Göttinger Predigten im Internet
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11. Sonntag nach Trinitatis, 27. August 2006
Predigt zu Lukas 7, 36-50, verfasst von Arne Ørtved (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


(Text der dänischen Perikopenordnung)

Ist die Liebe heimatlos in dieser Welt? Oder ist diese Erde ihr rechtes Element? Etwas spricht für beides. Und die beste Illustration dafür finden wir im Text von heute. Da stoßen die beiden Behauptungen hart aufeinander. Liebe, die heimatlos ist, und Liebe, die sich entfaltet!

Sowohl Matthäus als auch Johannes erzählen dieselbe Episode; aber sie haben eine völlig andere Pointe. Erstens ist bei ihnen nicht von einer Sünderin die Rede, sondern nur von einer Frau bei dem einen und bei dem anderen von „Maria in Betania“, von der Maria, die das gute Teil erwählt hatte. Jesus mochte sie doch so gern. In den beiden Geschichten entsteht Verärgerung über die Verschwendung der Frau, denn die Salbe hätte ja verkauft und das Geld an die Armen verteilt werden können. Aber Jesus verteidigt die Frau und sagt: Die Armen habt ihr ja allezeit bei euch. Zugleich wird die Salbung zu einer Vorbereitung seines Begräbnisses einige Tage danach.

Davon steht nichts im Text von heute, der ja vom Evangelisten Lukas geschrieben ist. Hier wird sogleich ein scharfer Gegensatz zwischen dem Hausherrn, dem Pharisäer Simon, und einer Sünderin, was vermutlich bedeutet: einer Prostituierten, aufgestellt. Sie vertreten wirklich jeweils auf ihre Weise die heimatlose Liebe. Die Pharisäer mit ihrem strengen Gerechtigkeitssinn und ihrer Sucht, zu tadeln. Die Sünderin, die von der feinen Gesellschaft ausgeschlossen ist und sich keinerlei Hoffnung machen kann, jemals wieder in sie aufgenommen zu werden. Sie verkauft sich selbst und ihren Körper, eben weil die Liebe heimatlos ist und ihren Trost in der denkbar lieblosesten Begegnung zwischen Mann und Frau findet.

Aber der Pharisäer hat trotzdem den starken Ausgesandten der Liebe, Jesus, zum Essen in sein Haus eingeladen. Es ist eine große Geste, weil die gemeinsame Mahlzeit eine Art Bruderschaft zwischen ihnen bedeutete. Es war keine bloße Höflichkeitsgeste, sondern man teilte faktisch Leben und Schicksal miteinander, wenn man zusammen aß. Man band sich sozusagen aneinander.

Deshalb ist es auch für den feinen Pharisäer ein Schock, als die Sünderin plötzlich in den Raum tritt. Die Tradition will wissen, dass es Maria Magdalene ist, aber das steht denn doch nicht direkt so geschrieben. Da steht sie nun, diese anziehende Frau mit ihrem Alabastergefäß im Arm. Sie hob den Kopf ein wenig, um ihre Verlegenheit zu verbergen.

Der Duft des Nardenöls verbreitet sich im Raum. Eine kostbare Salbe. Das weiß jeder. Einen Jahreslohn eines gewöhnlichen Arbeiters konnte solch ein Glas voll leicht kosten. Aber Frauen dieser Art verdienen vielleicht gut! Es mag auch eine andere Erklärung geben: Ein jedes junges Mädchen sammelte solche Salbe für ihre Hochzeit. Ihr Bräutigam sollte für die Brautnacht damit gesalbt werden. Es war eine Liebesgeste; und je mehr Salbe, desto mehr Liebe. Vielleicht hatte die Frau die Salbe gesammelt, ehe sie eine gefallene Frau wurde. Vielleicht ist sie gefallen, weil sie von ihrem früheren Geliebten verlassen oder weil sie vergewaltigt worden ist. Wenn eine Frau verstoßen werden sollte, fragte man nicht nach Gerechtigkeit, um von Liebe ganz zu schweigen. Es ging nur um die Sucht zu tadeln.

Da steht sie nun. Nur einen kurzen Augenblick, der sich wie eine Ewigkeit ausnimmt. Dann bewegt sie sich durch den Raum auf den Platz zu, auf dem Jesus liegt. Was wird geschehen? Warum greift niemand ein? Wer soll eingreifen? Als sie zu Jesus hinkommt, kniet sie nieder, zerbricht das Gefäß und beginnt, ihn zu salben. Es ist zugleich schön und schamlos. Was bildet sie sich ein? Den Meister von Nazareth mit Salbe zu übergießen – und damit auch mit Liebe. Und sie ist völlig aus dem Häuschen. Sie weint ihre Tränen über seinen Füßen und trocknet sie mit ihrem langen, schönen, glänzenden Haar. Und es geht weiter mit allen Zeichen der Hingabe, die der privaten Sphäre der Brautnacht angehören. Die Liebe hat eine Heimstätte in unserer Welt gefunden.

Da muss der Pharisäer Simon endlich eingreifen. Eine derartige Störung der „öffentlichen Ordnung“, wenn man das so ausdrücken kann. Da hat er sich das lange überlegt und sich herbeigelassen und Jesus zu einer Mahlzeit in sein Haus eingeladen; und da erweist sich Jesus selbst als völlig unqualifiziert. Was soll man dazu sagen? Simon wagt jedoch nicht, laut zu sprechen, er murmelt es vor sich hin: Wenn dieser Mann ein Prophet wäre, dann wüsste er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn berührt, nämlich eine Sünderin!

Natürlich kann Jesus es hören. Simon hätte es eigentlich nur zu denken brauchen, damit Jesus wusste, was da geschah. Jetzt soll die Liebe wiederum geächtet werden. Wie schon so oft zuvor. Oh, diese eifernden Menschen, die ihre Moral so wichtig nehmen und die die Menschen so gern in Gute und Schlechte, Richtige und Verkehrte, Erlöste und Verdammte einteilen. Können sie sich denn nie einfach nur hingeben?

Und nun erzählt Jesus das sehr einfache Gleichnis von den beiden Schuldnern, denen ihre Schuld geschenkt wird. Der eine schuldete 50 Denare, der andere 10 mal so viel. Wer von ihnen wird den Herrn am meisten lieben? Da ist doch kein Zweifel möglich! Ist das Leben wirklich so einfach? Sind die Gesetze der Liebe wirklich so einfach? Ja, so einfach ist es. Und sie alle sind just Zeugen dafür gewesen: die Frau hat Jesus gegen alle Vorurteile gesalbt.

Die Liebe hat eine Heimstätte in unserer Welt. Dort, wo Hingebung und Vergebung ist. Dort, wo man all seinen Hochmut, seine Rechte, seine moralischen Vorurteile aufgibt. Dort, wo die Sünden vergeben werden. Ja, dies ist doch die Frage: Können die Sünden vergeben werden? Gibt es jemanden, der Sünden vergeben kann? Ist Jesus der, der die Macht dazu besitzt? Sünden vergeben ist nicht nur eine Frage von Nachsicht und einem freundlichen Schlag auf die Schulter. Es ist nicht nur eine Frage, wie man ein paar Worte sagt, die man daherleiern kann, weil man sie irgendwo und –wann einmal gelernt hat.

Recht besehen kann nur Gott Sünden vergeben, weil es um das Leben des Menschen geht. Frei gestellt zu werden, um zu leben. Alles Alte hinter sich zu lassen. Nich nur sich zu verbessern, wie man etwa mit dem Rauchen aufhört. Sondern das Alte zu verlassen. Die Scham. Das Gewissen. Die Hoffnungslosigkeit. Das Ausgestoßensein. Von Neuem zu beginnen. Nicht auf Grund zufälliger Menschen Gnade und Barmherzigkeit, sondern auf Grund von Gottes Gnade und Barmherzigkeit. Dies ist so wichtig: Danach schuldet man nur einem seinen Dank: Gott.

Er ist es allezeit, der neues Leben schafft. Wir anderen können es nur leben. Es ist auch nicht so wenig, denn das Leben, das er schafft, ist ja gerade das Leben der Liebe. Er macht unsere Erde zur Heimstätte der Liebe. So war es auch am Anfang, aber wir zerstören es die ganze Zeit mit all unseren kleinen und großen Nummern. Wir meinen, das Leben solle sich nach unseren Bedingungen entfalten.Wir meinen, wir könnten es besser als Gott, der allzu nachlässig sei. Allzu großzügig. Nein, lasst uns da mal dran. Mit unserer Ordung und unserer Gerechtigkeit. Zwar gibt es immer Leute, die sich nicht einordnen wollen, aber die müssen dann auch dafür büßen. Zwar begehen wir hin und wieder Fehler; und es mag schwer sein, alle die kleinen Nummern hinter den Gardinen, hinter den Floskeln, hinter den frommen Masken, hinter den edlen Motiven, hinter den strengen Regeln zu registrieren. Aber Ordung muss sein, wo kämen wir denn sonst hin? Un wo ist im Übrigen Gott?

Ja, er ist auf jeden Fall nicht dort! Er ist nur da, wo die Liebe auch eine Heimstätte gefunden hat. Er ist da, wo sich der Nardenduft der Sünderin im Raum ausbreitet und die Mahlzeit zu einer Liebesmahlzeit macht. Möge dies nur für uns geschehen, wenn wir gleich an den Tisch des Herrn treten, dass die Liebe ihre Heimstätte in unserer sündigen Welt finden kann.

Amen!

Pastor Arne Ørtved
Birkebæk 8
DK-7330 Brande
Tlf.: ++ 45 – 97 18 10 98
E-mail: ortved@mail.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 

 


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