Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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11. Sonntag nach Trinitatis, 27. August 2006
Predigt zu Galater 2, 16-21, verfasst von Ulrich Nembach
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Lied : EG 409, 1-4 

Liebe Gemeinde,

I.

heute geht es um uns. Um Sie, um Sie, um mich, um eine jede und einen jeden von uns. Wir werden von unserem Predigttext angesprochen, nicht gefragt, sondern angesprochen. Paulus schreibt an Gemeinden in Kleinasien, an Gemeinden in der heutigen Türkei, an die in Galatien, wie die Gegend damals hieß.

Paulus schreibt dabei bewusst wir und ich.

Diese direkte Ansprache gilt den Christen in Galatien, allen Christen und damit uns heute morgen hier in der St. Martinskirche.

Dabei geht es um das Wesentliche unseres Christseins, um unseren Glauben und seine Folgen. Da wir an-gesprochen und nicht gefragt werden, werden wir nicht gefragt: Glaubst du, ja oder nein? Wir werden auf unseren Glauben und seine Folgen angesprochen, anders ausgedrückt: Was ist Glaube?

Hören Sie selbst, was Paulus schreibt! Zuvor muss ich noch eine Erklärung geben. Paulus spricht die Galater auf ihren Glauben an, weil sie dabei sind, diesen gegen einen anderen einzutauschen. Sie geben ihren Glauben auf. Es ist eine vergleichbare Situation, wie sie Luther vorfand und darauf reagierte. Paulus sagt darum klar, was Sache ist.

So, nun bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für diesen wichtigen Text (Galater 2,16-21):

16 Doch weil wir wissen, daß der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch Werke des Gesetzes wird kein Mensch gerecht.
17 Sollten wir aber, die wir durch Christus gerecht zu werden suchen, auch selbst als Sünder befunden werden - ist dann Christus ein Diener der Sünde? Das sei ferne!
18 Denn wenn ich das, was ich abgebrochen habe, wieder aufbaue, dann mache ich mich selbst zu einem Übertreter.
19 Denn ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt.
20 Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben.
21 Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn wenn die Gerechtigkeit durch das Gesetz kommt, so ist Christus vergeblich gestorben.

Also Paulus sagt, dass die Galater dabei sind, ihren Glauben wegzuwerfen, ihren Glauben, ihre Gerechtigkeit, mit der sie vor Gott bestehen können und damit zugleich die Gnade Gottes, denn Glaube und Gerechtigkeit wurden ihnen geschenkt. Ja, auch das Kreuz Christi wird sinnlos. Der Tod Christi ist die Basis für Gnade, Glaube, Gerechtigkeit vor Gott.

Hier, das Kreuz, das auf unserem Altar steht wie auf allen Altären christlicher Kirchen wird sinnlos. Es geht in der Tat um uns, wir sind auf die Fundamente unseres Christseins angesprochen.

II.

Der Glaube bringt Gerechtigkeit, Gerechtigkeit vor Gott. Gerechtigkeit heißt, dass wir für Gott passabel, annehmbar sind. Hier, bei uns, kann nicht jede oder jeder einfach zu anderen Menschen, etwa Prominenten gehen. Klingeln Sie einmal am Bundeskanzleramt in Berlin und sagen, Sie möchten zu Frau Merkel. Sie werden höflich, aber bestimmt abgewiesen. Ich denke, Sie wissen das so gut wie ich, und Sie brauchen darum gar nicht in Berlin zu klingeln.

Anders ist es bei Gott, wenn wir auf Jesus Christus verweisen, wenn wir, Sie, ich sagen: Wir sind Freunde von Jesus Christus. Da wird uns das Tor aufgetan. Freunde ist die heutige Bezeichnung für „Jünger“, „Nachfolger“ zur Zeit Jesu und zur Zeit, als die Bibel geschrieben wurde.

Glaube ist unser Vertrauen, unsere Freundschaft. Glaube ist, dass wir erkennen, dass Jesu Tod vor 2000 Jahren für uns geschah. Der Tod ist nicht ein Ereignis, das in Geschichtsbüchern vermerkt ist wie andere Ereignisse von früher. Das Kreuz hier auf dem Altar betrifft mich, betrifft Sie und Sie. Es teilt mit uns den Raum. Es erfüllt die Kirche. Es steht im Zentrum der Kirche. Gibt es einen zentraleren Ort in einer Kirche als den Altar? Und auf dem, dort im Zentrum steht das Kreuz!

Originalton Paulus: „ Ich bin mit Christus gekreuzigt.“

Paulus wurde nicht gekreuzigt. Er war nicht einmal dabei, als Jesus gekreuzigt wurde. Er stand so wenig neben dem Kreuz wie wir, aber er schreibt: „ Ich bin mit Christus gekreuzigt.“ Das ist Glaube. Diese Aussage treffen zu können, ohne auch nur dabei gewesen zu sein, das ist Glaube.

Das ist die Verbundenheit, die Freundschaft, das Vertrauen zu Jesus Christus. Das ist, was uns für Gott akzeptabel werden lässt. Paulus schreibt für akzeptabel werden lässt „Gerechtigkeit“. Der Grund dafür ist, dass vor Jesus die Menschen meinten, durch ein Gesetz, durch das Gesetz des Alten Testaments, also letztlich durch Recht für Gott akzeptabel zu werden.

Das ging nicht, und das geht zur Zeit des Paulus so wenig wie heute. Wie sollen wir, Sie und ich, Gott gerecht werden? Er ist der Herr der Welt. Er hat alles geschaffen. Wie sollen wir da etwas hervorbringen, das ihm entspricht, seiner würdig ist? Schon Kinder stellen sich die Frage, was sie mitbringen können, wenn sie von einem Klassenkameraden zum Geburtstag eingeladen sind, dessen Eltern mehr Geld als ihre Eltern haben. Was soll ich dem schenken, der hat doch alles? Er hat tolle Spielsachen. Er hat neue Klamotten und zwar von Markenherstellern. Kinder kennen das Problem, aber wir Erwachsene meinen wir können Gott etwas schenken

III.

Damit sind wir schon beim nächsten Punkt. Die Einladung zum Chef ist eine Freundlichkeit, ein Geschenk Ihres Chefs an Sie. Auch als gute Mitarbeiterin, als guter Mitarbeiter haben Sie keinen Anspruch darauf, dass Sie der Chef einlädt.

Paulus spricht seiner Zeit entsprechend von Gnade.
Ein Lexikon aus unseren Tagen verweist auf das Althochdeutsche, als Gnade „Hilfe“, „Schutz“ kurz „die unverdiente Hilfe (eines) Gottes“ bezeichnet.

Noch einmal Originalton Paulus: „ Was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben.“

Der Sohn Gottes, Jesus Christus hat mich geliebt! Hat Sie, hat mich, hat uns geliebt. Ich habe hier in Göttingen einen Kollegen, der, als er Schüler war, von einem Klassenkameraden eingeladen worden war. Wie eben Klassenkameraden sich einladen, wurde er von diesem Klassenkameraden eingeladen Er ging hin. Die Tür wurde ihm aufgemacht. Er spielte mit seinem Klassenkameraden. Dann kam der Vater des Klassenkameraden und spielte mit, wie das Väter so machen. Der Vater war Helmut Kohl und Bundeskanzler. Die Tür wurde dem Kollegen seinerzeit geöffnet, weil der Sohn ihn eingeladen hatte. Sie, ich, wir und wohl auch der Kollege klingeln beim Bundeskanzleramt in Berlin vergeblich. Wir haben keine Einladung.

Gnade ist eine Einladung Gottes, die wir uns nicht selbst besorgen können. Gnade ist ein Geschenk von Jesus Christus als Sohn Gottes an uns.

IV.

Damit bleibt nur noch eine Frage. Es ist wohl die schwerste – nicht der Sache nach, sondern der Psychologie nach.

Wenn wir von Jesus Christus geliebt sind, wenn wir – wie ich sagte – eingeladen sind, warum versuchen dann Menschen immer wieder, sich die Einladung selbst zu besorgen, d.h. zu erarbeiten? Das war zur Zeit Luthers so. Das war zur Zeit des Paulus so. Nur darum schrieb Paulus diesen Brief. Bei Paulus war die Bemühung der Menschen noch einigermaßen verständlich. Die Leute waren das seit jeher gewöhnt. Es gab das Gesetz des Alten Testaments, und das musste erfüllt werden. Sie verstanden nicht, dass unser Verhältnis zu Gott seit Jesus Christus sich radikal geändert hat. Zur Zeit Luthers lagen die Dinge ähnlich. Die Menschen wurden gelehrt, durch Erfüllung von Gesetzen zu Gott zu gelangen, in den Himmel zu kommen, wie sie sagten.

Heute erleben wir, dass für alles bezahlt werden muss. Kirche kostet auch. Kirchensteuer muss bezahlt werden. Mindestens ab einer gewissen Höhe des Einkommens wird Kirchensteuer fällig. Wir verstehen auch, dass Kirche wie alle Geld braucht, um ihre Aufgaben zu erfüllen, um Kirchengebäude, oft schöne alte Gebäude im Zentrum der Stadt oder des Dorfes, zu erhalten. Nur sehen wir nicht, dass es zwischen äußerlich und innerlich einen Unterschied gibt. Die Bezahlung für Gebäude, Kindergärten usw. ist äußerlich. Unser Verhältnis zu Gott ist innerlich. Gott liebt uns, und wir lieben Gott. Liebe ist nicht käuflich! Sie ist innerlich und prägt uns von Innen heraus ganz und gar. Diesen Unterschied vergessen wir oft. Die Liebe sehen wir nicht. Sie ist auch nicht sichtbar, aber ihre Zeichen sind sichtbar und werden sichtbar gemacht. Das Kreuz steht auf dem Altar. Jesus Christus wurde dort für uns gekreuzigt. Der Vorgang der Erkenntnis der Liebe Jesu Christi, wenn Sie wollen, das ist der Glaube, durch den wir gerecht, vor Gott angenehm, von ihm eingeladen werden.

Gott sende uns allen diese Einladung!

Amen

Lied: Gott liebt die Welt, EG 409, 5-8

Literatur:
Martin Luthers Werke, Kritische Gesamtausgabe, 1883ff, Bd. 40 I, S. 33ff u. Bd. 57, S. 5ff.
Jacobi, Thorsten, Christen heißen Freie, Tübingen 1997
Rohde, Joachim, Der Brief des Paulus an die Galater, Leipzig 1989
Schlier Heinrich, Der Brief an die Galater, 6. Aufl. der Neuaufl., Göttingen 1989

Prof. Dr. Dr. Ulrich Nembach, Göttingen
ulrich.nembach@theologie.uni-goettingen.de

 


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