtbar geschehen ist. Denn derartige Heilungen kommen - ab und an - auch heutzutage vor. Von den Leuten, die das Wunder sahen, heißt es: Sie "wurden voll Staunens und gerieten" angesichts dessen, was dem Gelähmten widerfahren ist, "außer sich". Das ist sicherlich nichts Ungewöhnliches. Sehen Menschen Spektakuläres oder hören sie auch nur durch mündlichen Bericht davon, so wundern sie sich darüber und erregen sich zum Teil sehr.

In der offiziellen Kirche war man von früher Zeit an der Ansicht, solcher Wunderheilungen in der Gegenwart nicht mehr zu bedürfen, nur bei der Einführung des Christentums seien sie nötig gewesen, um Menschen für das Christentum zu gewinnen. Wir heute, wir stehen solchen Heilungsgeschichten relativ nüchtern gegenüber. Wir wissen, daß Heilung von Krankheiten aller Art großteils durch die modeme Medizin zustande kommt, aber auch durch die sog. Alternativmedizin, und daß personale Heilungen durch Heiler der verschiedensten Richtungen geschehen. Solche personale Heilungen, im Innern eines Menschen ansetzend und zumeist auf persönlicher Zuwendung beruhend, geschehen durch Hände-Auflegen, Blickkontakte und Gebetsverbundenheit. Seien wir froh, wenn die Heilung oder auch leider nur die Linderung einer Krankheit erreicht wird - gleich auf welche Weise.

Doch meinen wir nur nicht, Gesundheit hätte nichts mit Gott zu tun! Sie hat sehr wohl mit Gott zu tun. Wir beten zu Gott um Gesundheit, um Gesundwerden und Gesundbleiben - und tun gut daran. Denn Gott will das Leben und nicht die Zerstörung. Er will das volle, bejahbare Leben und nicht den vernichtenden Tod.

Wenn jemand krank wird, den wir kennen, machen wir uns Sorgen um ihn. Und wir bitten Gott um Genesung. So bitten wir für unsere Angehörigen, Freunde und Bekannte und für uns selbst: Gott möge es zum Wieder-Gesundwerden kommen lassen. - Aber Gott handelt nicht abstrakt, abgesondert für sich. Sondern er wirkt zusammen mit der Natur als deren Lebendigkeit. Und da wissen wir: Die Lebendigkeit des natürlichen Lebens äußert sich zufallig. Mal entsteht neues Leben im Mutterleib und zuweilen nicht, und manchmal hilft auch alle medizinische Behandlung nichts. Es gibt da keine Gerechtigkeit; ganz willkürlich und ungleich ist das verteilt. Zufällige Umstände walten da. Manch einer wird - ja, Gott sei dank - gesund und manch einer bei der gleichen Therapie leider nicht. Und immer wieder kommen neuartige Krankheiten auf. Unser endliches Leben bleibt gefährdet, ist gegenüber Krankheiten anfallig. Nicht wenige leiden, oft lange, unter ihren Krankheiten und Beschädigungen; und einige müssen schwer, sehr schwer leiden. Auch das personale Heilen, etwa durch Gebet, bleibt zufällig. Manche werden nicht gesund.

Darum, wenn wir zu Gott um Gesundheit, um Gesundwerden bitten, laßt uns die Krank-, Beeinträchtigt- und Beschädigtbleibenden nicht vergessen. Auch Jesus hat damals in Palästina nicht alle Kranken geheilt. Und laßt uns nicht vergessen, daß die Gesundheit und so auch die Krankheit nicht alles im Leben ist. Ja, wenn wir sehen, daß Menschen mit jeweils ihrer Krankheit, mit ihrer Behinderung - oder auch mit ihrem Gelähmtsein - leben müssen, so wissen wir auch, daß sie mit dieser Verletzung, Lebensversehrung zurande kommen müssen. Mit vielen Erkrankungen ist die Aufgabe verbunden, sie zu verarbeiten, sie zu verkraften. Darum laßt uns um Genesung beten und zugleich darum bitten, der Kranke möge im Notfall, bei ausbleibender Genesung, nicht bitter werden und nicht verzweifeln. Er möge glauben oder den Glauben halten können, bei Gott nicht verloren zu sein, und ihm möge vergönnt sein, zuweilen auch etwas Erfreuliches zu sehen: Freunde, die ihn besuchen, die Zuwendung, die Liebe seiner Frau. Möge jeder, jede immer noch etwas haben, wofür er und sie danken kann. Laßt uns darum bitten, obschon auch das nicht garantiert ist.

Über jede Genesung, jedes Gesundwerden, jedes Überstehen einer Erkrankung freuen wir uns - gleich wie die Wiederherstellung der Gesundheit zustande kam: durch medizinische Behandlung oder als Spontanheilung oder durch das Gebet eines Heilers. Wir freuen uns darüber - und das ist gut so. Und wenn wir uns darüber freuen, so laßt uns Gott dafür danken, daß dem Betroffenen das, die Genesung, durch den Einsatz dieses oder jenes Menschen zuteil geworden ist, geschenkt ist.

Eine Frau nach dem Durchstehen einer schweren Erkrankung sagte: "Ich weiß jetzt nur zu gut, daß Gesundheit ein Geschenk ist." Es ist ein Geschenk, ganz gewiß durch nichts verdient. Liebe Gemeinde, das ist immer so, und das könnte man auch ohne krank zu werden wissen. Und Gott, dem Geber des Lebens, dafür danken. Von dem Gelähmten, den Petrus geheilt hat, wird berichtet, daß er 'herumlief, sprang - und Gott lobte'. Amen.

Prof. Dr. Traugott Koch
Wendelohstr. 86 h
22459 Hamburg
Tel.: 040 5510979

 


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