Göttinger Predigten im Internet
hg. von U. Nembach, J. Neukirch, C. Dinkel, I. Karle

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8. Sonntag nach Trinitatis, 6. August 2006
Predigt zu Matthäus 7, 22-29, verfasst von Hans-Ole Jørgensen (Dänemark)
(-> zu den aktuellen Predigten / www.predigten.uni-goettingen.de)


Ich schneide manchmal einen Artikel in der Zeitung aus und lege ihn auf einen Stapel auf meinem Schreibtisch und denke, dass ich ihn ein andermal werde gebrauchen können, in irgendeinem Zusammenhang. Wenn der Stapel dann so groß geworden ist, dass ich wenigstens einen Teil davon ausrangieren muss, werfe ich das Meiste wieder weg, aber hier und da lese ich beim Aufräumen denn doch ein wenig darin. Und neulich blieb ich an einem Ausschnitt hängen, in dem eine erwachsene Frau von ein paar alten Tanten erzählt, die einmal in ihrer Familie waren.

Die Tanten waren unverheiratet, sie waren auch kinderlos, und sie waren ihr ganzes Leben lang recht wohlhabend gewesen. Aber nun waren sie nicht mehr so wohlhabend, in ihrem Alter, aber sie glaubten es noch, und das war nicht gut. Sie glaubten nämlich, alle anderen Menschen wären auf ihren Reichtum aus. Und das machte sie einsam. Wenn man sie besuchte – erzählt die Nichte –, geriet man unweigerlich in den Verdacht, man wollte sich einschmeicheln, weil man es auf ihr Kaffeeservice oder ihre Porzellanfiguren abgesehen hätte.

Die Tanten waren allmählich taub geworden, und sie glaubten merkwürdigerweise, dass alle anderen auch taub waren. Deshalb war, wenn man sie besuchte, sehr gut zu hören, was die beiden über die Beweggründe für den Besuch dachten. Wer sollte Lust haben, Leute wie sie zu besuchen – riefen sie laut zueinander und glaubten, sie flüsterten – wenn es nicht Menschen wären, die sich einschmeicheln wollten wegen des Erbes, von dem sie noch immer glaubten, es sei viel wert?

Wir jungen Menschen, erzählt die Nichte weiter, wollten doch nur unsere alten Tanten sozusagen gern einbeziehen auf unserer Suche nach Vorbildern und Sinn in unserem eigenen Leben und dem unserer Familien. Sie konnten uns ja so vieles erzählen, worauf wir neugierig gelauscht hätten. Wir wollten auch gern gut zu ihnen sein, etwas für sie tun und ihnen ein wenig Freude bereiten in ihrem einsamen und dumpfen Leben, und für uns war das eigentlich Belohnung genug. Und unter allen Umständen: es gab keinen unter uns, der der silbernen Kaffeekanne oder des Porzellans wegen gekommen wäre. Aber die Tanten glaubten es. Und deshalb stellten wir schließlich unsere Besuche ganz ein.

Die Tanten starben in ihrer Einsamkeit, weil sie unsere Besuche nicht entgegenzunehmen und als das aufzufassen wagten, was sie tatsächlich waren. Unser aufrichtiges Interesse, sagt die Nichte, und die Forsorge, die auch darin lag, wurden zunichte gemacht, ja in ihr Gegenteil verkehrt, und das war natürlich das Ende für das Leben zwischen uns.

Die Frau, die hier erzählt, ist seither Pfarrer geworden, und sie beendet ihre Erzählung damit, dass sie sagt, sie habe dabei wenigstens gelernt, niemals Interesse an Möbeln oder Zierstücken zu bekunden, wenn sie in die privaten Wohnungen ihrer Gemeindeglieder komme, damit sie nicht denselben Blick bekämen wie seinerzeit die Tanten.

Wenn wir Pfarrer predigen, können wir manchmal – vielleicht in die Irre geführt durch gewisse Predigttexte, aber immerhin – den Eindruck vermitteln, Gott ähnele einer solchen Erbtante, die uns verdächtige, auf irgend etwas aus zu sein. Jedenfalls gibt es viel Theologie, die hochgradig davon besessen ist, welche Beweggründe wir für irgend etwas haben mögen, ob ein guter Mensch gute Taten vollbringt oder ob gute Taten einen Menschen gut machen, wie Luther sagt. Man hat keine Schärfe unbenutzt gelassen, wenn es um die Schilderung der menschlichen Heuchelei geht, darum dass wir am liebsten haben möchten, dass alles nach mehr aussieht, als es ist, und man hat demjenigen keinerlei Schonung gewährt, der äußerlich dem frommen Lamm gleicht, aber in seinem Innern wie der gefräßige Wolf ist.

Und natürlich hat es seinen Sinn, auf der Hut zu sein vor Heuchelei und frommen Sprüchen. Und was Werkgerechtigkeit sonst noch so zuwege bringt.

Aber, es ist doch nicht gut, wenn es so weit gekommen ist, dass wir weniger zu geben vermögen, weil wir befürchten, jemand könnte glauben, wir seien auf irgend etwas aus. Es ist ungut, wenn wir nicht entgegennehmen mögen, weil der Geber vielleicht unreine Hände hat, so dass wir in ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis schlittern könnten.

Und so ist es möglicherweise, wenn wir lieber einen hohen Stundenlohn bei einem Psychotherapeuten bezahlen wollen, als dass wir bei unserem Nachbarn eine Tasse Kaffe trinken und ihr oder ihm die Geschichte erzählen. Denn mit den Professionellen haben wir ja nichts mehr zu tun, wenn wir ihre Leistung gekauft haben. Und es gibt Ärzte und Therapeuten, die sagen, Bezahlung sei Teil der Behandlung, denn dadurch setze man etwas auf seine eigene Heilung, und dann sind wir schon nahe daran, dass wir uns aus eigener Kraft retten können. So dass wir niemandem etwas schuldig bleiben.

Aber es sind nicht die Taten, gegen die Jesus etwas hat, wenn er im Text von heute nichts mit denen zu tun haben will, die zu ihm kommen und sagen, sie hätten etwas in seinem Namen getan. Die Taten sind an sich sicher gut, ja sie sind irgendwie notwendig.

Es geht darum zu hören und dann zu handeln.

Wer diese meine Rede hört und und tut sie, sagt Jesus, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Aber wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute.

Es geht darum, zuerst zu hören und dann zu handeln.

Und was wir hören sollen, ist doch das, was dann die Handlung freisetzt.

In der ersten Textreihe des heutigen Sonntags handeln die Texte von falschen Propheten, Verkündigern, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber reißende Wölfe sind. In dem Text, den wir heute in der Lesung gehört haben, war die Problematik auch hörbar: Micha spricht von Propheten, die sich nicht von Wahrheit und Evangelium lenken lassen sondern von dem, was ihnen am meisten zu kauen gibt, sie predigen um des Lebensunterhalts willen, könnte man sagen.

Natürlich wird da ums Wort gekämpft, wie auch bei uns; im Fall Grosbøl ist nun von einem Lehrzuchtverfahren die Rede – die Geister sollen geprüft werden, ob sie von Gott sind, wie Johannes einmal sagt – denn das Christentum ist nicht beliebig. Will man auf seinem Grund handeln – auf seinem Grund leben, dann ist es wichtig, was da zu hören ist. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen, sagt Jesus.

So wie ich es höre – und wie ich meine, dass ich auf seinem Grund leben und handeln kann, ist uns mit dem Christentum vor allem eine Freisetzung gegeben, die darin liegt, Kind bei Gott zu sein. Jesus zeichnet mit seinem Leben und mit dem, was er sagt, Gott im Bild eines Vaters. „Mein Vater und euer Vater,“ sagt er. Es ist uns gegeben, auf diese Weise über den Gott zu denken, den wir natürlich sonst nicht denken können.

Und welche Freiheit liegt nicht darin, vom Anfang seines Lebens an und auf seinem Weg in allem für Gott da zu sein, wie Kinder für ihre Eltern da sind, nämlich in Liebe. Wenn man Kind ist, weiß man: wie viel man auch in den vielen Spielen des Lebens verlieren mag, man ist noch immer das Kind seiner Eltern, festgehalten in der Anerkennung im Voraus, die die einzig richtige Möglichkeit des Lebens ist, in der Anerkennung, die die Tat freigibt, Tat zu sein um ihrer selbst willen, zu Nutz und Frommen, zur Freude für den Nächsten oder worauf sie sich sonst richten mag.

Der Gegensatz wäre, dass wir das, was wir tun, zur Anhäufung von Punkten nach irgendeinem Maßstab benutzen. Und das ist das Modell, das Verderben bringt. Man denke nur an die beiden Tanten und manche andere, eigene verstimmende Erfahrungen.

Nicht an den Taten ist etwas verkehrt, sondern wozu wir sie ge- oder missbrauchen. Für sie ist es am besten, wenn wir sie ausrichten lassen, was sie ausrichten sollen, und sie im Übrigen nicht zu etwas gebrauchen. Auf diese Weise können unsere Taten zu Geschenken werden. Und auf diese Weise können wir selbst zu Menschen werden, die auch annehmen können, was andere für uns tun.

Auf diese freigesetzte Tat weist Jesus mit seinem Gleichnis von heute hin. Es geht darum zu hören und danach zu handeln. Um der Welt willen und um unsertwillen.

Und er gibt seinen Befehl nicht ins Blaue. Er verweist mit seiner Rede auf den Fels, der allein taugt, wenn ein Haus Wolkenbruch und Sturm aushalten soll, auf sich selbst und auf das, was zu sein er gekommen ist: Gottes Zusage seiner Liebe, die jedem gilt und alles aushält, der Liebe, deren Pfand die Taufe für uns ist.

Wenn ich für jemanden hier in der Kirche eine Führung mache, zeige ich immer auch mit besonderem Vergnügen die Bilder auf dem Taufstein. Und wieviele haben sie bemerkt?

Am Sockel des Taufsteins sitzen in Stein gemeißelt die vier Evanglisten und schreiben. Markus sitzt da mit dem Löwen, der unter dem Tisch ihm zu Füßen liegt – als wäre es ein Hund, Lukas mit dem Oxen, Johannes mit dem Adler und Matthäus mit dem Engel, und so tragen sie das Taufbecken, den Ort, wo Gott seinen Menschen zu einem guten Anfang berührt, alles erzählend, was sie sahen und hörten, und so ist ihr Wort von Christus, der kam, zu einem Stück des Felses geworden, um den das Haus hier gebaut ist. Und der uns als der Grund gegeben ist, auf dem wir handeln können.

Wir können nicht am Tor des Himmels anklopfen mit Zeugnissen und Medaillen und auf dieser Grundlage hoffen, eingelassen zu werden. Aber das sollen wir ja auch gar nicht. Davon sind wir im christlichen Glauben ja gerade befreit worden.

Würden wir es versuchen, würden wir es nicht können. Wir würden uns dann selbst ausschließen und das Reich Gottes nur von uns schieben, wie wir auch die Liebe in die Flucht schlagen, wenn wir anfangen, sie uns zu erkaufen.

Wir haben nur anzunehmen, was Fels in unserem Leben sein soll.

Jesus sagt: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.

Amen!

Pastor Hans-Ole Jørgensen
Hyrdestræde 5
DK-6000 Kolding
Tel.: +45 75 52 06 61
E-mail: haoj@km.dk

Übersetzung aus dem Dänischen: Dietrich Harbsmeier

 


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